Donnerstag, 5. Juni 2014
Top 8. Vertrauen ist beschädigt, Kontrolle ist notwendig: Die Landesregierung muss eine „Task Force“ zur Überprüfung der Speicherung personenbezogener Daten durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz einsetzen
Antrag der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5961
direkte Abstimmung
Unser Redner: Frank Herrmann
Abstimmungsempfehlung: Zustimmung
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Protokoll der Rede von Frank Herrmann
Präsidentin Carina Gödecke:
Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der Piraten bekommt Herr Kollege Herrmann das Wort.
Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die im Saal verblieben sind! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream! Wir sprechen in unserem Antrag von Vertrauen. Wir werden gleich vermutlich zu hören bekommen, wir Piraten hätten kein Vertrauen in die Sicherheitsbehörden, würden ständig kritisieren und dramatisieren.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Sie haben keine Ahnung, Herr Herrmann!)
Ich sage Ihnen eines: Wir Piraten haben großes Vertrauen, zum Beispiel in unser Grundgesetz, welches unter Hinweis des Bundesverfassungsgerichts schon mehrfach den Regierungen des Bundes und auch dieses Landes ihre Grenzen aufgezeigt hat. Wir haben großes Vertrauen in unsere Landesverfassung, die explizit den Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf den Schutz ihrer Daten als Grundrecht festschreibt. Wir haben ebenfalls großes Vertrauen in unsere Bürgerinnen und Bürger selbst, dass sie sich durch stetig stärker werdenden Widerstand den ausufernden Überwachungsplänen unserer jeweiligen Regierungen entgegenstellen.
Ganz besonderes Vertrauen haben wir in unser Land als Ganzes; denn wir, die Bundesrepublik Deutschland mit all ihren Menschen, sind mit unseren bereits zweifach gemachten Erfahrungen der Auswirkungen eines Überwachungsstaates das richtige und wohl auch das wichtigste Land weltweit, um der globalen Überwachung, geprägt durch die NSA, aufgedeckt durch Edward Snowden, entgegenzutreten. Dass wir, gerade auch aufgrund unserer Geschichte, den Menschen, denen wir die Aufdeckung dieses riesigen Überwachungsapparates zu verdanken haben, einen sicheren Aufenthalt bieten müssen, versteht sich daher von selbst. Ob Sie das hier jetzt aufgrund kleingeistiger Zwänge ablehnen oder nicht unabhängig von irgendwessen Zuständigkeiten wird die Frage des Aufenthalts sicher von den Menschen in unserem Land beantwortet werden, die mit Mut für ihre und unsere Freiheit, die Freiheit unserer Kinder und Kindeskinder eintreten.
(Beifall von den PIRATEN)
Vertrauen kann man nicht einfordern, Vertrauen muss man sich verdienen. Deshalb wiegt es schwer, wenn Vertrauen enttäuscht worden ist. Das ist im letzten Herbst in Niedersachsen geschehen. Der Landesverfassungsschutz dort hat in seiner Amtsdatei journalistisch tätige Personen nur aufgrund ihrer Tätigkeit ohne verfassungsbrechende Absichten rechtswidrig abgespeichert.
Aber, meine Damen und Herren, es kommt noch schlimmer: Die daran anschließende Überprüfung der Datenbestände deckte eine immense Anzahl von Fehlspeicherungen auf. Die eingesetzte Arbeitsgruppe legte in ihrem Abschlussbericht nahe, nahezu 40 % der gespeicherten Personendaten zu löschen. Ansatzlos wurden Minderjährige, Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Bürgerprotesten, Moscheebesucherinnen und besucher und Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, gespeichert. Das lässt sich nicht auf ein individuelles Fehlverhalten bei den Speicherungen zurückführen, sondern es handelt sich offensichtlich um ein Organisationsversagen des niedersächsischen Verfassungsschutzes.
Wir Piraten wollen deshalb nun einmal mehr, dass auch die Datenbestände in Nordrhein-Westfalen geprüft werden. Der Verfassungsschutz hat hier ca. 34.000 Personen in seiner Amtsdatei gespeichert. Bei einer solchen Datenmenge sind Fehler schnell passiert. Die Forderung nach einer Prüfung bedeutet aber nicht, dass wir von einem Organisationsversagen in den Ausmaßen von Niedersachsen ausgehen. Wir wissen, dass es Unterschiede in den Verfassungsschutzgesetzen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gibt. Wir wissen auch, dass in Niedersachsen zum Beispiel Minderjährige unter anderen Voraussetzungen gespeichert werden dürfen als in Nordrhein-Westfalen.
Können Sie aber wirklich wegen dieser Unterschiede Fehlspeicherungen ausschließen? Ich denke, nicht. Oder haben Sie trotz aller Skandale der letzten Jahre, an denen nicht zuletzt auch der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen beteiligt war, uneingeschränktes Vertrauen? Wir haben das Vertrauen spätestens seit dem NSU- und dem NSA-Skandal in großen Teilen verloren. Wir wollen nicht riskieren, dass Personen in den Dateien gespeichert sind, die darin nichts zu suchen haben. Wollen Sie einen weiteren Vertrauensverlust riskieren, wenn durch irgendeinen Zufall ähnliche Rechtsverletzungen wie in Niedersachsen ans Tageslicht kommen? Ich denke, nicht.
Zum Schluss möchte ich noch einmal appellieren: Es gibt viel zu wenig Kontrolle und viel zu viele Skandale. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat jahrelang zugelassen, dass sich die Naziszene vor allem im Ruhrgebiet stark organisiert und vernetzt hat und dass sie immer gewaltbereiter wurde. Zugleich wurde der rechtsterroristische und menschenfeindliche Hintergrund von Anschlägen und Morden nicht erkannt und nichts von unserer Totalbespitzelung durch ausländische Geheimdienste gewusst. Diesen enormen Vertrauensverlust haben die letztjährige Verfassungsschutzreform und einige öffentliche PKG-Sitzungen unserer Meinung nach nicht entkräften können. Deshalb brauchen wir die Taskforce nach dem Vorbild Niedersachsens. Lassen Sie eine Überprüfung der Dateien zu. Andere Innenminister haben ganz von selbst eine Überprüfung angeordnet.
(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])
Treffen Sie eine Entscheidung ohne Vorurteile und denken Sie nicht daran, dass dieser Antrag von uns Piraten kommt.
Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.