20 Piraten
Was für ein Hammer-Satz!
„Wenn es einen Glauben gibt, der im 21. Jahrhundert verloren gegangen ist, dann den Glauben daran,
Probleme langfristig lösen zu können. Lösungen für das Elend der Welt trauen wir allenfalls Bill Gates zu und vielleicht Larry Page oder Mark Zuckerberg. Doch bei Google und Facebook werden weiterhin Tausende Genies mit einem Milliardenaufwand ungezählte kommerziell erfolgreiche Antworten auf nicht gestellte Fragen finden – die wirklichen Probleme der Welt lassen sie stumm.“
Den kann man so stehen lassen. Es gibt noch mehr davon, in Richard David Prechts Essay „Echte Träume, echte Not“ in DIE ZEIT vom 30. Dezember 2015. Solche Sätze gehören ins neue Jahr rüber gerettet.
Nick H. aka JP
Verarscht worden wir sind …
eine Randbemerkung zu Star Wars
– oder –
Dualismus vs. Komplexität
(keine Spoilergefahr, ehrlich!)
Auch ich habe über die Feiertage die Gelegenheit genutzt und mit meinen Lieben „Das Erwachen der Macht“, den aktuell siebten Teil der Star Wars Saga im Kino angesehen, purer Dualismus in 3D. Damit habe ich ebenfalls einen klitzekleinen Beitrag dazu geleistet, dass das neueste Machwerk der von George Lucas erfundenen Serie zu einem absoluten Kassenschlager wurde. Sicher werde ich mir die noch ausstehenden zwei Folgen 8 und 9 ebenfalls ansehen – man muss ja mitreden können.
Eine Perry Rhodan NEO-Verfilmung wäre mir lieber gewesen – aber ich mag halt – wie so viele – die Bilder und Szenen, geschrottete Raumschiffe, bekloppte Roboter, usw. Obwohl es eigentlich eher Fantasy ist als Science Fiction.
Beim Stöbern im Netz stolperte ich über eine Info, die mir neu war. Lucas soll einen wesentlichen Teil seiner Inspiration, nämlich die Idee der Macht, „May the Force be with you“, aus einem Dokumentarfilm des Kanadiers Arthur Lipsett gewonnen haben. In diesem Film, „21-87“ mit Titel, gibt es einen aufschreckenden Dialogschnipsel zwischen dem IMAX-Erfinder Roman Kroitor und dem Physiologen und Kybernetiker Warren Sturgis McCulloch. McCulloch vertritt darin die Ansicht, dass Tiere und Menschen, generell alle Lebewesen nicht mehr aber auch nicht weniger als eine Art komplexer Maschinen seien. Kroitor widerspricht dem vehement, er äußert, dass viele Menschen in der Betrachtung der Natur und in der Kommunikation mit anderen lebenden Dingen einer Kraft gewahr werden, die hinter der offensichtlichen Maske liege, der wir uns gegenüber sehen. Durch diese Bemerkung Kroitors soll George Lucas die Idee, die Assoziation zu „The Force“ gehabt haben. (Quelle 1, Quelle 2)
Was sage ich, McCulloch, der nebenbei bemerkt der eigentliche Vater der Kybernetik ist, hatte natürlich recht. Es leuchtet beim zweiten Lesen ein, dass er den Begriff „Maschine“ wohl als provokante Metapher verwendet hat, die wesentliche Veränderung zur Alltagsbedeutung von Maschine erfährt der Begriff erst durch die zusätzliche Verwendung des Adjektivs „komplex“. Denn unsere Maschinen sind nicht komplex, sie sind im Gegensatz dazu entweder einfach oder kompliziert. Es ist jedoch einfacher, wie Kroitor auf ein „Gefühl“ zu setzen und statt Komplexität eine diffuse Kraft anzunehmen, eine Art „Äthertheorie“ der Wirkzusammenhänge in der Welt, die aus der Welt einen kruden Dualismus macht.
Und Lucas webt daraus – gleichwohl und wie bekannt mit jeder Menge hintergründiger Bezüge und Interpretationsmöglichkeiten – einen Blockbuster-Klassiker, der – nicht unser Bedürfnis nach Aufklärung – aber unser Bedürfnis nach Mythen aufs Hervorragendste bedient.
Mythen in Tüten. Mit Dualismus lässt sich Kohle machen. Jede Menge Kohle.
Aber hmm, da war doch was…. Seit Star Wars Folge 1 wissen wir auch, dass das mit der Macht die Midichlorianer sind, mikroskopisch kleine Lebewesen, von denen allerdings nicht ganz klar wird, was sie erstens mit midi statt mini oder maxi und zweitens mit dem chemischen Element Chlor zu tun haben sollen.
Da hat doch durch die Hintertür der Teufel der materialistischen Verdinglichung doch noch zugeschlagen. Es müssen schon „Dinger“ – Mikroben – sein, die für „The Force“ verantwortlich sind. Und die Komplexität, die Ursache für Leben und überhaupt Alles wird in eine Mikrobe projiziert.
Arme Mikrobe.
In seiner Kolumne auf Spiegel Online hat Sascha Lobo in einem bedenkenswerten großartigen Beitrag zu mehr Mut zu Komplexität aufgerufen. Ich bin Zweckoptimist, und als solcher freue ich mich sehr über solche Beiträge.
Aber welche Wirkung wird solch ein Aufruf wohl haben, heute oder morgen, wenn wir weiter dualistischen Vereinfachungen – und sei es bloß als Unterhaltung – hinterherlaufen. Woher soll das Potential kommen, das Komplexe zu denken?
Dabei gilt:
Dualismus ist laaangweilig …. sooo laaangweilig.
Bevor jetzt einer meckert, ok, ok, Perry Rhodan ist teilweise auch dualistisch. Dieser Dualismus liegt offensichtlich in unserer Natur. (Aber der D. in PR ist eben nicht so krude und zunehmend mit komplexen Elementen.)
In diesem Sinne,
frohes Neues.
Nick H. aka Joachim Paul
Weitere Links:
Heinz von Foerster über Warren S. McCulloch (englisch)
Gotthard Günther über Warren S. McCulloch (en + dt)
Dahin gehen, wo es weh tut oder die Legitimation entziehen?
Nach dem 29c3 wollte ich -aus Gründen- nie wieder zu einem CCC-Kongress.
Feminismus – sehr schwierig und konfliktreich bis zu sehr persönlichen Angriffen
Antifa – gefühlt nicht anwesend
Anarchismus – kein Thema
Und nach dem letzten Jahr für einen kurzen Besuch mit Tagesticket nun doch nochmal die Teilnahme an einem ganzen Kongress. Als Versuch quasi. Mein (sehr subjektiver) Eindruck in Kürze:
Es wird besser. Das politische Zeichen einer Newcomerin als Keynote-Speakerin (@fatumamuusa präferiert diesen Begriff anstatt Refugee.)
Ich habe von ihr einen Workshop zu Empowerment besucht, den ich vor allem wegen der interessierten, warmen Worte der anwesenden Menschen dort in Vorstellungsrunde und Diskussion als sehr bereichernd empfunden habe.
Aufhänger für meine jetzt im Nachhinein dann doch recht grüblerische Stimmung ist dieser Tweet von @tante (den ich sehr schätze und den Einwurf entsprechend sehr ernst nehme):
Und nun weiß ich einfach nicht recht, wie ich das für mich einordne. Ich kann nur Bruchstücke des Kongresses bewerten. Ich habe mich viel im Umfeld der Wohlfühlblase bewegt. Wir/ich haben/habe viele Diskussionen geführt mit Menschen, die zum Anarchist Assembly kamen. Auch mit Menschen ohne Vorkenntnisse, die halt wissen wollen, was eigentlich „die Antifa“ ist. (Finde ich übrigens super, wenn Menschen kommen und gerne auch ganz naiv fragen aufgrund der aufgehängten Fahne „Antifaschistische Aktion“.) Klar. Da waren auch die bei, die gleich mal einsteigen mit „Ah. Ihr seid die, die die Steine schmeißen.“ (Schwer zu sagen, wie viel dann Scherz ist.) Aber auch über Militanz kann und muss und wird man halt immer wieder diskutieren. Und natürlich gab es auch Diskussionen über Definition der Bezeichnung „Nazi“ und Meinungsfreiheit…
Diskussionen über Anarchismus waren dann eher längere Gespräche, durchaus mit viel Interesse und unterschiedlichem Komplexitätsgrad. Was Anarchismus bedeutet. Und darüber, wie bereichernd Beziehungen sind und Zusammenarbeit ist, wenn sie wirklich auf Freiwilligkeit beruhen/t. Ob dies auf eine Gesellschaft übertragbar ist. Ob das lebbar ist. Welche Hierarchien es gibt. Welche Widersprüche es gibt. (Und da bin ich wandelndes Beispiel mit Job und Ideal….)
(Dass (junge) Menschen wieder Kropotkin lesen wollen, hätte ich jedenfalls nicht erwartet.)
Ich bin nicht sicher, ob es diese Diskussionen so vor einigen Jahren schon in dieser Ausprägung gab.
Allerdings lässt das keine Schlüsse über den gesamten Kongress zu. Die von @tante erwähnten Menschen mit derartigen Einstellungen kommen vermutlich nicht zu einem Assembly mit prominent aufgehängter Antifa-Fahne.
Aber zurück zu meinen Eindrücken: Beim Treffen der Queer Feminist Geeks am 1. Kongresstag waren ca. 110 Menschen. Das ist auf die gesamte Anzahl Kongressbesucher*innen geschaut relativ wenig, aber angesichts der vielen gleichzeitig verlaufenden Veranstaltungen und Ablenkungen doch wiederum sehr erfreulich. Für mich ein wenig schade ist, dass ich mich zu dem Assembly nicht so recht hingetraut habe. (Das mag aber an mir und aktueller emotionaler Verfassung liegen, nicht am Assembly.)
Bis hin zu den kleinen Dingen. Unisex-Toiletten, die nach meinem Eindruck unkompliziert funktionierten. Überhaupt hatte ich oft -gerade auch von männlich wahrnehmbaren Menschen- das Gefühl, von sehr rücksichtsvollem, aufmerksamen, hilfsbereiten Umgang. Das ist mir sehr viel häufiger aufgefallen, als früher ™. Danke für all diese positiven Begegnungen.
Aktuell tendiere ich also dazu, nächstes Jahr wieder hinzufahren, weil ich hoffe, dass all die geführten Diskussionen helfen, Menschen zu erreichen, die sich sonst eben nicht mit obigen Themen beschäftigen. Und weil ich dort (jetzt wieder) die Hoffnung für Weiterentwicklung in emanzipatorische Richtung habe.
Wir PIRATEN in Dortmund starten mit Citizenfour ins Jahr 2016!
Wir PIRATEN in Dortmund starten ins Jahr 2016!
Wir laden alle Interessierten Menschen zu unserem wöchentlichen Stammtisch ein. Jeden Montag treffen wir uns ab 20 Uhr in der Gaststätte „Zur Sonne“ Haenischstraße 1, 44139 Dortmund um aktuelle, politische Themen zu diskutieren. Gerne können auch Themen mitgebracht werden.
An jedem 1. Montag im Monat treffen wir uns bereits ab 19.30 Uhr in der Gaststätte „Zur Sonne“ zu unseren Filmstammtischen. Hier schauen wir gemeinsam einen politischen Film, um anschließend über den Inhalt zu diskutieren.
Am 4. Januar um 19.30 Uhr starten wir mit der Vorführung von „Citizenfour“. Der mehrfach ausgezeichnete Film über die von Edward Snowden öffentlich gemachte Massenüberwachung durch die NSA enthüllt die erschreckenden Praktiken der staatlichen Geheimdienste. Das gelebte Misstrauen staatlicher Stellen gegenüber der eigenen Bevölkerung garantiert eine rege Diskussion.
Der Eintritt ist, wie bei allen unseren Veranstaltungen, frei.
Weitere, geplante Vorführungen (jeden 1. Montag im Monat):
Frohes Schaffen – Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral von Nina Proll
SPEED: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Florian Opitz
Population Boom von Farida Akther
Planet ReThink
Klimapolitik: Wann wenn nicht jetzt?
Einmal China und zurück – Essay über eine Parlamentarierreise
Zuerst veröffentlicht am 02.12.2015 auf www.piratenpartei-nrw.de – jetzt auch ergänzt um Links.
Vom 24. bis zum 31. Oktober 2015 habe ich mit der Parlamentariergruppe China des Landtages NRW China besucht. An dieser Stelle will ich über die Reise und auch über meine persönlichen Eindrücke und Einschätzungen berichten – ganz im Sinn unseres piratigen Transparenzanspruchs.
Die Parlamentariergruppe China
Parlamentariergruppen dienen dem internationalen Austausch, dem Aufbau und der Pflege von Kontakten. Es gibt im Landtag NRW insgesamt sieben solcher Parlamentariergruppen. Mehr dazu findet sich hier. Für Chinareisen der Parlamentariergruppe gibt es übrigens die Vereinbarung, dass die Abgeordneten den Großteil der Kosten selbst tragen, der Landtag schießt etwa 1/3 der Kosten hinzu. Für mich ergibt sich damit ein Eigenanteil von etwa € 2.500.-
Unsere Reisegruppe bestand aus 13 Personen, davon 11 Abgeordnete, alle Fraktionen waren vertreten, SPD, 3 Abgeordnete, CDU, 3 Abgeordnete, B90/Grüne, 1 Abgeordneter, FDP, 3 Abgeordnete, Piraten, 1 Abgeordneter. Hinzu kamen die persönliche Assistentin des Delegationsleiters und Leiters der Parlamentariergruppe, des Vizepräsidenten des Landtags, Dr. Gerhard Papke (FDP) und ein Ausschussassistent des Landtages.
China und NRW
Die Volksrepublik China ist ein zentralistisch geführter Einheitsstaat, von der Verwaltungsstruktur her vielleicht am ehesten vergleichbar mit Frankreich und seinen Regionen und Departements. Von daher sind die 22 chinesischen Provinzen nicht vergleichbar mit unseren 16 Bundesländern. Dennoch gibt es die Möglichkeit für Kooperationen zwischen deutschen Bundesländern und chinesischen Provinzen. Auf kommunaler Ebene gibt es bislang 19 Städtepartnerschaften zwischen Städten und Kreisen in NRW und China.
Ein Grund für die Existenz der Parlamentariergruppe China liegt schlicht und ergreifend darin, dass Nordrhein-Westfalen beginnend 1982 mittlerweile Kooperationen mit drei chinesischen Provinzen pflegt, Sichuan im Südwesten (Hauptstadt Chengdu), Jiangsu im Osten am gelben Meer (Hauptstadt Nanjing, die alte Kaiserstadt) und Shanxi im Norden Chinas (Hauptstadt Taiyuan). Und zur Zeit sind ca. 750 chinesische Firmen in NRW ansässig …. nein, die Restaurants zählen extra
Reisefakten – Ultrakurzfassung
Unsere Reise führte uns von Frankfurt nach Shanghai (1 Übernachtung), von dort am nächsten Tag mit dem chinesischen „ICE“ nach Nanjing (3 Übernachtungen) mit einem 100km-Abstecher per Bus nach Gaochun, dann mit dem Flieger nach Taiyuan (2 Übernachtungen) und von dort per Flieger nach Beijing und direkt mit einem Anschlussflug zurück nach Frankfurt. Die Provinz Sichuan wurde auf dieser Reise nicht besucht.
Ein recht strammes Programm also mit Gesprächen mit chinesischen und deutschen Unternehmen, die sich jeweils im Partnerland engagieren, sowie mit Gesprächen und Essen, zum einen mit lokalen Politikern, d.h. Amtsträgern oder Vertretern der regionalen Volkskongresse, zum anderen mit Studenten und angehenden Praktikanten. Des weiteren hatten wir zwei Gelegenheiten für kurze Spaziergänge sowie dreimal die Gelegenheit, Sehenswürdigkeiten zu besuchen. In zwei Fällen hatte dies auch eine konkrete politische Bedeutung.
Verhalten?
Grundsätzlich habe ich mir für Auslandsreisen von Parlamentariergruppen das Verhalten zu eigen gemacht, dass deutsche Parteipolitik dort keinen Platz hat. Das heißt aber auch, dass ich es nicht als meine Pflicht ansehe, etwa Frau Merkels Austeritätspolitik nach außen hin offensiv zu vertreten, und dass ich darüber hinaus – wie beispielsweise auf die Fragen von Studenten – bereitwillig zur Piratenpartei und ihren Zielsetzungen sowie den Unterschieden zu anderen Parteien sachliche Auskunft gebe. Im Vordergrund steht für mich aber – wie für jeden anderen Abgeordneten auch – das geschlossene Auftreten der Delegation. Für Reisen innerhalb der EU kann das m.E. lockerer gehandhabt werden. Das ist ja schon fast Innenpolitik ;-). Und was den Dresscode angeht, gilt für mich das, was der Gastgeber erwartet. Da die Chinesen bzgl. offizieller Treffen eher „konservativ“ eingestellt sind, heißt das für Männer: Anzug und Krawatte. Bei lockereren Treffen geht auch eine Kombination ohne Krawatte. Das ist keine übermäßige Anpassung sondern ein Entgegenkommen, denn ich will ja mit meinen Gegenübern ins Gespräch kommen. Bei abweichender Klamottage wäre das extrem erschwert bis unmöglich. Nicht entsprechende Kleidung wird schnell als respektlos bewertet.
Station 1: Shanghai
Ich bin das erste Mal in China gewesen. Und, ich bin begeistert. Trotz aller Kritik, die man haben kann, die Tibetpolitik, usw. China haut einen einfach um. Vor allem dann, wenn der erste Eindruck in einer Stadt wie Shanghai, dem Paris des Ostens, gewonnen wird. Das fängt schon auf der Fahrt vom Flughafen Pudong in die Innenstadt an. Was wir hier ein Hochhaus nennen, gilt dort eher als Bungalow. Shanghai hat den größten Containerhafen der Welt und liegt zudem an der Mündung des schiffbaren Jangtseflusses. Ein klassischer Umschlagplatz also.
Nach einem Mittagessen und Gesprächen mit den Shanghaier Vertretern von NRW Invest ging es zu einem kurzen Stadtspaziergang und dann zum Abendempfang beim deutschen Generalkonsul in Shanghai.
Dort gab es Interessantes zu China aus erster Hand, vom Konsul selbst und von seinen Referenten. Die chinesische Regierung ist sich durchaus bewusst, so schätzen die Konsulatsmitarbeiter die Lage ein, dass ihre Vorgehensweise gelinde gesagt nicht überall im Land auf große Gegenliebe stößt. Sie argumentiert aber in den Medien relativ offen gegenüber der Bevölkerung und baut dabei die Instabilitäten und desolaten Zustände im arabischen Raum als Warnung auf nach dem Motto, schaut doch mal auf den Irak, auf Ägypten, Libyen und Syrien, wollt ihr das? Uns geht’s doch gut.
Und wenn man es aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet, hat die Kommunistische Partei auch recht. China ist es in den letzten 25 Jahren gelungen, im Schnitt 600 Mio Menschen über die relative Armutsgrenze zu heben in einen bescheidenen Mittelstand, bei einer Bevölkerung von insgesamt 1,37 Mrd. Menschen. Daraus kann geschlossen werden, dass in Partei und Regierung Chinas eher langfristig gedacht und gehandelt wird. Das ist ganz sicher auch mit einem politischen Trägheitsmoment, mit Beharrungskräften in den Gruppierungen, die die Macht innehaben, gekoppelt. Gleichwohl gibt es aber auch dort Trends zur Veränderung. Der Partei ist es wichtig, dass die Auseinandersetzungen um Zukunftsfragen innerhalb der Partei – hinter verschlossenen Türen – geführt werden und nicht außerhalb. Das unterscheidet China wesentlich von den Mehrparteien-Demokratien des Westens.
Ich persönlich bin, was die zukünftige Entwicklung des Landes angeht, vorsichtig zuversichtlich. Und das liegt u.a. auch daran, dass es in China ein wahrnehmbares relativ ausgeprägtes historisches Bewusstsein gibt, das auch die präkommunistische Zeit mit einschließt. An erster Stelle zu nennen sind hier der antike Philosoph K’ung-fu-tse, hierzulande auch Konfuzius genannt, sowie der präkommunistische Begründer des modernen China, Dr. Sun Yat-sen. Die Philosophie des Konfuzius hat die kommunistische Diktatur nicht nur überlebt, sie hat sie in der Praxis auch beeinflusst. Dies gilt insbesondere für das Prinzip der „Ordnung als Bedingung für Freiheit“, das heute mehr denn je herangezogen wird, auch die aktuelle rigoros plan-orientierte chinesische Wirtschaftspolitik gegenüber der Bevölkerung ethisch zu begründen. Dass dies andererseits auch negative Folgen hat, leuchtet ein, wenn man sich vor Augen führt, dass ein Flughafen, ein Kanal, ein Sportzentrum, ein Bahnhof nach Plan – zack! – ganz einfach gebaut wird. Und das in einer Geschwindigkeit, die schlicht atemberaubend ist. Betroffene Anwohner werden halt umgesiedelt.
Und, China ist ein Überwachungsstaat, da braucht man sich nichts vorzumachen. Kameras überall. Was mir in Shanghai und Nanjing besonders auffiel, gefühlt an jeder zweiten größeren Straßenkreuzung steht auf einer Ecke ein weißer, LKW-ähnlicher, zweiachsiger Wohnanhänger mit Deichsel, aber ohne Zugmaschine – mit einer Reihe kleiner ovaler Fenster unterhalb des Daches. Das Dach ist dicht bepflastert mit Kameras und Antennen, die in alle möglichen Richtungen schauen. Da wird einem schon mulmig. Bei der Einreise am Flughafen werden neben dem obligatorischen Scan von Reisepass und Visum noch mindestens zwei hochaufgelöste Fotos geschossen, Frontal und Profil, die der Beamte bei der Ausreise dann wieder auf seinen Monitoren hat. Darüber, dass die nach der Ausreise wieder gelöscht werden, habe ich nichts gehört …
Natürlich kann das kritisiert werden, allerdings finde ich es vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse hier in Europa mehr als vermessen, – Stichworte VDS, Flüchtlinge, Rüstungsexporte, Nahrungsmittelexporte in Drittweltstaaten, die lokale Landwirtschaften per Preiskonkurrenz kaputtmachen, etc. – wenn europäische Politiker bei Chinabesuchen an die Einhaltung der Menschenrechte appellieren. Wir sollten uns da erst mal an die eigene Nase fassen. Gleichwohl ist die chinesische Politik grundsätzlich auch kritikwürdig. Wesentlich scheint mir hier die Aufrechterhaltung des Gesprächs zu sein. Den Gegenüber zu brüskieren ist niemals zielführend.
Den ersten Tag beschlossen wir bei milder Abendluft in der ziemlich hippen „Bar Rouge“, die an der „The Bund“ genannten Promenade am Ufer des Huangpu-Flusses gelegen ist. Von dort hat man eine großartige Aussicht auf die nächtliche Skyline von Shanghai. Und: das chinesische Bier der Marke Shintao ist mehr als bloß trinkbar, es schmeckt.
Bild einfügen: Shanghai bei Nacht
Am folgenden Tag besuchten wir die Geschäftsführung der ShangGong Shenbei Group (SGSB). Was hierzulande nicht allgemein bekannt ist, dieses Unternehmen kaufte vor einiger Zeit die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen deutschen Hersteller von Nähmaschinen und Industrienähmaschinen Dürkopp-Adler und Pfaff sowie den kleinen Hersteller von Nährobotern, KSL Keilmann. Drei deutsche Unternehmen unter chinesischem Management, gemeinsam schickt man sich jetzt an, die Position des japanischen Weltmarktführers JUKI anzugreifen.
Station 2: Nanjing, Provinz Jiangsu
Der Aufenthalt in Nanjing begann mit einem Treffen und anschließendem Abendessen mit Vertretern des auswärtigen Ausschusses des Volkskongresses der Provinz Jiangsu. Am nächsten Morgen besuchten wir auf unseren ausdrücklichen Wunsch hin und zur Freude unserer Gastgeber die Gedenkstätte zum Nanjing-Massaker. Während des zweiten japanisch-chinesischen Krieges 1937 besetzten japanische Soldaten Nanjing und verübten unvorstellbare Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung. Historiker sprechen von 200.000 bis 300.000 Morden und 20.000 Vergewaltigungen. Dieses Massaker spielt nach wie vor eine wesentliche Rolle für das chinesisch-japanische Verhältnis, denn eine offizielle Entschuldigung Japans steht bis heute leider aus. Nicht nur nach meiner Auffassung würde es zu einer deutlichen Verbesserung der Beziehungen kommen, wenn eines Tages ein japanischer Premier diese Gedenkstätte besuchen und dort einen Kniefall – wie seinerzeit Willy Brandt in Warschau – hinbringen würde. Aus Gesprächen mit unseren Gastgebern gewann ich den Eindruck, dass man geradezu darauf wartet.
Im Anschluss gab es einen kurzen Stopp beim John-Rabe-Haus, das heute Museum und Gedenkstätte für den Siemens-Manager ist, der Mitglied der NSDAP war und während der japanischen Besetzung zusammen mit anderen Ausländern eine Schutzzone für die Nanjinger Zivilbevölkerung einrichtete. Eine verrückte Geschichte.
Am Nachmittag besuchten wir die Germanistische Fakultät der Universität Nanjing. Nach der Präsentation der Fakultät hatten wir Gelegenheit, mit den Studierenden und Dozenten zu diskutieren. Die Germanistische Fakultät hat zudem ein interessantes Motto, auf den Präsentationsfolien in Schwarz-Rot-Gold gesetzt: „LIFE IS TOO SHORT TO STUDY DEUTSCH.“ Deutsch wird allgemein als schwer zu erlernende Sprache empfunden. Auf meine Frage an eine Gruppe Studierende, warum ausgerechnet Deutsch, erhielt ich fast nur pragmatische Antworten. In China gibt es Mindestpunktzahlen für den Schulabschluss, die erreicht werden müssen, wenn man etwas Bestimmtes studieren will, ähnlich unserem Numerus Clausus. Deutsch liege dabei im Mittelfeld, erklärten mir die Studierenden, zusammen mit Französisch und Japanisch. Ein Student wurde genauer: „Meine Mutter sagte, Französisch studieren nur die Mädchen. Und mein Vater hasst die Japaner. Er sagte, wenn du Japanisch studierst, bist du nicht mehr mein Sohn. Studiere Deutsch, die Deutschen sind wenigstens anständig.“ Hmm.
Der weltoffene, neugierige Blick der jungen Frauen und Männer hatte es mir besonders angetan. Und was die eher pragmatische Entscheidung für das Studienfach angeht, bei vielen der jungen Leute kommt der Appetit tatsächlich beim Essen. Einige outeten sich regelrecht als Deutsch-Fans.
Es folgte ein Abendessen mit dem Vize-Gouverneur der Provinz Jiangsu, wo noch einmal ausdrücklich anerkannt wurde, dass wir die Gedenkstätte zum Nanjing-Massaker besucht hatten. Am Mittwoch-Morgen ging es zu einem Gewerbepark, in dem zwei deutsche Firmen ansässig sind, der KFZ-Zulieferer und -Hightech-Beleuchter Hella aus Lippstadt und der Starkstrom-Stecker-Hersteller (1000 V/ 63 A) Mennekes aus Kirchhundem im Sauerland. Hier ließ sich eine interessante Beobachtung bzgl. unterschiedlicher deutscher Firmenstrategien in China machen. Die Fa. Mennekes, die hierzulande in Sachen Elektromobilität unterwegs ist, baut in China aus in Deutschland produzierten Teilen u.a. Schaltschränke für chinesische U-Bahn-Systeme und hat dort einen hohen Marktanteil.
Hella hingegen betreibt in China neben der Produktion auch Forschung und Entwicklung mit deutsch-chinesischen Ingenieurteams. Man stellt sich bei Hella bewusst international auf und ist der Auffassung, dass über kurz oder lang auch in China das entsprechende KnowHow heimisch werden wird und nicht nur die nach Fernost ausgelagerte Produktion. Auf die Frage einer Kollegin, ob es Unterschiede zwischen den chinesischen und deutschen Ingenieuren gebe, antwortete der Hella-Manager, dass die chinesischen Ingenieure den deutschen in Sachen Fachwissen in Nichts nachstünden, dass aber die „kreativ-technische Problemlösekompetenz“ bei den deutschen weitaus besser entwickelt sei. Er führe diesen Vorsprung in erster Linie auf die starke Verschulung an den chinesischen Hochschulen zurück.
Und was machen wir hier an unseren Hochschulen gerade? Verschulen. Na Prost Mahlzeit. Aber wir als Partei können uns wenigstens einen Teil der Argumente gegen zunehmende Verschulung in China abholen
Am Nachmittag folgte ein Trip in das etwa 100km entfernte Gaochun mit einem kurzen Spaziergang durch eine Altstadtgasse mit anschließender Besichtigung der Firma Jiangsu Gaochun Ceramics, einem auch international aufgestellten Hersteller von – wen wundert’s – chinesischem Porzellan. Großartig.
Was mir besonders ins Auge fiel, am Ende der Altstadtgasse steht eine Art Gemeindehaus, mit einem digitalen 4 mal 3m Videoschirm an der Außenwand. Man stelle sich das mal vor in einem Ort in Bayern oder im Sauerland ;-).
Am Abend sind wir dann zum Abschied mit den charmanten Kolleginnen von NRW Invest Nanjing traditionell chinesisch Essen gegangen.
Reisetipp Nanjing: in der Altstadt, Bierkneipe „Das Schiff“ – die heißt wirklich so – mit eigenem Brauhaus: naturtrübes helles und dunkles Obergäriges, Publikum: viele gutgelaunte lustige Einheimische und Ausländer, gute Livemusik.
Station 3: Taiyuan, Provinz Shanxi
Am Donnerstag ging es früh mit dem Flieger 960 km in nordwestliche Richtung nach Taiyuan, einer kleineren Provinzhauptstadt, die mit 4,2 Mio Einwohnern mal eben etwas größer als Berlin ist. Die Provinz Shanxi ist historisches chinesisches Kernland, heute spielt wirtschaftlich der Bergbau, Steinkohle, Kupfer, Bauxit (Aluminium) und Schwefel, eine große Rolle. Wir besuchten dort das deutsche Unternehmen CFT Compact Filter Technic aus Gladbeck, das Luftfilter für den Bergbau produziert und in Taiyuan direkt mit einer chinesischen Firma für schweres Bergbaugerät kooperiert.
Der Geschäftsführer erläuterte auch gleich die Firmenstrategie und -geschichte. Man sei aufgrund des Rückbaus der Steinkohleförderung in NRW, bei dem die Bergbauzulieferer von der Politik komplett vergessen worden seien, nach China ausgewichen, wo noch Kohle abgebaut wird. Darüber hinaus ist die Firma mit ihren Filteranlagen ebenfalls im Tunnelbau engagiert, so auch beim zur Kompensation des Wassermangels im gelben Fluss geplanten 300 km langen Tunnel durch das Gebirge nach Tibet. CFT sieht zukünftige Betätigungsfelder im Bereich der Umwelttechnik.
Am Nachmittag gab es ein Gespräch mit Vertretern des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses der Provinz Shanxi und dessen Vizepräsidenten gefolgt von einem Abendbankett auf Einladung der Provinzregierung.
Der Freitag war einem Besuch bei der Development and Reform Commission (DRC) der Provinz gewidmet. Hier hatten wir die Gelegenheit, mit ehemaligen und zukünftigen Stipendiaten des Landes NRW zu sprechen, die über die Vermittlung der GIZ NRW (Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH) für eine gewisse Zeit für Praktika nach NRW kommen können. Diese Praktika können entweder bei Firmen oder in öffentlichen Institutionen abgeleistet werden.
Das Interesse gerade an Praktika in Deutschland ist allgemein sehr hoch. Meine Gesprächspartnerinnen und -Partner interessierten sich besonders für die Felder Umweltschutz und -Überwachung, Energiewirtschaft – hier waren die erneuerbaren Energien von besonderem Interesse – und Tourismuswirtschaft. Die Frage, wie viele Windräder es denn in Deutschland gebe, konnte ich nicht beantworten, ich habe allgemein auf die deutsche Politik zur Energiewende hingewiesen und verschiedene damit verbundene Probleme angesprochen, z.B. die der Nord-Süd-Trasse und der Energiespeicherung. Über das offensichtlich wachsende Umweltbewusstsein und -Interesse der jungen Generation habe ich mich sehr gefreut. Da die Praktikanten im Vorfeld sehr gut und schriftlich über die NRW-Delegation und ihre Mitglieder gebrieft wurden, sah ich mich vor der Aufgabe, die Piratenpartei zu „erklären“ (China in one week – pirates in 90 seconds). Hier kam das Sprachproblem zum Tragen, so dass ich unsere Dolmetscherin zu Hilfe rufen musste.
Auf die Frage eines jungen Mannes, warum Deutsch denn so schwer sei und was er tun könne, um besser zu werden, gab ich Hinweise auf die Internetseiten deutscher Fernsehsender und deren Mediatheken (youtube wie auch google und facebook sind in China gesperrt). Wann er begonnen habe, Deutsch zu lernen, stellte ich als Gegenfrage. Bei der Antwort bin ich fast vom Stuhl gefallen: ein Monat.
Am Nachmittag besuchten wir das UNESCO-Weltkulturerbe Pingyao, eine gut erhaltene und teilweise wieder aufgebaute Stadt, deren Gründung etwa 800 vC erfolgte. Interessant ist auch die chinesische Variante der Museumspädagogik. Es gibt in einigen Häusern und auf den Straßen live vorgetragene Spielszenen von Schauspielern in historischen Kostümen. So konnten wir eine Gerichtsverhandlung beobachten, bei dem der Ton von Konserve über Lautsprecher kam und die Schauspieler dazu die Lippen bewegten.
Und für unseren letzten Abend in China hatte sich der Chef des Amtes für Auswärtige Angelegenheiten der Provinz Shanxi etwas Besonderes einfallen lassen. Wir bekamen als kulturellen Nachtisch des Abendessens Einblick in die Produktion handgemachter chinesischer Nudeln, und zwar der langen dünnen, durch einen Nudeljongleur. Ein junges Paar brachte traditionell kostümiert fünf der etwa 20.000 Folklorestücke der Provinz Shanxi zu Gehör, von denen einige älter als 2000 Jahre sind. Sehr gewöhnungsbedürftig für westliche Ohren …
Fazit
Land und Leute haben mich begeistert. Dabei bin ich mir völlig bewusst darüber, dass den reisenden Abgeordneten aus dem Ausland eher „die Schokoladenseite“ vorgeführt wird, dass man ein bestimmtes Bild von China vermitteln will. Andererseits bestätigten mir aber Freunde und Bekannte, die China privat bereist haben, dass der Eindruck auch dann positiv ist, wenn die Reise touristischen Charakter hat. Bemerkenswert fand ich, dass Chinesinnen und Chinesen, die Deutsch sprechen, die ihre Gedanken auf Deutsch artikulieren, denen ich beim Formulieren zusehen konnte, einem in ihrem Denken überhaupt nicht mehr fremd vorkommen. Teilweise gewann ich den Eindruck größerer Nähe als beispielsweise zu einem Süditaliener oder einem Griechen. Und die Verwunderung darüber gewinnt nochmal richtig Kraft durch den Kontrast zur optischen Wahrnehmung, denn asiatische Gesichter sehen nun mal ganz anders aus, als die von uns da bize’s, von uns Langnasen. Ein Eindruck, den ich übrigens mit einigen Abgeordnetenkollegen teile. Besonders spannend finde ich die Tatsache, dass die chinesische Sprache und ihre Schrift mit Mehrfachbedeutungen operieren müssen. Ein Wort ist nicht einfach nur ein phonetischer Bezeichner für Irgendwas. So erklärte mir unser Dolmetscher in Nanjing, gleichzeitig Dozent an der germanistischen Fakultät der Uni und ausgewiesener Literaturfan, dass das chinesische Wort für Deutschland aus zwei Zeichen zusammengesetzt ist, dem Zeichen für Tugend und dem Zeichen für Land. Deutschland ist also das Land der Tugend. Hmm. Frankreich wiederum setzt sich zusammen aus den Zeichen für Gesetz und für Land, das Land des Gesetzes also.
Was ich ich China wahrgenommen habe, ist offene Mitteilsamkeit und große Neugier in der Kommunikation. Ich war schon vor der Reise nicht der Meinung, dass man vor China und seinen Menschen Angst haben muss. Das hat sich durch die Reise noch bestätigt. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass bei unseren Landsleuten zum Teil vorhandene Ängste späte Auswüchse der Schuld sind, die Europa bei der Eroberung der Welt auf sich geladen hat. Nichteuropäer ticken glücklicherweise anders.
Eine gewisse Trinkfestigkeit ist für Chinabesucher übrigens von Vorteil. Es gibt oft hochprozentigen Reisschnaps. Auch das chinesische Wort für Prost!, Gānbēi!, wartet mit einer Doppelbedeutung auf. Es heißt ebenso, Trink aus!
Vorratsdatenspeicherung schafft Generalverdacht
Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Vermittlungshemmnissen
Wieder mal ein Antrag der CDU zum Thema Arbeitsmarkt: „Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Vermittlungshemmnissen als Querschnittsaufgabe begreifen – gemeinsam Projekte entwickeln, die eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten ermöglichen“ – man ahnt bereits, nix gutes. Meine Rede dazu:
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne und natürlich im Stream! Zuerst möchte ich mich bei der CDU-Fraktion dafür bedanken, dass sie diesen Antrag hier zur direkten Abstimmung stellt. Danke, dass wir uns nur so kurz wie möglich damit beschäftigen müssen! Im Ausschuss hätte das wirklich nichts zu suchen gehabt.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Ein paar Kleinigkeiten – das ist von Frau Kollegin Maaßen und Frau Kollegin Jansen schon benannt worden – sind durchaus richtig. In NRW gibt es das Problem, dass Langzeitarbeitslose nicht schnell und gut genug in Arbeit kommen. Die Situation wird nicht besser, wenn jetzt Menschen zu uns flüchten. Das wird die Situation auf dem Arbeitsmarkt sicherlich nicht entlasten. Da muss etwas getan werden; keine Frage.Womit können wir das verbessern? – Mit Projekten, schlägt die CDU vor. Mit genau den Projekten, die uns dahin gebracht haben, wo wir jetzt sind! Genau das ist ja die Krux an der aktuellen Arbeitsmarktpolitik: Projekte, begrenzt auf maximal zwei Jahre –
(Walter Kern [CDU]: Nein!)
egal, ob wir ein Projekt A, B, C nennen und das Alphabet bis zur Gänze durchbuchstabieren.
(Hendrik Wüst [CDU]: Nein!)
– In Ihrem Forderungskatalog stehen Projekte genau drin. – Danke.Diese Projektgeschichten bringen gar nichts; denn sie haben uns an den Punkt gebracht, an dem wir jetzt sind. Wenn Sie einmal eine Liste aller Projekte haben wollen: Das MAIS kann bestimmt ein relativ dickes Buch mit diesen Projekten ausdrucken – gerade denen, die mit dem ESF zusammen finanziert werden. Darunter sind übrigens total tolle Projekte, auch Projekte, die richtig helfen und Menschen nachhaltig in Arbeit bringen. Dann sind sie nach zwei Jahren zu Ende, und wir fangen wieder etwas Neues an. Genau daran krankt es. Das muss man hier auch benennen.
Zweiter Punkt: Wenn Sie die Projekte, die schon gelaufen sind, einmal einzeln auswerten, werden Sie feststellen: Es liegt eben nicht daran, was man da an Kreativität hineinbringen kann, sondern es liegt grundsätzlich daran, die Menschen nachhaltig zu qualifizieren
(Walter Kern [CDU]: Ja, natürlich!)
und nachhaltig zu betreuen. Da bringen Betreuungsschlüssel von eins zu hundert oder mehr nichts. Vielmehr müssen wir hier flexible Betreuungsschlüssel haben, die wirklich bei einer Eins-zu-eins-Betreuung anfangen.Übrigens gibt es gerade ein neues ESF-Projekt, das eben nicht die Träger der normalen Weiterbildung im Arbeitsmarkt in die Verantwortung nimmt, sondern die Träger der Behindertenausbildung. Das halte ich für einen guten neuen Ansatz. Ich glaube sogar, dass dieses Projekt richtig gut werden wird.
Und nach zwei Jahren ist es zu Ende. Dann stehen wir wieder da wie vorher. Wir haben das Problem, dass diese Projekte zu kurz greifen. Im Sinne der Nachhaltigkeit brauchen wir eine Änderung der Regelsysteme. Wenn diese Projekte gut sind und gut bewertet werden, müssen wir sie in die Regelsysteme übernehmen und auf Dauer anlegen.
Wenn wir das dann auf Dauer angelegt haben, kriegen wir auch die Unternehmen wieder dazu, wirklich dabei mitzumachen. Die Unternehmen fühlen sich jetzt völlig davon überfordert, dass sie alle Naselang ein neues Projekt lernen müssen.
Fünf Jahre, nachdem ein Unternehmen einmal jemanden mit multiplen Vermittlungshemmnissen eingestellt hat, geht es wieder zum Jobcenter und
sagt: Das ist vor fünf Jahren gut gelaufen. Jetzt wollen wir das noch einmal machen. Dieses Projekt, das ihr hattet, war super. Damit würden wir gerne noch jemanden einstellen. Das können wir jetzt gebrauchen, weil es gerade gut läuft.Dann sagt der Jobcentermitarbeiter: Erstens kenne ich Sie gar nicht; denn ich bin erst seit einem Jahr hier. Zweitens gibt es das Projekt nicht mehr, glaube ich. Jedenfalls kenne ich es nicht. Ich gucke noch einmal nach. Wir haben jetzt ein neues Pro-jekt. Das passt bei Ihnen aber nicht. Wir können es also nicht anwenden. Das ist ein bisschen schade.
Genau das ist das Problem. Es gilt, dieses Problem zu benennen. Hier irgendwelche neuen Projekte aufzumachen, hilft gar nichts. Es geht darum, Projekte in Regelsysteme zu überführen und die Betreuungsquoten zu ändern. Das wird Arbeitslosen helfen – völlig egal, ob es Langzeitarbeitslose sind, die schon länger hier leben, oder ob es Menschen sind, die gerade zu uns geflüchtet sind.
Dann kann man auch über eine nachhaltige Qualifikation sprechen. Die Teilqualifikation, die jetzt immer genannt wird, mag zwar einem kleinen Teil der Menschen helfen; dem großen Teil der Langzeitarbeitslosen hilft sie aber nicht.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Preuß?
Torsten Sommer (PIRATEN): Ja. Herr Preuß darf mir immer gerne eine Zwischenfrage stellen.
Vizepräsident Oliver Keymis:Aber nicht nur Herr Preuß darf Ihnen eine Frage stellen?
Torsten Sommer (PIRATEN): Nein, eigentlich nicht nur Herr Preuß. Aber wenn wir das jetzt ausweiten, weiß ich nicht, ob das mit der Tagesordnung …
Vizepräsident Oliver Keymis: Nein, ausweiten tun wir nichts. Wir haben ja eine Geschäftsordnung.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)
Herr Preuß, Sie haben das Wort.
Peter Preuß(CDU): Herzlichen Dank, Herr Kollege Sommer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprechen die ganze Zeit von sozialem Arbeitsmarkt und zeitlich befristeten Projekten. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich bei dem Gegenstand des Antrags nicht um den sozialen Arbeitsmarkt in dem Sinne handelt, in dem wir ihn immer besprechen, insbesondere nicht um zeitlich befristete Projekte, sondern dass der Antrag ein – ich darf es einmal so sagen – gigantisches Investitionsprogramm und Konjunkturprogramm für Handwerk und Mittelstand initiieren soll, verbunden mit den entsprechenden Beschäftigungseffekten für die genannten Personengruppen?
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Torsten Sommer (PIRATEN): Das tut mir jetzt ein bisschen leid, Herr Preuß; aber zuerst nehme ich einmal zur Kenntnis, dass Sie mir nicht zugehört haben.
(Heiterkeit von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Ich habe nicht ein einziges Mal in meiner Rede „sozialer Arbeitsmarkt“ gesagt.Ich weiß aber, was Sie meinen. Damit haben Sie auch völlig recht. Wir brauchen ein Konjunkturprogramm – aber ein Konjunkturprogramm, das auf Dauer angelegt ist, und nicht einzelne Projekte. Es mit einzelnen Projekten zu machen, wie Sie das als Lösung beschreiben, macht eben keinen Sinn. Das ist das, was ich gesagt habe. Ich hoffe, bei der Antwort auf die Nachfrage ist es jetzt angekommen.
Dauerhaft und nachhaltig, aber bitte auch eine dauerhafte und nachhaltige Qualifikation der Menschen! Keine Teilqualifikation, keine neuen Praktikantenplätze für drei bis sechs Monate, sondern echte Qualifikation und echte Ausbildung werden den Menschen helfen. Das, was Sie in Ihrem Antrag genannt haben, hilft leider nicht.
Wenn Sie jetzt noch ansprechen, dass man mit den Akteuren, mit den Playern vor Ort sprechen muss, dann kann ich nur sagen: Meine Güte! Sie kennen doch die Jobcenter-Beiräte. Da ist das doch alles organisiert. Die Kirchen sind dabei und auch die Unternehmensverbände vor Ort. Das funktioniert aber nur, wenn man ihnen nachhaltige, dauerhafte Projekte an die Hand gibt.
Auch das Maßnahmen- und Projektehopping hilft an der Stelle nicht. Es hilft den Geflüchteten nicht, es hilft Langzeitarbeitslosen nicht, es hilft den Mitarbeitern in den Jobcentern und bei der BA nicht, und es hilft selbstverständlich auch allen anderen Akteuren vor Ort nicht. Deshalb: Wir brauchen dauerhafte und sinnvolle Regelsysteme. Stimmen Sie uns das nächste Mal zu, wenn wir einen entsprechenden Antrag einbringen. – Vielen Dank
Schnellere Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Bleibeanspruch
Die CDU hat einen Antrag gestellt: „Schutzsuchende mit Bleibeanspruch zügig in den Arbeitsmarkt integrieren – gesetzliche Zugangshindernisse abschaffen – auf neue Zugangshürden verzichten“ – dürfte klar sein das damit neuerliche soziale Errungenschaften des Arbeitsrechtes aufgeweicht werden sollen. Mein Debattenbeitrag:
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucher hier im Saal und im Stream! Danke für Ihren Antrag, Kollege Wüst. Der hat mir gut gefallen, vor allem in der Überschrift.
(Zurufe)
Das lag aber daran, dass ich das für eine kleine Zeitreise halte.
(Anhaltende Zurufe)
– Sie können Ihren Disput übrigens gerne draußen fortsetzen. Danke schön. Ihr Antrag hat mich an einen eigenen Antrag erinnert, 10. Dezember 2013, Drucksache 16/4590 „Arbeitsverbote für Flüchtlinge abschaffen – Arbeitsmarktzugang sicherstellen“. Da haben wir beantragt, dass wir die Vorrangprüfung überprüfen. Wir haben in der Diskussion darüber gesprochen, dass der Arbeitsmarktzugang offen sein muss auch für Geflüchtete, dass es Arbeitsverbote einfach nicht geben darf.Wir haben eine Anhörung dazu durchgeführt. In der Anhörung kam ganz klar heraus, dass die Vorrangprüfung inzwischen obsolet ist, dass man sie eigentlich nicht mehr durchführen müsste, dass sie nur behindert, dass sie bei der BA Ressourcen bindet, die woanders viel besser gebraucht werden.
Was hat die CDU-Fraktion getan? – Richtig: Sie hat unseren Antrag abgelehnt. Hervorragend! Jetzt kommen Sie mit einem eigenen Antrag. Wahrscheinlich ist er auf einem anderen Papier gedruckt, was auch immer. Dann schauen wir doch einmal, was Sie da wirklich fordern. Sie fordern nämlich nicht einfach nur, dass die gesetzlichen Regelungen geändert werden, sondern sie instrumentalisieren wieder gegen den Mindestlohn, für die Zeitarbeit, für Leiharbeit. Das ist einfach unredlich. Das gehört hier einfach gar nicht hin. Genau das ist das Aufwiegeln von Gruppen gegeneinander, das niemand an der Stelle braucht.
Im Endeffekt wollen Sie eine Ausweitung von Praktika. Warum? Sie können jetzt schon drei Monate Praktikum machen. Das auf sechs Monate oder ein Jahr zu ziehen, hilft niemandem, übrigens auch nicht den Unternehmern. Das ist totaler Quatsch.
Wir brauchen mehr Qualifikation, und zwar nachhaltige Qualifikation. Diese erwirbt man nicht durch Praktika, sondern durch Ausbildung. Diese Ausbildung müssen wir selbstverständlich fördern. In der Runde, die mehrfach angesprochen worden ist, ging es nicht darum, dass es da einen Dissens gab, dass die Ausbildung und der Berufsschulzugang erweitert werden müssten.
Vizepräsident Dr.Gerhard Papke: Achten Sie auf Ihre Redezeit, Herr Kollege.
Torsten Sommer (PIRATEN): Danke schön. – Ich komme sofort zum Ende.Das war dort einhellige Meinung. Da muss man sich jetzt nicht auf Kleinigkeiten kaprizieren. Sie wollen nicht anpacken. Wir haben diese sinnvollen Dinge schon vor zwei Jahren gefordert. Wir instrumentalisieren keine Flüchtlinge.
Daher empfehle ich meiner Fraktion, diesem Antrag selbstverständlich nicht zuzustimmen. – Vielen Dank. Und frohe Weihnachten!
Zeitpunkt Runder Tisch G8/G9 ohne Sinn und Verstand
Zum heute [14.12.] stattfindenen Runden Tisch zu G8/G9 sagt Monika Pieper, Bildungspolitische Sprecherin der Piratenfraktion NRW:
Der Zeitpunkt für den heutigen Runden Tisch ist ohne Sinn und Verstand. Wie will man nach drei Monaten über das Für und Wider des 10-Punkte-Plans diskutieren? Der Zeitraum ist viel zu kurz, um die Wirksamkeit des Programms zu analysieren. Die Landesregierung handelt mal wieder nach dem Prinzip ´viel heiße Luft und nichts dahinter´.
Unabhängig von den Ergebnissen des heutigen Runden Tisches halten wir an unserer generellen Kritik an G8 fest. Vermeintliche Erleichterungen für die Schüler reichen nicht. Die Schüler benötigen ausreichend Zeit für eine umfängliche Bildung und Persönlichkeitsentwicklung.