Zahltag auf der Republica 2015 – ein Rant aus aktuellem Anlass

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sandkasten300Anmerkung des Verfassers: Dieser Rant wurde mit allem gebotenen Respekt gegenüber den darin erwähnten Personen und der größtmöglichen Sorgfalt angefertigt. Dennoch kann er Spuren von Polemik enthalten. Aber es geht hier nicht um Argumente ad hominem sondern um Argumente ad rem. Da diese aber politische Positionierungen von Personen betreffen, die möglicherweise Ausdruck einer in der Persönlichkeit liegenden gewissen ethischen Flexibilität liegen, kann das schon mal als ‘ad hominem’ zurückschlagen. Dem Verfasser tut das unendlich leid, er beruft sich jedoch auf das Recht auf freie öffentliche Meinungsäußerung. Rheinisch: Wat mutt, dat mutt!

‘Die Netzgemeinde ist am Ende. Jetzt geht’s los’ lautete der Titel des diesjährigen Beitrags von Markus Beckedahl und Leonhard Dobusch auf der Republica 2015. Von entsprechenden Erwartungen geweckt entschied ich mich, diesen auf 60 Min angesetzten Talk zu besuchen. Suggerierte der Titel doch eine gewisse ‘digtale Spannung’ zwischen den Polen ‘Ende’ und ‘los geht’s’.

So versuchten die beiden Referenten so etwas wie eine Aufbruchstimmung zu vermitteln. Es blieb beim Versuch.

Im Rahmen eines Résumés der netzpolitischen letzten beiden Jahre gab es ein recht dezent vorgetragenes Bashing der als gescheitert erklärten Piratenpartei mit Verweis auf Liquid Feedback. Inklusive Querverweis auf die lobotomisierte Bekassine vom letzten Jahr.

Zugegeben, ich habe mich darüber geärgert. Nicht darüber, dass die Piraten wieder einmal – das wievielte Mal eigentlich, das fällt langsam auf – für tot erklärt wurden, daran habe ich mich inzwischen gewöhnt.

Nein, es wurde immer noch nicht begriffen, dass bislang weltweit keinerlei Strategie oder Vorgehensweise abseits facebook’scher Timelinemanipulationen und sonstiger hierarchischer Prozederes zum Umgang mit der Dynamik großer öffentlicher Online-Gruppen existiert. Vielleicht wird ja ohne nachzudenken vorausgesetzt, dass das ein ‘mal eben’ binnen Jahres- oder Zweijahresfrist lösbares Problem sei, bei dem die Piraten einfach nur kläglich versagt haben.

Offensichtlich hat die Netzgemeinde das menschheitshistorische Problem noch nicht mal als ein solches erkannt. Ebenso wie die Tatsache, dass Netzpolitik weitaus mehr sein sollte, ja sein muss, als für Breitband und Netzneutralität und gegen Vorratsdatenspeicherung zu kämpfen und zuhauf gleichlautende Problembriefe an lokale Politiker in den Wahlkreisen zu schreiben.

Stattdessen fordert man das Publikum auf, die SPD doch mal ein bisschen zu loben, denn da würde ja Netzneutralität bis hinunter in die Ortsverbände diskutiert. Betonung auf ‘hinunter’, denn die Hierarchie klassischer Parteiebenen ist in dieser Netzgemeinde offenbar längst akzeptiert.

Man kann nur spekulieren, wo die beiden Referenten das her haben, von einem flächendeckenden Phänomen in Deutschland kann da jedenfalls keine Rede sein.

Die im Rahmen einer Regierungserklärung von Hannelore Kraft im Januar vorgestellte digitale NRW-Agenda ‘Megabits, Megaherz, Megastark‘ spricht da eine ganz andere Sprache, gepaart aus neoliberaler Marktgläubigkeit und schreiender Inkompetenz. Auffällig viele Journalisten in NRW rollten mit den Augen. Aber das müssen Beckedahl und Dobusch nicht wirklich wissen, man lebt ja in der Hauptstadt.

Vielleicht liegt das an der Berliner Luft, die mag schon mal den Blick so verengen, dass man über Regierungserklärungen in großen Bundesländern einfach hinwegsehen kann. Ähnliches lässt sich ja zuweilen auch in anderen Zusammenhängen, Parteien und NGOs beobachten.

Oh wait! Da war doch noch was.

Unlängst kritisierte Beckedahl den U-Turn vom Ex-Piraten Christopher Lauer in Sachen Leistungsschutzrecht auf netzpolitik.org. Der hatte sich ja von der Partei abgesetzt, firmiert jetzt als Springer-Berater und publiziert getreu dem Motto „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“.

Habe ich wirklich nur allein den Eindruck, oder passt es irgendwie gar nicht, dass Beckedahl einerseits Lauer kritisiert und andererseits jetzt zum moderaten Beifall für die Leistungsschutzbefürworter von der SPD aufruft?

Eine subtilere Form der Kehrtwendung? Eine Strategie der Anbiederung der NGO an den kleineren Koalitionspartner im Bund? Ein Versuch, ob das geht? Oder nur netzpolitisches Sandkastenspiel mit irgendwelchen Schäufelchen und Förmchen?

Also, subtiler zu sein als Lauer ist jetzt nicht soo schwer.

Allerdings weiß ich nicht, was mir lieber ist.

Eine klare Kehrtwendung, so wie bei Lauer, aus was für €-Gründen auch immer. Braucht man ja – wie ich – nicht gut finden. Oder Anbiederung, um vielleicht in Zukunft an die € zu kommen.

Mein persönliches Fazit: Schwammig. Sehr schwammig.

Sooo geht es nicht, Freunde.

Dabei wurde – eher in der Form von einzelnen Blitzlichtern und leider nicht in Dauererhellung – auf dem Kongress ja doch Progressives, Weitblickendes und Revolutionäres geboten. Von außerhalb, von Fachleuten, die eher nicht zur hiesigen Netzgemeinde zu rechnen sind und die in Teilen auf der in die Republica integrierten Media Convention auftraten. Die 10 Min zur ethischen Lage von Harald Welzer eingangs der Podiumsdiskussion ‘Die Vermessung der Medienwelt’ mit Brigitte Zypries, Björn Böhning, Christoph Keese und Jo Schück waren ein echtes Highlight voll von im Grunde revolutionärem Sprengstoff. Auch die Beiträge von Bernhard Pörksen und Gunther Dueck und der Talk der mit ganz nachdenklichen und leisen aber dafür umso eindringlicheren Tönen daherkommenden Ingrid Brodnig ‘Die kaputte politische Debatte, Internet als Problem und Lösung’ sowie die regelrecht krachenden Beiträge von Aral Balkan ‘Beyond the Camera Panopticon’ und die Keynote von Cory Doctorow, ursprünglich betitelt mit ‘The NSA is not the Stasi’, machten die Republica 2015 dennoch zu einer bereichernden Erfahrung für mich. Danke.

Direkt und in seltener Klarheit stellte Doctorow in seiner Keynote den wirklichen politischen Bezug her, der in folgendem Statement gipfelte – zitiert aus der Erinnerung:

„Kryptografie ist nicht der wirkliche Kampf. Die wirklichen Kämpfe gehen um den Klimawandel, die Ressourcenverknappung, die weltweit stark zunehmenden Flüchtlingsströme, Rassismus, Diskriminierung, die Vermögensverteilung und die Finanzkrisen. Aber alle diese Kämpfe werden verloren gehen ohne ein freies Internet.“

Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen. Danke, Cory.

Bis bald, Nick H.

ps: Die erwähnten Beiträge werden um Links zu den Videos ergänzt, sobald diese vorliegen.

Neue Podcasts

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Hallo liebe Blogleser_innen,

ich will Euch auf neue Podcasts von mir hinweisen. Ich werde zukünftig zu wichtigen Themen Podcasts erstellen, damit Ihr einen schnellen Überblick über meine Arbeit erhaltet.

Über Störerhaftung und deren geplante Änderungen:

BND-Affäre und unsere Reaktion:

“Operation Last Chance”: Die letzten lebenden NS-Täter zur Verantwortung ziehen

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Jew_Killings_in_Ivangorod_(1942)Der deutschen Ostfront im zweiten Weltkrieg folgte eine etwa 3000 Mann starke Tötungsbrigade, die sogenannten Einsatzgruppen. Sie wurden aus Polizisten, SD, Gestapo und Waffen-SS zusammengesetzt. Aufgeteilt in vier Gruppen bezeichnet mit A, B, C und D waren sie seit Juni 1941 in Osteuropa im Einsatz. Sie sollte in den eroberten Gebieten Führungspersonal, Beamte, Intellektuelle, Kranke und Behinderte, mutmaßliche Partisanen, vor allen Dingen aber: Juden töten.

Man umstellte die Opfer – Männer, Frauen und Kinder – und brachte sie außerhalb der Ortschaften. Dort wurden die Menschen erschossen und in Panzergräben, Steinbrüchen, Kiesgruben oder Schluchten verscharrt. Mindestens eine Millionen Mal legten diese Einsatzgruppen das Gewehr an und erschossen einen Menschen. Das Unterkommando 4a der Einsatzgruppe C etwa tötete allein am 29. und 30. September 1941 in Zusammenarbeit mit Wehrmacht und Polizei in Kiew 33.771 Juden und verscharrten sie in der Schlucht von Babyn Jar. Später kamen mobile Gaswagen zum Einsatz, damit die Massentötungen die Einheiten nicht zu sehr seelisch belasten. Darin wurden die Opfer mit den Motorabgasen ermordet.

In den NS-Archiven liegen insgesamt 195 sog. Ereignismeldungen vor, insgesamt mehr als 4000 Seiten Papier. In ihnen ist, mit Datum, Ort und konkreten Umständen, der Mord an mindestens 535.000 Menschen dokumentiert.

Im sogenannten Einsatzgruppenprozess 1947 und 48 sollten diese Taten verfolgt werden. Insgesamt 24 Kommandeure standen vor Gericht – weil der Gerichtssaal über 24 Sitze für Angeklagte verfügte. Die meisten anderen Mitglieder der Einsatzgruppen blieben trotz der klaren Quellenlage unbehelligt. Das gleiche gilt für zahlreiche Täter in Konzentrationslagern, die sich später auf Befehlsnotstand beriefen.

Tradition des Wegschauens

386px-Oradour-sur-Glane_F-2Leider hat unser Land eine lange Tradition, solche Täter weder gerichtlich zu belangen, noch sie dorthin auszuliefern, wo ihnen der Prozess gemacht wurde. Auch innerhalb NRWs gibt es unrühmliche Beispiele wie den SS-General Heinz Lammerding, der die 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ gegen Partisanen kommandierte. Er wurde wegen des Massakers von Ordadour in Frankreich zum Tode verurteilt. Unbesorgt vor einer möglichen Auslieferung oder Verurteilung im Inland war Lammerding nach dem Krieg als Bauunternehmer im Düsseldorfer Norden tätig, und genoss anschließend seinen Lebensabend am Tegernsee.

2013 startete das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Deutschland die Kampagne „Operation Last Chance“, mit deren Hilfe die letzten noch lebenden Kriegsverbrecher in Deutschland aufgespürt werden sollen. Zunächst wurden in Berlin, Hamburg und Köln insgesamt 2.000 Plakate mit dem Motto „Spät, aber nicht zu spät!“ aufgehängt. Auf den schwarz-roten Plakaten war das Tor zum KZ Auschwitz abgebildet.

Am 1. Oktober 2014 übergab das Simon-Wiesenthal-Zentrum dem Bundes­innen­ministerium eine Liste mit den Namen von achtzig möglicherweise noch lebenden Mitgliedern der Einsatzgruppen. Der Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, wies darauf hin, dass es sich bei den auf der Liste aufgeführten Personen um die jüngsten Mitglieder der mobilen Einsatzgruppen handele, die zwischen 1920 und 1924 geboren wurden. Aufgrund dessen gehe man davon aus, dass einige davon möglicherweise noch am Leben und gesund genug seien, um angeklagt zu werden.

Liste liegt dem Bundesinnenministerium vor

Die Bundesregierung hat die Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg übermittelt. Aufgabe der Zentralen Stelle in Ludwigsburg ist es, das gesamte erreichbare ermittlungsrelevante Material über nationalsozialistische Verbrechen weltweit zu sammeln, zu sichten und auszuwerten. Hauptziel ist es dabei, nach Ort, Zeit und Täterkreis begrenzte Tatkomplexe herauszuarbeiten, um noch lebende und verfolgbare Beschuldigte festzustellen. Ist dies so weit wie möglich gelungen, schließt die Zentrale Stelle – die keine Anklagebehörde ist – ihre Vorermittlungen ab und leitet den Vorgang der zuständigen Staatsanwaltschaft zu.

Seit 1961 ist im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund die „Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen“ eingerichtet worden. Falls es zu Anklagen kommen sollte, findet der Prozess vor dem örtlich zuständigen Gericht statt.

Keine Maßnahmen der Regierung NRW

Der Justizminister des Landes NRW bekräftigte zwar auf meine Kleine Anfrage 2754 mit Schreiben vom 31. Oktober 2014, dass die Verfolgung nationalsozialistischer Massenverbrechen der Landesregierung ein zentrales Anliegen sei, antwortete aber auch, dem Justizministerium des Landes sowie der “Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen” läge die Liste gegenwärtig nicht vor. Aktive Maßnahmen seitens der Strafverfolgungsbehörden des Landes, diese Liste zu erlangen nannte der Minister nicht.

Das ist mir deutlich zu wenig. Ich erwarte, dass sich die Justizbehörden des Landes NRW sich mit allen dafür in Frage kommenden Stellen im In- und Ausland in Verbindung setzen, diese Liste besorgen und sie auswerten. Die Landesregierung sollte sich dafür verantwortlich fühlen, die dazu notwendigen Daten zu beschaffen und weiterzuleiten. Daher habe ich einen entsprechenden Antrag geschrieben.

Da sich dieses Thema allerdings nicht für parteipolitische Spielchen eignet, habe ich mich um einen gemeinsamen Beschlusstext aller Fraktionen bemüht. Ich freue mich, dass sich alle Fraktionen diesem Antrag anschließen konnten, und wir im Parlament damit ein gemeinsames, starkes Zeichen setzen konnten, gerade auch angesichts wiederaufflackernder antisemitischer Taten in Deutschland und Europa.

Gemeinsamen Antrag im Parlament erreicht

Die Holschuld des Justizministeriums aus meinem ursprünglichen Antrag wurde leider in der späteren Beratung zu einer Bringschuld aller anderen Stellen abgeschwächt – das finde ich sehr schade. Ich erwarte, dass das Justizministerium sich auch ohne eine expliziten Beschluss dafür verantwortlich fühlt, alle relevanten Informationen zur Verfolgung der letzten lebenden NS-Täter aktiv beim Bundesinnenministerium, bei den Bundesjustizbehörden und beim Simon-Wiesenthal-Center abzuholen. Der vereinbarten Berichterstattung durch die Landesregierung bis zum Ende des Jahres sehen wir gespannt entgegen.

antifapiratenIn einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung sagen 81 Prozent der Deutschen, dass sie die Geschichte der Judenverfolgung gerne „hinter sich lassen“ würden. Und 58 Prozent der Befragten wollen einen regelrechten Schlussstrich unter dieses Kapitel der deutschen Geschichte ziehen.

Doch einen Schlussstrich unter diese Verbrechen darf es niemals geben! Die Mahnung an diese Verbrechen ist wichtig und muss weitergelten! Wer Geschichte vergisst, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen!


Dieser Artikel erschien zunächst bei den Ruhrbaronen und bei HaGalil.

Wir sind gegen Fracking

Veröffentlicht am von unter Hanns-Jörg Rohwedder, Persönliche Blogposts.

Wir waren schon immer, sind es aktuell und werden es immer sein:

Wir sind gegen Fracking!

In einem Zeitungsartikel wurde am 24.04.2015 behauptet, dass „alle Landtagsfraktionen Fracking nicht ausschließen“. Das stimmt so nicht!

Wir halten an unserer Forderung nach einem Komplettverbot für Fracking nach fossilen Brennstoffen fest. Der Versuch, aus den Ergebnissen der Enquete-Kommission abzuleiten, Fracking sei jetzt eine Option, ist eine gezielte Fehlinterpretation wider besseres Wissen – geschehen von Menschen, die platt und stumpf ihre kurzsichtige Agenda verfolgen.

Die Kommission hatte Fracking ausdrücklich ausgeklammert. Einstimmig wurde gesagt, dass man sich des Themas Fracking, mit Blick auf dessen Tragweite und Auswirkungen, ein anderes Mal intensiv annehmen muss und dort eine inhaltliche Bewertung vornehmen werde. Von dieser einstimmig getroffenen Aussage aber abzuleiten, dass wir für Fracking seien, entbehrt jeglicher Grundlage.

Hanns-Jörg Rohwedder
Umweltpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Landtag NRW

 

Mehr zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Zukunft der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf nachhaltige Rohstoffbasen, Produkte und Produktionsverfahren“

 

BND-Spionageskandal: Auch Unternehmen bei und aus Köln betroffen!

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In Anlehnung an die heute abgehaltene aktuelle Stunde, habe ich eine Pressemitteilung verfasst, die ich den Pressevertretern, in Köln und Umgebung, zukommen lasse.

BND-Spionageskandal – Auch Unternehmen aus und bei Köln betroffen – Daniel Schwerd erstattet Anzeige.

Daniel Schwerd, Kölner Landtagsabgeordneter der Piratenpartei erstattete heute Strafanzeige [1] gegen führende Beamte im Kanzleramt und beim Bundesnachrichtendienst (BND).
Der BND soll nach neuesten Erkenntnissen des NSA-Untersuchungsausschusses, bereits 2008 eng mit dem US-Geheimdienst NSA zusammengearbeitet und zur Ausspähung von Tausenden deutschen Unternehmen und Bürgern beigetragen haben.

Der Untersuchungsausschuss wurde darüber informiert, dass über 40.000 Suchparameter angelegt worden sind, so genannte Selektoren. Damit wurden gezielt Daten deutscher und europäischer Unternehmen an Internet-Knotenpunkten abgegriffen und Spionage betrieben. Über die Zahl der durchgeführten Operationen schweigen sich die Verantwortlichen bisher aus. Experten gehen davon aus, dass diese Zahl um ein Vielfaches höher ist.
Daniel Schwerd prangerte die Untätigkeit der Landes- und Bundesregierung in der heutigen aktuellen Stunde des Landtages an. “Es wurde bekannt, dass zwei Kommunikationsunternehmen in der Nähe von Köln vom britischen Nachrichtendienst ausgehorcht wurden. Wir waren bei einem der betroffenen Unternehmen vor Ort und haben hier im Landtag diverse Anträge gestellt, die samt und sonders abgelehnt wurden. Das Kölner Unternehmen DE-CIX wurde ebenfalls abgehört, und hat seinerseits Strafanzeige erstattet.

Eine Taktik der Nachrichtendienste ist es, gezielt Arbeitnehmer dieser Firmen auszuspionieren, um mit den gewonnenen Informationen in die Firmennetzwerke einzudringen. Es sind also Menschen in Nordrhein-Westfalen ganz persönlich betroffen.
Die verantwortlichen Politiker aus dem zuständigen Bundeskanzleramt sowie die Führungsspitze des Bundesnachrichtendienstes müssen nach §99 Strafgesetzbuch (Geheimdienstliche Agententätigkeit) zur Rechenschaft gezogen werden,” so Daniel Schwerd.

[1] Text der Strafanzeige: http://www.piratenfraktion-nrw.de/2015/04/bnd/

Noam Chomsky über demokratische Debatten – ein smart guy über eine smarte Strategie, oder: Was hat der Mann mit Netzpolitik zu tun?

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Noam Chomsky – Toronto 2011 – wikimedia

Noam Chomsky ist ohne Zweifel einer der bekanntesten Sprachwissenschaftler der Gegenwart. Zudem gilt er als profunder Kritiker nicht nur der US-amerikanischen Politik. Seine Stimme wird gehört.

Besonders spannend wird es für mich immer dann, wenn der Linguist und Erfinder der “Chomsky-Grammatik” sich zu den Beziehungen von Sprache und Macht, von Macht und Kommunikation und zum Design von kommunikativen Settings äußert. So auch hier. Im Folgenden eins seiner großartigen Zitate, in dem er einen Zusammenhang in nur zwei Sätzen darstellt und erläutert.

“The smart way to keep people passive and obedient is to strictly limit the spectrum of acceptable opinion, but allow very lively debate within that spectrum – even encourage the more critical and dissident views. That gives people the sense that there’s free thinking going on, while all the time the presuppositions of the system are being reinforced by the limits put on the range of the debate.”

“Der intelligente Weg, Leute passiv und fügsam zu halten, besteht darin, die Breite der akzeptablen Überzeugungen strikt zu begrenzen, jedoch innerhalb dieser Grenzen eine sehr lebhafte Debatte zu erlauben – gerade zu kritischen und anders denkenden Sichtweisen zu ermuntern. Das gibt den Leuten die Wahrnehmung, dass freies Denken möglich ist, während die ganze Zeit die Vorannahmen des Systems bestärkt werden durch die Grenzen, die der Debatte gesetzt werden.” (Übers.: JP)

Oder mal anders gewendet: Die Macht besteht nicht darin, die Diskurshoheit zu erlangen, sondern darin, die Breite des Diskurses von vornherein festzulegen.

Daher ist es für Machtinteressierte auch so wichtig, zu versuchen, Kontrolle  und Überwachung über die Kommunikationskanäle im Internet zu erlangen. Du hast dann die Macht, wenn du die Bandbreite bestimmen kannst. (Nein, diese Bandbreite wird nicht in MBit/s gemessen …. )

Es wäre nun an der Zeit, dass die netzpolitische Debatte in Deutschland ihre eigene Bandbreite mal offensiv zum Thema nimmt.

So long, Nick H.

Familienpolitik 2.0

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Der Landtag NRW hat am 05. Dezember 2014 die Enquetekommission „Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen” eingesetzt. Von meiner Fraktion wurde ich als Vertreter entsandt.

Am Montag, den 20.04.2015 haben wir das Arbeitsprogramm verabschiedet.

Was ist für uns wichtig?

Die Enquetekommission wird sich intensiv mit den Lebenslagen und Rahmenbedingungen von Familie auseinandersetzen. Uns PIRATEN ist dabei wichtig, solche Familien nicht zu vernachlässigen, welche sich in schwierigen Lebenslagen befinden oder von Armut bedroht sind.

Die zukünftige Familienpolitik sollte sich stärker an dem Ziel ausrichten, Armutsrisiken von Familien zu vermeiden, die ganze Familie und nicht die Ehe als spezielle Familienform zu fördern, sowie die Gleichstellung von Männern und Frauen zu unterstützen.

Dazu muss das bestehende System der monetären Unterstützung von Ehe und Familie dringend reformiert werden.

Möglichkeiten der Enquetekommission aus unserer Sicht:

Vielfalt von Familienformen anerkennen

Familien finden selbst individuelle Formen des Zusammenlebens. Familien sind überall, wo jüngere und ältere Menschen füreinander Sorge tragen und Verantwortung übernehmen.

Familien entlasten

Zeit ist nicht die einzige Ressource, welche in Familien fehlt. In Familien mit geringen Einkommen sind Kinder ein Armutsrisiko, noch stärker für Alleinerziehende ebenso wie für pflegende Angehörige. Wünschenswert sind ein kostenfreier Zugang zur Bildung von Kindesbeinen an, eine bedingungslose Grundsicherung für Erwachsene und für Kinder; dies schließt eine angemessene finanzielle Unterstützung für pflegende Angehörige mit ein.

Politische Handlungsmöglichkeiten aufzeigen

Die Enquetekommission „Zukunft der Familienpolitik in NRW“ wird Empfehlungen erarbeiten.
Die politischen Rahmenbedingungen von Familie sind in ganz Deutschland einem überholten Rollen-bild unterworfen. Daher bedarf das System der Finanzierung von Familien einiger Anpassungen. Wie diese Anpassungen den Familien gerecht werden können, erarbeiten wir in der Enquetekommission.

Fragestellungen, auf die wir verstärkt hinarbeiten möchten und die die Enquetekommission klären soll:

– Welche Hilfestellungen muss das Land NRW für Familien in Armut, Ein-Eltern-Familien oder für Pflegebedürftige in Familien zur Verfügung stellen?

– Gibt es Möglichkeiten, Familien finanziell zu entlasten? Welche Reformen der familienpoliti-schen Leistungen sind dafür nötig?

– Wie würde sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf Familien auswirken?

– Welche Auswirkungen hat eine Kindergrundsicherung auf die Bildungskarriere?

– Welche weiteren Schritte sind notwendig, um eine Veränderung der geschlechtsstereotypen Beteiligung an Erziehungsaufgaben und Haushaltsführung zu erwirken? Kann Politik dafür Freiräume schaffen?

– Mit welchen Maßnahmen lassen sich die Bedingungen für Flüchtlingsfamilien gerade auch in den Erstaufnahmestellen verbessern?

– Welche Anreizsysteme können in NRW geschaffen werden, um die unterschiedlichsten Arbeitgeber zu bewegen, ihre Personalpolitik familienfreundlicher zu gestalten?

Die Sitzungen der Enquetekommission werden grundsätzlich nichtöffentlich sein. Auf mein Bestreben hin haben wir vereinbart, etwa zwei bis vier Sitzungen im Jahr öffentlich stattfinden zu lassen. Nach meiner Auffassung werden das überwiegend Sachverständigenanhörungen und Expertengespräche sein.

Die Sache mit der Souveränität ….

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Dieser Beitrag war zuerst als Gastbeitrag bei peira.org veröffentlicht.

Herrje, schon wieder so was Abgehobenes! Wird’s jetzt womöglich wieder philosophisch? Kannst du, könnt ihr Piraten euch nicht mal zu konkreten politischen Problemen äußern? Solchen, die die Menschen auch berühren?

Ganz genau. Es verhält sich nur so, dass Kompliziertheit da nicht immer herauszuhalten ist. Das Universum ist halt keine einfache Angelegenheit. Und Politik schon gar nicht. Vor allem dann nicht, wenn die Kompliziertheit von Sachverhalten geradezu dazu benutzt wird, den Großteil der Bevölkerung hinter die sprichwörtliche Fichte zu führen.

Joseph Vogl kann das nicht nachgesagt werden, er ist eher im Dienste der Aufklärung unterwegs, und zwar genau dann, wenn’s kompliziert wird. Ende Februar 2015 erschien ein neues Werk des Literatur-, Kultur-, Medienwissenschaftlers und Philosophen, der aktuell an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt: „Der Souveränitätseffekt“. Hinter dem zunächst unspektakulär erscheinenden Titel verbirgt sich aber so etwas wie die Fortsetzung seines 2010 erschienenen und vielbeachteten Buchs „Das Gespenst des Kapitals“. Schon der Klappentext des neuen Buches verrät eine zentrale Schlussfolgerung:

„Souverän ist, wer eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln vermag und sich als Gläubiger letzter Instanz platziert.“

Wem jetzt die aktuelle Beziehung zwischen Deutschland und der EU-Administration auf der einen und der jungen griechischen Regierung Tsipras auf der anderen Seite einfällt, der liegt nicht so ganz falsch. Es geht nämlich um Finanzkapitalismus, genauer, um die Geschichte der Beziehung und der Verflechtungen von Politik und Wirtschaft. Von den Fuggern bis zur EZB. Dabei lässt Vogl den historischen Blick walten, er schreibt gewissermaßen eine Kulturgeschichte der Finanzmärkte und Banken als der eigentlichen Mächte, die jenseits der politischen Entscheidungsfindung Wege gefunden haben und immer noch finden, politisches Handeln nach ihren Interessen auszugestalten und zu formen – ohne demokratische Kontrolle.

„Gerade seine kulturwissenschaftliche Kompetenz“, so Birger Priddat im Berliner Tagesspiegel, öffne „den Blick auf das Jenseits rein funktionalistischer Behauptungen.“ Bei ihm (Vogl) kämen „zwei Qualitäten zur Geltung, die die Ökonomie nur noch selten aufbietet: historische Methode und Kontextsensibilität.“ „Der Souveränitätseffekt“ …. zeige, „wie sich Ökonomie und Politik zu einem oligarchischen System entfalten konnten, das zwar demokratische Systeme formal nutzt, aber letztlich die Märkte die entscheidenden Konstellationen generieren lässt, auf die Politik nur noch antworten kann.“ Vogl beschreibt das Entstehen einer neuen Form der Souveränität, die sich als „parademokratische Ausnahme positioniert“ und durch „Schulden und Schuldigkeit … soziale und politische Ordnungen an finanzökonomische Risikolagen“ anpasst.[Vogl]

In den Feuilletons der großen Printmedien lässt sich eine interessante Beobachtung machen. Auf der einen Seite, im schon erwähnten Tagesspiegel, in der Frankfurter Rundschau sowie im SWR-Radio folgen die Autoren den Analysen Vogls weitestgehend bestätigend. In der Süddeutschen vom 10.03.15 feiert Jens Bisky den Wissenschaftler geradezu ab.

Auf der anderen Seite stehen hier vornehmlich drei Zeitungen. In der FAZ wirft Werner Plumpe Vogl vor, das Pferd von hinten aufzuzäumen. „Die Lage“ sei „keineswegs ausweglos“ und es käme „vielmehr darauf an, politischer Vernunft das Wort zu reden.“ Also Unvernunft bei Vogl?

Vogl liefere dem konkreten staatlichen Handeln sogar noch die Argumente, hinter denen es sich verstecken könne, lautet der Vorwurf. Denn gerade von dort aus der Politik kämen immer lautere Forderungen nach einem Ende der vermeintlichen Austeritätspolitik, also nach einem Weiterdrehen an der Schuldenschraube, das ja erst die Lage geschaffen habe, in der die Weltwirtschaft sich derzeit befinde.

Der Ausdruck „vermeintliche Austeritätspolitik“ wirkt hier nicht nur zynisch, er ist auch eine journalistische Klitterung ersten Grades.

Und in DIE ZEIT Nr. 10/2015 fährt Alexander Cammann ganz schweres Geschütz gegen den Wissenschaftler auf. Die „gefährliche Brisanz“ dieses Buches ergebe sich dadurch, dass „Vogls Engführung von Finanzmacht, Politik und Souveränität“ … „in der Konsequenz auf nichts anderes als die Delegitimierung der Neuzeit hinaus“ laufe. „Denn wenn Vogl recht hätte“, so Cammann, „dann hätten die modernen westlichen Gesellschaften zwischen 1600 und 1700 einen zunächst kaum sichtbaren Irrweg eingeschlagen, der heute in der totalitären Macht der Finanzökonomie kulminierte.“

Ja und? Was will der Rezensent? Historisch geleitete Betrachtungen von möglicherweise tieferen Zusammenhängen unterbinden? Ohne dem Kritiker des Buches Böses zu wollen, aber das grenzt schon an ein Denkverbot.

In DIE WELT vom 07.03.15 schießt Alan Posener entgültig „den Vogl“ ab, bzw. versucht es zumindest. „Ausgerechnet ein Literaturwissenschaftler“ … der „behauptet, dass er den Schuldendurchblick hat“, doziere über Finanzmärkte. Das ist schon von den Formulierungen her starker Tobak und klingt nach „Schuster, bleib bei deinen Leisten“. Du sollst dich nicht kümmern, du sollst dort nicht denken, andere können das besser. Überlasse das uns.

„Nicht nur Banker und Wirtschaftslobbyisten haben sich Einfluss auf die Politik verschafft“, führt Posener an, „sondern auch Gewerkschaften, Sozialverbände und NGOs aller Art. Deren Einfluss“ schränke „die Souveränität moderner Staaten mindestens ebenso ein wie das Finanzkapital.“ Haha. Na dann. Er sollte mal nur die Kontenstände vergleichen.

DIE ZEIT, die FAZ und DIE WELT erklären sich hier durch ihre Rezensionen zu Verteidigern der neoliberalen Theologie der Märkte. Diese lebt davon, dass der Großteil der Bevölkerungen unserer demokratischen Nationen nicht wirklich nachvollziehen kann, was im Interferenzfeld von Politik und Ökonomie so alles getrieben wird. Die Rezensenten nehmen, koste es, was es wolle, eine Verteidigungshaltung für den schönen Schein ein. Das Bild des Staates, in dem es weitgehend demokratisch zugehe, soll um jeden Preis aufrecht erhalten werden, auch um den Preis rhetorischer Unflätigkeiten einem renommierten und vor allem unabhängigen Denker gegenüber.

Du kannst es nicht Vogl, also lass es doch.

Schon Henry Ford, der Begründer der Ford Motor Company, wusste:

„Eigentlich ist es gut, dass die Menschen der Nation unser Banken- und Geldsystem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.”

Ein hübscher Seiteneffekt, die Kritiker der drei großen Blätter werfen Vogl auch noch irgendwie Einseitigkeit vor, jedoch an verschiedenen thematischen Stellen! Somit löst sich in der Gesamtschau der Kritiken der vielfältige Vorwurf der Einseitigkeit sogleich in ein Logikwölkchen auf.

Vogl hat ins Schwarze getroffen. Als Literaturwissenschaftler. Die Reaktionen in den drei genannten Blättern zeugen von dem Wirkungstreffer, es sind die Reaktionen Angeschossener. Gut so.

Da ließen sich noch weitere Treffer draufsetzen. Z.B. die des Naturwissenschaftlers, der den 2. Hauptsatz der Thermodynamik kennt und mit Staunen bemerkt, dass in den neoklassischen Wirtschaftsmodellen, d.h. in der neoliberalen Marktrationalität, Energie eine beliebig kapitalisierbare Größe ist. Und wenn ein Rohstoff nicht mehr oder nur knapp verfügbar ist, wie z.B. Lanthan, dann wird in den Modellen irgendwann „substituiert“. Substitution ist das Zauberwort, und zwar, um weiterzurechnen. Wohin bitte?

Jüngst hielt der Jurist Axel Flessner einen Vortrag vor der Max-Planck-Gesellschaft und brachte einen weiteren dritten Aspekt in die Diskussion um Freihandelsabkommen und Investitionsschutz ein, den der Verfassungsmäßigkeit. Er belegt Vogls Thesen, durch ein konkretes und aktuelles juristisches Beispiel, das zeigt, wie Demokratie unterlaufen wird.

Und was heißt das jetzt für Netzpolitiker, für die Frage nach der netzpolitischen Souveränität sowie der des individuellen Mitglieds einer „demokratischen“ Gesellschaft? Es heißt, dass ökonomische Effekte sowie Effekte der ökonomischen Macht immer mit zu berücksichtigen sind.

Also Schluss mit netzpolitischen Sandkastenspielchen.

Weitere Kandidaten für Wirkungstreffer:
Dieter Claessens: Kapitalismus und demokratische Kultur
Günter Dux: Demokratie als Lebensform
Oskar Negt: Nur noch Utopien sind realistisch
Thilo Bode: TTIP, Die Freihandelslüge

 

Störerhaftung: Angst schaden Internet

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people-314481_640Der folgende Artikel wurde am 13.April bei politik-digital e.V. in der Rubrik “Netzpolitischer Einspruch” veröffentlicht.

Es scheint eine zutiefst deutsche Eigenart zu sein: Die Suche nach jemandem, den man für den Fall des Scheiterns verantwortlich macht. Kann man den Verursacher selbst nicht greifen, soll wenigstens jemand anderes für den Schaden haften. Und bevor man etwas Neues zulässt, unterhält man sich erst einmal über die Schadenersatzpflicht. Im deutschen Internet gibt es dafür die sogenannte Störerhaftung: Wenn über ein drahtloses Netzwerk urheberrechtsgeschützte Dateien heruntergeladen werden, so kann nach gegenwärtiger Rechtsprechung der Betreiber des Netzwerkes als „Mitstörer“ in Anspruch genommen werden.

Dabei hat der Gesetzgeber es anders gewollt: Im Telemediengesetz ist niedergelegt, dass ein Netzwerkzugangsbetreiber für Rechtsverletzungen seiner Nutzer nicht haftet, solange er davon keine Kenntnis hat. Diese Haftungsfreistellung nennt sich „Providerprivileg“. Dabei orientiert man sich an der Post: Auch sie ist nicht dafür verantwortlich, wenn sie Bombenbaupläne, Erpresserbriefe, anstößige Fotos oder raubkopierte Bücher transportiert. Und niemand verlangt von ihr, jeden Brief zu öffnen und auf Rechtsverstöße zu überprüfen – ganz im Gegenteil, das Postgeheimnis verbietet ihr das sogar.

Das Providerprivileg im Telemediengesetz ist aber kein Freibrief: Es gilt nämlich nicht, wenn sich der Netzbetreiber die Inhalte zu eigen macht, er Kenntnis von illegalen Inhalten bekommt, oder ihn jemand auf Rechtsverstöße hinweist: Er muss dann umgehend tätig werden und ist ab diesem Zeitpunkt sehr wohl haftbar für beanstandete Inhalte. Damit soll verhindert werden, dass sich jemand auf dem Providerprivileg ausruht und es zulässt, dass in seinem Netz fortlaufend Rechtsverstöße begangen werden. Aber es handelt sich um eine Ex-Post-Regelung: Zu vorauseilendem Gehorsam ist niemand verpflichtet.

Störerhaftung – ein deutscher Sonderfall

Aus irgendeinem Grund hat die deutsche Rechtsprechung die Betreiber von drahtlosen Internetzugängen, also von WLAN-Netzwerken, bislang oft anders behandelt. Ihnen wurden die Kosten der Rechtsverfolgung auferlegt, auch wenn ihnen persönlich gar kein Rechtsverstoß nachgewiesen wurde: Das Gericht ordnete dem Betreiber des Netzwerkes das Delikt auch ohne sein Wissen und Wollen zu. Daraus hat sich eine Abmahnindustrie in Deutschland entwickelt, die gezielt nach Urheberrechtsverstößen über Internetzugänge sucht und von den Betreibern des Zugangs dann horrende Kosten des Rechtsinstrumentes der Abmahnung einfordert. Darauf spezialisierte Kanzleien erzielten zwei- bis dreistellige Millionenbeträge an Gebühren pro Jahr.

Betreiber von WLAN-Netzwerken in Schulen, Cafés, Hotels, aber auch private Betreiber von Netzwerken in Wohngemeinschaften, Nachbarschaften und Familien sahen sich mit solchen kostenpflichtigen Abmahnungen konfrontiert und sollten zahlen, auch wenn sie die Rechtsverletzungen weder persönlich begangen hatten noch überhaupt davon wissen konnten. Menschen, die ihren Internetzugang mit ihren Nachbarn oder Passanten teilen, Betreiber von sogenannten Freifunk-Knoten, mussten mit diesen Problemen ebenfalls rechnen. Unter diesen Voraussetzungen sind nicht viele Netzwerkbetreiber bereit, ihren Internetzugang zu teilen – und das ist schlecht für die öffentliche Netzversorgung mit drahtlosen Internetzugängen in Deutschland.

In vielen anderen Ländern ist WLAN-Zugang im öffentlichen Raum eine Selbstverständlichkeit. Ob in öffentlichen Nahverkehrsmitteln, Fußgängerzonen oder irgendwo in Wohngebieten: Ein freies WLAN findet sich immer. So etwas wie die Störerhaftung gibt es nur in Deutschland, kein anderes Land kennt dieses Rechtskonstrukt.

Die Politik hat das Problem ebenfalls erkannt: Eine Klarstellung, dass das Providerprivileg, die prinzipielle Haftungsfreistellung für Netzwerkbetreiber, eben auch für WLAN-Betreiber gelten muss, wurde gefordert. Und der derzeitig vorliegende Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums nimmt sich dieser Forderung vordergründig zunächst an. Doch wie so oft in der deutschen Netzpolitik geht es einen Schritt voran und gleichzeitig zwei Schritte zurück: Der Gesetzentwurf enthält einen ganzen Katalog von Ausnahmen und Vorschriften, die das Providerprivileg für Betreiber freier Netzwerke sogleich wieder aushebeln. Und damit wird eben gerade keine Haftungsfreistellung erreicht, sondern Haftung für Rechtsverstöße auch ohne Kenntnis wird festgeschrieben – damit wird die bisherige Rechtsprechung zementiert und gesetzlich festgelegt, und neue Abmahnfallen werden eröffnet.

WLAN-Betreiber sollen nämlich laut Gesetzentwurf „geeignete Maßnahmen“ ergreifen, Rechtsverstöße im Vorfeld zu verhindern. Welche das sein könnten, zählt das Gesetz nur exemplarisch auf: Verschlüsselung des Zugangs, Belehrung zu Beginn, keine Rechtsverstöße zu begehen, Identifizierung der Nutzer etc. Private WLAN-Betreiber sollen sogar den Namen jedes Benutzers feststellen. Damit werden Interpretationsspielräume eröffnet, die die Abmahnindustrie dankbar aufgreifen wird. Denn was ist eine geeignete, zumutbare Maßnahme? Es wird wieder Klagen und Prozesse geben, und Richter werden interpretieren, wieweit diese Maßnahmen ex-ante gehen müssen. Zu leicht kann man dann im Betrieb eines Netzwerkes etwas falsch machen, und die Abmahnung ist da.

Keine Ausnahmen beim Providerprivileg

Warum sollen WLAN-Betreiber grundsätzlich schlechter gestellt werden als andere Netzzugangsanbieter? Warum werden private Anbieter wiederum schlechter gestellt als gewerbliche? Und warum soll der Betrieb eines offenen, unverschlüsselten WLAN völlig vom Providerprivileg ausgenommen werden? Ein echter Freifunk ist mit einer Identifizierungspflicht seiner Nutzer nicht mehr realisierbar.

Mit der Klarstellung, dass auch WLAN-Betreiber Provider sind, und das Providerprivileg somit auch für sie gelten soll, ist eigentlich bereits alles Notwendige gesagt: Denn auch damit sind WLAN-Betreiber nicht frei von jeglicher Verantwortung: Sie müssen – wie alle anderen Provider auch – ab Kenntnis eines Rechtsverstoßes handeln. Tun sie das nicht, sind sie sehr wohl verantwortlich für illegale Vorkommnisse.

Wie albern die Vorschrift ist, den Nutzer eines Netzwerkes zu belehren, keine Rechtsverstöße zu begehen, ist offensichtlich: Wer illegale Downloads durchführen will, wird sich durch eine Vorschaltseite kaum davon abhalten lassen – dass man sich an geltende Gesetze halten soll, ist eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich keines Hinweises bedürfen sollte. Hier zeigt sich vielmehr wieder der Versuch, unbedingt jemanden verantwortlich machen zu wollen, wenn etwas scheitert.

Alle Dinge bergen das Risiko des Missbrauchs in sich. Auch eine Latte aus einem Gartenzaun kann dazu benutzt werden, sie jemandem über den Schädel zu ziehen. Wenn dann so ein Missbrauch passiert, ist der Gartenbesitzer nicht verantwortlich, und auch ein Verbotsschild am Zaun hätte die Tat nicht verhindert.

Wir sind gut beraten, dem Fortschritt des Internets mit Optimismus entgegenzutreten, und ihn nicht aus Angst vor Missbrauch stoppen zu wollen. Oder wie Victor Hugo es ausdrückte: „Die Zukunft hat viele Namen. Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance.“

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