Gleich mit drei großen Ereignissen wurde das Thema Fanrechte in der letzten Woche im Landtag NRW beraten. Für die Fraktion der Piraten hieß das, eine Englische Woche mit gleich drei wichtigen „Spielen“ zu bestreiten.
Sachverständigengespräch über die Aufgaben der ZIS im Innenausschuss am 3.4.14
Da die Mühlen im Parlamentsbetrieb sehr langsam mahlen, wurde unser Antrag „Realistische Erfassung von Sicherheitsproblemen – Reform der Datenerfassung und -auswertung der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS)“ erst ein Dreivierteljahr nach seiner Einreichung am Donnerstag in einem Sachverständigengespräch erörtert. Zuvor hatten die Sachverständigen – u.a. Herr Prof. Feltes, Herr Prof. Pilz, Fananwalt Jan-Rüdiger Albert und die ZIS selbst – schriftlich Stellung zum Antrag und zum Aufgabenbereich der ZIS bezogen. Teile der Kritik scheinen bei der ZIS angekommen zu sein, denn im Gespräch am Donnerstag im Landtag bestätigte der Sachverständige der ZIS, dass ab dem nächsten Jahresbericht aufgeschlüsselt wird, ob die Verletzungen durch Pyrotechnik oder Pfefferspray erfolgen. Das ist als erstes Eingeständnis an die massive Kritik anzusehen. Dennoch wird diese Mini-Änderung nicht reichen, damit die Jahresberichte zu einer Aussage über die Gewaltsituation rund um die Stadien taugen. Denn es wird auch zukünftig nicht weiter aufgeschlüsselt, ob Personen z. B. durch Schlagstock-Einsatz oder Unfälle verletzt wurden. Weitere relevante Fragen, die unbeantwortet bleiben werden, sind z. B. auch, wie sich die massiv gestiegenen Zuschauerzahlen auf die Sicherheitslage auswirken, wie viele der im Jahresbericht 2012/13 aufgezählten 6.502 eingeleiteten Strafverfahren zu Gerichtsprozessen und gegebenenfalls Verurteilungen geführt haben oder wie viele ausgesprochene Stadionverbote zurückgenommen werden mussten. Alles relevante Fragen, die die Sachverständigen sowohl im Gespräch als auch in ihren Stellungnahmen als elementar für die Beurteilung der Sicherheitslage ansahen. Mit der Statistik wird Politik gemacht, u. a. nannte Innenminister Jäger die Zahlen aus den Jahresberichten 2011/12 ein Alarmsignal. Wenn die Zahlen aber nicht dazu taugen, eine Bewertung der Gewaltsituation vorzunehmen, ist ihre Verbreitung und der Bezug auf sie eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit. Es soll Stimmung in der Politik und Öffentlichkeit erzeugt werden, die dann weitere Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen gegen Fans möglich macht. Zurzeit sind die Jahresberichte nichts weiter als eine polizeiliche Lobby-Statistik.
Das ist schon schlimm genug, aber die ZIS verletzt durch die öffentliche und teilweise individualisierte Darstellung von Situationen und den beteiligten Fans Persönlichkeitsrechte, weil dadurch Rückschlüsse auf Einzelne gezogen werden können. Das legte Fananwalt Albert in der Sitzung schlüssig dar, und das hatte auch das OVG Münster in einem Urteil im September 2013 bestätigt. Herr Albert machte den Abgeordneten der anderen Fraktionen in der Sitzung klar, dass es ein ganzes Bündel an weiteren Problemen im Bezug auf den Datenschutz innerhalb der Aufgabenbereiche der ZIS gibt, z. B. bei der Erfassung von Fans in der Datei „Gewalttäter Sport“ und der Datenweitergabe an die Vereine. Aber krass ist, dass der ZIS für diese Aufgaben anscheinend die Rechtsgrundlagen fehlen.
Fun Fact: Es gibt keine Fortbildungen der Polizei im Bereich Fankultur, Fanbeauftragte, Fanrituale
Übrigens musste ich noch einen nicht so wirklich spaßigen „Fun Fact“ in der Anhörung ansprechen. Bei einer Befragung im Zusammenhang mit der dritten Evaluation der polizeilichen Rahmenkonzeption zur NRW-Initiative „Mehr Sicherheit bei Fußballspielen“ gaben 99% der Mitglieder der Bereitschaftspolizeihundertschaft an, dass sie noch nie an einer Fortbildung zum Thema Fanbeauftragte, Fankultur, Fanrituale teilgenommen hätten. 1 % antwortete mit „weiß nicht“. Auf meine Nachfrage dazu reagierte die DPolG konsterniert und musste zugeben, dass erst zukünftig darüber nachgedacht wird, Fanbeauftragte oder Fanprojekte einzuladen, damit diese Polizeibeamten Kenntnisse über die Fankultur und die Fans vermitteln. Dass das bisher nicht erfolgt ist, ist unglaublich und ein ziemlich hohes Risiko, wenn man bedenkt, dass z. B. beim letzten Revierderby mehrere Tausend Polizisten im Einsatz waren, die keine Fortbildungen in diesen Bereichen haben.
Fazit: Es war wichtig und gut, dass wir dieses Sachverständigengespräch führten. Selten zeigten sich die Abgeordneten auch der anderen Fraktionen so sehr daran interessiert, Optimierungsmöglichkeiten auszuloten. Denn es kann nur von Vorteil für NRW sein, wenn wir aufgrund einer ordentlichen Datenanalyse z. B. auch die Polizeieinsätze reduzieren. Leider war Innenminister Jäger nicht zugegen und kam pünktlich zum Ende des Sachverständigengesprächs.
Besprechung des Nachberichts zum massiven Polizeieinsatz beim Spiel Schalke 04 gegen PAOK Saloniki
Immerhin war er dann zur Besprechung des Nachberichts zum Polizeieinsatz Schalke 04 gegen PAOK Saloniki da. Wir hatten als Piratenfraktion um diesen Nachbericht gebeten, weil wir schon recht lange auf die angekündigte Aufarbeitung warten. Außerdem hatten wir Informationen über Anzeigen und Beschwerden gegen Polizeibeamte. Das wurde uns auch bestätigt: Es laufen zurzeit 23 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte. Der Bericht des Innenministers warf dennoch mehr Fragen auf, als er beantwortete. Unverständlich ist, dass die Aufklärung der Fehler schon über ein halbes Jahr dauert und wohl noch andauern wird. Wieso kam es zu den Kommunikationsfehlern zwischen der Polizei und den Verantwortlichen des Vereins während des Spiels? Warum wurde nicht gegen die Störer auf Seiten der Saloniki-Fans vorgegangen, sondern gegen die friedlichen Fans im Block der Ultras? Waren die Befürchtungen eines Platzsturms der Saloniki-Fans berechtigt, oder hat man sich nur auf die Aussage eines SKB der griechischen Seite verlassen? Warum wurde die Fahne erst nach 70 Spielminuten zu einem Problem? Warum gab es kein milderes Mittel als einen Blocksturm mit über 80 Verletzten? Wieso darf der Verein Kritik nicht mehr öffentlich äußern? All das beantwortet der Bericht des Innenministers nicht, sondern schafft neue Verunsicherung. Zumindest eine Person ist zudem ins Visier der Fahnder geraten, nachdem sie eine Anzeige gegen Polizeibeamte erstattet hatte. Das ist sehr fragwürdig und wird dafür sorgen, dass es sich andere Fans dreimal überlegen, bevor sie Polizeigewalt anzeigen. Der Bericht stellte außerdem Zusammenhänge her, die es so nicht gab. Aufgrund dieser wurde in der Presse falsch berichtet, und der Verein Schalke 04 musste klarstellen, dass es keinen Zusammenhang zwischen den Ereignissen beim Spiel und der Verpflichtung eines neues Sicherheitsdienstes gibt. Außerdem hat der Fanbeauftragte auf eigenen Wunsch den Verein verlassen. War das eine bewusste Irreführung unseres Ministers? Es hatte jedenfalls nichts in einem Bericht über die Fehlerkultur und Aufarbeitung des Polizeieinsatzes beim Spiel Schalke gegen Saloniki zu suchen.
Fazit:Der Aufklärungswille von Innenminister Jäger lässt definitiv zu wünschen übrig. Die Behörde, gegen die Anzeige erstattet wurde, ermittelt zurzeit gegen sich selbst. Das darf natürlich überhaupt nicht sein. Amnesty International kritisiert seit Jahren, dass es keine unabhängigen Untersuchungen von Polizeigewalt in Deutschland gibt, und das wird in NRW zurzeit auch so praktiziert. Innenminister Jäger ist kein Vorbild in Sachen Fehlerkultur, Aufklärung und Aufarbeitung. In einem Interview spricht er von Fehlinformation und einseitiger Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz in Schalke: „Ich nehme ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen: Das Spiel Schalke gegen Saloniki. Da ist der Polizei vorgeworfen worden, 80 Verletzte durch den Einsatz von Pfefferspray verursacht zu haben, weil eine Kurve gestürmt wurde. Die BeSi-Aufnahmen, die ich einige Tage später gesehen habe, zeigen ein völlig anderes Bild. Die Polizei muss mit der objektiven Darstellung schneller herauskommen und zwar ehe sich auf Grund falscher Informationen in der Bevölkerung ein verzerrtes Meinungsbild festgesetzt hat.“
Das siebte Fanhearing der Piratenfraktion im Landtag NRW
Bereits beim Fanhearing wurde ich übrigens auf die Fehler im Bericht hingewiesen. Am Montag, dem 31.3., trafen wir uns nämlich zum bereits siebten Mal mit Fans verschiedener Vereine, Fanprojekten, Fanvertretern, einem Fananwalt, Polizeibeamten und vielen Interessierten, um über die SiKomFan, das anstehende Sachverständigengespräch über die Aufgaben der ZIS, den massiven Polizeieinsatz auf Schalke im August 2013 und das letze Revierderby zu sprechen. Zugegen waren auch Eishockeyfans aus Iserlohn, die mit recht ähnlichen Problemen, z. B. unberechtigte Stadionverbote usw., kämpfen müssen. Einige Fans kamen etwas später zum Treffen, weil sie vom plötzlich ganz gesprächig gewordenen Innenminister Ralf Jäger höchstpersönlich zu einem Talk eingeladen worden waren. Wir begrüßen diese neue Dialogbereitschaft ausdrücklich und freuen uns sehr, wenn sich diese Gespräche positiv auf die zukünftige Politik des Innenministers in Bezug auf Fanrechte auswirkt.
Hier nun erst einmal ein kleines Fazit des Fanhearings: Die Diskussion um das Forschungsprojekt SiKomFan, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit II“ mit insgesamt 3,3 Mio. Euro gefördert wird, ließ schnell keinen anderen Schluss zu, als dass man das Projekt wohl jetzt schon als gescheitert ansehen muss. Durch die Unterstützung des Projekts durch Firmen der Militärforschung und der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) kommt es so gruselig und einseitig daher, dass sich viele Fanszenen, Fanorganisationen wie ProFan und BAFF, Fanprojekte und die BAG dazu entschlossen haben, die Zusammenarbeit mit dem Projekt abzulehnen. Deshalb stellt sich nun eigentlich nur noch die Frage, was ein Projekt, das ja u. a. Ideen entwickeln soll, wie die Kommunikation zwischen den beteiligten Gruppen (z. B. Polizei und Fans) gefördert werden kann, überhaupt bringt, wenn sich die Fans aus guten Gründen weigern mitzumachen. Es braucht eben mehr zivile und unabhängige Forschung. Mit gutem Beispiel geht gerade die Uni Bielefeld voran, die just als Teil des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) die Fachstelle „Fußball und Konflikt“ gegründet hat.
Die Nachbesprechung des Revierderbys fiel diesmal nicht so kontrovers aus wie beim letzten Fanhearing, wo wir mehr als eine Stunde über die Ereignisse gesprochen hatten. Die neue getrennte Wegeführung für die Fangruppen der beiden Mannschaften hat sich voll bewährt. Das sagten sowohl die Fachleute als auch die Fans. Einfach nicht beide Fangruppen am Nadelöhr Schwimmbad vorbeizuführen kam den Verantwortlichen bisher nicht in den Sinn. Beim Revierderby in Dortmund 2012 hatte die Polizei mit Hilfe von Fanbriefen noch beide Fangruppen an dieselbe Stelle gelotst. Das diesmal anders zu machen und zwei verschieden Fanbriefe auszugeben hat sehr viel zur Entspannung beigetragen. Dennoch war das Revierderby einer der größten Sicherheitseinsätze in der Fußballgeschichte in NRW. Ob das trotz des neuen Anfahrtskonzepts so notwendig war, wurde stark bestritten. Mehr Polizei führt oft zu mehr Konflikten, und die Drohungen, keine Auswärtsfans mehr bei den Revierderbys zuzulassen, hätte auch dazu führen können, dass Ausschreitungen aus Trotz stattfinden. Es ist der Disziplin der Fans und dem neuen Einsatzkonzept der Deeskalation zu verdanken, dass das Revierderby sehr friedlich verlief. Aber ein Fanprojekt machte auch noch mal deutlich, dass es noch viele Fehler gab, die man zukünftig beseitigen muss. Ein solches Derby sollte nicht mitten in der Woche stattfinden, und auch nach Abpfiff sollte man die Fans anleiten, statt einfach alles aufzulösen.
Es wurde noch viel mehr besprochen, und die Fans lieferten viel Input auch für die Innenausschusssitzung am 3.4. Viele Punkte werden wir beim nächsten Fanhearing aufgreifen. Ich freue mich schon sehr darauf.