Wichtiger Satz vorab: Dieser Text ist in der letzten Woche entstanden, wo langsam der Beschluss mich zu ändern und meine Arbeit zu ändern in mir gereift ist. Er hat nichts mit der Niedersachsen-Wahl zu tun, sondern nur mit meiner Wahrnehmung der Performance der Fraktion…
Ich möchte diese Grundsatzrede halten, weil in mir ein Konflikt schwelt, dem ich anders nichts mehr beikommen kann. Ich habe darum gebeten, ein paar Minuten reden zu dürfen, weil ich glaube, dass wir am Ende davon profitieren können.
Wir sind hier eingezogen als Versicherungskaufleute, Filmproduzenten, Juristen, Feuerwehrleute. Wir kamen als Lehrerinnen, Netzwerkadmins, Systemadministratoren, als Polizeikommissare und Unternehmer. Jetzt sind wir Berufspolitiker. Ihr, genau wie ich.
Es gibt genau drei Dinge, die uns in dieses Parlament gebracht haben: wir sind neu, wir sind anders, wir wollen etwas ändern. Trau keinem Plakat, denk selbst, informier dich, klarmachen zum Ändern. Wir sind jetzt seit acht Monaten in diesem Parlament und wir haben etwas verändert. Wir sitzen in den Ausschüssen, wir stellen unsere Anträge, wir haben etwas verändert. Wir haben Vorschläge zur Geschäftsordnung, stellen kleine Anfragen, wir haben etwas verändert. Wir reden öffentlich immer schlauer daher und der Workflow wird immer besser… Ja, wir haben etwas verändert. Uns! Uns haben wir verändert. Ihr, genau wie ich.
Wir haben mitgemacht. Wir haben uns angepasst, aus Angst nicht eingeladen zu werden. Aus Angst etwas zu verpassen und nicht in die “inneren Kreise” vorgelassen zu werden. Wir haben jedes Gremium besetzt, haben jede Anfrage beantwortet, sind zu allen wichtigen Terminen gegangen und haben überall mitgeredet. Wir haben kein Thema im Landtag ausgelassen, sind im Plenum und medial über jedes Stöckchen gesprungen, dass uns hingehalten wurde.
…aber ist das wirklich die Arbeit im Parlament, die wir uns immer vorgestellt haben? Sind wir dafür gewählt worden? Erwarten die Wähler von uns, dass wir uns zu Tannenbaum-Anträgen äußern, zum Berlin/Bonn-Gesetz oder zur Benamsung einer Fregatte? Ich behaupte, dass sie das nicht tun. Ich behaupte, dass wir sie enttäuscht haben mit dem Versuch, so zu werden wie die anderen. Mit Beiträgen zu jedem Quatsch und völlig beliebigen Pressemitteilungen. Mit anbiedern. Die Wähler haben erwartet, dass wir die Demokratie entkrusten.
Stattdessen sind wir nur eine neu aufgetragene Schicht, die langsam eindickt und hart wird. Wir trauen uns nicht auszubrechen, wir lassen uns von diesem System “Landtag” vereinnahmen. Wir haben gedacht, die warmen Worte von “mal gucken was die so wollen” und von der “Politik der Einladung” wären ehrlich und ernst gemeint. Aber beinahe alle unsere Anträge werden einfach abgelehnt. Kommentarlos. Weil sie von uns sind! Das haben wir so nicht gewollt, wir wollten Kooperation statt Konfrontation…
Mir reicht’s jetzt. “Haut doch alle ab!” stand bis vor kurzem an meiner Tür, garniert mir einem freundlichen Mittelfinger. Das meine ich jetzt auch so! Mein Kanal ist randvoll! Das erinnert mich an eins meiner geliebten Songzitate: “Ich sehe es als meine Pflicht nicht wie ein kleiner Spießerwicht auf der Schicht zu funktionieren, sondern zu schockieren um euch zu animieren.” – das werde ich jetzt leben und ich lade jeden ein, diesen Weg mit zu gehen.
Ich werde nur noch die Themen beackern, zu denen ich wirklich etwas sagen kann und will. Die Entstehung von Staatsverträgen ist wesentlich interessanter und hinterfragenswerter, als der Inhalt, den wir eh nicht mehr ändern können. Wir stellen Finanzanträge, die gewissen gesellschaftlichen Gruppen vor den Kopf stoßen?! Ist das so? Ja dann ist das so! Es steht in unserem Programm. Bertelsmann, die Kirchen, die Kammern: So lange sich die Politik denen gegenüber nicht ändert, sind die einfach ein rotes Tuch. Die Vertriebenenverbände und die Stiftungen der Parteien allerdings auch, das kann man aus unseren Forderungen ableiten. Dann treten wir denen eben auf die Füße mit unseren Anträgen.
“Keine Kompromisse mehr, denn ich bin der, der eure Spielregeln bricht und sag es euch ins Gesicht”: nur noch die Kleiderordnung im Parlament, die mir gefällt! Ich habe im T-Shirt auf der Straße gestanden und mit einem einfachen Hoodie im Fernsehen Interviews gegeben. Ich weiss um meine besondere Rolle in dem Fall. So haben uns die Leute gewählt, das haben sie bestellt, das sollen sie bekommen. Sicherlich sehe ich gut aus mit Hemd und Jacket, aber die ziehe ich nur an, wenn ich mich danach fühle und nicht weil das eine Vereinbarung der Fraktionen (der wir nichtmal zugestimmt haben!) so vorschreibt.
Wir haben in vielen Bereichen keine Meinung, die müssen wir noch bilden. Wir sind immer noch eine junge Partei und wir haben eh das Image mit dem Mut zur Lücke zu arbeiten. Warum rudern wir so vehement gegen den Strom? Lasst uns einfach mal hinstellen und sagen: Hier haben sich die Piraten noch keine Meinung gebildet. Gleichzeitig machen wir doch mal das mit dem LQFB und dem wikiarguments, dem doodle oder sonstwas.
Kleine Umfrage zum wach rütteln: Was glaubt ihr, wie viele MdL innerhalb der letzte 7 Tage im LQFB aktiv waren? EINER (außer mir)! ZEHN waren länger als einen Monat nicht mehr eingeloggt…
Was glaubt ihr, wie viele MdL nicht auffindbar sind im LQFB (ich will nicht sagen, keinen Account haben, kann ja ein unbekanntes Pseudonym sein, aber die Meinung als MdL zu verstecken fände ich “strange”!)? VIER! Basisbeteiligung sieht anders aus!
Wir verbrennen uns hier. Unser Wählerpotential haben wir schon verbrannt. Das entnehme ich nicht aus dem Ergebnis der Wahl in Niedersachsen, nicht aus irgendwelchen Umfragen, sondern aus Gesprächen mit Freunden und sogar engen Verwandten, die jetzt wieder etwas anderes wählen würden. “Ihr habt eure Versprechen nicht gehalten. Ihr seid wie die anderen…” muss ich da hören. Das macht mich traurig und bisher bin ich aus solchen Gesprächen immer in eine Richtung rausgegangen: Noch mehr arbeiten, noch mehr Termine, noch mehr Aktivität. Aber dieses Hamsterrad führt nirgendwo hin!
“Der Kampf geht weiter so lang’ bis ihr erkennt, dass wir Schritt für Schritt dem Abgrund näher sind, blind im Labyrint (Parlament) uns die Zeit durch die Finger rinnt.” – Wir haben noch viereinhalb Jahre Zeit, hier im Landtag etwas zu verändern. Das machen wir nicht, indem wir uns anpassen. Das machen wir nicht, indem wir uns wie die LINKE in Lager spalten, Luftschloss-Anträge stellen und am Ende so verzweifelt sind, dass wir sogar unserem eigenen Todesurteil einstimmig zustimmen würden.
Ich will diese Verzweiflung nicht mehr. Ich will gut begründete, durchge-basis-te Anträge stellen und bei Ablehnung per Web2.0 wild um mich schlagen. Ohne, dass ich dafür durch die Fraktion gerügt werde. Ich will mich abheben von dem Klischee “Linke mit Internet-Anschluss”. Keine sozialromantischen Träume, man könne im NRW-Parlament das Weltfinanzsystem stürzen oder heilen. Keine Anträge zur Bundespolitik mehr, die einfach nur “gegen etwas” sind. Sachliche Kritik auf allen Kanälen gerne! Aber realistisch bleiben. Ich will ich selber bleiben, nach außen und nach innen. Ich will Plenarreden im Kapuzenpulli und Pressestatements die “noch keine Ahnung” haben.
Rundgelutschte Politprofis haben die Anderen schon genug. Meine Ecken und Kanten sind schon ziemlich angeschliffen – das Profil wieder zurück zu bekommen wird ein harter Weg. Aber ich werde ihn gehen. Ich möchte jeden dazu einladen, mitzukommen. Wir waren anders und sollten das auch wieder sein, wir wollten die Politik verändern und nicht uns. Wir wollten das große Update sein und nicht nur in kleiner Bugfix. Weniger Parlamentsarbeit und mehr darüber reden, was wir tun, warum wir es tun und wie wir es tun. Gesprächsbereit in alle Richtungen, aber auch mal beleidigt sein dürfen, wenn die anderen wieder nur den Honig saugen wollen. Ehrlich bleiben. Zu den Bürgern, zu Mitgliedern, zu Kollegen, aber vor allem zu sich selbst.
Nur so sehe ich einen Weg wieder in der Spiegel sehen zu können und mit reinem Gewissen zu sagen: “Klarmachen zum Ändern!”
P.S.:
Ich wurde nach dem Lied gefragt, hier ist es:
http://www.myvideo.de/watch/7054236/SUCH_A_SURGE_schatten