Weiterhin steigender Gebrauch von Funkzellenabfragen bei anhaltend miserabler Informationspolitik

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Wir brauchen Transparenz und eine wissenschaftliche Evaluation der Effizienz von Funkzellenabfragen, stillen SMS und Co!

Bild Matthias Penke/Flickr CC BY-NC-ND 2.0Die Anzahl der durchgeführten Funkzellenabfragen in NRW steigt weiter an: Von 138 in 2010, 2.674 in 2011, über 3.545 in 2012, waren es 4.145 in 2013. Im ersten Quartal 2014 waren es bereits 972 Funkzellenabfragen. Eigentlich als letztes Mittel in der Polizeiarbeit gedacht, wenn andere Maßnahmen nicht mehr fruchten, verkommt die Funkzellenabfrage damit zum Routineinstrument. Die Funkzellenabfrage wird nicht nur häufiger, sondern auch für weitaus mehr Straftaten genutzt. Jede neunte Funkzellenabfrage wird bei Straftaten angewendet, die nicht zum ursprünglich vorgesehenen Straftatenkatalog von §100a Absatz 2 StPO zählen.

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Statement zur Innenministerkonferenz (IMK) 2014

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Freitag ging in Bonn die Konferenz der Innenminister in Deutschland zu Ende. Statt zukunftsweisender Vorbeugeprojekte wurden hauptsächlich weitere Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen vereinbart. Hier meine Statements zu den dort gefassten Beschlüssen (http://m.mik.nrw.de/presse-mediathek/aktuelle-meldungen/aktuelles-im-detail/news/innenminister-intensivieren-die-bekaempfung-von-einbrecherbanden-entschlossenheit-der-imk-auch-im.html):

Bekämpfung von Einbrecherbanden

Statt auf Fördermaßnahmen für sichere Häuser und aufgeklärte Mieter sowie Eigentümer zu setzen, wird der Mythos eines gigantischen Ausmaßes von international agierenden Einbrecherbanden verbreitet. Viele Einbrecher sind aber drogenabhängige junge Männer, die in die Beschaffungskriminalität abgerutscht sind. In den letzten Jahren sind immer wieder kluge Konzepte zur Bekämpfung von Drogensucht in die Wege geleitet worden, mussten aber aufgrund von Sparmaßnahmen der Kommunen wieder eingestellt werden. Hier muss dringend gegengesteuert werden! Auch sollte über eine kontrollierte Abgabe von harten Drogen an die Süchtigen nachgedacht werden – auch um die Beschaffungskriminalität einzudämmen.

Bekämpfung des gewaltbereiten Salafismus

Die Bekämpfung von 320 Extremisten, die seit 2012 in den syrischen Bürgerkrieg zogen und von denen bisher nur ein Bruchteil wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist, darf nicht zu einem massiven Abbau von Bürgerrechten führen. Die geplante Verschärfung des Personalausweisrechts und die Beschränkung der Reisemöglichkeiten nach Syrien könnte auch Unschuldige treffen. Im Moment macht sich jeder verdächtig, der nach Syrien reisen will, aber es gibt auch Menschen, die trotz des Bürgerkrieges lediglich versuchen, ihre Verwandten in Syrien zu besuchen und ihnen vor Ort zu helfen.

Seit Jahren kümmern sich außerdem zivilgesellschaftliche Projekte und Gruppen, z. B. Hayat, um junge Menschen, die in salafistische oder andere islamistische Ideologien abdriften. Solche zivilen Projekte müssen ausgebaut und gefördert werden, denn Ausstiegs- und Präventionsprogramme sollten nicht beim intransparenten Verfassungsschutz angelegt sein. Es kann hier schnell zum Missbrauch kommen, und der Verfassungsschutz erreicht die radikal eingestellten Jugendlichen nicht, weil sie den deutschen Behörden oft misstrauen.

Sicherheit beim Fußball

Wieder stimmen die Innenminister den beliebten populistischen Gassenhauer „Mehr Repression und mehr Restriktion hilft mehr gegen enthusiastische Fußballfans“ an. Sie werden nicht müde, ein Gewaltszenario rund um die Fußballspiele herbeizureden, gegen das dann nur noch Meldeauflagen, „Buszwänge“, festgelegte Reisewege, personalisierte Tickets, intensiver Datenaustausch, Dateien, verringerte Kartenkontingente und V-Leute „helfen“ sollen.

Dabei werden das Abbrennen von  Bengalos oder Prügeleien einfach mal mit dem Skandieren von rechtsextremen Parolen gleichgesetzt. Genau das bemängeln wir seit Jahren: Unterschiedliche Taten müssen unterschiedlich geahndet werden, und jede Tat muss einzeln nachgewiesen werden. Wir brauchen endlich einen differenzierten Blick auf die sehr heterogene Fan-Szene. Von der Polizei können wir ihn allerdings gerade nicht erwarten, die hat nämlich laut polizeiinterner Studien ein extremes Kenntnisdefizit in den Bereichen Fanbeauftragte, Fanprojekte, Fankultur und Fanrituale. Die Innenminister sollten sich nun zunächst einmal darauf konzentrieren, ihre Beamten ordentlich zu schulen.

„Wegfahrsperre“ für Handydiebstahl

Als aktiven Verbraucherschutz versuchen die Innenminister die „Wegfahrsperre“ für Handys zu verkaufen. Dass durch die Registrierung ihrer Handys die Handynutzer noch besser kontrolliert und überwacht werden können, als es sowieso schon gemacht wird, wird verschwiegen. Handys gleichen schon jetzt Wanzen, und wir brauchen definitiv nicht noch mehr Datenbanken, um sie noch besser den Besitzer zuordnen zu können. Auch die Provider lehnen die Sperre ab und geben an, dass die Sperre dann womöglich den falschen Nutzer treffen könnte.

Großraum- und Schwerlasttransporte

Für ungefährliche Großraum- und Schwerlasttransporte ist eine externe Überprüfung und Begleitung durch anerkannte Sachverständige und private Unternehmen sicherlich eine Möglichkeit, die Polizei zu entlasten und Ressourcen freizugeben. Auf keinen Fall dürfen aber die Kontrolle und die Sicherung von Gefahrgut-Transporten privatisiert werden.

Linksextremismus

Die CDU-Innenminister scheinen durchgesetzt zu haben, dass ein Lagebericht über Linksextremismus erarbeitet werden muss. Dieser Lagebericht darf nicht dazu führen, dass Linksextremismus mit Rechtsextremismus gleichgesetzt wird, und es muss darauf hingewirkt werden, dass Bürgerproteste gegen Neonazis und gesellschaftliches Engagement z. B. für Flüchtlinge nicht einfach aufsummiert und kriminalisiert werden.

Syrische Flüchtlinge

Bundesinnenminister de Maizière und der NRW-Innenminister Jäger beten zurzeit in der Presse rauf und runter, dass Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten den größten Beitrag bei der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen leistet. Zwar nehmen sie über die Sonderaufnahmeprogramme tatsächlich viel mehr Syrer auf als die europäischen Nachbarn, aber die Zahl der syrischen Flüchtlinge, die auf anderen und sehr gefährlichen Fluchtwegen nach Europa reisen, wurde hier nicht mitgerechnet. Schweden leister hier proportional einen weitaus größeren Beitrag als Deutschland. Die Diskussion und die geringe Höhe des Aufnahmekontingents bleiben beschämend. Wir sprechen über 20.000 Menschen, die hier Zuflucht finden dürfen und von denen – aufgrund komplizierter Aufnahmeformalitäten – auch erst 6.000 hier bei uns im Land sind. Die Türkei beherbergt zurzeit mehr als 760.000, der Irak mehr als 225.000 und der Libanon mehr als eine Million Flüchtlinge. Wir werden unserer Verantwortung nicht gerecht, weswegen wir es auch in NRW mehr Syrern ermöglichen müssen, Schutz vor Krieg und Verfolgung zu finden.

Kein Bett für Snowden im NRW-Landtag

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Der Antrag auf sicheren Aufenthalt für Snowden

Am Donnerstag, den 5. Juni – einem Tag vor dem Jahrestag der ersten Veröffentlichungen von NSA-Dokumenten – wurde im Landtag NRW unser Antrag „Sicheren Aufenthalt für Edward Snowden in Deutschland!“ debattiert und in Einzelabstimmung abgestimmt (Drucksache 16/4439). Wir fordern darin die Landesregierung auf, im Bundesrat und auf allen weiteren politischen Ebenen darauf hinzuwirken, dass Edward Snowden ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland erhält– ob nun per Asyl, Aufenthaltsgenehmigung oder einer anderen Lösung – und nicht an die USA ausgeliefert werden darf.

bed-21276_640Sämtliche anderen Fraktionen haben geschlossen gegen unseren Antrag votiert. Hauptargument der Redner der anderen Fraktionen war die fehlende Zuständigkeit: Für diese Fragen sei die Bundesebene zuständig.

Meine Gegenfrage, wer denn für den Schutz der 18 Millionen Einwohner NRWs vor der Verletzung ihrer Privatsphäre, und der 760.000 kleinen und mittelständigen Unternehmen in NRW vor Wirtschaftsspionage zuständig sei, wenn der Bund das nicht tut, blieb hingegen unbeantwortet.

Von der CDU ist leider nichts anderes zu erwarten. Die SPD hat zwar hin und wieder widersprüchliche Signale gesendet, im Endeffekt dann doch immer den Schwanz eingekniffen – und die Landes-SPD scheint nicht willens, eine eigene Haltung in der Frage zu entwickeln. Die FDP hat sich durch dieses Abstimmverhalten wieder einmal als Bürgerrechtspartei disqualifiziert.

Man kann festhalten: Der politische Wille fehlt.

Politische Zwänge der Grünen

Besondere Aufmerksamkeit verdient das Verhalten der Grünen im Landtag. Wir wissen, dass sie politisch unsere Forderungen nach Aufenthalt unterstützen. Jedoch zwingt sie die Koalition mit der SPD, sich anders zu verhalten. So sind nun mal die Realitäten, genötigt durch den abgeschlossenen Koalitionsvertrag. Auch schon mal „parlamentarische Zwänge“ genannt. Oder: Ein krankes System. Denn was nützt es, wenn man dafür ist, aber dagegen stimmt?

Am Donnerstag schickten sie nicht den netzpolitischen Sprecher Matthi Bolte in die Debatte, sondern gleich den Fraktionsvorsitzenden Reiner Priggen. Wikipedia zählt ihn zum Realoflügel seiner Partei.

Er griff die Piratenfraktion scharf an. Er warf uns vor, den Antrag nur in Eigeninteresse und zur Profilierung eingebracht zu haben. Wir wüssten, dass der Antrag mehrheitlich abgelehnt werden wird, und dies würde Edward Snwoden mehr schaden als nützen. Sie selbst seien durch Koalitionsdisziplin gebunden.

Das ist eine haarsträubende Verdrehung der Verantwortlichkeiten!

Es kann doch wohl kaum der Ersteller eines Antrages, der damit seinen politischen Wiillen formuliert, dann dafür verantwortlich sein, wenn andere seinen Antrag ablehnen. Soll man als Opposition nur noch Anträge stellen, die sich mit dem Koalitionsvertrag der Regierung vertragen? Wenn man als Opposition nur Anträge stellen soll, die nicht zu Ablehnungen führen, kann man Oppositionsarbeit im Parlament generell einstellen.

Grüne Doppelmoral

smurf-139451_640Besonders krass ist die Doppelmoral, die Priggen damit offenbart. Die Grünen im Bayrischen Landtag – dort in der Opposition – hatten einen inhaltlich gleichen Antrag eingebracht, und diesen schon im Januar – durch eine CSU-Mehrheit vorhersehbar – zu einer Abstimmungsniederlage geführt. Wenn die Grünen das also selbst aus der Opposition heraus tun, ist das dann OK, Herr Priggen?

Er unterschlägt, dass wir monatelang nach einem Konsens gesucht haben, der die Aufenthaltsfrage Snowdens nicht ausklammert. Er unterschlägt, dass wir uns den Wünschen des Unterstützerumfeldes Edward Snowdens immer gebeugt haben – was die Grünen in Bayern nicht taten.

Denn es ist nicht nur Hans-Christian Ströbele, der Kontakte in das Unterstützerumfeld Snowdens pflegt. Nur dass wir uns damit nicht so profilieren, wie das die Grünen tun.

Nachdem aber in Bayern eine Abstimmungsniederlage durch die Grünen herbeigeführt wurde, und die Bundesregierung Snowden quasi zur unerwünschten Person erklärt hat, kann durch eine Ablehnung unseres Antrags kein weiterer Schaden entstehen. Im Gegenteil: Aus dem Unterstützerumfeld Snowdens kam der Wunsch, jetzt den Druck auf die Politik zu erhöhen. Durch den Fristablauf des Asyls von Snowden in Russland im Juli des Jahres ist jetzt dazu der richtige Zeitpunkt.

Grüne Flucht vor der Verantwortung

Die Grünen wären in der Verantwortung gewesen, Einfluss auf ihren Koalitionspartner zu nehmen – denn das liegt im Bereich ihrer Möglichkeiten, nicht in unserem.

Es wäre ihnen möglich gewesen – nein, es wäre ihre Pflicht gewesen, Druck auf die SPD auszuüben!

innsbruck-358280_640Sie hätten einen – wie auch immer gearteten – Kompromissvorschlag ausarbeiten können in ihrer Rolle zwischen den Stühlen. Sie hätten – als weichste Form des Protests – persönliche Erklärungen abgeben können. Aber nichts von all dem ist geschehen – man wollte das Fiasko einfach nur aussitzen, den Kopf einziehen und die Piraten dafür verantwortlich machen.

Und nicht zuletzt: Ich habe für diesen Antrag Einzelabstimmung beantragt, um jedem einzelnen Abgeordneten Gelegenheit zu geben, auch gegen Widerstände zu seinen Überzeugungen zu stehen, wie Edward Snowden das tut.

Von dieser Möglichkeit hat im Plenum niemand Gebrauch gemacht.


Diesen Blogpost habe ich heute auf Ruhrbarone.de veröffentlicht.

Ein Jahr kaputtes Internet

Veröffentlicht am von unter Persönliche Blogposts.

Zum Jahrestag der NSA-Veröffentlichungen durch Edward Snowden.

car-accident-337764_640Man untertreibt mit Sicherheit nicht, wenn man festhält, dass das Internet seit dem 05. Juni 2013 nicht mehr dasselbe ist wie zuvor. Das Internet ist kaputt, und es sind westliche Geheimdienste, die es zerstört haben. Doch die schlimmsten Auswirkungen sind nicht technischer Natur, sondern die fatalen Folgen für unsere Wirtschaft, unsere Demokratie und unsere Freiheit.

An diesem Tag fanden die ersten Veröffentlichungen über den weltweiten Spionageangriff durch westliche Nachrichtendienste statt. Edward Snowdens Dokumente offenbarten einen ersten Blick auf die totalitäre Überwachung, die Geheimdienste der „Five Eyes“, allen voran der US-amerikanische Nachrichtendienst NSA sowie der britische GCHQ, im Internet errichtet haben.

Was vorher als Verfolgungswahn von leicht paranoiden Sicherheitsspezialisten verlacht wurde, hat sich als zutreffend, oder sogar als noch zu blauäugig erwiesen. Die Aluhüte hätten sehr viel größer sein dürfen.

Wir wissen heute, dass die Geheimdienste die Telefonate eines ganzen Landes speichern können, aus Glasfaserkabeln die gesamte Kommunikation mitlesen, unbegrenzten Zugriff auf private Google-, Facebook- und Microsoft-Konten haben. Wir wissen, dass sie Mobiltelefone in Wanzen verwandeln können, ohne sie berühren zu müssen – und sie selbst dann aktivieren können, wenn diese ausgeschaltet sind. Wir wissen, dass sie Privataccounts von Administratoren angreifen, um darüber die Netzwerke ihrer Arbeitgeber zu infiltrieren. Sie betreiben Wirtschaftsspionage zum Vorteil ihres eigenen Landes auf dem Boden ihrer angeblichen Freunde. Sie brechen in die Internetinfrastruktur weltweit ein und verwanzen diese. Sie hören Kommunikation aller Menschen auf der Welt ab, und speichern diese Informationen unbegrenzt. Auf Privatsphäre, auf schutzwürdige Daten wird nicht die geringste Rücksicht genommen.

Alles, was technisch möglich ist, wird auch gemacht. Schranken durch Moral oder Gesetz gelten nicht.

Wirtschaftsspionage per Formular

Wirtschaftsspionage ist eine Hauptaufgabe der Nachrichtendienste geworden. Nachweislich werden Unternehmen auch der befreundeten Länder angegriffen, um heimischer Industrie Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die NSA betreibt eine Internetseite, auf der US-amerikanische Unternehmen ihre Spionagewünsche online eingeben können. In den Fokus gerät dabei Know-how gerade auch kleiner und mittelständischer Unternehmen.

Absurderweise sind es die besten Absolventen der US-amerikanischen Eliteuniversitäten, welche die NSA für exorbitante Gehälter einstellt – und die dann der Wirtschaft in den USA verloren gehen. Die dadurch fehlende Brain Power muss dann offenbar durch Wirtschaftsspionage wieder ausgeglichen werden.

Auch internationale Organisationen und Konferenzen, wie die Europäische Union, die Vereinten Nationen oder die Weltklimakonferenz sind zum Spionageziel geworden. Indem man Positionen, Planungen und Absichten von Verhandlungspartnern ausspäht, gewinnt man einen strategischen Vorsprung in Verhandlungen. Dabei geht es nur um eines: Um Macht.

Geheimdienste entziehen sich dabei jeder Kontrolle. Sie agieren im Verborgenen, belügen die Parlamente, die sie kontrollieren sollen. Es wird nur zugegeben, was sich nicht leugnen lässt. Lokale Gesetze, wonach die eigenen Staatsbürger nicht ausgespäht werden dürfen, werden umgangen, indem man diesen Auftrag durch einen befreundeten Auslandsgeheimdienst der „Five Eyes“ ausführen lässt, und die gewonnenen Daten austauscht.

Ein unwürdiges Theater in Deutschland

hut-172789_640Auch Deutschland macht auf seine Weise mit. Obwohl Deutschland als besonders interessantes Ziel für Überwachung durch die NSA markiert worden ist, funktioniert der Datenaustausch reibungslos. Man stellt den westlichen Geheimdiensten Daten zur Verfügung, man bekommt offenbar auch hin und wieder interessante Daten – und stellt keine Fragen. Von Spionageabwehr, also der Abwehr gegen diese grundrechtswidrigen Angriffe durch „befreundete“ Nachrichtendienste gibt es keine Spur.

Vielleicht mag eine noch stärkere Verstrickung deutscher Geheimdienste in diese Affäre einer der Gründe sein, warum die deutsche Politik sich gegen eine Aufklärung mit Händen und Füßen wehrt. Übergroß ist jedenfalls die Angst vor dem Verlust der „transatlantischen Freundschaft“ mit den USA. So groß, dass Bundesstaatsanwalt Range sich nicht traut, in größerem Rahmen Ermittlungen einzuleiten – ein „Staatswohl“ postulierend, welches wohl wichtiger zu sein scheint als Bürgerrechte, Demokratie und Grundgesetz. Oder muss man gar annehmen, dass die totale Überwachung aller Menschen auch von der deutschen Politik genau so wie sie stattfindet erwünscht und befördert wird?

Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wird derweil ein unwürdiges Theater aufgeführt: Seit Monaten ist unklar, ob man den Kronzeugen Edward Snowden überhaupt anhören will. Die Bundesregierung hat schon erklärt, ihre Informationen nur geschwärzt an den Ausschuss übergeben zu werden. Die Ausreden könnten kaum skurriler sein. Eine Aufklärung ist in diesem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss jedenfalls nicht zu erwarten.

Ungewisse Zukunft für Snowden

Überhaupt, Edward Snowden: Er sitzt seit einem Jahr in Russland fest – wahrlich kein Hort von Demokratie und Bürgerrechten. Sein Asyl läuft im Juli aus, seine Zukunft ist ungewiss. Nachdem mittlerweile die meisten Menschen der Ansicht sind, dass seine Leistung anerkennenswert ist, und dass er Schutz und sichere Zukunft verdient, ringt sich immer noch kein demokratisches Land dazu durch, ihn aufzunehmen. Eine Schande. Das Signal, welches dadurch an potentielle Whistleblower der Zukunft gesendet wird, ist fatal.

Edward Snowden – ein Mensch mit im Grunde konservativen Wertvorstellungen – konnte die täglichen Rechtsbrüche der Geheimdienste nicht hinnehmen, er verließ seine Heimat, seine Familie, eine langjährige Beziehung und einen gutdotierten Job, er begab sich unter Lebensgefahr in eine ungewisse Zukunft, um der Weltöffentlichkeit von diesem Skandal zu berichten. Er bewies damit Integrität, Aufrichtigkeit und Mut – landläufig nennt man jemanden, der große persönliche Last auf sich nimmt, um die Allgemeinheit zu schützen, einen Held. Leider jedoch sind das keine Merkmale, die wir von Politikern in unserem Land in dieser Angelegenheit erwarten dürfen.

Wo bleibt die Empörung?

auto-245447_640Warum fehlt jedoch der öffentliche Aufschrei angesichts eines täglichen, millionenfachen, fortgesetzten Grundrechtsbruchs? Wo sind die Massendemonstrationen, die öffentlichen Apelle? Wo schlägt sich die Besorgnis in Wählerstimmen nieder? Oder auch: Warum hört man von Piraten in der Angelegenheit nichts (obwohl diese seit einem Jahr ununterbrochen aus vollem Hals alarmieren)?

Offenbar ist das allgemeine Interesse doch nicht so hoch, wie es der Sache angemessen wäre. Das Thema scheint abstrakt, wird nicht ausreichend erklärt, und betrifft nach Meinung vieler wohl nur Menschen, die intensiv im Internet unterwegs sind. Es geht vermeintlich um „Internetkommunikation“, also im Internet fließende Daten, und im Grunde wusste man von der Überwachung auch vorher. Der Schutz vor Terrorismus oder dem Missbrauch von Kindern wird vorgeschoben. Man habe ja nichts zu verbergen. Mit der letzten Supermacht auf der Welt mag man es sich nicht verscherzen. Und gegen die Macht weltweit vernetzter Geheimdienste mit unbegrenzten technischen und finanziellen Mitteln könne man ohnehin nichts tun.

Doch ist das tatsächlich so? Beschränkt sich diese Überwachung einfach nur auf Internetkommunikation, auf Daten? Ist das ein Territorium unserer Welt, welches wir einfach „verloren geben“, und ansonsten weitermachen wie zuvor?

Das Internet wurde zerstört

Das Internet ist heute unsicherer als zuvor. Spezialabteilungen der NSA sammeln Sicherheitslücken in Hard- und Software und unterminieren Kryptografie allerorten. Anonymität wurde abgeschafft. Geheimdienste haben das Internet in ein Waffensystem verwandelt, um Menschen, Organisationen, Unternehmen und Staaten weltweit angreifen zu können. Und es sieht nicht so aus, als ob sie damit in absehbarer Zeit aufhören wollen. Die NSA ist wie ein Krebsgeschwür, das wuchert und den Wirt, das Internet, ständig weiter zerfrisst.

So wird das grundsätzliche Vertrauen in die Privatheit elektronischer Kommunikation fundamental zerstört. Und dabei handelt es sich nicht nur um Kommunikation zwischen Menschen, sondern auch Kommunikation über Menschen, die Unternehmen, Banken, Versicherungen oder Behörden untereinander austauschen.

Doch es ist eben nicht einfach nur Kommunikation, die bespitzelt wird. Es ist unser Leben, was damit ausgespäht wird. Es ist unser ganzes Leben, welches minuziös erfasst und gespeichert wird. Aus den Bewegungsdaten der Mobiltelefone ergibt sich ein Bild, wer wann wo war. Es ist erkennbar, wer mit wem spricht, also wer mit wem befreundet ist, wer Kollege, Vereinsmitglied, Liebhaber ist. Es ist erkennbar, welche Interessen jemand hat, welche Partei er wählt, welche Gesellschaftsauffassungen er vertritt. Man kennt seine Einkäufe. Natürlich auch, welche Krankheiten er hat, seine kompletten Finanzen, seine im Privaten ausgetauschten Fotos. Da ist das persönliche Tagebuch nur das Tüpfelchen auf dem I.

Es sind nicht „wir im Internet“, die überwacht werden. Es ist unser gesamtes, vollumfängliches Leben, das da überwacht und gespeichert wird. Wir alle, überall und zu jeder Zeit.

Das Ende der freien Meinungsäußerung

glass-101792_640Im Wissen, dass jede Meinungsäußerung im Internet mitgelesen und für immer gespeichert werden kann, setzt jetzt schon eine innere Zensur ein: Kann ich das so noch sagen? Wird mir diese Äußerung womöglich zum Nachteil ausgelegt werden? Muss ich mit Restriktionen bei zukünftigen Flugreisen rechnen, bei der Einreise in bestimmte Staaten? Mit Problemen im Beruf, im Ausland? Und wie verhält es sich, wenn diese Informationen anderen Menschen in die Hände fallen, etwa Kriminellen, Extremisten, oder einem totalitären Staat in der Zukunft?

Die Überwachung wird spürbar, wenn sie in Repression mündet. Bereits jetzt wurden Aktivisten an der Einreise in die USA gehindert, welche sich beispielsweise gegen die Spionagepraxis der NSA oder das geplante Freihandelsabkommen engagieren. Oder Menschen, die sich auf Facebook unpassend geäußert hatten. Und dies dürften erst die Anfänge sein. Die Auswahl der Drohnen-Ziele in Pakistan und anderen Ländern, also der durch Drohnen zu tötenden Menschen basiert letztlich auch auf durch die NSA gesammelten Daten, sowie dem von der NSA gefälltem Urteil über die Gefährlichkeit dieser Menschen.

Das Wissen darüber, dass es Anonymität und Privatsphäre im Netz nicht mehr gibt, sickert allmählich in das Bewusstsein aller Menschen. Dies führt zu selbstzensierten Meinungsäußerungen, einem verarmenden demokratischen Diskurs, und damit zu einer Gefahr für die Grundlage unserer Demokratie.

Regierungen von Bund und Ländern verletzen ihren Amtseid, wenn sie uns davor nicht schützen.

Ein Jahr Snowden: Torsten Sommer

Veröffentlicht am von unter Persönliche Blogposts, Torsten Sommer.

Ein Jahr Snowden-Veröffentlichungen zeigt mir, dass es Piraten auf allen Ebenen braucht. Im Bund wird darüber diskutiert, ob Edward Snowden ein wichtiger Zeuge ist. Lächerlich. Der Generalbundesanwalt ermittelt nur im Falle des abgehörten Kanzlerinnenhandys. Unsäglich. Die andauernde, millionenfache Grundrechtsverletzung eines jeden Menschen in Deutschland wird somit weiter Folgenlos bleiben und nicht unterbunden.

Ein Jahr Snowden: Daniel Schwerd

Veröffentlicht am von unter Persönliche Blogposts.

Ein Jahr Snowden-Veröffentlichungen zeigt mir,

– dass das Ziel der Überwachung alle Menschen überall auf der Welt ist;

– dass auf Privatsphäre nicht die geringste Rücksicht genommen wird;

– dass Vertraulichkeit der Kommunikation systematisch zerstört ist;

– dass alles, was technisch gemacht werden kann, auch gemacht wird;

– dass Geheimdienste sich nicht wirksam kontrollieren lassen;

– dass Angstmache vor Terrorismus vorgeschoben ist;

– dass Regierungen in dieser Angelegenheit kläglich versagen;

– dass unsere Demokratie in Gefahr ist.