Ein Schelm, der Böses dabei denkt … WTF!?

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Marina Weisband ist heimlich vor einem Jahr aus der Piratenpartei ausgetreten. Um der Partei nicht zu schaden. OK.

Und jetzt wird das bekannt (gemacht)? Einen Tag vor dem 10-jährigen Jubiläum der Partei und eine gute Woche vor der Berlin-Wahl?

Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Möglicherweise haben auch einige Jemande gestrichen die Hosen voll. Und versuchen zu verhindern, dass etwas passiert, was ihrer Auffassung nach nicht sein darf. Der Wiedereinzug in das Berliner Abgeordnetenhaus. Und dann wird eben das prominenteste Gesicht der Piratenpartei instrumentalisiert. Hier in Spiegel Online und in der Zeitung „Welt“.

Fühlst Du Dich gut, Marina? Du würdest Dein Kreuzchen immer noch bei den Piraten machen, wenn Du in Berlin wohnen würdest?

Tust Du aber nicht. Ein Vorschlag, mach‘s doch 2017 in NRW bei den Piraten.

Aber ich frage mich, wie diese Deine Absichtserklärung damit zusammenpasst, dass der SPON-Artikel behauptet, Du, Marina, hättest gesagt, dass der progressive Flügel aus der Partei vertrieben worden sei, und nun „seien dort nur noch viele konservative Menschen, „die das Internet in den Grenzen von 1990 wollen““. Hmm.

Konservative Menschen, Internet 1990: Dennoch würdest Du Dein Kreuzchen bei uns machen? Echt jetzt?

Prof. Dr. Martin Haase, Rainer Thiem, Patrick Schiffer, um mal drei zu nennen, mir und vielen Anderen gegenüber ist das gelinde gesagt eine bodenlose Frechheit.

Andere können sich selbst äußern, wenn sie das wollen, was mich betrifft, ich war schon progressiv, da sind die sogenannten progessiven „Cybersozialisten“ (Lukas Lamla, vrrdmmt, ich brauche Cyber-Absperrband!), die massiv mitverantwortlich für die Streitereien waren und die offensichtlich in die geistige Gefangenschaft der Erinnerung an das eindimensionale politische Links-Rechts-Schema gefallen sind, noch mit dem Trömmelchen um den Christbaum gerannt.

(Denn die Linken sind ja die – zugegeben unfreiwilligen – Steigbügelhalter des Neoliberalismus. Und die AfD ist, mal abgesehen – was mir ziemlich schwer fällt – von der braunen Farbe, turboneoliberal. Also ist der alte LR-Kompass kaputt.)

Konservative Menschen, Internet 1990. Yep. Wie man‘s nimmt.

Die Partei hat gerade ein Netzpolitisches Manifest für das Informationszeitalter – als working document – verabschiedet, das weit über das hinausgeht, was man von anderen Parteien so lesen könnte (wenn man das aushalten würde):

https://www.peira.org/das-netzpolitische-manifest-ein-schoenes-geschenk-zum-10-jaehrigen-jubilaeum-der-piratenpartei-deutschland/

Ist Dir sicher entgangen.

Außerdem habe ich einen Auftrag. Von Wählerinnen und Wählern in NRW.

Und zwar bis 2017. Den erfülle ich zur Zeit als europa-, wirtschafts- und hochschulpolitischer Sprecher der Piratenfraktion in NRW. Zusammen mit den Aufgaben meiner geschätzten 17 Kolleginnen und Kollegen und einer ganzen Reihe von Super-FraktionsmitarbeiterInnen.

Insofern fühle ich mich von Dir in den verlängerten Rücken getreten. Und ich denke, vielen Piraten, Mandatsträgern und Parteiaktiven, gehts genauso.

Denn die über weite Strecken gute und impulsgebende parlamentarische Arbeit nicht nur der NRW-Fraktion, sondern auch der Kommunalen, bestätigen sogar so einige Kollegen der anderen Fraktionen – selbstredend hinter den Kulissen – es ist ja Wahlkampf.

Liebe Marina,

„Doch an Bertelsmann traute und traut sich niemand heran, mit Ausnahme eines Artikels im Tagesspiegel und der tapferen kleinen Neuen Westfälischen in der Provinz. [….] Ich würde mir außerhalb jeder politischen Machtfunktion nicht zutrauen, als David diesen Goliath juristisch zur Strecke zu bringen. Ich appelliere nur an alle, denen Stiftungen für eine offene Gesellschaft wichtig sind, endlich diese Debatte über Gemeinnutz zu führen.“

diese beiden Sätze finden sich in einem Interview der TAZ mit der Grünen-Politikerin Antje Vollmer mit dem Titel „Bertelsmann ist unberührbar“ vom 16.09.2010.

Nun, wir haben es versucht. Mit einer großen Anfrage an die Landesregierung NRW zur politischen Einflussnahme der Bertelsmann-Stiftung auf die Landespolitik.

Wir sind die einzige Partei/Fraktion, die das je versucht hat.

Ist Dir sicher auch entgangen.

Was wir sonst so treiben und getrieben haben, erfährst Du hier: https://www.piratenfraktion-nrw.de/

Politik in Deutschland, das ist nicht nur Berlin, weißt Du.

Und ich freue mich, wenn Du Dich entschuldigst – öffentlich – und vor der Berlin-Wahl.

Oder hat man Dich nur falsch oder unvollständig wiedergegeben?

Mit besten Grüßen, Nick Haflinger aka Joachim Paul
europa-, wirtschafts- und hochschulpolitischer Sprecher der Piratenfraktion NRW

Wer hat Angst vor der Superintelligenz? Wer hat Angst vor Märchen? WTF!

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tl;dr: Die Idee der technologischen Superintelligenz, der Maschine, die intelligenter ist als wir, ist ein Objekt des Glaubens und nicht der forschenden, wissenschaftlichen und konstruierenden Tätigkeit von uns Menschen. Sie entspricht – in ihrer Struktur – der mittelalterlich-alchimistischen Hoffnung auf das künstliche Menschlein, den Homunkulus und auch dem neoliberalen Glauben an eine übergeordnete Rationalität des „freien Marktes“. Sie folgt damit auch dem mainstream-Zeitgeist einer neoliberal komplett durchgebimsten Welt. Zwischen Homunkulus und Robot gibt es jedoch einen ganz prinzipiellen Unterschied. Beim Robot weiß der Konstrukteur, was er getan hat und kennt somit auch die Grenzen der Maschine.

Das WTF-Märchen von der Superintelligenz

Unsere Maschinen werden immer intelligenter, heißt es. Gemeint sind natürlich Computer, z.B. IBMs Watson, Deep Blue im Schach und zuletzt AlphaGo im altchinesischen Go-Spiel. Darüber hinaus Computernetze und jedes mit Sensoren und Aktoren ausgestattete technische „Ding“, also Roboter, selbstfahrende Autos und – ganz besonders schlimm – Drohnen.

Wobei hier – das muss wirklich gesagt werden – der Begriff „Intelligenz“ recht unscharf und vage gehalten ist.

Und eines Tages, zu einem Zeitpunkt, der – je nach charakterlicher Ausrichtung und Geschmack – entweder in wohlig gänsehäutiger Vorfreude oder in Horror-Alpträumen „technologische Singularität“ genannt wird, werden diese Maschinen genauso intelligent sein wie wir und uns per Maschinen-Evolution sogar noch überholen. Dann übernehmen sie die Weltherrschaft und wir haben keine Zeit mehr, rechtzeitig den Stecker zu ziehen.

Zu spät für die Kabelzange. Terminators SKYNET lässt grüßen. Oder die MATRIX. Oder HAL 9000 in Kubricks 2001 Odyssee im Weltraum, ach nee, sorry, der wird ja abgeschaltet, kicher.

Die Angst vor einer Superintelligenz geht um – auch bei Leuten, die daran basteln und von denen man das erst mal so nicht erwarten würde. Warum? Gefühlt das halbe Silicon Valley gehört dazu, Leute wie Ray Kurzweil, der erste Gedanken dazu in seinem Werk „Homo Sapiens“ veröffentlichte, Elon Musk (Tesla, Space-X), der PayPal-Gründer Peter Thiel und viele andere aus dem Valley, der Oxforder Philosoph Nick Bostrom, ein engagierter Transhumanist und Autor von „Superintelligenz“, und sogar der Physiker Stephen Hawking. Sie alle warnen vor der maschinellen Intelligenz, die eines Tages – und dieser Tag, so wird prophezeit, ist natürlich nicht fern – die biologisch evolvierte menschliche Intelligenz besiegen, unterjochen oder gar auslöschen würde.

Im Interview mit Jay Tuck „Lernfähige Computer sind nicht mehr kontrollierbar“ in der Zeitung „Junge Welt“ vom 3./4. September 2016 offenbart sich der eklatante gedankliche Fehler. Er sagt: „Denken Sie an ‚Frankenstein‘. Das ist eine klassische Geschichte über eine Wissenschaft, die Amok läuft.“

Und ich frage mich, was geht da ab? Denn Frankenstein, das ist KEINE Wissenschaft.

Jedoch das kulturelle Motiv dazu ist uralt. Schon in der mittelalterlichen Geschichte vom Golem des Rabbi Löw soll das kabbalistische Kunstwesen Golem im Prag dieser Zeit die jüdische Gemeinde vor einem Pogrom schützen. Die Geschichte von Mary Shelleys Frankenstein kennen wir. Der Arzt Dr. Victor Frankenstein schnippelt und näht mehr oder weniger gut erhaltene Leichenteile zusammen, platziert sie dann so, dass ein Blitz einschlägt und erschafft ein pseudomenschliches Monster, dessen Verhaltensweise er weder versteht noch kontrollieren kann. Goethes Gedicht vom Zauberlehrling „Walle, walle, das zum Zwecke … die Geister, die ich rief …“ gehört in dieselbe Ecke.

Der Blitz, das ist die Metapher, das sprachliche Bild vom göttlichen Odem, vom Funken Gottes, und ab da ist der Mensch aus dem Spiel. Donar, die altgermanische Gottheit mit dem Donnerstag, Wotan, Odin und Thor lassen hier grüßen. Und auch Jahwe aus dem alten Testament, der brennende Dornbusch. Oder war es doch Loki, der germanische Luzifer, der Lichtbringer? Egal, Walhalla oder Asgard. (Geiles Bier übrigens, aus Schleswig!)

Der Blitz, der Bewusstseinsfunke, das ist auch das Moment, das in dem – richtig wunderbaren – Film von John Badham aus dem Jahr 1986 „Nummer 5 lebt!“ den kleinen Kriegsroboter zu etwas Neuem macht, an dem sein Konstrukteur im Film, der Informatiker und Philosoph! Dr. Newton Crosby, intellektuell schier verzweifelt. Denn Nummer 5 entwickelt eine eigene Ethik und die Liebe zum Leben. „Keine Funktionsstörung, Nummer 5 lebt!“

Let‘s get serious again …

Aber wenn man auf magische Rituale oder singuläre Blitzmomente, in denen sich der Schöpfer der Welt äußert, verzichten will, dann ist die Frage, was macht ein Konstrukteur, wenn er etwas konstruiert, was macht ein Programmierer beim Programmieren? Denn das menschliche Subjekt als technisch denkendes und handelndes Subjekt, darf in einer vollständigen Betrachtung nicht fehlen.

Das muss dann in Verbindung gebracht werden mit der weiteren Frage, ob sich Intelligenz – häufig synonym verwendet zum Begriff Bewusstsein – technisch konstruieren lässt und was für Voraussetzungen dazu notwendig sind.

Gerade die Beantwortung der letzten Frage „ist […] für ein unbefangenes, vorurteilsloses Denken vollkommen offen“, schreibt der deutsch-amerikanische Philosoph und Logiker Gotthard Günther in seiner bedenkenswerten Publikation „Das Bewusstsein der Maschinen“. Die 1. Auflage ist aus dem Jahr 1957!

In einer heutzutage selten bis gar nicht mehr vorhandenen sprachlichen Klarheit argumentiert der „Philosoph der Kybernetik“ weiter (Ich scheue mich geradezu, das umzuformulieren, denn besser geht es imho nicht. Und es ist auch lang. Aber im Netz ist ja Platz …) :

„Was allein unwiderleglich feststeht, ist, dass es nicht möglich ist und nie möglich sein wird, ein volles menschliches Selbstbewusstsein als Robotgehirn zu entwerfen. Und zwar aus dem folgenden Grunde: die Logik bzw. Mathematik, in der ein solcher „mechanical brain“ beschrieben wird, muss von einem höheren Sprachtypus [4] sein als derjenige, den das Robotgehirn braucht, um seine Begriffe zu produzieren. In der Ausdrucksweise der symbolischen Logik: die Konstruktion eines Robots muss in einer Sprache erfolgen, die relativ zu der Sprache, in der ein Robot „denkt“, die Metasprache ist. Nun gibt es aber zu einer Sprache, die Begriffe wie „Ich“, „Du“ oder „Selbst“ als logisch relevante Ausdrücke enthält, keine Metasprache mehr. Eine solche Sprache ist von höchstmöglicher logischer Ordnung. Wenn also ein Konstrukteur versuchte, einem „mechanical brain“ die eben genannten Begriffe und damit ein Denken in einer Sprache höchstmöglicher Ordnung einzubilden, dann bliebe ihm keine Metasprache mehr, in der er ein solches Robotgehirn entwerfen könnte. Umgekehrt: reserviert der Konstrukteur einen solchen Sprachtypus für die Darstellung seines Entwurfes, dann kann er dem Entwurf selber nur ein niedereres Sprachniveau, in dem solche Worte (Begriffe) noch nicht auftreten, zuschreiben.[5] Ein Gehirn aber, das den Begriff „Selbstbewusstsein“ prinzipiell nicht konzipieren und in seiner Sprache bilden kann, hat auch kein Selbstbewusstsein. Es wird also nie möglich sein, einen Robot, der Selbstbewusstsein besitzt, zu konstruieren, weil ein „mechanical brain“, der Worte wie „Ich“ und „Selbst“ gebrauchen kann und weiß, was sie bedeuten eine Sprache spricht, zu der es keine Metasprache mehr gibt, in der sein technischer Entwurf vom Konstrukteur konzipiert werden könnte. Wenn beide die gleiche Sprache sprächen, dann wären Schöpfer und Geschöpf einander geistig ebenbürtig. Dies ist absurd.“[1]

Die Fussnote 5 aus obigem Zitat, in der Günther sich auf den Logiker Alfred Tarski bezieht, darf natürlich nicht vorenthalten werden. Sie ist ebenfalls lang (wie übrigens Programmcode auch, gelegentlich, kicher):

„Für denjenigen Leser, der an diesem Grundproblem einer allgemeinen Theorie eines „mechanical brain“ näher interessiert ist, seien im folgenden die vier logisch möglichen Sprach- und Ausdruckssysteme mitgeteilt. Man unterscheidet
1. Sprachen, in denen alle Ausdrucksvariablen zu einer und derselben semantischen Kategorie gehören;
2. Sprachen, in denen die Anzahl der die Variablen umfassenden Kategorien größer als 1, aber stets endlich ist;
3. Sprachen, in denen die Variablen zu unendlich vielen semantischen Kategorien gehören, wobei aber die Ordnung dieser Variablen eine im vornhinein gegebene natürliche Zahl nicht überschreitet, und schließlich
4. Sprachen, die Variable beliebig hoher Ordnung enthalten.
(Vgl. Alfred Tarski, Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen, Studia Philosophica, Leopoldi 1935, bes. S. 81).

Alle höher entwickelten Umgangssprachen, die Begriffe wie „Ich“ und „Selbst“ enthalten, gehören der vierten Sprachordnung an. Jede dieser Sprachordnungen ist relativ zu den niederen eine Metasprache. Und man kann über eine Sprache nur in einer ihr übergeordneten Metasprache wissenschaftlich exakt sprechen. Auf dem Niveau des vierten Sprachtypus, der auch Universalsprache genannt wird, kann man über alles sprechen; allerdings mit der höchst beträchtlichen Einschränkung, dass man in der Logik, die diese Sprache beschreibt, Paradoxien und Antinomien in Kauf nehmen muss, wenn man über „Tatbestände“ spricht, deren Begriffe erst auf diesem Sprachniveau sich bilden. Solche Begriffe sind z.B. „Ich“ oder „Selbstbewusstsein“. Paradoxien aber sind nicht als technische Objekte konstruierbar.“[1]

Nun denn, die Indiziensammlung von Nick Bostrom in „Superintelligenz“ ist durchaus ernstzunehmen und stellt für sich betrachtet natürlich eine Fleißarbeit dar.[2]

Ein Kernargument ist das der sogenannten Seed AI, der säenden artificial intelligence, die Idee Eliezer Yudkowskys, dass eine sog. Künstliche Intelligenz mit der Möglichkeit ausgestattet wird, den eigenen Programmcode so zu verbessern, dass in der nächsten Generation die Performance wiederum besser aussieht. Quantitativ, in Geschwindigkeit und Speicherkapazität.

Eine richtige Seed AI jedoch muss den Anwendungszweck und die Gestaltung des eigenen Programmcodes verstehen, um eine weitere Generation mit verbesserter Intelligenz zu erstellen. Selbstreferenz heißt eben nicht, dass ein Programm lediglich seinen eigenen Code ausdrucken können muss (Was ausgeprägte Kurzdenker in der Informatik immer noch glauben, die ein Quine für die Krone allen Denkens halten.)

Es geht um ein Verhältnis zu sich selbst, dass aber in der Theorie formaler Systeme bislang verboten ist, um Antinomien zu vermeiden, dazu gehört auch der Tausch der Rollen von Operatoren und Operanden – Zwischenruf: Geht aber wohl! – Antwort, Jahaa, aber nicht simultahaan! Paralleehel!

Nein! – Doch! – Ooaargh!

Dazu sind selbstreferentielle Kalküle notwendig – die gibt‘s schon, in der Polykontexturallogik, sie sind aber noch nicht maschinell – was aus Gründen, die hier nicht ausgeführt werden können, eine besondere Schwierigkeit darstellt – implementiert …. und sie beinhalten, weil sie selbstreferentiell sind, das Moment der Subversion, das daher auch sich selbst den Stecker ziehen kann ….

Wenn es um Erkennen, also Kognition, und Wollen, Volition, geht müssen wir kapieren, dass es eben Lebewesen sind, die Kognitionen haben. Und diese waren einer Evolution unterworfen.

Nun kann wieder eingewendet werden, dass eine Seed AI diesen Punkt irgendwann erreicht haben wird, den Punkt, an dem die Evolution der Algorithmen – selbsttätig – losläuft. Und wer gibt den Startschuss? Etwas von toter Materie zum Leben befördert haben wir bislang nicht, alles, was in der Gentechnik getrieben wird, ist Veränderung, Veränderung von Materie, die vorher schon lebte.

Wo also soll der Kick-Off der maschinellen Evolution herkommen? Magische Momente wie oben? Kurzschluss? Blitzschlag? Ohh Wotan weiche von mir …, nee, danke. Das kulturelle Vorstellungsmuster ist ja bekannt.

Ich behaupte, das mit der Superintelligenz ist unsere eigene, leider allzu oft fehlende Achtung vor dem Leben, die auf uns selbst als Urangst zurückschlägt. Das ganze ist – psychologisch betrachtet – eine ungeheure Projektion.

Mit der sich aber in der Form von Büchern und Fernsehdokumentationen reichlich Geld einnehmen lässt. …

Und sie deckt sich in ihrer Struktur mit der neoliberalen Vorstellung einer übergeordneten Rationalität, einer Art Supersumme der Rationalität der freien rationalen Marktteilnehmer – alles, alles kleine homo oeconomicusse, rofl, die der einzelne kleine homo oeconomicus eben nicht erklären kann.

Frage: Ok, gut, Joachim, hast Du denn gar keine Angst?
Antwort: Vor einer Superintelligenz oder der technologischen Singularität jedenfalls nicht. Aber ich habe eine Scheißangst davor, was gewisse Leute – also Menschen – mit halbwegs intelligent konstruierten algorithmischen Maschinen schon heute alles anstellen und möglicherweise morgen noch anstellen werden ….

Zum Abschluss noch einmal Gotthard Günther zur Zukunft:

„Hier waltet ein Gefühl, in dem, vorläufig noch unausge­spro­chen, die Einsicht lebendig ist, dass in dem intelligenten Robot dem Menschen seine eigene vergangene Geistigkeit entge­gentritt; eine Geistigkeit freilich, die er als Arbeit an die Außenwelt hat abgeben müssen, um einen Weg für ein weiteres und tieferes Verständnis seiner selbst frei­zumachen. Was uns in der Maschine be­gegnet, ist gewe­senes Leben, ist lebendiges Fühlen und alte Leidenschaft, die der Mensch nicht ge­scheut hat, dem Tode der Objektwelt zu übergeben. Nur dieser Tod ist das Tor zur Zu­kunft.“[2]

Wir haben eine kulturelle Grundausstattung – und die besteht im wesentlichen aus unseren Umgangssprachen und den formalen Sprachen der Mathematik und der Logik. – Nutzen wir sie. Erweitern wir sie. Konstruieren wir Maschinen. Gemeinsam, demokratisch. Das ist menschlich. Alles andere ist Bullshit.

Schönen Sonntag noch, Nick H.

 

Quellen:

[1] Günther, Gotthard; Das Bewusstsein der Maschinen, 3. Aufl. Baden-Baden 2002, S. 212f
[2] Bostrom, Nick; Superintelligenz; Berlin 2014
[3] Günther, Gotthard; Maschine, Seele und Weltgeschichte; in: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik, Bd III, Hamburg 1980, S. 211 – 235, online

Nebeneinkünfte: Und es bewegt sich doch!

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Nach jahrelanger, beständiger Arbeit von Kommunalpiraten, der Piratenfraktion im Landtag NRW und den vielfachen Medienberichten über die Nebeneinkünfte von kommunalen Mandatsträgern, reagiert die Landesregierung.

Endlich gibt es per Erlass eine Klarstellung!

Anja_Moersch_19335-BLOG-296x444Mehr als zwei Jahre hat das NRW-Innenministerium benötigt, um einen vierseitigen Erlass zur Rolle von Verwaltungschefs im RWE-Aufsichtsrat zu verfassen, der nicht sonderlich vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 2011 abweicht – Einzig und allein die effiziente Zusammenarbeit der Kreistagsabgeordneten Anja Moersch im Rhein-Sieg Kreis und des MdL Torsten Sommer haben dazu geführt. Erst nach einer parlamentarischen Anfrage des Abgeordneten Sommer im Landtag NRW nahm der Innenminister im November 2014 Stellung, eine juristische Klärung herbeiführen zu wollen. Im April und Juni 2015 wurde der Sachverhalt mit Nachdruck der PIRATEN im Landtag NRW behandelt.

Torsten-Sommer-MdLTorsten Sommer, Abgeordneter der PIRATEN im Landtag NRW: „Die viele politische Arbeit hat sich endlich ausgezahlt! Aber es braucht schon einen Minister vom Format Ralf Jägers, damit so eine einfache Lösung ganze zwei Jahre benötigt.“

Die PIRATEN sehen die jetzige Regelung allerdings auch kritisch. Denn „warum es eine Freibetragserhöhung von 500 auf 800 Euro pro Monat braucht, diese Antwort bleibt Ralf Jäger schuldig. Vermutlich war das der Preis, den Ralf Jäger zu entrichten hatte, damit es im ‚Filzland NRW‘ keinen großen Aufschrei bei den versorgten Parteigenossen gibt“, so Torsten Sommer, kommunalpolitischer Sprecher der Piratenlandtagsfraktion NRW.

Es bleibt als Fazit:

Bis diese Landesregierung reagiert vergehen Jahre, wenn sie sich überhaupt bewegt.
Wenn es denn endlich eine Lösung gibt, ist sie im besten Fall nur halbherzig. In vielen Fällen aber nur eine Pseudo-Lösung. Regelungen der Landesregierung dürfen allerdings, so hat es den Anschein, keineswegs der Transparenz dienen und die vielfältigen Verfilzungen der Versorgungsposten stören.

Die Arbeit der PIRATEN für das Land NRW ist alternativlos! Sonst bewegt sich hier nichts!

Der Beitrag werschien zuerst auf dem Blog der Piraten NRW

Torsten Sommer - Bürgerrechte muss man wählen!

Es ist ein Fehler, Pokémon-Trainer von der Brücke zu werfen.

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Seelenlose Hochglanzfeier statt Spielkultur, Flair und Spontanität: Auf einer verkehrsunwichtigen aber schönen Brücke der Königsallee, der Girardet-Brücke, spielen seit Wochen hunderte Menschen Pokémon Go. Nun sollen diese Menschen heute ein paar Ständen des NRW-Festes weichen. Beschämend für Düsseldorf. Warum? Was haben Prinz William und Pokémon gemeinsam? Düsseldorf sperrt für sie die Straßen. Doch nun werden […]

Rudolf Kaehr (1942 – 2016) – Versuch eines Nachrufs

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(geb. 20.02.1942 in Biel, Schweiz – verstorben 04.07.2016 in Glasgow, Schottland)

Dieser Beitrag ist Rudolf Kaehr gewidmet, seiner Lebensgefährtin, seiner Familie, seinen Freundinnen und Freunden, seinen Bekannten, seinen Kolleginnen und Kollegen, die ihn schätzen und lieben, und die in Trauer miteinander verbunden sind.

Am 4. Juli 2016 verstarb Dr. Rudolf Kaehr plötzlich und unerwartet in seiner Wohnung in Glasgow. Er wurde mitten aus seiner Arbeit gerissen.

Manchmal dauert es eine kleine Weile, bevor überhaupt realisiert werden kann, wer da gerade von uns gegangen ist. Der Verlust des Freundes schockt und wirkt unmittelbar, und umso schwerer wenn nicht gar unmöglich ist es, dem Menschen Rudolf Kaehr und seinem außergewöhnlichen Leben in einem Nachruf überhaupt gerecht werden zu können.


Ausschnitte (16 min) aus FREISTIL VIII oder Die Seinsmaschine –
Mitteilungen aus der Wirklichkeit – von Thomas Schmitt – TAG/TRAUM / WDR / 1991 / 44 Min.

Wir haben einen großen warmherzigen Menschen und brillianten Wissenschaftler verloren, einen herausragenden und dabei ausnahmslos dialektischen Denker des 20. und 21. Jahrhunderts.

Rudolf Kaehr studierte u.a. an der FU Berlin Psychologie, Linguistik, insb. Philosophie, mathematische Logik (in Münster bei Herbert Stachowiak) und Mathematik und promovierte bei dem Logiker, Philosophen und Grundlagenforscher der Kybernetik, Gotthard Günther (Biological Computer Laboratory, Urbana, USA), in Hamburg mit summa cum laude.

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Rudolf Kaehr und Gotthard Günther

Noch als wissenschaftlicher Hilfsassistent vertrat er 1968 den Philosophen Paul Feyerabend bei seinen Seminaren an der FU Berlin, der in London gerade mit den Beatles in einer Bar versackt war.[1]

Ab 1972 organisierte Kaehr an der FU Berlin Vorträge von Gotthard Günther, der zu dieser Zeit von den USA nach Hamburg übersiedelte, und begleitete den Philosophen zu weiteren Vorträgen an die Akademie der Wissenschaften der DDR nach Ostberlin.[2] Die Zusammenarbeit resultierte in einem Promotions-verhältnis.

Sein Doktorvater Gotthard Günther schreibt über ihn in einem Brief an Heinz von Foerster am 25.07.1978:

„Zu dem, was Mieke (Anm.: Marie, die Ehefrau Günthers) über Kaehr geschrieben hat, will ich noch einiges hinzufügen. Kaehr ist ein crackpot von astronomischen Größenmassen. (crackpot, engl.: Spinner, Verrückter, Irrer) Aber er kann etwas. Er hat die proemielle Relation, die Dir aus meiner Arbeit „Cognition and Volition“ bekannt sein sollte, genommen und auf ihrer Basis eine mehrwertige Logik mit Morphogrammen aufgebaut. Das ist im wesentlichen auf der Basis meines Buches „Idee und Grundriss einer nicht-aristotelischen Logik“ geschehen. [….] Jedenfalls ist bei Kaehr – wenn er geruht, sich mit Dir in Verbindung zu setzen, was ich nicht weiß, Neues zu finden.“

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Rudolf Kaehr und Heinz von Foerster

Damit würdigt Günther die Entwicklung wesentlicher formaler Anteile seiner Polykontexturallogik als Leistung von Rudolf Kaehr. Mehr noch, er ehrte seinen Promovenden zusätzlich, indem er Kaehrs Dissertation „Materialien zur Formalisierung der Dialektischen Logik und der Morphogrammatik 1973-1975“[3] in die 2. Auflage seines Werkes „Idee und Grundriss einer nicht-aristotelischen Logik“ als Anhang mit hinein nahm. Kaehr war es letztlich auch, der herausfand, dass es neben der von Günther entwickelten offenen Proemialrelation auch noch eine geschlossene Form geben muss.

1985 besuchte Eberhard von Goldammer Rudolf Kaehr in seiner Wohnung in der Goethestraße in Berlin. Laut Rolfs glaubhaft-humorvoller Versicherung war Eberhard „der einzige Mann, der mir jemals einen Strauß Blumen mitgebracht hat“.

Von Goldammer überzeugte Kaehr, die Leitung des Instituts für theoretische Biowissenschaften an der Universität Witten/Herdecke (1987 – 1990) zu übernehmen.

1987 bis 1993 waren wissenschaftlich und menschlich sehr fruchtbare Jahre, es entstanden lange darüber hinaus andauernde Freundschaften, Kooperationen und nicht zuletzt auch ein ganzes Bündel an innovativen Publikationen [4]. Jedoch, und das muss hier ganz unverhohlen gesagt werden, warf die ideologisch motivierte Universitätsleitung – der damalige Präsident der UWH, Konrad Schily, bemerkte Kaehr gegenüber einmal, seine Logik sei ihm, Schily, „zu kristallin“ – Rudolf Kaehr und Eberhard von Goldammer immer wieder Knüppel zwischen die Beine, was letztlich zum Ende beider Institute von Kaehr und von Goldammer und der jeweiligen Arbeitsgruppen führte, nicht jedoch zum Ende der Zusammenarbeit.

Es folgten Projekte an der Kunsthochschule für Medien in Köln zu den Themen anthropomorpher Schnittstellen und Kreativität, eine Gastprofessur für Philosophie an der Städelschule Frankfurt sowie zahlreiche Seminare und Vorträge. Ende der 90er-Jahre übersiedelte er nach Glasgow, Schottland. Mit Ausnahme einer Gastprofessur an der Universität London war er in seinem Thinkartlab als freier Grundlagenforscher tätig. In dieser Zeit entwickelte er auch die Diamond Theory, eine formal-applikative Umsetzung der Proemialrelation, die darüber hinaus auch als eine polykontexturale Erweiterung des Tetralemma-Verfahrens (Catuṣkoṭi ) verstanden werden kann.

Rudolf Kaehr war frei von jeglicher doktoraler oder professoraler Arroganz und ertrug in seinen Seminaren mit Höflichkeit und Engelsgeduld noch die allerblödeste Zwischenfrage, im Gegenteil, oft nutzte er Zwischenfragen, um sich in andere Kontexte tragen zu lassen und den gerade zu erläuternden Sachverhalt aus einem neuen Blickwinkel zu beleuchten.

Seine didaktische Virtuosität bestand u.a. auch darin, seinen Gegenüber aus seinem geistigen Zuhause – bei mir war das Mitte der 80er ein dezenter, gleichwohl noch recht unreflektierter Physikalismus – in eine andere Denkwelt zu katapultieren und ihn den Weg nach Hause allein finden zu lassen. Hatte man den Weg dann endlich gefunden, musste man feststellen, dass sich das Zuhause inzwischen verändert hatte. Diese Vorgehensweise kann auch kritisiert werden, jedoch lässt sie dem Gegenüber immer die individuelle Freiheit, sich darauf einzulassen – oder auch nicht. Diejenigen, die sich darauf einließen, erfuhren in der Kommunikation mit ihm ein zunehmendes Maß an eigener Freiheit im Denken und Handeln, an Inspiration und eigenen Möglichkeiten.

Auf meine Frage, was denn sein eigentliches wissenschaftliches Ziel sei, antwortete er mir einmal in seiner humorvoll-lakonischen Art, mit Letztfragen umzugehen: „Mein Ziel ist die Erweiterung des Nichts“. Ich habe 10 Jahre gebraucht, um zu kapieren, was er damit sagen wollte.

Anderen ging es offenbar ähnlich. So schrieb Hans-Jörg Rheinberger, damals Executive Director des Max-Planck-Institutes für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, als Kommentar zu Rudolf Kaehrs Beitrag Zur Verstörung des (H)ortes der Zerstörung [5,6]:

„Ich vermag nur zu ahnen, was sich in Rudolfs Text abspielt, worauf er hinaus will. Das war ja schon damals, vor über dreißig Jahren „Auf dem Grat“, sein vergebliches Bemühen, Leuten wie mir die mehrwertige Logik von Gotthard Günther nahezubringen. „Das Novum der Kenogrammatik gegenüber der Semiotik“, heißt es in seinem Essay, „besteht darin, dass die transzendentalen Voraussetzungen der Semiotik, d.h. die kognitiven Prozesse der Abstraktionen der Identifizierbarkeit und der Iterierbarkeit, also die Bedingungen ihrer Möglichkeit in einen innerweltlichen, d.h. konkret-operativen Zusammenhang gebracht werden.“ Dennoch meine ich, etwas hinter diesem ungeheueren Satz vermuten zu können. Identifikation und Iteration als konkret-operativer, innerweltlicher Zusammenhang? Ja! Da stellt sich ein Bild ein. So ungefähr stelle ich mir den Prozess der experimentellen Erkenntnisgewinnung vor, den material-vermittelten Forschungsvorgang. Auch er ist im Prinzip unabschließbar und hat keinen sinnvoll angebbaren singulären Ausgangspunkt. Das heißt, dass es ihn nur gibt in der ihm eigenen Rekursivität, in seiner Getriebenheit durch seine eigene Bewegung. Er läuft in sich zurück aufgrund einer konstitutiven Identitätsverfehlung, und das ist genau das, was ihn im Gang hält. Der Semiosis der Forschung kommt man weder auf klassisch erkenntnistheoretischem noch auf klassisch logischem Wege bei.“

Rekursivität und Selbstreferenz als wesentliche Themen und Beweger des eigenen Denkens, Forschens und Schreibens stellen Kaehr ebenso wie seinen Doktorvater Gotthard Günther – und Andere – außerhalb eines wissenschaftlichen Mainstreams, der lediglich auf die positivsprachlichen Aspekte unseres Denkens zurückgreift, in denen Rekursion ganz zwangsläufig immer wieder auf das simple Feedback zurückfällt.

Gleichwohl genießt Rudolf Kaehr innerhalb der wissenschaftlichen Szene höchstes Ansehen und große Wertschätzung. Der Soziologe Dirk Baecker bewundert ihn für seine Unbestechlichkeit und Präzision. Friedrich Kittler empfand Zeit seines Lebens größten Respekt für Rudolf Kaehr und seine Arbeit, obwohl Kaehr Kittlers medienphilosophischen Ansatz als „etwas zu militärisch geprägt“ kritisierte.

Dieses „Außerhalb“ ist simultan dazu auch ein „Mittendrin“ – wie etwa auf der/den Seite(n) eines Möbiusbandes für Diejenigen, die eine „eher graphische Metapher“ bevorzugen -, denn Kaehr hielt mit seiner Kritik sowohl am FuE-Mainstream als auch an der kontinentalen sowie an der analytischen Philosophie keineswegs hinter dem Berg. In seinem Aufsatz Einschreiben in Zukunft[7] sagt er:

„Dass in der positivsprachlichen Konzeption von Operativität, Strukturalität, Prozessualität usw. das exakte und operative Denken und Handeln überhaupt zu seinem konzeptionellen Abschluß ge­kommen sei, es kann dabei auf die Limitationstheoreme von Gödel-Rosser‑Church‑Markov hingewiesen werden, und dass daher das einzige non‑restriktive Medium einer Dekonstruktion der abendländischen Metaphysik die Dichtung sei, da nur sie ohne Referenz auf eine vorgegebene Präsenz sich voll­ziehe, ist ein seit Hegels Attacken gegen den Formalismus in der Philosophie ge­läufiger Topos, der nichtsdestotrotz ohne Beweis geblieben ist.“

Bringt man dies zusammen mit den einleitenden Worten zu seinen Dortmunder Betrachtungen zu Selbstreferentialität und Kalkül [8], in denen er auf eine ernste Warnung Heinz von Foersters zurückgreift:

„Heinz von Foerster hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die neuen Bewegungen des Denkens, der Übergang etwa von der Selbstorganisationstheorie zur Autopoiese, der Paradigmawechsel, den der Radikale Konstruktivismus beansprucht, eines operativen Organons bedarf, wenn sie sich nicht wieder in der Inflation des Geredes auflösen sollen.“

– dann wird deutlich, dass es Kaehr seine ganze wissenschaftliche Vita hindurch um eben jene Entwicklung eines Organons geht, das eine formale Einschreibung von Selbstreferentialität ermöglicht.

Mehr noch, er bringt die kenogrammatischen Strukturen in Bezug zu sprachtheoretischen Ansätzen, etwa der differánce von Jacques Derrida.[9]

rudolf445Und es war diese „Inflation des Geredes“, von der er Heinz von Foerster sprechen lässt, die ihn in seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten immer mehr von der zeitgenössischen philosophischen „Poetik“ abstieß. Auf meine Frage nach neueren medienphilosophischen Ansätzen, etwa dem Bernhard Stieglers, antwortete er mir am Telefon aus dem fernen Glasgow: „Jochen, ich mag das ganze Zeugs gar nicht mehr lesen.“

Gleichwohl haben wir alle es seiner ihm eigenen Ambiguität zu verdanken, dass er für den Dialog, auch den philosophischen, immer offen war, und ich verdanke ihm ganz persönlich, dass er mich zum – auch philosophischen – Schreiben ermutigt und geradezu aufgefordert hat.

Er wendet sich nunmehr formalen und technischen Aspekten zu, das von Leon Chua 1971 erstmals geforderte passive elektronische Bauelement „Memristor“, des Widerstandes, der sich „an den Strom erinnert, der zuletzt durch ihn geflossen ist“, und dessen technische Realisierung durch Hewlett-Packard inspirieren ihn zur Memristik, einer Theorie der memristiven Systeme.

Gleichwohl setzt er dem aufkommenden Hype um den neuen elektronischen Baustein eine Kritik entgegen, in der er sich gegen die in der Informatik vorherrschende Konzeption von Lernen wendet. Er weist auf zwei bislang in der Informatik übersehene Probleme hin, das der Selbstreferentialität und das sog. Lokalisierungsproblem.

Die Memristik, die formal auf der Polykontexturalitätstheorie aufbaut, steht damit auch in einem scharfen Gegensatz zu den modernen Unternehmungen einer Artificial Life Bewegung und den Bestrebungen zum Quantum Computing.

Wenn nun die Hardware anstatt der Software „lernen“ soll, so wie dies von Jianhua Yang von HP angekündigt ist, dann muss der Lernprozess, so Kaehr, seinen materialen Ort, seine eigene Raum/Zeit-Struktur haben. Dem widerspricht aber jegliches klassisch herkömmliche Konzept von „software“, das prinzipiell keinen Ort kennt.[10]

„The learning matter (or the materiality of learning) is not a bowl of porridge. The ‘materiality of learning’ has its own time/space-structure. Hence any behavioral pattern, like a logical implication, in such a system is marked by the place it takes. Any design of a ‘cognitive’ pattern in a memristive system has to be addressed by the place it takes. The structural laws are designed by the memristive matter and not by a program of a theoretical formal system from the outside.“

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v.r.n.l Rudolf Kaehr, Eberhard von Goldammer, Joachim Paul, Treffen anlässlich eines Kolloquiums am ZKM, Karlsruhe, „Was wird denken heißen?“ am 18. Juli 2010 – Foto: Oliver Bandel

Zuletzt arbeitet er an der Konstruktion zellulärer Automaten auf Basis der Morphogrammatik mit Hilfe der in Stephen Wolframs Programmpaket Mathematica enthaltenen Programmiersprache. Diese Simulationen zellulärer Automaten vermögen als Output Pixelfelder und Klangsequenzen zu produzieren, die weit über das hinausgehen, was von herkömmlichen zellulären Automaten bekannt ist. Einige der Audiopatterns erinnerten ihn an die Spielweise des Jazzpianisten Cecil Taylor.

Rudolf Kaehr lehnte Personenkulte – beispielweise die um Internet-“Gurus“ wie Jaron Lanier – strikt ab als rückwärtsgewandte und die lebendige Auseinandersetzung blockierende Kulturelemente. Es ist daher lediglich eine Frage der Fairness und der Vollständigkeit, wenn seinem Geviert der Weltmodelle an Position 4 sein Name hinter dem Günthers eingefügt wird.

„Zwischen Welt und Logik-Kalkül gibt es in der Graphematik prinzipiell nur vier Stellungen:
1. eine Welt/eine Logik (Tarski, Scholz),
2. eine Welt/viele Logiken (Grosseteste, Wilson),
3. viele Welten/eine Logik (Leibniz, Kripke) und
4. viele Welten/viele Logiken (Günther, Kaehr, Derrida).
Nach dieser Schematik regelt sich das Verhältnis von Realität(en) und Rationalität(en).“

Rudolf Kaehr bereicherte das Leben Vieler. Und ich bin dankbar, einer dieser Vielen zu sein.

Joachim Paul, Neuss, den 09. August 2016

Quellennachweise

[1] http://www.thinkartlab.com/Feyerabend/Feyerabend-Telegram.htm

[2] Kaehr, Rudolf; Computation and Metaphysics; in: ARIFMOMETR – An Archaeology of Computing in Russia; Georg Trogemann, Alexander Nitussov, Wolfgang Ernst (Eds.), Vieweg 2001 http://www.vordenker.de/rk/rk_comp_meta.htm

[3] Kaehr, Rudolf; Materialien zur Formalisierung der Dialektischen Logik und der Morphogrammatik 1973-1975; in: Günther, Gotthard; Idee und Grundriss einer nicht-Aristotelischen Logik; 2. Aufl., Hamburg 1978, Anhang mit eigener Nummerierung

[4] Goldammer, Eberhard von; Historischer Rückblick und Anmerkungen zu einem Projekt, das an einer Privat-Universität unerwünscht war …; www.vordenker.de 2007; http://www.vordenker.de/vgo/vgo_ein-ungeliebtes-forschungsprojekt.pdf

[5] Rheinberger, Hans-Jörg; Kommentar zu: „Zur Verstörung des (H)ortes der Zerstörung“ von Rudolf Kaehr; in: Kümmel, Schüttpelz (Hsg.), Signale der Störung, W. Fink-Verlag, Paderborn 2003; http://www.vordenker.de/rk/hj_rhein-kommentar.htm

[6] Kaehr, Rudolf; Zur Verstörung des (H)ortes der Zerstörung; in: Kümmel, Schüttpelz (Hsg.), Signale der Störung, W. Fink-Verlag, Paderborn 2003; http://www.vordenker.de/rk/rk_stoerung.pdf

[7] Kaehr, Rudolf; Einschreiben in Zukunft, publiziert in: ZETAH 01, Zukunft als Gegenwart, Rotation Zukunft, Berlin 1982, http://www.vordenker.de/ggphilosophy/kaehr_einschr-in-zukunft.pdf

[8] Kaehr, Rudolf; Kalküle für Selbstreferentialität oder selbstreferentielle Kalküle?; in: Forschungsberichte 288, S.16-36, FB Informatik, Universität Dortmund 1990 – http://www.vordenker.de/rk/rk_dortmund.pdf

[9] Khaled, Sandrina; Kaehr, Rudolf; Über Todesstruktur, Maschine und Kenogrammatik – Rudolf Kaehr im Gespräch mit Sandrina Khaled; Information Philosophie, 21.Jahrgang, Heft 5, Dez 1993, Lörrach;
http://www.vordenker.de/ggphilosophy/kaehr_tdstruktur_maschine_kenogr.pdf

[10] Kaehr, Rudolf; Memristics: Why memristors won’t change anything – Remarks to Todd Hoff’s “How will memristors change everything?“ Thinkartlab 2010 – http://www.vordenker.de/rk/Why-Not.pdf