Am Dienstag war ich bei der Veranstaltungsreihe „Wissenschaft und Politik“ der Fakultät der Sozialwissenschaften der Ruhruniversität Bochum.
http://www.sowi.rub.de/news/11/00216/index.html.de
Gastredner war Sigmar Gabriel, SPD Parteivorsitzender, zu dem Thema „Herausforderungen der Demokratie im 21.Jahrhundert“.
Wir waren (meines Wissens nach)drei Piraten und betraten eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn den schon gut gefüllten Hörsaal, der sich nach und nach bis zum Bersten füllte.
Die besten Plätze in der ersten und zweiten Reihe waren für Politiker und Mitgliedern der Fakultät reserviert, ich konnte u.a. einen SPD-Abgeordneten des NRW Landtags aus Bochum erkennen.
In die oberen Reihen hatten sich auch einige SPD-Fanboys gemischt, die kleine SPD-Fähnchen schwangen, als Herr Gabriel in Begleitung dreier Bodyguards den Raum betrat.
Die Veranstaltung wurde von Dr. Straub, Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften eröffnet, der sich damit einen Bärendienst erwies. Gerade im direkten Vergleich mit dem nachfolgenden Sigmar Gabriel kamen mir seine ca. 10 Minuten Redezeit wie eine Ewigkeit vor. In monotonem Singsang vorgetragen, konnte ich den Inhalten auch bei großer Konzentration nicht folgen. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab und das ging mir nicht alleine so – eine Qual.
Das Gegenteil führte dann Sigmar Gabriel vor: 45 Minuten gute Unterhaltung!
Die Rede war nach dem Prinzip „Ist, Ziel und Weg“ aufgebaut. Der Vortragende sprach mit ruhiger tragender Stimme, wechselte sowohl Lautstärke und Modulation, betonte an den richtigen Stellen und setzte bedeutungsschwangere Pausen, wo es angemessen war.
Gewürzt wurde das Ganze mit zwei, drei witzigen Bemerkungen, die das Auditorium zu dankbarem Lachen animierte.
Etwas Lob heischend wirkte die offensichtliche Lüge, er habe die fertige Rede zu Hause vergessen und würde hier gerade frei heraus plaudern, was ihm so zum Thema einfällt. Mit seinen ganzen Blättern auf dem Pult und bei der Qualität des Vortrags war dies ein völlig unnötiges und plattes rhetorisches Stilmittel um extra zu punkten.
Ein kleiner Schnitzer gegen Ende war seine Rechnung, dass ein Wachmann bei 300 Stunden Arbeit zu 4,- € die Stunde auf einen Bruttoverdienst von 1000,-€ kommt, aber wir waren ja nicht in der Fakultät der Mathematiker, der Schnitzer sei ihm verziehen.
Die Inhalte der Rede waren in keinster Weise neu oder gar innovativ. Im „Ist-Teil“ ging es um die Politikverdrossenheit der Bürger und die Bedeutung Europas aus seinen historischen Ursprüngen heraus.
Im „Weg-Teil“ beschwor er die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit aller europäischen Länder, als ein „Muss“ für die zukünftige Bedeutung Europas im globalen Zusammenhang und –man höre und staune – mehr direkte Demokratie, mehr Bürgerentscheide und Transparenz bei politischen Entscheidungen als Rezept gegen Politikverdrossenheit. Letzteres kommt mir irgendwie bekannt vor – allerdings von einer anderen Partei.
Damit war es umso beeindruckender, dass er mit mehr oder weniger Altbekanntem seine Zuhörerschaft eine ¾ Stunde gut unterhalten konnte. Keine neue Erkenntnis:
Eine gute Rede, wie die gehörte, zeichnet sich nicht unbedingt dadurch aus, dass man das Rad jedes Mal neu erfindet, sie ist dann eindrucksvoll, wenn sie einen guten Aufbau mit rotem Faden hat, klare Worte findet und mit Abwechslung glänzt.
Anschließend gab es eine Fragerunde.
Auch in diesem Teil der Veranstaltung brillierte Herr Gabriel meistens mit guten, wohl formulierten Antworten oder auch mal ganz lässig mit einem „Nö, kann ich nicht versprechen!“ Leider verfiel er aber auch immer häufiger in Phrasen, die eher auf ein Wahlkampfplakat gehört hätten, so dass wir den Hörsaal letztendlich 10 Minuten vor Ende verließen.
Nebenbei war es interessant zu Beobachten, wie die drei Leibwächter agierten. Sie hatten sich an unterschiedlichen Stellen der Bühne positioniert und scannten die ganze Zeit das Auditorium. Dabei schauten sie natürlich nach Bewegungen im Raum, aber vor allen Dingen blickten sie den Zuhörern die ganze Zeit in die Augen, einem nach den anderen, Reihe für Reihe und wieder von vorne.
Ich habe dann irgendwann Mitleid bekommen.
Was für ein Job: Den ganzen Tag rumstehen, jederzeit bereit sein Leben einzusetzen und sich dabei Vorträge anzuhören, die sich sicher wiederholen und mal mehr und mal weniger unterhaltsam sind.
Mein Fazit:
Wir haben den Vortrag eines Politikprofis gesehen, dem man seine 30jährige Erfahrung auf dem politischen Parkett anmerkt.
Ich habe aber auch den Eindruck, dass er im Gegensatz zu einigen anderen Politikern in Deutschland ein relativ tiefes Fachwissen von den Themen hat, über die er spricht.
Dabei kam Herr Gabriel meistens sehr sympathisch rüber und selten (wie bei der Lüge) blitzte etwas Anbiederndes durch.
Mein Eindruck war, dass es ihm sichtlich Freude gemacht hat vor vornehmlich jungen Leuten in einem Hörsaal zu sprechen und diese Stimmung spiegelte sich zwischen Redner und Zuhörerschaft gegenseitig.