Steuervermeidungsstrategie „Lizenzbox“ vermeiden!

Veröffentlicht am von unter Dietmar Schulz, Haushalts- und Finanzausschuss (A07), Homepage, Marc 'Grumpy' Olejak, Nico Kern, Pressemitteilungen.

Piratenfraktion fordert Vorgehen gegen ruinöse Steuervermeidungsstrategie „Lizenzbox“ – Rot-Grün sieht keinen Handlungsbedarf!  

Die Piratenfraktion im Landtag NRW sagt aggressiven Steuersparmodellen den Kampf an. Sie forderte heute erneut im Haushalts- und Finanzausschuss ein klares Vorgehen der rot-grünen Landesregierung gegen die ruinöse Steuerprivilegierung von Erträgen aus Lizenzen und Patenten (sogenannte „Lizenzboxen“). Rot-Grün sieht keinen akuten Handlungsbedarf bei der unlauteren Gewinnverlagerung ins Ausland durch multinationale Konzerne und lehnte den Antrag ab. Weiterlesen »

„Lizenzbox“: Patente als Steuerschlupfloch

Veröffentlicht am von unter 20 Piraten, Europa und Eine Welt (A06), Haushalts- und Finanzausschuss (A07), Nico Kern, Persönliche Blogposts.

Nach der Plenardebatte wird in der morgigen Sitzung des Haushalts und Finanzausschusses (HFA) unser Antrag gegen den ruinösen Steuerwettbewerb mittels sog. „Lizenzboxen“ abschließend beraten. Während es bei der Steuerdiskussion mit der Schweiz üblicherweise um Fälle illegaler Steuervermeidungsstrategien geht (siehe „Fall Hoeneß“), ist die „Lizenzbox“ ein legales Instrument der internationalen Steuergestaltung.

 

Was genau ist die „Lizenzbox“?

„Lizenzbox“ beschreibt ein Steuervermeidungsmodell, das steuerliche Vorzüge für Erträge aus Lizenzen und Patenten mit dem Ziel einer möglichst geringen Unternehmensbesteuerung gewährt. Im Gegensatz zu sonstigen Einnahmen eines Unternehmens bieten einige europäische Staaten mittels „Lizenzboxen“ bei Lizenzerträgen Niedrigsteuersätze in Höhe von 10 %, 5 % oder sogar nur 2,5 % an.

 

Wie funktioniert’s?

Vereinfacht dargestellt werden dabei Patente oder andere immaterielle Wirtschaftsgüter von der Muttergesellschaft auf eine Tochtergesellschaft mit Sitz in einem Niedrigsteuerland übertragen. Für die Nutzung der Patente und Lizenzen muss die Muttergesellschaft fortan Entgelt an die Tochter entrichten. Die Zahlung der Lizenzgebühren an die Tochtergesellschaft wird dann im Inland als Betriebsausgabe geltend gemacht und verringert somit den zu versteuernden Gewinn der Muttergesellschaft. Im Ausland werden die Lizenzeinnahmen aber nur mit den dortigen Niedrigsteuersätzen belastet und fließen dann quasi unbelastet an die Muttergesellschaft zurück.

 

Alles im Namen von Forschung und Entwicklung

Es ist sehr weit gefasst, was alles eine steuerbegünstigte Lizenz ist. Sogar Kundenlisten können darunter fallen. Die OECD strebt sogar eine Erweiterung der Lizenzdefinition an. Eigentlich dürfen „Lizenzboxen“ in der EU nur zum Zwecke der Förderung von Forschung und Entwicklung (F&E) angeboten werden. Beispiele wie Großbritannien und die Niederlande zeigen aber, dass es den Staaten vor allem um das Unterbieten der effektiven Gewinnbesteuerung gegenüber Konkurrenzstaaten geht.

 

„Lizenzbox“ vs. Wissensgesellschaft

Im Mai dieses Jahres hat sich der nordrhein-westfälische Finanzminister Dr. Walter-Borjans im Rahmen der Finanzministerkonferenz für „Maßnahmen gegen steuerliche Sonderregime und Anreizsysteme für Zinsen und Lizenzen“ ausgesprochen. Konkrete Maßnahmen sind seither nicht bekannt.

Das Thema „Lizenzbox“ betrifft den Wandel von der Produktionsgesellschaft hin zur Wissensgesellschaft. Die klassischen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital werden immer weiter zugunsten des „neuen“ Produktionsfaktors Wissen verdrängt. Sollten die Erträge aus diesem Produktionsfaktor zukünftig weitgehend steuerfrei bleiben, würde dies zu enormen Steuerausfällen führen und die Staaten eine wichtige Einnahmequelle verlieren. Die Finanzierung wichtiger staatlicher Aufgaben würde ab einem bestimmten Zeitpunkt dann sogar gefährdet. Gleichzeitig wird somit das aus unserer Sicht überkommene und innovationshemmende europäische und weltweite Patentsystem manifestiert.

 

Piraten in der MP3-Falle?

Veröffentlicht am von unter 20 Piraten, Abgeordnete, Nico Kern, Persönliche Blogposts.

Warum hört den Piraten niemand mehr richtig zu? Die 2,2 Prozent Bundestags-Wahlergebnis waren eine herbe Enttäuschung. Was jetzt? Wie geht es weiter?

Meine Meinung: Wir sind zu ruhig. Es macht überhaupt keinen Sinn, dass wir Piraten wie in einem Orchester versuchen, mit leiser Blockflöte die Trompete oder als sanfte Streicher den lärmigen Paukenschlag der anderen Parteien zu übertönen. Wir müssen an den leisen Stellen im Stück laut werden. So werden wir wahrgenommen. Und leise Stellen gibt es im tagtäglichen Politikbetrieb genug: Angefangen vom sozialem Ausgleich durch das bedingungslose Grundeinkommen bis zum Ausverkauf unserer Grundrechte durch den Überwachungsstaat. Hier werden dringend Piratentöne in der Gesellschaft gebraucht. Und vielleicht hört man uns hier deshalb auch zu.
Die ganze Medienbranche lebt davon, diese Regeln der Aufmerksamkeits-Ökonomie zu beachten. Nur von Piraten gewinnt man den Eindruck, dass ihnen solche gängigen Regeln nicht bekannt sind – geschweige denn beachtet werden.

Offenbar befinden sich PIRATEN in der MP3-Falle!

MP3 war Ende der 80-er Jahre die neuartige Lösung für ein Kapazitätsproblem. Nicht nur die Festplattenkapazitäten der Rechner sind limitiert, auch das menschliche Gehirn kann nur begrenzt Informationen verarbeiten. Es ist darauf trainiert, Informationen auszusortieren und zu filtern.
Journalisten wissen dies und beachten das bei ihrer Arbeit. Deshalb ist ihre Hauptaufgabe, Informationen zu gewichten und einfach verständlich darzustellen, ohne dass Wesentliches verloren geht. Wie bei MP3.
Das menschliche Gehör kann nur bestimmte Schallfrequenzen verarbeiten. Alle anderen Töne werden nicht wahrgenommen. Darüber hinaus unterscheidet das Ohr nur solche Töne, die einen gewissen Mindestabstand aufweisen. Auch werden leise Töne durch lautere „überlagert“.
All diese Phänomene macht sich MP3 zu Nutze, um nur die relevanten Daten abzuspeichern. Dies spart eine Menge Platz auf der Festplatte. Der Durchschnittshörer bekommt hiervon kaum etwas mit. Da MP3 nur zehn Prozent des sonst nötigen Speicherplatzes braucht, ist MP3 inzwischen Standardformat für Musikdateien im Internet.

Wenn wir dabei nicht jeden Ton 100prozentig treffen – Sei’s drum!

Manchmal macht es Sinn, absichtlich einen falschen Ton einzustreuen, nur um das Publikum zu irritieren. Was das Publikum gar nicht mag, ist ein uninspiriertes Spiel – langweilige Interpretationen, die man so oder so ähnlich schon tausendmal gehört hat. Zu solchen Konzerten kommen nur Family and Friends.
Wenn die Fraktion weiter in „gemeinsame Anträge“, also mit anderen Parteien zusammen, wie bei einem Refrain einstimmt, werden unsere eigenen Töne nicht gehört. Wir sind bisher nicht genügend aufgefallen und so im Orchestergraben untergegangen. Als Partei mit einem gesellschaftlichen Vertretungsanspruch müssen wir auch als Solokünstler wahrgenommen werden. Wir brauchen nicht ständig die erste Geige zu spielen. Das geht auch nicht, vor allem als kleine Oppositionspartei. Aber bei bestimmten Strophen ist es zwingend erforderlich. Und wenn unser Einsatz kommt, müssen wir in die Tasten hauen.

Was ist Politik 2.0?

In diesem Zusammenhang möchte ich auch ein paar Worte über die viel zitierte „Politik 2.0“ schreiben. Damit ist eigentlich eine  sachorientierte Politik gemeint. Der Wunsch danach entstand aus der Frustration und Enttäuschung über die herkömmliche Politik. Diese hat oft sachfremd entschieden und schien nur auf Effekthascherei aus zu sein.
Unser Politik-2.0 – Ansatz ist zusätzlich gekoppelt mit einer „erfrischenden“ Offenheit, die leicht ins Selbstzerstörerische abgleitet. Dieser Stil wurde nach der Wahl in Berlin 2011 noch weiter kultiviert, weil er scheinbar ein Garant für den Erfolg war. Dieser Politikstil wirkt jedoch nur einmal erfrischend, weil er nur dann neu und anders ist. Doch danach nutzt er sich schnell ab. Ist es richtig, dass Nabelschau und Selbstzerfleischung als Transparenz gefeiert wird, während wesentliche politische (Fehl-) Entscheidungen an der (Partei-) Öffentlichkeit vorbei gefällt werden?
Weiter ist dieser Stil gekennzeichnet durch eine Kooperationsbereitschaft, die in der Politiklandschaft ihresgleichen sucht. In Kombination sind die beiden Politikkomponenten geeignet, eigentlich jeder Partei den Todesmarsch zu spielen.

Raus aus der tödlichen Umarmung: Schluss mit Kuscheln!

Dass es die Piraten überhaupt noch gibt, spricht für diese Partei, ihr Anliegen, ihre Notwendigkeit und vor allem für ihre Mitglieder. Wir sollten aber das Publikum nicht weiter als unbedingt notwendig strapazieren und auf die eine oder andere lieb gewonnene Marotte verzichten, da sie nur in der eigenen Filterbubble noch zu verstehen oder  – besser gesagt – zu ertragen sind.
Politik 2.0 darf nicht die selbstgewählte Erfolglosigkeit bedeuten. Dazu zählt auch die schmerzliche Erkenntnis: In der heutigen Medienlandschaft kommt es auch darauf an, wer mit einer politischen Initiative in Verbindung gebracht wird. Insofern ist es nicht nebensächlich, wer einen Antrag einbringt und unterschreibt. Mancher tödlichen Umarmung muss man sich entziehen. Das weiß seit der Großen Koalition auch die SPD und nun auch die FDP. Andererseits darf man jetzt auch nicht die Fundamentalopposition ausrufen. Der konstruktive Kurs muss beibehalten werden. Wir setzen weiterhin nicht auf Lagerdenken, sondern auf Themenpartnerschaften. Aber solche Themenpartnerschaften funktionieren nur bei einem vorhandenem eigenen Profil. Daran müssen wir arbeiten. Schnell.

Wir wollen nicht mit den anderen spielen, sondern an den richtigen Stellen gehört werden. Dabei darf es auch ruhig mal etwas quietschen, wenn wir unsere eigenen Akzente setzen wollen.

Plenarrede: Nico Kern zu Abschaffung der Roaming-Gebühren für Mobilfunkgespräche innerhalb der EU

Veröffentlicht am von unter Europa und Eine Welt (A06), Nico Kern, Reden.

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Top 9. Abschaffung der Roaming-Gebühren für Mobilfunkgespräche innerhalb der EU

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 16/4159

Block I

Unser Redner: Nico Kern

Audiomitschnitt der Rede von Nico Kern anhören

Audiomitschnitt der Rede von Nico Kern als Download
 


Protokoll der Rede von Nico Kern:

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Roaminggebühren sind nicht nur ein teures Ärgernis für Verbraucher, sie sind auch Ausdruck eines nicht funktionierenden, oligopolistisch organisierten Telekommarktes in Europa. Wenn Netzanbieter hohe Entgelte für Telefonate, SMS und mobiles Internet im Ausland ohne nennenswerte Gegenleistung berechnen, dann werden die europäischen Verbraucher über den Tisch gezogen.

(Beifall von den PIRATEN) Weiterlesen »

Drs. 16/4176: Landesförderung des Atomkraftwerksbetreibers, der für den THTR 300 in Hamm-Uentrop verantwortlich ist – Möglichkeit die Förderung zu streichen

Veröffentlicht am von unter Haushalts- und Finanzausschuss (A07), Kleine Anfragen, Nico Kern.

Landesförderung des Atomkraftwerksbetreibers, der für den THTR 300 in Hamm-Uentrop verantwortlich ist – Möglichkeit die Förderung zu streichen

Kleine Anfrage 1672

Nicolaus Kern

Drucksache 16/4176

08.10.2013

Antwort des Finanzministers: Drucksache 16/4349 07.11.2013

Stellungnahme zu meiner Abstimmung über die neue Geschäftsordnung

Veröffentlicht am von unter 20 Piraten, Nico Kern, Persönliche Blogposts, uncategorized.

Gestern wurde im Landtag über die neue Geschäftsordnung des Landtages abgestimmt. Ganz am Ende der Tagesordnung und ohne Debatte. Die Vorteile der neuen Geschäftsordnung sind aus meiner Sicht marginal. Echte Fortschritte in Richtung Transparenz blieben aus. Insbesondere ist Streaming immer noch kein Thema für den Landtag. Meine Fraktion stimmte mehrheitlich für die neue Geschäftsordnung. Ich habe von meinem Recht als Abgeordneter Gebrauch gemacht, mein abweichendes Abstimmungsverhalten zu erklären:

 

Herr Präsident!

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauer!

 

(…)

 

Die vorliegende Neufassung der Geschäftsordnung würde der eine oder andere vielleicht als Quantensprung bezeichnen. Das ist entgegen der allgemeinen Auffassung, was diesen Begriff betrifft, wahrscheinlich sogar auch zutreffend, weil „Quantensprung“ die kleinstmögliche Zustandsveränderung bezeichnet.

 

Ich möchte zugestehen, dass die Neufassung durchaus kleinere Verbesserungen enthält. Andererseits enthält sie auch eine Verschlechterung, was insbesondere das Verfahren bei namentlichen Abstimmungen betrifft. Das könnte man im Wege der elektronischen Abstimmung durchaus kürzer haben. (Anm.: Diese Möglichkeit enthält die neue Geschäftsordnung nicht mehr). Aber das ist gar nicht mein Hauptpunkt.

 

Was mir in dieser Geschäftsordnung fehlt, ist ein klares Bekenntnis zur Transparenz bei der Arbeit des Landtages. Das Parlament bezeichnet sich selbst als Arbeitsparlament. Die spärliche Präsenz während mancher Sitzungen wird insbesondere damit begründet, man sei ein Arbeitsparlament, und die tatsächliche Arbeit finde in den Ausschüssen statt.

 

Hiervon bekommt der Bürger aber so gut wie gar nichts mit, insbesondere was Sachverständigenanhörungen angeht. Hier wäre ein Streaming die zeitgemäße Antwort, die ins 21. Jahrhundert passt.

 

Vielleicht hätte ich mich noch einmal auf weitere Verhandlungen vertrösten lassen. Aber ich muss sagen, das Verhandlungsklima, in dem sich diese Geschäftsordnungsdebatte abgespielt hat, ermuntert mich nicht dazu, hier auf zukünftige Verhandlungserfolge zu setzen. Das zeigt einmal die Arbeitsgruppe Geschäftsordnung, aber auch die Arbeitsgruppe Landtags-IT. Wie dort verhandelt wurde, spiegelt einfach nur pur die Machtverhältnisse in diesem Parlament wider, ohne irgendwie ein besonderes Entgegenkommen zu signalisieren.

 

Das ist mir wesentlich zu wenig. Mir ist absolut unverständlich, wie meine Fraktion diesem Antrag beitreten konnte. Ich werde diesen Antrag aus den besagten Gründen ablehnen!

 

Daniel Schwerd und Daniel Düngel haben ebenfalls über den Vorgang gebloggt.

Die Videoaufzeichnung des Tagesorndungspunktes findet man hier ab Minute 559:20.

 

PS: Von Daniel Schwerd weiß ich, dass er ebenfalls dagegen gestimmt hat. Angeblich hat noch ein weiterer Pirat gegen die Geschäftsordnung gestimmt. Das konnte ich aber selbst nicht sehen. Ich bin gerne bereit, denjenigen hier aufzulisten, wenn er oder sie sich meldet.

 

Geschäftsordnung neufassen

Veröffentlicht am von unter Nico Kern, Reden.

Neufassung der Geschäftsordnung

Drucksache 16/4200 (gemeinsamer Antrag aller Fraktionen)

Der Antrag zur Neufassung der Geschäftsordnung ist ein guter Anfang. Er enthält auch einige unserer Vorschläge. Allerdings geht uns die Neufassung nicht weit genug. Insbesondere in Bezug auf die Transparenz der politischen Arbeit im Landtag sehen wir noch immer deutlichen Nachbesserungsbedarf.

Abstimmungsergebnis: Für die Neufassung der Geschäftsordnung stimmten große Teile der Piratenfraktion, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Gegen den Antrag waren Teile der Piratenfraktion. Niemand enthielt sich. Somit wurde der Antrag mehrheitlich angenommen.

Platzpatronen qualmen nicht – StopWatching.EU Aftermatch in Brüssel

Veröffentlicht am von unter 20 Piraten, Nico Kern, Persönliche Blogposts.

Gespräch zwischen Prof. Selmayr (EU-Kommission) und Nico Kern (Piratenfraktion NRW)

Brüssel, 2. Oktober 2013. Sonne, 18 Grad. Ich ging die Treppe hinab über den sandsteinfarbenen Platz vor dem Berlaymont-Gebäude, wo sonst Kamerateams darauf warten, dass sich Armani-Anzüge aus dunklen Limousinen schälen. Überwachungskameras fingen jeden meiner Schritte ein. Die Schiebetür mit dem Sternenbanner schnellte auf. Ein lautes Piepen durchfuhr meinen Kopf. Waren es die fünf Gläser billigen Scotchs vom Vorabend? Der Wachmann an der Sicherheitsschleuse des EU-Kommissionsgebäudes schaute mich einen Augenblick lang verwundert an und deutete dann mit einem kurzen, freundlichen Kopfnicken auf die Fahrstuhltüren hinter ihm. Ich hatte einen klaren Auftrag: Mehr als 3.000 EU-Bürger hatten mir das Mandat übertragen, mich gegen die Totalüberwachung in der EU einzusetzen.

Ich kam im 12. Stock des Berlaymont an und gleichzeitig aus meiner Jerry Cotton-Phantasie heraus. Zwar ließ mich der Kabinettschef von Viviane Reding, Prof. Dr. Martin Selmayr, noch etwas warten, dafür nahm er sich mehr Zeit für mich als erwartet. Diese Variante war mir wesentlich lieber als umgekehrt. Und mein Gesprächspartner sollte dafür sorgen, dass am Ende des Gesprächs wieder meine kriminalistischen Fertigkeiten angesprochen werden.

Da ich wusste, dass Prof. Selmayr nur wenig Zeit für mich und unser Anliegen hatte, kamen wir direkt zur Sache. Wir hatten Bürger aus ganz Europa aufgefordert, eine Beschwerde an die EU-Kommission wegen der Verletzung von Unionsrecht zu zeichnen . Damit war die Forderung verknüpft, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien einzuleiten. Bekanntlich hatte der Geheimdienst Ihrer Majestät – GCHQ – nicht nur die Kommunikation der eigenen Bürger, sondern quasi aller Bürger Europas abgehört, indem er insbesondere den Internetknotenpunkt in Richtung USA mittels des Programms „Tempora“ anzapft. Auf die Details möchte ich hier jetzt nicht mehr eingehen, die gibt es hier und hier nachzulesen.

Zu meiner Verwunderung stimmte mir Prof Selmayr sofort zu, dass die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Briten einleiten könnte, wenn die Anschuldigungen stimmten: Wegen des Verstoßes gegen gleich mehrere in der EU verankerten Grundrechte. Doch dann relativierte mein Gegenüber seine Aussage schnellstens und verwies darauf, zur Einleitung des Verfahrens eine „Smoking Gun“ – also der konkrete und nachweisbare Rechtsbruch durch die Briten, z.B. die abgefangene Mail eines britischen Staatsbürgers – zu benötigen. Weder die britische Rechtsgrundlage des Tempora-Programms, der RIPA 2000, noch die Enthüllungen von Edward Snowden gäben der Kommission genügend Anlass ein Verfahren zu starten. Ohne „Smoking Gun“ seien die Erfolgsaussichten vor dem EuGH dürftig – und aussichtslose Verfahren wolle man nicht führen. Hier macht es sich die Kommission natürlich einfach. Sich hier auf den neutralen Standpunkt einer unpolitischen Verwaltung zurückzuziehen, ist mir zu wenig. Frühere Fälle in Sachen Vertragsverletzung zeigen, dass die Kommission hier durchaus aktiv wird, wenn der politische Wille besteht.

Während des Gesprächs kam Prof. Selmayr immer wieder auf sein Lieblingsthema zu sprechen: Die Datenschutzgrundverordnung. Wie wichtig diese sei und die eventuell erheblich verzögert würde, wenn man jetzt zu viele Ressourcen auf den Streit um Tempora verwenden würde. Immerhin seien nur 14 Kommissionbeamte für diesen Bereich zuständig. Ich muss gestehen: Eine bemerkenswert geringe Zahl, wenn man bedenkt, wie wichtig dieses Thema für unsere Gesellschaft ist und welches Heer an Lobby-Vertretern dem gegenüber steht.

Ich wies auch darauf hin, dass bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA die eigene Position gestärkt wird, wenn man in dieser Sache auch konsequent gegen die eigenen Mitgliedsstaaten vorgeht. So gewinnt man Glaubwürdigkeit, um die Einhaltung der gleichen Regelungen auch von den USA einzufordern. Mein Eindruck war, dass sich Prof. Selmayr diesem Argument nicht verschließen konnte.

Auch bleibt für uns als Partei festzuhalten: Wir hätten hier eine größere Schlagkraft entwickeln können, wenn nicht die Angst einiger Bedenkenträger eine höhere Aufmerksamkeit für die „StopWatchingEU-Aktion (und somit Mobilisierung von Unterstützern) verhindert hätte. Eine Angst, die sich nach dem Gespräch mit Prof. Selmayr als unbegründet erwies. Fazit: Es braucht eine Bürgerbewegung mit engagierten Menschen, die sich auch weiterhin gegen den Überwachungs- und Kontrollstaat einsetzt. Selbst die Kommission gab zu, auf dieses Engagement angewiesen zu sein.

Als ich nach knapp einer Stunde wieder hinaus in das gleißende Tageslicht von Brüssel trat, kreisten meine Gedanken um die letzten Worte meines Gastgebers: „Bringen Sie mir die ‚Smoking Gun‘“. Wieder ein Auftrag für Jerry Cotton. Vielleicht werden die nächsten fünf Glas Scotch helfen, eine heiße Fährte nach dem rauchenden Colt aufzunehmen. Vielleicht wird es aber auch einfach ein EU-Bürger sein, der der Kommission eine abgefangene E-Mail liefert. Dann würde die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Das war jedenfalls die klare Botschaft an diesem Tag.