Augen zu und durch – Politik ohne Blick nach vorn – die ewig gestrigen in der Regierung!

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Am 6. September 2016 haben wir Piraten im Landtag unseren Antrag für ein „Unabhängiges Gutachten zur Kostenschätzung der gesamten Folgekosten der Braunkohle“ gestellt (Drucksache 16/12842).

Gegen jede Vernunft und die Interessen der Menschen in NRW wurde der Antrag heute im Wirtschaftsausschuss mit den Stimmen von SPD, Die Grünen, der FDP und CDU abgelehnt.
Das heißt:
Die Berechnungsgrundlagen und Sicherheiten für die Rückstellungen von RWE bleiben weiterhin intransparent, eine externe Prüfung wird es nicht geben. RWE kann weiterhin behaupten, dass es überhaupt keine „Ewigkeitslasten“ wie bei der Steinkohle gibt. Dabei wurde in der Anhörung der Experten am 23. November 2016 deutlich, dass selbst ohne alle tatsächlichen Folgekosten zu betrachten, davon ausgegangen werden muss, dass die bisherigen Rückstellungen bei weitem nicht reichen. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass die Rekultivierungen bzw. die Anlage der Restseen mit einem Teil der derzeitigen und zukünftigen Gewinne aus dem Braunkohleabbau finanziert werden sollen.

Allerdings sollte jedem, der den Klimaschutz auch nur ein bisschen ernst nimmt, klar sein, dass der Ausstieg aus der Braunkohle deutlich früher kommen muss und wird, als bisher in NRW geplant.

Damit entfällt dann ein wesentlicher Teil der Grundlage des Finanzierungsmodells und RWE wird für die Kosten nicht aufkommen können. Wie schon bei den Folgekosten der Atomenergie steht zu befürchten, dass die Allgemeinheit, das heißt die Steuerzahler, auf den kosten sitzen bleiben wird.

Das eigentliche Geschäftsmodell von RWE bleibt:

Gewinne an die Aktionäre ausschütten und die Kosten der Gesellschaft aufbürden.

Nur ein wirklich unabhängiges Gutachten hätte diese Zusammenhänge deutlich machen und die Grundlage für weitere Vorsorge bieten können. Möglich wären beispielsweise die Einrichtung eines Fonds oder die Forderung einer Sicherheitsleistung vom Unternehmen.

Die Abstimmung heute im Ausschuss beweist:
Rot/Grün regiert für die Interessen von RWE und gegen die der Menschen in unserem Land.

Habt eine schöne Zeit – zu Weihnachten und 2017

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Liebe Webseitengäste, wir blicken vielleicht auf ein schwieriges Jahr 2016 zurück, aber es gibt Menschen, die uns ganz persönlich durch das Jahr geholfen haben. Es gibt Menschen, die uns alle – unsere Gesellschaft – bereichert haben und die nicht mit Hass oder Verzweiflung, sondern furchtlos und zuversichtlich für eine bessere Welt gearbeitet haben. Sie haben […]

TOP 8, 15.12.2016 – LT NRW – Die Sache mit der VG Wort

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Meine Rede zu unserem Antrag „Rahmenvertrag zwischen Kultusministerkonferenz (KMK) und VG Wort gefährdet gute Lehre“ – Antrag der Fraktion der PIRATEN – Drucksache 16/13680
in Verbindung damit – Digitalisierung der Lehre nicht ausbremsen – Rahmenvertrag über die Intranetnutzung neu verhandeln! – Antrag der Fraktion der FDP – Drucksache 16/13695 – und –
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/13789

Aus dem Plenarprotokoll:

Präsidentin Carina Gödecke: Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der Piraten Herr Dr. Paul das Wort.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Wir behandeln heute einen Antrag, den man auf den ersten Blick als obsolet erachten könnte, denn die Kultusministerkonferenz und die Verwertungsgesellschaft Wort haben sich mittlerweile auf eine Arbeitsgruppe verständigt, um eine neue Rahmenvereinbarung zu schließen. Wir denken aber, dass es trotzdem wichtig ist, hier im Landtag darüber zu diskutieren und es zur Sprache zu bringen, denn das Verfahren wirft für uns einige Fragen auf.

Erstens. Wieso hat die Kultusministerkonferenz überhaupt einen solch indiskutablen Rahmenvertrag geschlossen? Welche Denke steht dahinter, die die Hochschulen in ein förmliches Bürokratiechaos geworfen hätte?

Zweitens. Wie kann ein solcher Rahmenvertrag geschlossen werden, wenn man doch ach so sehr auf die digitale Bildung setzt?

Drittens. Muss eigentlich immer erst das sprichwörtliche Kind in den Brunnen fallen, bevor man reagiert bzw. regiert?

Darüber ist deutlich und laut anzuerkennen, dass sich Nordrhein-Westfalen dafür eingesetzt hat, dass die Beteiligten sich wieder an einen Tisch setzen. Das muss hier betont werden. Fast wäre das verzockt worden.

Exemplarisch möchte ich noch einmal kurz darstellen, was die Universität Osnabrück nach der Schließung des Rahmenvertrags einmal durchgespielt hat. So schreibt die Universität in ihrem Bericht über die Auswertung des Vorlesungsverzeichnisses des Wintersemesters 2014/15: Den erfolgten Meldungen mit einem Kostenumfang von ca. 5.000 € bei 8 Cent pro Seite und Teilnehmer stehen erhebliche Aufwände bei Verwaltung, Serviceeinrichtungen und Lehrenden gegenüber.

So investierten Lehrende mindestens 3.900 Minuten – 65 Stunden – in die reinen Meldevorgänge – zusätzliche Recherchen, Informationen und Rückfragen dabei nicht eingerechnet. Für den laufenden Support, um Lehrende zu informieren und zu beraten, wären für die Universität Osnabrück dauerhaft ca. 25 % einer qualifizierten Stelle notwendig gewesen. Weiterer Aufwand würde darüber hinaus zukünftig durch die interne Abrechnung entstehen, die eben nicht Teil dieses Pilotprojektes war.

Nicht auszudenken, was das für die dichteste Hochschullandschaft der Welt hier in Nordrhein-Westfalen bedeutet hätte! Das lässt sich nur erahnen.

Für uns entscheidend – und ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, das zu erwähnen – bleibt aber nach wie vor die Frage nach dem Umgang mit den Urheberrechten im Allgemeinen.

Die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen im Bereich des Urheberrechts beschränken das Potenzial der aktuellen Entwicklung, da sie auf einem veralteten Verständnis des sogenannten geistigen Eigentums basieren, welches der angestrebten Wissens- oder Informationsgesellschaft entgegenwirkt. Man muss sogar sagen: In historisch-rechtsvergleichender Hinsicht gibt es kein einheitliches Begriffsverständnis dieses Begriffs „geistiges Eigentum“.

Da sich die Kopierbarkeit digital vorliegender Werke technisch eben nicht sinnvoll einschränken lässt und die flächendeckende Durchsetzbarkeit von Verboten auch im privaten Lebensbereich als gescheitert betrachtet werden muss, sollten die Chancen der allgemeinen Verfügbarkeit von Werken erkannt und genutzt werden – auch wirtschaftlich genutzt werden.

Wir sind der Überzeugung, dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als eine natürliche betrachtet werden sollte und sie die Interessen der meisten Urheber entgegen anderslautender Behauptungen bestimmter Interessengruppen eben nicht negativ tangiert. In der Vergangenheit konnte auch kein solcher Zusammenhang schlüssig belegt werden.

In der Tat existiert eine Vielzahl innovativer Geschäftskonzepte, welche die freie Verfügbarkeit bewusst zu ihrem Vorteil nutzen und die Urheber unabhängiger von bestehenden Marktstrukturen machen können. Daher fordern wir, das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern auch explizit zu fördern, um die allgemeine Verfügbarkeit von Information, Wissen und Kultur zu verbessern. Dies stellt eine essenzielle Grundvoraussetzung für die soziale, technische und wirtschaftliche Weiterentwicklung unserer Gesellschaft dar.

(Beifall von den PIRATEN)

Darüber hinaus – und ich darf nicht unterlassen, das hier zu sagen – erkennen wir die Persönlichkeitsrechte der Urheber an ihrem Werk in vollem Umfang an. Die heutige Regelung der Verwertungsrechte wird einem fairen Ausgleich zwischen den berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Urheber und dem öffentlichen Interesse an Zugang zu Wissen und Kultur jedoch nicht gerecht. Im Allgemeinen wird für die Schaffung eines neuen Werks in erheblichem Maße auch auf den öffentlichen Schatz an bereits existierenden geistigen Schöpfungen zurückgegriffen. Die Rückführung von Werken – letzter Satz – in den öffentlichen Raum ist daher nicht nur berechtigt, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essenzieller Wichtigkeit.

Meine Fraktion wird allen drei Anträgen zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Freimuth das Wort.

Eine Vision zur Haushaltsdebatte …

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In dieser Woche ist was interessantes passiert im Landtag NRW. Für Mittwoch standen Haushaltsberatungen auf dem Programm. Üblicherweise bashen sich hier die Fraktionen gegenseitig und werfen sich vor, was der eine falsch und der andere richtig gemacht hat. Ein inszeniertes Schauspiel. Wir haben uns am Dienstag bis spät in der Nacht Gedanken dazu gemacht, was wir dem entgegnen können. Und wie es so üblich ist, haben wir eben auch unsere Haushaltsanträge für einige wichtige Bereiche in einer Rede verarbeitet (IT-Sicherheit, Kitafinanzierung, Glasfaserausbau). Auf die weiteren rund 60 Haushaltsänderungsanträge, die wir im Beratungsverfahren eingereicht und die selbstredend alle von rot-grün abgelehnt wurden, haben wir in der dritten Lesung verzichtet. Konzentration aufs Wesentliche.

Michele hatte die Idee, in einem zweiten Block eine Vision zu zeichnen, um unsere Vorstellungen einer zukünftigen Gesellschaft in Worte zu fassen. Ich fand die Idee interessant. Uns war klar, dass das nichts sein würde, über das die Presse am nächsten Tag berichten würde – mindestens, weil da die üblichen „Schlagzeilen“ drin fehlen würden.

Gleichwohl bot ich Michele an, seine Gedanken und Stichworte in einen Text zu packen, den er dann im zweiten Block im Plenum vortrug. In Kais Blog könnt ihr nachlesen, was dann passierte … der Landtag strafte diesen konstruktiven, visionären Beitrag mit arroganter Ignoranz.

Eigentlich … eigentlich ist auch völlig egal, dass der Text diese strukturkaputten Fraktionen da im Landtag nicht erreichte. Ich fürchte, dass die sowieso mit dieser Vision nichts anzufangen wissen. Der Text soll als Anregung dienen: zum nachdenken, zum diskutieren. Dieser Text ist für Euch, liebe Piraten und die, die unsere konstruktive, zukunftsorientierte Politik verstehen oder verstehen wollen.

Wir haben uns jetzt hier XXX Minuten gestritten. Wenig konstruktiv und vor allem ohne den wirklichen Blick in die Zukunft zu richten. Ich möchte jetzt mit Ihnen mal einen Blick in die Zukunft werfen. Ich möchte Ihnen schildern, wie wir Piraten uns unsere Zukunft vorstellen.

Montag, 7:30 Uhr. Meine Tochter und ich machen uns zu Fuß auf dem Weg in die beitragsfreie Kita. „Du, Papa, wofür war nochmal der große Turm da vorne?“ – ich erkläre meiner Tochter, dass die Menschen früher dazu gezwungen waren, ihren Lebensunterhalt mit Kohle und Stahl zu verdienen. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei …

In der Kita nimmt sich der Erzieher noch kurz Zeit und zeigt mir einige der digitalen Neuerungen. Meine Smartwatch piept und signalisiert, dass mein Auto vorgefahren ist. Ich mache mich auf den Weg und steige in das autonom fahrende Elektroauto. Das Auto fährt nochmal zu Hause vorbei, wir packen meinen Sohn ein. Mit Tablet und Brotdose geht’s in die Schule. Ich denke kurz zurück an meine Kindheit und voll gepackte Tornister.

Bevor es dann zur Arbeit geht, gehts zum Frühstück ins nachbarliche Café. Mit den Inhabern Kamil und Basima schnack ich ein wenig über die Vergangenheit. Man, waren das schwierige Zeiten damals, als die beiden aus Syrien mit den TrainOfHope nach Deutschland gekommen sind. Im Café logge ich mich schnell ins WLAN ein. Freifunk natürlich. Nach langem Hin und Her hat es unser Land ja dann doch geschafft, immerhin 50 MBit in der Fläche zur Verfügung zu stellen. Glasfaser? Naja …. bald …

Über eine App bestelle ich mein Auto. Auf dem Weg zum Co-Working-Space verschaffe ich mir auf meinen „Smart Glasses“ einen ersten Überblick über die aktuellen Nachrichten. Freudige Nachrichten: Heckler und Koch hat verkündet, dass sie künftig nur noch Spielzeug herstellen, weil der Waffenmarkt versiegt.

Aber langsam wird’s zeitlich dann doch etwas knapp. Um 12 habe ich eine Verabredung mit Juri, meinem Partner in Moskau um an einem 3D-Modell zu arbeiten. Zum Glück ist mein Anschluss hier schon am schnellen Glasfasernetz angebunden. Ich gehe kurz was essen. Was jetzt? Der Freifunk-Router funktioniert nicht. Ich melde der Verwaltung die Störung im Netz und bekomme sofort Rückmeldung, dass sich jemand auf den Weg macht, das Problem zu beheben. Wieder am Arbeitsplatz erhalte ich eine Nachricht von meinem Sohn. Die letzten beiden Stunden fallen aus. Ich rufe meine Frau an, ihr Sekretär meldet sich und sagt, dass sie in einer Online-Konferenz ist. Das wird nichts, wir schaffen es beide nicht, unseren Sohn von der Schule abzuholen. Ich schreibe ihm, dass er heute mit dem Bus nach Hause fahren soll – dank fahrscheinfreiem ÖPNV auch spontan kein Problem mehr.

Ich erledige kurz noch einige Sachen und rufe mir ein Auto, um pünktlich an der Kita zu sein um meine Tochter abzuholen. Vor der Kita treffe ich einen alten Freund. Er erzählt mir, dass er seit fast zwei Jahren seinen Job aufgegeben hat und mittlerweile seine Eltern zuhause pflegt. Dank bedingungslosem Grundeinkommen kein Problem mehr. Seine Frau hat übrigens damals, als es diesen großen Fachkräftemangel in der Pflege gab, eine Umschulung gemacht und arbeitet jetzt Vollzeit 25 Stunden die Woche in einem der vielen modernen Krankenhäuser in NRW.

Und überhaupt. Die Pflege … seit einigen Jahren werden Pflegeberufe ansprechend bezahlt, für viele junge Leute ist es attraktiv geworden in diesem Bereich zu arbeiten. Viele einfache arbeiten werden mittlerweile von Pflegerobotern übernommen – den Menschen kann dieser allerdings nicht ersetzen, gut so.

Überhaupt hat sich der Arbeitsmarkt so rasant entwickelt. So viele Ängste noch in 2016. Arbeitsplätze würden wegfallen. Die Politik hat sogar versucht, die Digitalisierung zu bremsen, statt sie zu nutzen und zu fördern. Zum Glück hat sich das geändert. Automatisierung und das bedingungslose Grundeinkommen haben uns so viel Freiräume geschaffen. Freiräume, um kreativ zu sein. Freiräume, um soziales Engagement zu leisten – ohne Existenzängste zu haben. Armut? Kinderarmut? Seit 2020 gibt es eine echte Kindergrundsicherung in De

utschland. Der Armutsbericht wurde letztes Jahr eingestellt, weil Armut in Deutschland in der Breite kein Thema mehr ist.

Mein Auto fährt weiter. Ich erledige nebenbei meine Steuererklärung und reiche sie online ein. Wenige Minuten später liest mein „Autoradio“ den eingegangenen Bescheid vor. Die Rückerstattung ist soeben auf mein Konto überwiesen worden. Wir kommen zuhause an und steigen aus. Das Auto parkt selbstständig auf den zentralen Parkplätzen. Mein Sohn ist seit einer halben Stunde zuhause. Dank der Abschaffung von G8 ist mein Sohn auch nicht mehr dem Stress ausgesetzt und hat gleich Zeit zum Training zu gehen und sich davor sogar noch mit Freunden zu treffen. Wir recherchieren noch gemeinsam für ein Referat und laden aktuelle unter Creative Commons vertriebene Bildungsmedien auf sein Tablet. Meine Frau kommt gleichzeitig mit meinen Eltern nach Hause und wir genießen den gemeinsamen Nachmittag.

Am Abend treffe ich mich noch mit ein paar Freunden. Wir arbeiten gemeinsam an freien SmartHome-Konzepten und wollen ein paar Studien verschiedener Universitäten auf der Bildungsplattform OpenAccessNRW durcharbeiten. Dabei hilft uns der 15jährige Nachbarsjunge, der dank Pflichtfach Informatik uns in vielen Punkten ein gutes Stück voraus ist. Manchmal schaue ich neidisch zurück …

Wie gut es uns plötzlich geht.
So wenig Neid in dieser Gesellschaft.
So viele IT-Experten, die sich um die Sicherheit unserer Infrastruktur kümmern.
So eine zukunftsorientierte, beitragsfreie Bildung unserer Kinder.

So eine schöne Welt.

So ein geiles NRW.

Micheles Rede dazu in Bild und Ton (am Ende gilt ja eh das gesprochene Wort *g*)

Kais Blogbeitrag „DU brauchst keine Erwerbsarbeit!“

DU brauchst keine Erwerbsarbeit!

Und so isses. DU brauchst keine Erwerbsarbeit!

TOP 1, 02.12.2016 – Aktuelle Stunde zur Wirtschaftspolitik im LT NRW

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Meine Rede zu TOP 1 am 02. Dezember 2016, Schlechte Wirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen droht, langfristig Zukunftschancen und Wohlstandsperspektiven zu verspielen – Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP – Drucksache 16/13613 – in Verbindung damit – Neues Gutachten blickt mit Sorge auf die Wirtschaftslage in Nordrhein-Westfalen – Landesregierung muss nun handeln anstatt die Situation schönzureden! – Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 16/13614

Aus dem Plenarprotokoll: Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Guten Morgen. – Frau Präsidentin, vielen Dank! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Seit Jahren erlebt Deutschland einen relativ stabilen Konjunkturaufschwung. Doch dieser Aufschwung erreicht nicht mehr das ganze Land, weder alle Menschen noch alle Regionen. Das ist eine Grundproblematik der heutigen Zeit. Diese spiegelt sich in der Sorge wider, Nordrhein-Westfalen oder zumindest Teile unseres Landes würden abgehängt. Und dieser Sorge muss man sich stellen, nicht zuletzt wegen des wachsenden Rechtspopulismus, der dieses Gefühl aufgreift.

Da hilft es nicht, wenn der Wirtschaftsminister beklagt, die Opposition würde das Land schlechtreden. Gehen Sie doch einfach mal in die Regionen unseres Landes mit über 12 % Arbeitslosigkeit. Das ist kein Schlechtreden, das ist eine Zustandsbeschreibung. Manche Regionen haben fast Vollbeschäftigung, bei anderen bricht das wirtschaftliche Fundament immer weiter weg. Und die Landesregierung unternimmt einfach nichts dagegen.

Als ich das letzte Mal ins Grundgesetz geschaut habe, stand die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ noch drin. Konsequenzen für Ihre Politik scheint das aber keine zu haben. Was macht denn die Landesregierung gegen die steigende Ungleichheit im Land? Nutzt sie ihre Möglichkeiten? – Bei weitem nicht!

Hier mal ein Beispiel: Das Tariftreue- und Vergabegesetz NRW hat unter anderem die Aufgabe, faire Löhne zu ermöglichen und Sozialdumping zu bekämpfen. Ein fairer Lohn, der eine Rente ermöglicht – das wurde ausgerechnet –, eine Rente, die über der Grundsicherung liegt, beträgt in etwa 12 € pro Stunde. Also wäre es angemessen, bei Aufträgen der öffentlichen Hand einen vergabespezifischen Mindestlohn von 12 € einzuführen. Was aber macht Herr Minister Duin bei der Novellierung des Gesetzes? – Er schafft das Instrument des vergabespezifischen Mindestlohns klammheimlich ab und ersetzt es durch den viel tiefer liegenden bundesweiten Mindestlohn. Hier wird Haushaltskonsolidierung auf Kosten der Schwächsten in unserem Land betrieben!

Das ist schon schlimm genug, hat aber noch weitere Folgen. Wenn private Anbieter Löhne unterhalb der niedrigsten Tarifgruppe des öffentlichen Dienstes zahlen dürfen, dann werden immer mehr staatliche Leistungen privatisiert, mit entsprechenden Folgen für die Qualität, und zwar nicht – wohlgemerkt! –, weil etwa Private eine Leistung effizienter anbieten können, sondern weil sie Niedrigstlöhne zahlen dürfen. Ist das die hier vorherrschende Vorstellung eines modernen Staatswesens? – Unsere ist es jedenfalls nicht.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, wir Piraten sprechen gerne mal zur Digitalisierung, auch zur digitalen Wirtschaft, und haben entsprechende Initiativen zuhauf in den Landtag eingebracht. Ich möchte nicht alles wiederholen, aber auf eine Zahl gehe ich mal ein: 2031, und zwar das Jahr 2031. Das liegt für uns noch in weiter Zukunft, immerhin 15 Jahre. Bis zum 1. Januar 2031 sollen Landesbehörden auf elektronische Verwaltungsabläufe, also E-Government, umgestellt haben. So will es die Landesregierung. Wow, da wird man echt sprachlos! Die Langsamkeit, mit der Sie die Digitalisierung angehen, ist einer der größten Bremsklötze für die Entwicklung unseres Landes.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Diese Gemütlichkeit passt vielleicht in eine bayerische Gaststätte, nicht aber zum bedeutendsten Politikfeld dieses Jahrhunderts, und das in NRW.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Die Gemütlichkeit hat ja etwas für sich, aber eben nicht da.

(Armin Laschet [CDU]: Die bayerische ist schneller!)

Dadurch erklärt sich auch, warum die Landesregierung bei wichtigen Projekten einfach nicht vorwärtskommt.

Wie sieht es denn mit der Start-up-Kultur in unserem Land aus? – Wir brauchen natürlich die kreativen Köpfe, die digitalen Tüftler. Denn ihre Ideen werden das Land wirklich voranbringen. Aber die Landesregierung bekommt von den Start-ups selbst die Schulnote 3,9, Tendenz stagnierend. Andere Bundesländer hingegen werden deutlich besser bewertet. Das ist also gerade ein „ausreichend“ für einen Politikbereich, den Minister Duin eigentlich voranbringen wollte. Das ist die Realität und nicht die rosarote Brille, die sich die Kollegen von Rot und Grün hier immer wieder aufsetzen. Insgesamt stagniert die Gründungsquote in NRW. Und gerade bei den Start-ups – ich kann es nur gebetsmühlenartig wiederholen –: Start-ups sind zarte Pflänzchen, die eine eigene Ökosphäre brauchen. Offensichtlich sind andere Bundesländer da etwas besser als wir.

Also: Die Gründungsquote stagniert. Aber es gibt trotzdem einen Lichtblick: Immer mehr Migranten gründen Unternehmen und schaffen Arbeitsplätze. Das ist gut so und verdient viel mehr gesellschaftliche Anerkennung, als das heute der Fall ist. Zum Glück – dieser Satz ist heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich – haben wir Menschen mit Migrationshintergrund in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den PIRATEN)

Zu guter Letzt ein paar Worte zu den Kollegen der Union: Sie schaffen es ja erstaunlich gut, den Eindruck zu erwecken, Ihre Partei hätte mit den Zuständen in diesem Land rein gar nichts zu tun. Welcher Partei gehört denn der Bundesminister an, der die völlig absurde Idee einer Ausländermaut umsetzen will

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

und damit das nächste Desaster nach Toll Collect provoziert? Und welche Partei hat denn jahrelang die Störerhaftung verteidigt und damit verhindert, dass es in Deutschland an jeder Ecke offene WLANs gibt? Das ist die Bremsklotzpolitik der Union und nichts anderes! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Teil 2: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Piraten spricht der Kollege Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Vielen Dank für die sachlichen Beiträger, im Übrigen zuletzt Herrn Priggen. Allen anderen möchte ich raten, den Kopf mal unter den Wasserkran zu halten. Das verbessert vielleicht nicht Ihr Denken, aber es kühlt zumindest ab.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Im Hinblick auf die Frage, was dieses Land wirklich braucht – ich weiß, die FDP wird gleich wieder mit den Augen rollen –, möchte ich mal auf jemanden referenzieren, der sich letztlich in unseren Augen als einer der größten Ökonome des 20. Jahrhunderts entpuppt hat, nämlich John Maynard Keynes.

(Zurufe: Oh!)

Der Punkt ist: Keynsianische Wirtschaftspolitik ist nicht in jeder wirtschaftlichen Situation die richtige, dafür aber in vielen und in manchen anderen – so auch jetzt.

Ich habe ein Beispiel von Herrn Prof. Andreas Syska erfahren, bei dem man das mal umgebrochen und besonders griffig gemacht hat. Einige von Ihnen, vor allem die Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuss, werden ihn nächste Woche Mittwoch kennenlernen. Wir haben ein Sachverständigengespräch zum Thema „Industrie 4.0“.

(Zuruf von der FDP: Wann ist das?)

– Am Mittwoch. – Prof. Syska ist Maschinenbauer und Produktionsökonom im Fachbereich BWL und hat mit seinen Studenten etwas ausgerechnet. – Jetzt machen wir mal was ganz Neues: interaktives Parlament. Was schätzen Sie, was ein Bahnkilometer ICE auf der Strecke von Köln nach Frankfurt in voller Fahrt – und zwar für den ganzen Zug, nicht pro Person – kostet? Das hat er mit seinen Studenten mal umgebrochen und kam bei 300 km/h auf einen Preis von 11 € pro Bahnkilometer.

Wenn man diese 11 € mal ein bisschen aufdröselt, stellt sich heraus, dass die Bahn allein 4,50 € für die Nutzung der Infrastruktur an den Partner DB Netze zahlt. Die Lohnkosten für den Bahnkilometer betragen 2,50 €, vom Lokführer bis zum Servicepersonal im Speisewagen. Daran sieht man sehr deutlich, was schiefläuft. 4,50 € für eine fiktive Netzgebühr – wenn das jetzt die Menschen betreffen würde, dann könnte man davon ausgehen, dass es bei der Bahn weniger Signalstörungen gibt. Die gibt es aber nicht. Nur 2,50 € entfallen auf die Lohnkosten. Da steht der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt.

Mit Keynes möchte ich mich ganz deutlich – auch im Namen meiner Partei – für eine eher nachfrageorientierte Politik aussprechen. Wir betreiben eine ausschließlich angebotsorientierte Politik, und das aufgrund einer schlecht gemachten Schuldenbremse. Ich weiß, dass mir viele Sozialdemokraten im Herzen zustimmen werden. Sie trauen sich nur nicht, das laut zu sagen. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Herr Minister Duin, Sie haben das Wort.

TOP 4, 01.12.2016 – Die Große Anfrage 21 der Piratenfraktion zu Bertelsmann – Debatte im Landtag NRW

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Ohne Kommentar – der folgt noch. Hier nur ein Link zu der Seite der Pirstenfraktion NRW zum Thema.

Aus dem Plenarprotokoll – Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ich rufe auf:

4 zu Aktivitäten und politischen Initiativen der Landesregierung im mittelbaren und unmittelbaren Zusammenhang mit der Bertelsmann-Stiftung, ihren Tochtergesellschaften, ihren Gesellschaftsanteilen und mit ihr verbundenen Initiativen, Einrichtungen und Personen sowie der Bertelsmann SE & Co. KGaA, ihren Tochtergesellschaften, ihren Gesellschaftsanteilen und mit ihr verbundenen Initiativen, Einrichtungen und Personen – Große Anfrage 21 der Fraktion der PIRATEN – Drucksache 16/11660 // Antwort der Landesregierung – Drucksache 16/12436 – Neudruck

Die Große Anfrage 21 hat eine interessante Überschrift. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Dr. Paul das Wort. Bitte schön.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, lieber Herr Präsident, vor allen Dingen für Ihre schöne Wertung unserer Überschrift.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer!

Zunächst zu dem, was sich gehört. Denn wenn man fragt und eine Antwort bekommt, muss und will man Danke sagen. Danke, liebe Landesregierung, und insbesondere danke, lieber Herr Minister Lersch-Mense – er kann leider nicht hier sein –, für die Beantwortung der Großen Anfrage meiner Fraktion zum Thema „Bertelsmann und Landespolitik“.

Die Antwort lässt in mancherlei Hinsicht tief blicken und bietet durchaus Chancen für Forschende, den um sich greifenden postdemokratischen Raum weiter auszuloten und dessen innere Wirkzusammenhänge zu erhellen.

Der von uns abgefragte Zeitraum betrug in etwa 25 Jahre: ab 1. Januar 1992. Unter Verweis auf eine über alle Ressorts durchschnittliche zehnjährige Aufbewahrungsfrist grenzte die Landesregierung den Zeitraum ein: vom 1. Januar 2005 bis zum Datum der Anfrage.

Zudem wurde aus Zeitgründen von einer Befragung früherer Funktionsträger abgesehen.

Elektronische Kalender wurden – so die Landesregierung – personen- und funktionszugeordnet geführt und nach jedem Amtswechsel gelöscht.

Ich möchte hier ausdrücklich festhalten, dass wir Piraten die digitale Revolution ganz anders verstehen. Sie sollte gerade nicht als Einladung zu einer staatlich verordneten Geschichtsvergessenheit missbraucht werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Vieles an der Antwort der Landesregierung ist bemerkenswert und einer Diskussion allemal würdig. Exemplarisch hier einmal die Ausführungen zum Kontext Hochschulen:

Die Hochschulen unterliegen – so die Landesregierung – seit Inkrafttreten des Hochschulfreiheitsgesetzes am 1. Januar 2007 nur noch der Rechtsaufsicht und nicht mehr wie zuvor einer Berichtspflicht.

Auf das Pinkwart-Gesetz hat das Centrum für Hochschulentwicklung – CHE – maßgeblichen Einfluss ausgeübt bis hin zum Liefern von konkreten Textbausteinen. Weitergehend wurde es auch noch mit der Begleitung der Hochschulen hinaus in die neue Freiheit beauftragt.

Wenn eine Berichtspflicht nicht mehr besteht: Warum hat die Landesregierung die Hochschulen ausdrücklich aufgefordert, ab dem 1. Januar 2007 keine Angaben zu machen? Wofür ist das ein Indiz? Soll mit etwas hinter dem Berg gehalten werden? Die Hochschulen hätten schließlich auch freiwillig Angaben machen können, wie beispielsweise die Unis Bielefeld und Bochum.

Zwar bestehen als Grenzen der Antwortpflicht der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung sowie die Grundrechte, aber ganz so eindeutig erscheint die Verneinung der Auskunftspflicht im vorliegenden Fall nicht, weil es in § 76 Abs. 4 Hochschulgesetz NRW heißt, dass das Ministerium sich jederzeit auch durch Beauftragte über die Angelegenheiten der Hochschule informieren und an den Sitzungen des Hochschulrates teilnehmen kann.

Von daher stellen wir fest, dass sich die Landesregierung mit dem einschränkenden Verweis auf die Rechtsaufsicht einen schlanken Fuß gemacht und hier recht flapsig geantwortet hat. Wohin, meine Damen und Herren, soll das führen, wenn der Gesetzgeber, wenn wir Parlamentarier keine Rückmeldung mehr über die Verwendung von Steuermitteln erhalten? Hält die Landesregierung das ernsthaft für richtig?

Eine Demokratie als Selbstbedienungsladen?

Und, was unsere Fragen angeht nach den, ich sage mal, Drehtüreffekten, Drehtürpersonalien und Beschäftigungswechseln zwischen der Landesregierung und Bertelsmann, die die Landesregierung mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte und Datenschutzgründe zurückgewiesen hat: Diese Personen sind uns allesamt bekannt. Zum Beispiel Konrad Lischka, 2014 bis 2016 Referent „Digitale Gesellschaft – Megabits, Megahertz“ in der Staatskanzlei, jetzt Pressesprecher Strategische Kommunikation bei der Stiftung. Er kommuniziert seine Erwerbsbiografie offen auf seiner Website. Suchmaschinen sind da hilfreich.

In den Vorbemerkungen zur Antwort führt die Landesregierung zum Thema „Einflussnahme durch Dritte“ aus, dass sie des Öfteren Informationen, Gutachten und Studien unter anderem von Stiftungen erreichen – ich zitiere –, „die sich als ‚Think Tank‘ bezeichnen.“ – Ganz offensichtlich ist die Landesregierung hier nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Der Eintrag zur Bertelsmann Stiftung im Lobbyregister der EU wurde bereits im Februar dieses Jahres vom Think Tank zur Nichtregierungsorganisation – NGO – gewandelt. Die Stiftung ist damit nunmehr der drittgrößte deutsche Lobbyist in Brüssel mit einem Jahresaufwand von knapp 4 Millionen € für die Brüsseler Geschäftsstelle.

Es liegt natürlich im Wesen von Lobbyorganisationen, dass sie auch ohne ausdrückliche Aufforderung politisch und in Debatten Stellung nehmen.

Die zentrale Frage ist nun: Wie wird seitens der Exekutive oder der Politik allgemein mit solchen Formen des Agenda Settings umgegangen?

Immerhin: Auf die Fragen 1 bis 3 listet die Landesregierung insgesamt 86 Aufträge und Kooperationen der Landesregierung – der Staatskanzlei, diverser Ministerien –, Bezirksregierungen und nachgeordneter Behörden mit Volumina von einigen Hundert oder Tausend bis zu mehreren Zehn-oder Hunderttausend Euro. Die größten Brocken sind hierbei der Betrieb des Servicecenters der Landesregierung durch die Arvato AG – seit Rüttgers 2009 – mit einem Volumen von knapp 7 Millionen € sowie das Projekt „Kein Kind zurücklassen“ mit 5 Millionen €, womit die Stiftung mittlerweile selbst nicht mehr zufrieden ist.

Bemerkenswert ist hier auch eine Differenz in der Darstellung. So spricht die Landesregierung bezüglich Arvato lapidar von „technischen Services“, die Arvato AG selbst laut Homepage davon, 80 % aller eingehenden Bürgerkontakte bereits im Erstkontakt fallabschließend durch die Arvato-Mitarbeiter zu bearbeiten. Bürgerkontakte? Wer regiert hier eigentlich?

Gerade bei hoheitlichen Aufgaben bekommt die Privatisierung noch einen weiteren ziemlich dunklen Aspekt, nämlich Kontrolle und Überwachung. Arvato ist schon heute der größte private Verwalter von Kundendaten. Mit der Übernahme hoheitlicher Aufgaben droht der Konzern zu einem privaten Moloch zu werden, zu einer „Sozialkontrolle GmbH“, wie es Telepolis 2009 einmal ausdrückte.

Als Teil der Bertelsmann Unternehmensgruppe verwirklicht sich dann endgültig eine düstere Warnung vergangener Dekaden: das Zusammenwachsen der medialen Macht mit ehemals staatlichen Strukturen zu einem neuen Mechanismus der sozialen Kontrolle.

Alles in allem erhärtet die Landesregierung durch ihre Antwort die Ansicht, dass es sich in den Strukturen zwischen Stiftung und der Bertelsmann Unternehmensgruppe um ein effizientes Steuervermeidungsmodell mit Lizenz zur Politikbeeinflussung plus ein sehr gewinnträchtiges Services-für-die-öffentliche-Hand-Geschäftsmodell für die Bertelsmann Unternehmensgruppe handelt.

So gesehen stellt die ausschließlich operativ arbeitende Stiftung eine Pervertierung des eigentlichen Stiftungsgedankens dar. Nicht der Stifter finanziert hier der Allgemeinheit eine Reformwerkstatt, sondern die Allgemeinheit finanziert ein Institut, mit dem Gesetze nach eigenen Wünschen und Interessen entsprechend den Vorstellungen des Stifters in Richtung Privatisierung und Wettbewerb beeinflusst werden können. Wie dies geschieht und wie genau vorgegangen wird, kann jedermann und jedefrau nachlesen auf www.reformkompass.de.

Bemerkenswert ist auch, dass die Landesregierung sich in der Antwort auf Frage 41 in ihrem Handeln ausdrücklich auf die Prinzipien der sogenannten Good Governance beruft. Im Zusammenhang mit dem vorherrschenden neoliberalen Regime geriet gerade dieser Begriff zunehmend in die Kritik namhafter Wissenschaftler und Demokraten. Dem Gesellschaftstheoretiker Thomas Lemke zufolge kündigt die Governance das Verschwinden oder die Aushöhlung der staatlichen Souveränität an: Good Governance als Strategie der Politikvermeidung, als das Setzen von nicht mehr zu hinterfragenden Leitplanken für Diskurse, als kognitive Immunisierung, als Instrument, Politik auf lediglich technische Problemlösungen zu reduzieren.

Wenn diese Einengung des öffentlichen Lebens mit der starken Betonung des Konsenses durch die Governance kombiniert wird, wenn bloßes Problemlösen Erwägungen sozialer Zustände und möglicher politischer Zukunftsszenarien ersetzt, wenn der Zwang zum Konsens die Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Perspektiven ersetzt, dann wird das politische Leben dessen entleert, was die Demokratie in der Vergangenheit so wertvoll machte, nämlich des kraftvollen Ausdrucks unterschiedlicher politischer Positionen und Wünsche – nicht nur nach Machiavelli das eigentliche Wesen der politischen Freiheit.

Für uns Piraten – ich komme zum Ende – ist jedenfalls zweifelsfrei klar: Dieses System braucht nicht nur ein kräftiges Update, sondern einen Reboot, einen Neustart, sonst heißt es nämlich in Bälde: Auf nimmer Wiedersehen Demokratie! Beginnen könnte man damit, dass man die Gemeinnützigkeit solcher Strukturen einmal ernsthaft und detailliert hinterfragt, auch in den Stiftungen. Das „arvato“ ich von Ihnen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Fraktion der SPD spricht Herr Prof. Dr. Bovermann.

Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der Piratenfraktion!

„Politikberatung hat die Aufgabe, einerseits Forschungsergebnisse aus dem Horizont leitender Interessen … zu interpretieren, und andererseits Projekte zu bewerten, und solche Programme anzuregen und zu wählen, die den Forschungsprozess in die Richtung praktischer Fragen lenken.“

Dieses Zitat – Herr Dr. Paul wird es wahrscheinlich wissen – stammt von Jürgen Habermas, der sich schon in den 60er-Jahren in seinem Aufsatz mit dem Verhältnis von verwissenschaftlichter Politik und öffentlicher Meinung beschäftigt hat. Seitdem ist das Thema „Politikberatung“ immer wieder Gegenstand von Debatten gewesen.

Nachdem in diesem Parlament bislang nur Herr Witzel mit einer Reihe von Kleinen Anfragen zur Rolle von Gutachten versucht hat, auf sich aufmerksam zu machen, greifen nun auch die Piraten mit ihrer Großen Anfrage das Thema auf. Dafür ist Ihnen erst einmal zu danken, ebenso der Landesregierung für die Beantwortung der Großen Anfrage 21.

Nun hätte ich allerdings von den Piraten erwartet, dass man sich in Anknüpfung an den wissenschaftlichen Diskurs und nicht nur oberflächlich mit dem Thema auseinandersetzt.

Habermas selbst hatte während seiner Zeit für ein pragmatisches Beratungsmodell plädiert, in dem Wissenschaft und Politik in einem kritischen Wechselverhältnis zueinander stehen sollten. Natürlich spielte bei ihm die Öffentlichkeit als dritter Akteur in diesem Kommunikationsprozess eine ganz zentrale Rolle.

Auch wenn klar ist, dass dieses Modell die Wirklichkeit nur unzureichend abbildet, hätte sich meines Erachtens eine Reihe von interessanten Anknüpfungspunkten ergeben, um die heutige Beratungslandschaft zu betrachten. So wäre sicherlich die Frage nach den unterschiedlichen Vermittlungsfunktionen zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sinnvoll gewesen. Auch hätten die verschiedenen Angebote auf dem Beratungsmarkt in Form von kommerziellen Anbietern, parteinahen und scheinbar unabhängigen Stiftungen und dem kleinen Kreis wissenschaftlicher Politikberatungseinrichtungen betrachtet werden können. Schließlich wäre auch die Frage zu beantworten gewesen: Was ist eigentlich gute und was ist schlechte Politikberatung?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, leider haben die Piraten mit ihrer Großen Anfrage diese interessanten Themen verfehlt. Von vornherein konzentrieren sie sich auf eine Denkfabrik, die Bertelsmann Stiftungsgruppe bzw. Unternehmensgruppe.

Auch verfolgen sie mit ihren Fragen nicht wirklich das Ziel der Erkenntnisgewinnung, sondern vielmehr die Bestätigung ihrer Vorurteile. Das kann man an der Vorbemerkung zu ihrer Großen Anfrage erkennen. Diese sagt eigentlich mehr über die Fragesteller aus als über den Gegenstand der Befragung.

So wird die Bertelsmann Stiftung von vornherein als wirtschaftsliberal etikettiert, was man zumindest einmal diskutieren müsste. Der Wettbewerb als Steuerungsinstrument und das bürgerschaftliche Engagement würden gegenüber der demokratischen Gestaltung und dem Sozialstaat dominieren, heißt es. Dass die Stiftung die Mission ihres Stifters verfolgt, eigene Projekte fördert und versucht, Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Politikentscheider auszuüben, kann eigentlich nicht überraschen, sondern ist für diese Form der Politikberatung gerade konstitutiv. Und der Vorwurf, die Bertelsmann Stiftung schließe wissenschaftlichen Pluralismus durch ihre Satzung von vornherein aus, läuft ins Leere, denn bei der Stiftung handelt es sich gerade nicht um wissenschaftliche Politikberatung.

Meine Damen und Herren, in der Beantwortung der Großen Anfrage listet die Landesregierung die Beratungsleistungen, Gutachten, Stellungnahmen, Veranstaltungen und Kontakte auf, die im Verhältnis von Exekutive und Stiftung eine Rolle spielen. Einen Schwerpunkt bilden dabei die Kooperationsprojekte insbesondere mit den drei Bildungsministerien.

Übrigens haben alle Landesregierungen unabhängig von der politischen Farbe auf die Expertise der Stiftung zurückgegriffen, wenn auch interessanterweise in ganz unterschiedlicher Form – das ist gerade schon erwähnt worden –, beispielsweise die schwarz-gelbe Landesregierung beim Hochschulfreiheitsgesetz, die rot-grüne Landesregierung im Bereich der Prävention.

Die Relevanz mancher Daten, die von den Piraten erfragt wurden, erschließt sich mir allerdings nicht. Ebenso, im Unterschied zu Herrn Dr. Paul, finde ich keine Belege für die von ihnen in der Vorbemerkung vorgetragenen Thesen.

Bemerkenswert scheint mir die Beantwortung der Frage zur demokratietheoretischen Einschätzung. Hier verweist die Landesregierung meines Erachtens zu Recht auf die Trennung zwischen den demokratisch legitimierten politischen Entscheidungsträgern und den Institutionen der Politikberatung. Der Pluralismus wird dadurch gewährleistet, dass die Landesregierung nicht nur mit der Bertelsmann Stiftung, sondern mit vielen unterschiedlichen Beratungseinrichtungen zusammenarbeitet. Auch die Kontrolle ist durch die Fachlichkeit in den Ministerien und im wissenschaftlichen Diskurs gegeben. Schließlich hatte sich die Landesregierung selbst den Regeln der Good Governance unterworfen.

Meine Damen und Herren, das heißt nun nicht, dass man alles gut finden muss, was die Bertelsmann Stiftung an Ratschlägen erteilt. Kritik ist notwendig und berechtigt, zum Beispiel bezüglich des Reform- oder Hochschulrankings. Allerdings sollte man sich vor Pauschalurteilen hüten. Erst die konkrete Untersuchung anhand von Fallbeispielen kann hier Aufschluss über die Funktionen von Politikberatung geben. Meines Erachtens ist die Kooperation bei dem Projekt „Kein Kind zurücklassen“ zwischen Landesregierung und der Bertelsmann Stiftung unter Einbeziehung der Wissenschaft ein gutes Beispiel dafür, welche Möglichkeiten Politikberatung auch bieten kann. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Bovermann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Keymis, Entschuldigung, Jostmeier. Meine Gedanken waren gerade beim Vizepräsidenten, weil der gleich auch redet. Bitte schön, Werner Jostmeier.

Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hätten nichts dagegen, wenn der Kollege, der Herr Vizepräsident Keymis, zu dem Ergebnis käme, dass er sich bei uns in der CDU-Fraktion ganz wohlfühlen würde.

(Heiterkeit – Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Würde super passen! – Michele Marsching [PIRATEN]: Da fühlt er sich sehr wohl!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bertelsmann Stiftung ist 1977 von Reinhard Mohn gegründet worden. Sie hält 77,6 % des Aktienkapitals der Bertelsmann KGaA. Ich gebe zu: Die Bertelsmann Stiftung ist nicht irgendwer. Das wird am deutlichsten in der Rede, die der frühere Vorstandsvorsitzende und Präsidiumsvorsitzende Gunter Thielen im Jahr 2002 auf dem 25. Jahrestag der Bertelsmann Stiftung gehalten hat. Er hat unter anderem gesagt: Die Bertelsmann Stiftung möchte durch die Verbesserung der Beratungsqualität direkt Einfluss nehmen auf politische Entscheidungsträger.

Ich möchte in diesem Zusammenhang das, was das mit Politikberatung zu tun hat, wie weit Politikberatung gehen darf und was Politikberatung per se schon ist, hier gar nicht weiter ausführen. Ich kann mich da auf vieles berufen und mich mit vielem einverstanden erklären, was mein Vorredner, der Kollege Bovermann, gerade zu dieser Thematik gesagt hat.

Wir können in diesen Tagen – heute steht das in der Presseschau – nachlesen, welche hilfreichen Ratschläge oder hilfreichen Erkenntnisse uns zum Beispiel die Bertelsmann Stiftung dadurch gibt, dass sie in dem Gutachten die Frage beantwortet hat, was populistischen Parteien in Europa die Wähler zutreibt. Das mal nachzulesen, ist sehr hilfreich. Da brauchen wir auch nicht zu fragen, ob das von der Bertelsmann Stiftung eine andere Qualität hat oder ob das nachteilig ist.

Meine Damen und Herren, nach Auffassung der CDU liefert die Bertelsmann Stiftung hervorragende Impulse für den politischen Diskurs. Allerdings sollte das Gefühl oder der Eindruck vermieden werden, die Bertelsmann Stiftung wolle damit die politische Agenda bestimmen, und dazu gab und gibt es – das das gestehen wir Ihnen, Herr Dr. Paul, bzw. den Piraten zu – kritische Stimmen. Von vielen Organisationen oder auch von den Medien und Medienvertretern wurde die Behauptung der parteipolitischen Neutralität bezweifelt.

So fragte zum Beispiel der „Der Tagesspiegel“ im September 2006 – ich darf zitieren –:

Die Experten der Bertelsmann Stiftung sind in der deutschen Politik allgegenwärtig: Von den Kommunen bis zum Kanzleramt, von den Hochschulen bis zur Sozialhilfe. Die entscheidende Frage ist: Beraten sie Politiker nur – oder machen sie selbst Politik?“

Ich bin der Auffassung, dass man nicht zu dem in einem anderen Zusammenhang vorgetragenen Ergebnis kommen kann: Egal, welche Partei die Mehrheit bekomme, egal, wer regiere, das Ergebnis sei stets gleich, denn irgendwie regiere Bertelsmann schon mit.

Herr Dr. Paul, Ihre Auffassung, die Bertelsmann Stiftung habe eine Lizenz zur Politikbeeinflussung und auf ein Nimmerwiedersehen der Demokratie, teilt die CDU nicht.

(Beifall von der CDU)

Darf ich die Fraktion der Piraten fragen, welchen Mehrwert diese Anfrage insgesamt hat? – Ich kann im Ergebnis sagen: Wir teilen die Auffassung der Landesregierung in weiten Teilen, die sie in der Antwort auf die Große Anfrage zum Ausdruck bringt. Wir – und damit meine ich die Fraktionen, die Parteien, die Politik – arbeiten grundsätzlich mit allen in Nordrhein-Westfalen ansässigen Unternehmen, Verbänden, Sozialpartnern und mit der Zivilgesellschaft – wenn es uns hilft und wir ihres Rates bedürfen – zusammen. Das möchten wir auf eine konstruktive Art und Weise tun. Die Entscheidung darüber, mit wem und inwieweit wir zusammenarbeiten, möchten wir behalten. In diese Richtung sehe ich, Herr Dr. Paul, auch keine Gefahr.

Wir haben allerdings nicht nur die Bertelsmann Stiftung, sondern auch das RWI und das Institut der deutschen Wirtschaft. Mit deren Ergebnissen und Ratschlägen zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen werden wir uns morgen früh beim ersten Tagesordnungspunkt befassen, und da werden Vorschläge gemacht, die der derzeitigen Landesregierung oder den sie tragenden Fraktionen nicht unbedingt schmecken dürften.

Wenn wir in der Wahl der uns beratenden Institutionen frei sind, sehe ich die Gefahr einer Herrschaft der Bertelsmann Stiftung in dieser Weise nicht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Jostmeier. Wenn Sie bitte einen Moment hierbleiben, denn es liegt eine Kurzintervention von Herrn Dr. Paul vor. – Herr Dr. Paul, bitte schön.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen lieben Dank. – Herr Präsident! Lieber Werner Jostmeier! Zunächst einmal danke für Ihre differenzierten Ausführungen.

Sie hatten mir aber auch eine konkrete Frage gestellt: Welchen Mehrwert hat diese Große Anfrage? – Ich kann sagen, dass drei namhafte Wissenschaftler daran arbeiten, die Antwort der Landesregierung auszuwerten und das dann auch in Buchform publizieren.

Der entscheidende Punkt ist: Sie sprachen davon, dass Bertelsmannleute in Diskursbereichen in der Politik, überall in den Debatten und allgegenwärtig seien. – Es gibt eine Menge freier Wissenschaftler, die nicht so organisiert wird, wie diejenigen, die von den Stiftungen beauftragt werden, die aber genauso viele wertvolle Dinge zu unserer politischen Landschaft und zur Weiterentwicklung beitragen können. Sie werden allerdings durch Leitplanken, die die Stiftung auch mit ihren Kongressen setzt, mehr oder weniger systematisch aus den Diskursen gedrängt. Das halten wir für sehr bedenklich. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Jostmeier.

Werner Jostmeier (CDU): Ja, das mag bedenklich sein, aber was hindert uns daran, Herr Dr. Paul, uns der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die bei der Bertelsmann Stiftung keine Chance haben, in der Politikberatung zu bedienen? Wir können doch diese Personen jeweils holen, wenn wir uns beraten lassen wollen. Ich sehe die Stellung der Bertelsmann Stiftung in diesem Punkt nicht als Hindernis, weil wir als Politik, als Fraktion die Freiheit haben, uns beraten zu lassen, von wem wir wollen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die Fraktion der Grünen spricht der Kollege Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Lieber Herr Dr. Paul! Zunächst einmal Ihnen und der Fraktion herzlichen Dank für die Große Anfrage, weil Sie damit das Recht einer Oppositionsfraktion wahrnehmen, die Regierung nach dem zu fragen, was Sie interessiert. Wenn Sie dieser Zusammenhang interessiert, ehrt Sie das auf jeden Fall, und es ist gut, dass wir diese Anfrage vorliegen haben.

Ein Dankeschön auch an die Regierung, dass Sie sie beantwortet haben, soweit das in Ihren technischen Möglichkeiten stand. Ich habe beim Durchsehen nirgends erkannt, dass der Versuch unternommen wurde, irgendetwas nicht zu sagen, was man nicht hätte herausbekommen können, zumal es, wenn man es sich durchliest, insgesamt weniger dramatisch klingt, als das hier zum Teil in der Bewertung von Ihnen, Herr Kollege Dr. Paul, vorgetragen wurde.

Das Unternehmen Bertelsmann ist ein Unternehmen mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Der Konzern ist weltweit in 50 Ländern aktiv und hat fast 120.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Er ist ein Medien-, ein Dienstleistungs- und ein Bildungsunternehmen. Mit einem Umsatz von über 17 Milliarden € im Jahr 2015 ist er vermutlich eines der größten Medienunternehmen auf der Welt – wenn auch bei Weitem nicht das größte, denn die amerikanischen Märkte bestimmen, wer die größten Unternehmen sind – und politisch sicher eines der wirkungsmächtigen, auch in Deutschland; das ist so.

Nordrhein-Westfalen ist aber ein Land mit vielen Stiftungen. Es gibt viele, die sich engagieren und die durch ihre Stiftung und ihre Expertise auch auf die Politik zugehen und umgekehrt auch von der Politik befragt werden. Insofern – da stimme ich dem Kollegen Jostmeier zu – haben wir als Parlament die Möglichkeit, uns die Meinungen aus den verschiedenen Bereichen zusammenzustellen. Wir müssen uns nicht politisch in eine Richtung binden lassen oder uns sozusagen auf eine bestimmte Denk- und Arbeitsweise festlegen.

Ich störe mich etwas an dem Versuch, den Sie – das wurde vom Kollegen Bovermann auch angesprochen – in Ihrer Einleitung zur Großen Anfrage schon andeuten. Sie unterstellen nämlich, das ganze Land werde von einer geheimnisumwobenen Stiftung gesteuert, die mit bestimmten neoliberalen Vorstellungen herumoperiere und versuche, uns alle hier auf ihren Wagen zu zerren. Ich frage mich auch, ehrlich gesagt, ob wir nicht unser Selbstbewusstsein als Parlamentarier und auch als Parlament des größten Bundeslandes unter den Scheffel stellen, wenn wir wirklich annehmen, dass es das entscheidende Kriterium ist, ob die in bestimmten Zusammenhängen so oder so oder so geraten haben und ob die einen Teil der Überlegungen, die hier angestellt werden, mitbestimmen oder nicht.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Keymis, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Paul zulassen?

Oliver Keymis (GRÜNE): Zwischenfragen immer gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, lieber Herr Kollege Keymis, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Nun ist ja gerade die grüne Partei auf Bundesebene in diesen Dingen durchaus kritisch gewesen. Vor dem Hintergrund, dass Sie mir mehr oder weniger unterstellen, wir würden da etwas wittern, möchte ich das zitieren, was Ihre Parteifreundin Antje Volmer gegenüber der „taz“ 2010 in einem Interview geäußert hat:

„Ich würde mir außerhalb jeder politischen Machtfunktion nicht zutrauen, als David diesen Goliath juristisch zur Strecke zu bringen. Ich appelliere nur an alle, denen Stiftungen für eine offene Gesellschaft wichtig sind, endlich diese Debatte über Gemeinnutz zu führen. Wir brauchen diese Diskussion im Bundesverband der Stiftungen und in der Bertelsmann Stiftung selbst.“

Wie bewerten Sie diese Aussage Ihrer Parteifreundin?

Oliver Keymis (GRÜNE): Herr Kollege Dr. Paul, aus meiner Sicht ist gar nichts dagegen einzuwenden, dass eine solche Diskussion auch innerhalb der Stiftungen geführt wird. Es ist auch überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass man das, was Stiftungen an Arbeit leisten, immer wieder überprüft. Die Stiftungen sollten sich möglichst auch selbst immer wieder überprüfen und infrage stellen.

Ich hatte aber eigentlich eine andere Frage gestellt, nämlich die Frage: Wo sitzen eigentlich die Feinde dieser Demokratie? Ich habe manchmal den Eindruck, Sie versuchen, quasi der Bertelsmann Stiftung zu unterstellen, sie sei etwas, was die Demokratie bösartig unterwandert.

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Genau!)

Da wäre ich an Ihrer Stelle etwas vorsichtiger im Umgang mit Stiftungen insgesamt und auch mit der Bertelsmann Stiftung.

Ich wäre auch etwas selbstbewusster. Ich würde mir als Parlamentarier gar nicht einreden wollen, selbst wenn es manchmal punktuell so ist, dass ein bestimmter Einfluss von irgendwoher genommen wird. Ich bestreite das überhaupt nicht. Auch für diese Stiftung gilt das. Trotzdem finde ich das Dämonisieren schwierig.

Ich lese Ihnen einen Begriff vor, die mich wirklich hellhörig macht, wenn Sie andeuten, dass die Demokratie durch eine solche Art des Umgangs miteinander, wie sie hier von Ihnen unterstellt wird, als Selbstbedienungsladen definiert werden könnte. Ein Begriff wie „Demokratie als Selbstbedienungsladen“ kommt für mich aus einer ganz anderen Ecke, Herr Dr. Paul. Da ordne ich die Piraten nun bewusst nicht ein. Sie sind ja eigentlich keine populistische Truppe. Die Piraten sind doch keine AfD-Vorgänger oder -Nachkommen, sondern eigentlich eine Truppe, die sagt: Wir kommen aus der digitalen Zukunft und wollen euch einmal erzählen, wohin es geht, wenn es sich so oder so entwickelt.

Da ist die Bertelsmann Stiftung für mich unter Umständen an manchen Stellen sogar eher ein Diskussionspartner, auch aus Ihrer Perspektive, als jemand, den wir da als Feind in die Ecke stellen und über den wir sagen: Die unterwandern uns mit einem bestimmten Denkschema. – Sie sind doch des Denkens selber fähig. Sie müssen sich von denen doch nicht vorschreiben lassen, wie neoliberal oder nicht gedacht wird.

Für mich ist es manchmal ganz interessant, wenn ich von jemandem als Sparringspartner erfahre, wie er etwas sieht. Ich habe natürlich meine eigenen Vorstellungen. Dann gleicht man das miteinander ab.

Ich verstehe also nicht ganz, wo Sie da die große Not sehen. Die Grundproblematik sehe ich auch – im Übrigen nicht nur bei der Bertelsmann Stiftung. Letztlich gilt das für jede Form der lobbyistischen Einflussnahme auf Politik. Man muss immer untersuchen: Wie weit geht das, und welchen Einfluss hat das?

Natürlich geht es uns Grünen wie anderen hier im Hohen Hause auch so, dass wir manchmal denken: Verdammt; da hat aber jemand besonders viel Einfluss. – Das gefällt uns dann auch nicht. Und manche, die dann gerade etwas zu sagen haben, richten sich womöglich auch etwas zu sehr danach. Das stellen wir dann fest. Dann muss man darüber streiten. Dann muss man versuchen, Mehrheiten dafür zu bekommen, dass das wieder wegkommt und so nicht passiert.

Aber eine solche Grundtendenz, als ob die Demokratie durch eine Bertelsmann Stiftung und deren Aktionsradius gefährdet wäre, sehe ich und – ich darf das, glaube ich, auch für meine Fraktion so deutlich sagen – sehen wir nicht.

Die Gefahren für die Demokratie sehe ich ganz woanders, nämlich dort, wo Begriffe wie „Demokratie ist zum Selbstbedienungsladen geworden“ genannt werden. Es ist eine Gefahr, wenn man das sagt;

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist mit der AfD doch nichts anderes! Das sehen wir doch gerade!)

denn das leistet einem Denken Vorschub, das inzwischen leider sehr verbreitet ist und dazu führt, dass die Leute sagen: Na ja; das hier ist eine Bude, in der nur geredet wird; das ist gar kein Parlament mehr.

Wenn man sich selber in seinem Selbstbewusstsein so herunterredet und herunterdiskutiert, indem man sich in eine solche Relation setzt und angstvoll nach oben guckt – oh, die böse Stiftung oder der böse XY –, dann dient man der Demokratie nicht,

(Michele Marsching [PIRATEN]: Dann hätten wir keine Große Anfrage gestellt!)

sondern ist im Grunde in der Gefahr, die Demokratie als ein schon im Ausverkauf befindliches Modell der Politik zu bezeichnen.

Das sehen wir nicht so. Ich glaube, dass wir in ganz vielen Bereichen mit allen aus der Zivilgesellschaft stark in der Diskussion bleiben müssen. Dazu gehören auch Stiftungen, Unternehmen, Institute und wer auch immer.

Aber das Entscheidende für mich ist das Selbstbewusstsein des Parlamentes, das Selbstbewusstsein der frei gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier.

Insofern müssen wir immer auch eine kritische Auseinandersetzung mit den auch von Ihnen durchaus richtig gestellten Fragen führen. Ich habe das schon am Anfang gesagt; damit schließe ich auch. Die Große Anfrage hat ihr Recht. Sie ist auch nach bestem Wissen und Gewissen – das darf ich unterstellen – von der Landesregierung beantwortet worden.

Man kann sich damit – Sie haben das ja angedeutet – auch in anderen Zusammenhängen weiter auseinandersetzen. Nur: Dass diese Arbeit schon eine Gefahr für die Demokratie darstellt, würde ich an dieser Stelle infrage stellen. Die Gefahren für die Demokratie lauern ganz woanders. Sie lauern bei den Vereinfachern, also nicht bei denen, die uns aus ihrer Sicht heraus etwas erklären, sondern an Stellen, die wir hier schon mehrfach besprochen haben.

Deshalb sage ich noch einmal: Lassen wir uns nicht auf diesen Weg führen und Begriffe benutzen, die andere schon benutzen, um der Demokratie an sich einen Schaden zuzufügen. Ganz sicher gehört weder der Bertelsmann-Konzern noch die Bertelsmann Stiftung zu einem demokratiefeindlichen Umfeld.

Insofern muss man die Diskussion in diese Relation setzen. Da soll sie geführt werden. Dafür haben Sie einen Anstoß gegeben. Noch einmal vielen Dank dafür.

Damit ist aus unserer Sicht zu diesem Punkt für heute alles gesagt – für die Zukunft sicher noch nicht. Es gilt, weiter zu diskutieren. Und noch einmal: Antje Vollmer hat nicht unrecht damit, dass man das auch in diese Stiftungen, Institute und Beratungsunternehmen hineintragen muss. Wenn die Große Anfrage uns da für die Zukunft einen Dienst erwiesen hat – durch weitere Bearbeitung, wie Sie es andeuten –, dann soll es so sein, und wir werden das alles gemeinsam selbstbewusst und offen miteinander diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer Anhörung des Hauptausschusses zu einem Antrag zur Einführung eines Transparenzregisters im September dieses Jahres haben uns die geladenen Sachverständigen wissen lassen, dass die Begriffe Lobbying und Lobbyismus gerade in der Bundesrepublik Deutschland sehr häufig ausgesprochen negativ belegt sind.

Mit Lobbytätigkeiten wird in der bundesdeutschen Wahrnehmung häufig die versuchte – „versuchte“ in Klammern; da bin ich ganz bei dem Kollegen Keymis, was das Selbstbewusstsein von uns als Parlamente angeht – monetär oder meinungsmächtig aufgestellter Vertreter von Partikularinteressen auf die politische Meinungsbildung in den Parlamenten, Regierungen in der Öffentlichkeit verbunden.

Das bedeutet nicht, dass es solche Versuche der Einflussnahme nicht geben mag. Das zeigt auch die ganze Bandbreite möglicher Interessenartikulationen bereits auf. Jenseits von Wahlen und Abstimmungen erscheint aber das Herantragen von Ideen und Interessen an Verantwortungsträger stets dann aussichtsreicher, wenn es in irgendeiner Form organisiert, strukturiert und natürlich ausgestaltet erfolgt.

Bei den mittels Lobbying verfolgten Interessen muss es sich nicht nur um Partikularinteressen handeln. Lobbying kann auch zugunsten von Gemeinwohlinteressen erfolgen. Lassen Sie uns nur einmal die Beispiele im Naturschutz, beispielsweise im Umweltschutz, aufgreifen. Auch im Gemeinwohlinteresse wird Lobbying betrieben.

Kein Abgeordneter oder keine Abgeordnete wird von sich behaupten wollen oder können, Experte oder Expertin für jedes erdenkliche Sachgebiet zu sein. Deswegen bedarf es auch gelegentlich des Rückgriffs auf externen Sachverstand. Sonst würden zum Beispiel auch unsere Sachverständigenanhörungen im parlamentarischen Beratungsverfahren eigenartig anmuten. Deswegen ist Lobbying nicht per se negativ zu beurteilen.

Auch bei der Bertelsmann Stiftung haben wir es mit einem Akteur zu tun, der zu einem umfassend verstandenen Begriff des Lobbying dazuzurechnen ist. Offen und im Internet für jedermann recherchierbar verfolgt die Stiftung auch politische Ziele. Dagegen ist gar nichts einzuwenden. Bertelsmann tut hier nur das, was andere Lobbygruppen ebenfalls tun. Sie sagen es auch klar.

Die Große Anfrage der Piraten zielt allerdings eher darauf ab, Bertelsmann mit Blick auf das Sitzland Nordrhein-Westfalen und die hiesige Landespolitik ein – so will ich es einmal beschreiben – unlauteres Mehr zu unterstellen, also eine Art verdeckte Steuerung oder Beeinflussung politischer Prozesse in diesem Land. Diesbezüglich gibt die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage nichts, aber auch gar nichts her.

Wir wissen nun, dass das Lehrerfortbildungsprojekt „Vielfalt fördern“ zur individuellen Förderung von Schülern in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung durchgeführt wurde. Auch die Projekte „Kein Kind zurücklassen!“ und „Musikalische Grundschule“ fallen in diesen Bereich, ebenso Expertisen mit Blick auf das Hochschulfreiheitsgesetz und die Gründung von Hochschulgesellschaften.

Wir wissen ebenfalls, dass vereinzelt natürliche Personen, die einmal für ein Bertelsmann-Unternehmen oder die Stiftung tätig waren, nunmehr Tätigkeiten in der Landesverwaltung ausüben. Wir wissen schließlich, dass es Kontakte und Treffen zwischen Mitgliedern der Landesregierung und Angehörigen der Bertelsmann Stiftung gegeben hat.

Meine Damen und Herren, was ich der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage entnehmen kann, erschüttert mich keineswegs. Erkenntnisse dahin gehend, dass es sich bei der Bertelsmann Stiftung um ein – in Anführungszeichen – „schwarzes Schaf“ des Lobbyismus handeln könnte, finde ich in der Antwort nicht.

Eine Beeinflussung landespolitischer Prozesse ist für mich ebenfalls nicht zu erkennen – auch nicht bei den Einzelprojekten, da diese offensichtlich auch politisch intendiert waren und ohne Bertelsmann dann mit Unterstützung anderer externer Dritter realisiert worden wären. Im Übrigen haben wir auch hier im Parlament darüber letztlich noch abgestimmt und befunden.

Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt im Ergebnis also lediglich auf, dass die Bertelsmann Stiftung und Teile des Konzerns dem Stiftungs- und Unternehmenszweck entsprechend Lobbyaufgaben wahrnehmen.

Dabei handelt es sich auch um eine rechtlich zulässige Verhaltensweise. Die Bertelsmann Stiftung ist auch mit keinem US-amerikanischen Super-PAC zu vergleichen, das ohne irgendeine Offenlegungspflicht Spenden in sich aufsaugt und derartig ausgestattet dann Einfluss auf politische Prozesse nehmen kann.

Die Stiftung ist im Übrigen – das sage ich, weil wir das ja unter dem Gesichtspunkt Transparenzregister und Lobbyregister diskutiert haben – im Transparenzregister der Europäischen Union eingetragen.

Letztlich versuchen die Piraten hier – so stellt sich mir das dar – eine Skandalisierung, die aber ohne Erfolg bleibt.

Was der Antwort auf die Große Anfrage aber sehr wohl entnommen werden kann, sind Anforderungen an Transparenz und Öffentlichkeit von Lobbytätigkeiten.

Die Antwort enthält im Übrigen keine anderen Informationen als die, die sich auch in einem öffentlichen Lobbyregister oder einem „Legislativen Fußabdruck“ finden könnten.

Gäbe es diese Instrumente zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, hätte es der Anfrage und damit der heutigen Debatte wahrscheinlich nicht bedurft.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Gäbe! Schade, dass es das nicht gibt!)

Aus freidemokratischer Sicht ist es deshalb wirklich an der Zeit, in der kommenden Wahlperiode – auch das aufgreifend, was wir in den letzten Monaten dazu diskutiert haben – einen möglichst breiten Konsens über die Einführung eines geeigneten wirksamen Lobbyregisters oder auch des „Legislativen Fußabdrucks“ herzustellen. Nordrhein-Westfalen könnte hier ganz sicher mit gutem Beispiel vorangehen, um unter Beachtung des freien Mandats der Abgeordneten ein modernes, den demokratischen Anforderungen sowie den entsprechenden Kriterien und Ansprüchen genügendes Regelwerk zu erstellen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth.

Lassen Sie mich kurz erläutern, warum ich jetzt hier oben sitze. Normalerweise würden wir während eines solchen Tagesordnungspunktes den Vorsitz nicht in dieser Art und Weise tauschen. Aber Kollege Uhlenberg musste leider pünktlich weg. Deswegen haben wir vereinbart, dass ich trotzdem den Vorsitz übernehme. Eigentlich würde ich bei diesem Punkt aus verschiedenen Gründen gerne in den Reihen der Grünen sitzen – zum Beispiel, falls Sie mich noch einmal ansprechen wollten. Ich bitte um Verständnis. Wir konnten das technisch nicht anders regeln.

Wir fahren fort mit der Redeliste. Als Nächster spricht für die Landesregierung Herr Minister Groschek in Vertretung für Herrn Minister Lersch-Mense.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Trotz der hinterfragten Zeiträume, trotz fehlender Geschäftsstatistiken, trotz manchmal unbestimmt wirkender Personenkreise, die unter Überschriften wie „Gremien“, „Beiräte“ etc. hinterfragt wurden und so eine konkrete Antwort schwer gemacht haben, haben wir daten- und fristgerecht umfänglich geantwortet.

Die unterstellte Anstößigkeit ist mit keinerlei Indiz zu belegen.

(Zuruf von den PIRATEN: Wir haben nichts anderes behauptet!)

Deshalb gestatten Sie mir nur einen Hinweis: „The Circle“ ist ein fiktiver Roman, der in Kalifornien gut beheimatet ist. Er gehört nicht nach Gütersloh.

(Lachen von Hendrik Schmitz [CDU] und Angela Freimuth [FDP])

Bertelsmann und die übrigen Unternehmen im Lande sind selbstverständlich wichtige Gesprächspartner für die Landesregierung. Dazu zählen auch Sozialpartner, Kirchen, Verbände und Initiativen.

Die Kooperation mit Bertelsmann als Gruppe und Stiftung ist im Übrigen breit dokumentiert und deshalb auch transparent dargestellt. Die Zusammenarbeit ist keine Frage von Weltanschauung. Unternehmen müssen bei uns nicht zum Gesinnungs-TÜV.

Bertelsmann ist natürlich sowohl Medien- als auch Beratungsunternehmen. Aber das geschieht in aller Öffentlichkeit und nicht hinter verschlossenen Türen oder unter falscher Etikettierung.

Bei der Expertise von außen ist für die Landesregierung ausschließlich fachliche Qualität entscheidend. Das wird auch deshalb transparent, weil wir Vielfalt und Qualität jeweils in einer Vielzahl von Antworten auf Kleine Anfrage dokumentiert haben.

Alle, die uns als Experten beraten, helfen, Politik und Gesetze besser zu machen. Sie ersetzen Politik nicht. Das ist die entscheidende Grenze, die hier auch mehrfach thematisiert wurde.

Für Denkanstöße, die über den Wahltermin hinausgehen und weit in die nächste Wahlperiode reichen, ist die Landesregierung genauso dankbar wie das Hohe Haus. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Bitte bleiben Sie am Pult. Eine Kurzintervention wurde von Herrn Dr. Paul von den Piraten angemeldet. – Bitte schön.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, „The Circle“ hat mit Facebook und Google zu tun. Das würde ich den Bertelsmännern in Gütersloh nie unterstellen.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Na, na!)

Ich bitte Sie aber um eine andere Einschätzung. Wenn man sich die Gutachten der Stiftung und vor allen Dingen ihre Stellungnahmen zur Sozial- und Wirtschaftspolitik durchliest, kann man einen deutlichen Trend hin zu „Unternehmerschaft ist gut“ – dagegen ist zunächst einmal nichts einzuwenden – und „Privatisierung ist etwas grundlegend Gutes“ feststellen.

Wie ist es denn zu verstehen, wenn eine Stiftung zu mehr als drei Vierteln das Kapital eines Konzerns hält, der selbst genau mit den Dienstleistungen aufwartet, zu denen die Stiftung in ihren Gutachten rät? Hat das für Sie nicht ein Geschmäckle? Unabhängig davon kann die Politik natürlich immer frei entscheiden. Aber ich frage Sie: Hat das für Sie nicht ein Geschmäckle?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Das hat es allein deshalb nicht, weil Sie ja das konkrete Handeln dieser Landesregierung überprüfen können und diese Landesregierung Tag für Tag beweist, dass sie sich vom ideologischen Überbau der Stiftung „Privat vor Staat“ frei macht und frei hält.

Fehler der Vergangenheit, die möglicherweise auch mit diesem Überbau zu tun haben, würde diese Landesregierung nie begehen, weil diese Landesregierung auf einem anderen programmatischen Fundament und anderen inhaltlichen Überzeugungen fußt und alltäglich die im Koalitionsvertrag niedergelegten Wertorientierungen umsetzt.

(Lachen von Lutz Lienenkämper [CDU])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Warden.

Marion Warden (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte haben wir gerade schon einige Ausführungen zur Bertelsmann Stiftung und ihren Tochtergesellschaften gehört. Ich möchte trotzdem einige Punkte ergänzen und noch einmal hervorheben.

In NRW haben wir im Moment ungefähr 3.780 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts. Diese sind nach unserer Auffassung unverzichtbar für unsere Demokratie und helfen im Rahmen des verfassungsrechtlich verankerten Subsidiaritätsprinzips, gemeinnützige Projekte zum Beispiel im Sozial-, Kultur- und Umweltbereich durchzuführen. Sie unterstützen auch Wissenschaft und Forschung.

Die Gründung einer solchen Stiftung richtet sich nach dem Stiftungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, nach dem zur Entstehung einer Stiftung das Stiftungsgeschäft und die Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes – hier ist es die Bezirksregierung – erforderlich sind. Dies ergibt sich aus den einschlägigen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Alle Stiftungen, so auch die Bertelsmann Stiftung, unterliegen der Rechtsaufsicht des Landes, der sogenannten Stiftungsaufsicht. Deren Aufgabe ist es, zu überwachen und sicherzustellen, dass das Stiftungsgeschäft und die Satzung durch die Organe der Stiftungen eingehalten werden. Die Stiftungsaufsicht kann, wenn sie es für erforderlich hält, Anordnungen treffen, damit der Wille der Stifter beachtet wird und im Stiftungshandeln seinen Niederschlag findet. Die Politik hat darauf im Rahmen der bestehenden Gesetze keinen Einfluss.

Dieser Hinweis ist wichtig, da Sie in Ihrer Anfrage unter anderem auch den Stiftungszweck der Bertelsmann Stiftung infrage stellen.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass durch die zuständige Stiftungsaufsicht Zweifel an der satzungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben bestehen. Das muss aus meiner Sicht vor dem Hintergrund des Tenors Ihrer Großen Anfragen deutlich hervorgehoben werden, auch wenn ich nicht immer alle Inhalte der Studien und der Ausführungen der Bertelsmann Stiftung teile.

Ihre Große Anfrage impliziert durch die Art der von Ihnen gestellten Fragen, die Stiftung bzw. die Unternehmensgruppe nehme einen einseitigen Einfluss auf die Arbeit von Landesregierung bzw. nachgeordneten Behörden – das haben meine Vorredner gerade schon ausgeführt –, und sie arbeite nicht streng wissenschaftlich.

Ich darf aus Ihrer Anfrage zitieren:

„Über die Meinungsmacht der Bertelsmann-Unternehmensgruppe hinaus übt Bertelsmann über die Stiftung eine politische Gestaltungsmacht aus, die weit über den Einfluss von Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, ja sogar von Parteien hinausgeht.“

Deshalb möchte ich für meine Fraktion klar und deutlich sagen: Sie geben damit der Bertelsmann Stiftung bzw. der Unternehmensgruppe eine Bedeutung, die diese im Alltag nicht hat.

Wir begeben uns mitten in das Thema des sogenannten Lobbyismus und kommen damit zu der Frage der Abgrenzung einseitiger und von der Durchsetzung eigener Interessen bestimmter Einflussnahme und der Frage: Wie können fachkundiger Rat und externe Überlegungen eingeholt werden? Denn die Bürgerinnen und Bürger erwarten natürlich zu Recht, dass sich Entscheidungen allein an der Sache orientieren.

Um das zu gewährleisten, nutzen wir als Parlamentarier, aber auch die Landesregierung und alle nachgeordneten Behörden externe Beratung und Information. Viele Sachverständige und Experten leisten hierbei eine wichtige Rolle, weil sie durch Expertenwissen eine Meinungsvielfalt eröffnen, die dazu beiträgt, sachgerechte Entscheidungen zu treffen.

Unsere Aufgabe liegt darin, ausgewogen zwischen unterschiedlichen Interessen zu entscheiden: Wo geht es mir um Einzelinteressen? Und wo steht das Gemeinwohl im Vordergrund?

Die Landesregierungen – unabhängig von der jeweiligen Koalition – verhalten sich ähnlich, wobei sie – das wird ja auch in der Antwort der Regierung dargestellt – genau wie alle anderen Behörden das Vergaberecht zu beachten haben. Das gilt selbstverständlich auch bei der Vergabe von Projektaufträgen, Gutachten und Ähnlichem.

Einen wichtigen Aspekt möchte ich noch hinzufügen. Stiftungen und andere zivilgesellschaftliche Akteure helfen, einen externen Blick auf gesellschaftliche Prozesse, auf Veränderungen im Land und auf das Handeln von Politik und Regierung zu erhalten. Nicht nur die Bertelsmann Stiftung, sondern auch andere namhafte Stiftungen wie die Hans-Böckler-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung oder die Stiftung Mercator

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Die gehören zu keinem Unternehmensverbund!)

beraten und begleiten Politik, Regierung und auch unsere Kommunen.

Dabei ist es unsere Aufgabe, als verantwortlich Handelnde abzuwägen, wie wir mit den Empfehlungen einer Stiftung umgehen und welches Gewicht wir diesen geben.

Auch die Landesverwaltung betont in ihrer Antwort deutlich, dass sie auf qualifiziertes Personal in den Fachbereichen zurückgreift und auch die wissenschaftliche Qualität der zurate gezogenen Studien oder deren Sachverstand prüft.

Abschließen möchte ich mit einem Dank an Sie als Piratenfraktion für die Anfrage und für die Möglichkeit zur Diskussion, aber auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesregierung, die immerhin gut 42 Fragen rückwirkend über zehn Jahre beantworten mussten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Warden. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache und stelle fest, dass die Große Anfrage 21 der Piratenfraktion erledigt ist.