Vorfeld
Seit ungefähr einem Jahr gibt es einen Schwelbrand in NRW. Ein großer Teil der aktiven Piraten ist in einen Streit um die zukünftige Strukturorganisation des Landesverbandes verwickelt. Dabei haben sich im laufe der Monate zwei etwa gleichgroße Lager gebildet. Man könnte dieses auf Kreisverband gegen Crew runterbrechen. Eine friedliche Koexistenz der beiden Organisationsformen schien lange Zeit utopisch. Beide Seiten waren damit beschäftigt die Vorzüge des jeweiligen Systems hervorzuheben und die jeweils andere Seite davon zu überzeugen. Es floss viel virtuelles Blut und beide Seiten haben Mitstreiter in diesem Kampf verloren. Dieser Streit lähmte seit der Landtagswahl im Frühjahr 2010 nahezu den gesamten Landesverband und brachte ihn zum Stillstand. Dieser Streit fraß sich so weit in die Partei hinein, dass sogar so elementar wichtige Bereiche wie die Pressearbeit zum Stillstand kamen.
Fotograf Tobias M. Eckrich
Ausgangssituation & Vertrauen
Der Landesparteitag am 23. + 24.10.2010 in Niederrheinischem Korschenbroich sollte kein programmatischer Parteitag werden sondern sich nur den Satzungs, und somit der Strukturfrage widmen. Die eingereichten Satzungsänderungsanträge (SAÄ) spiegelten unseren gespaltenen Landesverband ganz gut wieder. Das eine Lager entwarf eine “Rebootsatzung”, die das andere Lager jedoch als einen Angriff auf ihr favorisiertes Organisationssystem ansah. Auf der anderen Seite sah es jedoch nicht anders aus. Der hohe Grad an Misstrauen war jedoch nicht unbegründet. Denn schon auf den letzten Landesmitgliederversammlungen wurde mit Satzungsänderungsanträgen jeweils die andere Seite torpediert. So wurden Teilgliederungen temporär einfach verboten oder raffinierte Anträge durchgeboxt mit dem Hintergedanken diese im Anschluss durch einen “Satzungshack” zu seinem Vorteil auszunutzen.
1. Tag
Die Eröffnungsrede unserer Vorsitzenden ließ nichts gutes Vermuten. Sie nutzte das Forum, um über die persönlichen Anfeindungen zu sprechen, die ihr seit ihrer Wahl entgegen gebracht wurden. Da sie sich im Vorfeld schon fest einem dieser Lager zugehörig positionierte, wurde der ‘Lagerkampf’ zusätzlich emotionalisiert. Verübeln konnte man es ihr nicht, doch das Feuer wurde durch zusätzliches Benzin entfacht. Ob das der richtige Einstieg war, darüber lässt sich sicherlich streiten. Und gestritten wurde auch. Wie zu erwarten war, bildeten sich in der großzügigen Aula der Realschule Korschenbroich zwei, etwa gleichgroße, repräsentative Lager. Die Anträge der Gegenseite wurden teils sehr emotional kritisiert. Als dann die komplette “Reboot” Neufassung zur (geheimen)Abstimmung gestellt wurde, war eine deutliche Anspannung im Raum zu spüren. Überall hörte man, man hätte “Hoffnung”, doch die Ziele waren genau entgegengesetzt. Nachdem die Rebootsatzung zwar eine hauchdünne Mehrheit erhielt, jedoch meilenweit von der benötigten 2/3-Mehrheit zur Änderung einer Satzung entfernt war, zeichnete sich schon der Ausgang des gesamten Landesparteitages ab. Alles lief auf ein Blockieren der jeweiligen Gegenseite hinaus. Dies sollte sich auch so bewahrheiten. Spätestens jedoch als ein, von der Allgemeinheit, als ‘sinnvoll’ betrachteter SÄA abgeschmettert wurde, weil er von der ‘Gegenseite’ gestellt worden war, machte es in vielen Köpfen der Piraten vor Ort laut “KLICK” – der Reboot fand in den Köpfen statt.
Nach kurzer Beratung der Antragssteller wurden alle Satzungsänderungsanträge komplett zurückgezogen. Vielen wurde die eindeutige Pattsituation erst hier so recht bewusst. Es gibt kein Weiterkommen. Ein Verharren auf den eigenen Zielen würde zum absoluten Stillstand oder gar zur Spaltung eines Landesverbandes führen. Und so entschlossen sich die zwei Streitparteien zu einem Zusammenarbeiten. Die Versammlung wurde auf den nächsten Tag vertagt.
Trotz nicht vorhandenen Ergebnis machte sich nach diesem Tag eine wohltuende Erleichterung breit. Viele Piraten auf dem Weg nach Hause äußerten noch ihr “gutes Gefühl” via Twitter. Die allgemeine Erleichterung fand auch in die abendliche Veranstaltung. Im Stiftskeller zu Neuss saßen ehemals verfeindete Parteien wieder an einem Tisch und sprachen in gemütlicher Atmosphäre über den Tag.
2. Tag
Nachdem noch ein paar Pflichtpunkte auf des Tagesordnung schnell zum Abschluss gebracht wurden, wurde der offizielle Landesparteitag beendet. Noch vor dem Mittagessen wurde ein erstes “Sondierungsgespräch” eingeleitet. Dabei haben wir bewusst alle Inhaltlichen Diskussionen schon im Vorfeld im Keim erstickt. Die Frage, die es zu beantworten galt, war: Wie gehen wir miteinander um und wie verhindern wir zukünftig solche festgefahrenen Situationen.
Gestärkt durch ein gutes Essen, welches wieder von der hervorragend organisierten “AG Schnittchen” präsentiert wurde, sollte es nun weitergehen. Es bildete sich ein ca 50 Piraten großer Stuhlkreis. Zum Einstieg sollte jeder Teilnehmer sich kurz Vorstellen und über die Beweggründe sprechen, die ihn zu den Piraten gebracht haben. Obwohl es erst etwas nach “anonymer Selbsthilfegruppe” aussah, half es zu verstehen, wieso der ein oder andere eine bestimmte Organisationsform bevorzugte. Im Anschluss wurden 3 Moderatoren gewählt, die diese landesweite “Arbeitsgruppe” begleiten sollen. Noch am selben Tag wurden ein paar kleine Aufgaben in kleinen Arbeitsgruppen erledigt und ein Termin für ein kommendes Arbeitstreffen festgelegt. Zukünftig sollen in möglichst engen Zeiträumen weitere Arbeitstreffen, an unterschiedlichen Orten, quer durch NRW stattfinden. Piraten in Großstädten aber auch auf dem Land sollen die Möglichkeit bekommen, sich in die Strukturfrage einzubringen.
Was nach wenig klingt, war für mich persönlich etwas ganz großes. Seit über einem Jahr habe ich Piraten noch nie so konstruktiv und fair miteinander arbeiten gesehen. Nicht nur bei mir führte dies zu einem merklichen Motivationsschub.
Das Ziel
Das Ziel ist klar. Wir wollen eine Satzung, in der eine friedliche Koexistenz beider Modelle möglich ist, ohne dabei die eine oder andere Seite zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Die Piraten vor Ort sollen in Zukunft die Freiheit haben, selbst entscheiden zu dürfen, wie sich sich organisieren möchten. Sollte es uns gelingen weiter so konstruktiv und fair zusammenzuarbeiten und dieses Ziel in eine Satzung zu gießen, würde diese bei dem nächsten Landesparteitag in NRW die erforderliche 2/3 Mehrheit bekommen.
Die Außenwahrnehmung
NRW als das Bundesland mit der höchsten Einwohnerzahl war schon immer ein richtungweisendes Element in der politischen Landschaft der Bundesrepublik. Auch die Piraten in den anderen Bundesländern verfolgen interessiert was bei uns passiert. Dies habe ich schon beim diesjährigen SommerNordPiratenCamp (#SoNoPiCa ) in Niedersachsen feststellen müssen. Auch die Jungs vom Piratenradio, die oft in der gesamten Republik unterwegs sind, bestätigten es mir erneut. Wir in NRW haben jetzt nicht nur die Möglichkeit wieder gemeinsam unsere Ziele zu verfolgen, sondern auch richtungweisend für andere Landesverbände zu sein.