Um es gleich vorneweg zu sagen, nein, ich war nicht auf der großartigen Demo am Samstag, den 10.10.2015 in Berlin. Ich war anderweitig beschäftigt. Dafür habe ich meine Lauf- und Redebeiträge schon vor zwei Wochen auf der NoTTIP-Demo in Düsseldorf abgeliefert. Es waren ja auch so genug Demonstranten da in Berlin, so 250.000 etwa.
Was sich aber danach auf Spiegel Online abspielte, kommt einer schlechten Posse gleich. Diese ist jedoch ein hervorragender Beleg für die vieler orten medial betriebene Verengung politischer Debatten. Die wirklichen Inhalte und Streitpunkte sollen damit überdeckt oder mehr oder weniger geschickt vom Diskurstisch gewischt werden. Chomsky lässt grüßen.
Spiegel Online veröffentlichte eine Polemik von Alexander Neubacher mit dem Titel: „Stoppt TTIP“-Demo: Schauermärchen vom rechten Rand“, in der hervorgehoben wird, dass sich eben auch rechtes Gesocks unter die TTIP-Kritiker einreihen will. Der Autor sagt zuerst sehr geschickt, dass „nicht jede politische Initiative automatisch falsch“ sei, „nur weil sie von den falschen Leuten beklatscht“ werde. Dann heißt es jedoch: „Doch bei den TTIP-Protesten sind die Rechten nicht Mitläufer, sondern heimliche Anführer. Die Geisteshaltung vieler Anti-TTIP-Aktivisten ist im Kern eine dumpf nationalistische. Offene Grenzen sind ihnen einen Gräuel, ob es nun um Menschen oder um Handelsbeziehungen geht.“
Womit sich erstens die gesamte Polemik – in ihrer Argumentationslogik und -struktur – als eine Reductio ad Hitlerum enttarnt.
Zweitens, und das ist brisanter, werden die Kritiker als verkappte Nationalisten hingestellt. Das ist gegenüber den Demonstrierenden ausgesucht respektlos. Es wird der Eindruck hervorgerufen, dass Gegner dieser aktuellen Form des Freihandels und ihrer Verhandlungsintransparenz automatisch antiamerikanisch eingestellt und darüber hinaus Fans des klassischen Nationalstaats seien. Eine unzureichende Verkürzung in der Argumentation, die übrigens auch auf die TTIP-Kritiker-Kritiker Sigmar Gabriel und Christian Lindner zutrifft. Zu Lindner später mehr.
Hernach versucht Spiegel Online, das eigene Wunschimage, man sei ein Medium der Meinungsvielfalt, hochzuhalten durch einen zweiten Beitrag von Judith Horchert: „Debatte über Freihandelsabkommen: Ich bin nicht rechts. Aber gegen TTIP“.
Hmm. Aber gesagt ist gesagt. Oder, man kann’s ja mal probieren, und sei es „nur“ als Polemik.
Damit schenke ich mir weiteres dazu, nicht ohne Hinweis auf den lesenswerten Beitrag des Gewerkschafters Patrick Schreiner zur NoTTIP-Demo auf www.nachdenkseiten.de: „Spiegel Online“ unterstellt TTIP-Kritikern dumpfen Nationalismus und rechtes Gedankengut“
.Schaut man dann in das – Annett Meiritz macht uns den TTIP-Erklärbär-Video – „Was ist TTIP?“ (Dauer 3 min, 32 sec) hinein, wird’s noch bunter.
„Nicht jeder Bürger muss am Prozess beteiligt sein!“, sagt sie. Das ist richtig. Zum Schluss heißt es ziemlich lapidar: „auf der anderen Seite ist es schon ziemlich absurd, dass normale Bundestagsabgeordnete, die demokratisch gewählt sind, keinen detaillierten Einblick in die Verhandlungsunterlagen bekommen.“
Hmm. Wenigstens etwas. Aber, Frau Meiritz, das ist doch der eigentliche Skandal im Skandal.
Entscheidend und wesentlich ist hier auch, was sie nicht sagt. Kein Sterbenswörtchen zu den Investorenschutzklauseln und zu Schiedsgerichten, die – ganz im Gegensatz zur Behauptung von Herrn Lindner -, noch lange nicht vom Tisch sind. Des weiteren kein Wort zum brisanten Thema der regulatorischen Kohärenz. Mit diesem Verfahren können nach Verabschiedung von TTIP Interessengruppen und Verbände in Zukunft vorab Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren in den Partnerländern des Abkommens nehmen. Nochmal: kein Wort dazu!
Nun ja. Die Argumentation eines Christian Lindner ist da schon geschickter. Und gefährlicher.
Er unterstellt, dass die Kritik an TTIP oft „nur vorgeschoben“ sei, „um in Wahrheit plumpen Antiamerikanismus und altlinke Vorurteile gegen die Marktwirtschaft zu tarnen“.
Ein rhetorisch billiger aber oft wirksamer Trick, den Gegner in Ecken zu stellen, in die er nicht gehört. Und so ganz nebenbei, quasi hintenrum, wird das Wort Marktwirtschaft synonym zu Kapitalismus verwendet. Selbst dogmatische Mottenkisten-Altlinke, denen man ja nicht unbedingt allzu tiefe Einblicke in das aktuelle Weltgeschehen unterstellen kann, können ein solches Argument – beim zweiten Lesen – als Scheinargument enttarnen.
Damit zeigt Lindner indirekt für sich und seine Partei, dass sein ganzer Diskursbeitrag nicht zukunftsfähig ist. Übrigens genauso wenig, wie der der von ihm unterstellten altlinken Gegner.
Kalkulierte Rhetorik oder exzessive Dummheit? Wie dem auch sei, eine Krise des Denkens.
Wer gegen TTIP ist, ist antiamerikanisch.
Wer gegen TTIP ist, ist latent nationalistisch.
Wer gegen TTIP ist, ist ein Feind der Marktwirtschaft.
Wer gegen TTIP ist, ist gegen Regeln für die Globalisierung.
Hieraus spricht der klassische subjektlose Positivismus des neoliberalen Weltbildes.
Die Fragen sind doch: Wessen Regeln? Und wer legt sie fest? Für wen?
Das eigentlich gefährliche am Neoliberalismus der „neuen“ FDP ist, dass das nicht wirklich neu ist.
Diese Ideologie hat es in den vergangenen Jahrzehnten hervorragend verstanden, sich mit Hilfe der Wirtschaftstheorien und -modelle, die sich unter der Bezeichnung Neoklassik versammeln, in ein edles, elitäres Pelz-Mäntelchen der Wissenschaft zu kleiden, mit dem Nimbus des unideologischen. Das ist nicht für Jederfrau/mann so einfach zu enttarnen.
Aber glücklicherweise gibt es genügend Wissenschaftler, die da durchblicken. Einer davon ist – ach, ich bin ja sooo antiamerikanisch – neben vielen anderen Amerikanern, der Amerikaner Joseph E. Stiglitz.
Außerdem sind das dieselben Leute, die diese – da war doch was! – Finanzkrise nicht im Ansatz vorhergesehen haben, trotz – oder wegen? Ihrer „Wissenschaftlichkeit“.
Nein, ich vertraue diesen Leuten nicht.
Nicht hier und nicht bei den intransparenten Verhandlungen.
Ziehen wir ihnen ihre Pelzmäntelchen aus.
Nick H. Aka Joachim Paul
MdL im Landtag NRW
für die Piratenpartei, „die Partei, die nicht sein darf“