Gastbeitrag von Eberhard von Goldammer [*]
Link zur hier besprochenen Kolumne von Sascha Lobo: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/ueberwachung-und-kontrollwahn-dahinter-steckt-kybernetik-a-978704.html
Den Kontrollstaat, so wie wir ihn heute erleben, konnte man schon Ende der 80er Jahre voraussagen, nachdem – erst die US-amerikanische – und einige Zeit später die deutsche Forscher-‘Elite’ die Neuroinformatik für sich wiederentdeckt hatte und meinte, damit nicht nur „neue“ wissenschaftliche Wege zu begehen, sondern auch noch menschenähnliche Maschinen – was die kognitiven Fähigkeiten anbelangt – konstruieren und bauen zu können. Auf der Basis dieser verkürzten Denkweise der (Neuro-)Informatiker konnte und musste es zu einem Kontrollstaat kommen. Das lässt sich auch detailliert begründen, würde aber an dieser Stelle den Rahmen sprengen. D.h. die Gesellschaft – also auch das Land NRW – hat mit der Förderung dieses Wissenschaftszweiges, der ja auch heute noch gefördert wird, das mitfinanziert, was Sascha Lobo in seinem Artikel/Vortrag und viele andere heute so heftig kritisieren. Vorhersagbar war es – Alternativen wurden damals abgewürgt. Ein Beispiel ist das unter [1] beschriebene und das ist leider nur ein Fall von mehreren.
Aus konzeptioneller Sicht war das, was da großartig gepriesen und dann großzügig mit Steuergeldern gefördert wurde, alles andere als neu, denn es war bereits in den 50er Jahren entwickelt worden – neu war nur die Hardware, die um Größenordnungen effizienter geworden war – im Sinne der elektronischen Datenverarbeitung und nicht der Kybernetik(!); – denn aus konzeptioneller Sicht hat sich seit Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) – dem eigentlichen „Namenspatron“ (patron saint, wie Norbert Wiener in benannt hat) der Kybernetiker – nicht wirklich grundlegendes verändert.[2] Der heutige Computer lässt sich immer noch mechanisch abbilden: Zahn oder Lücke, Null oder Eins – das hatte schon Leibniz erkannt und technisch umgesetzt. Was bis heute aber noch nicht wirklich gelungen ist, ist die Umsetzung der Leibniz’schenVision einer „characteristica universalis“. Gerade die Europäer hätten allen Grund diese Vision von einem ihrer größten Vor-Denker in die Realität umzusetzen; – leider geschieht das nicht, obwohl die Voraussetzungen, wie das angegangen werden muss, seit etwa 40 Jahren bekannt und jedermann/frau zugänglich – d.h. gedruckt vorhanden – sind.
Vorausberechnungen oder Voraussagen zu machen, ist eigentlich der Wunsch und das Ziel aller Wissenschaftler und nicht eine spezifisch kybernetische Angelegenheit, wie das von Sascha Lobo beschrieben wird.
Überwachung von Teilen oder gar der gesamten Bevölkerung war immer, d.h. zu allen Zeiten die Aufgabe von Geheimdiensten/Geheimpolizei wie Gestapo, KGB, Verfassungsschutz und eben auch NSA, um nur einige zu benennen. Mit anderen Worten: Zu behaupten, dass „der Urgrund der Überwachung die Kybernetik sei“, wie es Sascha Lobo in seinem Beitrag tut – das ist schlichtweg Unsinn. Der arme Norbert Wiener: man kann ihn nicht für alles verantwortlich machen und erst recht nicht für die heutigen Zustände der USA und deren Geheimdienste.
Und schließlich: Karl Steinbuch hat Ende der 60er Jahre als der erste (Informatik)-Studiengang an der TU Karlsruhe im WS 69/70 eingerichtet wurde, nicht den Namen „Kybernetik“, sondern „Informatik“ gewählt – und das war gut so, denn die Künstliche Intelligenz-Forschung, wie wir sie heute kennen, ist meilenweit von dem entfernt, was die Begründer der Kybernetik[3] sich einst vorgestellt und erträumt hatten – um das zu erreichen, benötigt man einen grundlegenden wissenschaftlichen Paradigmenwechsel – also eine Erweiterung der Logik und Mathematik, wie sie durch die Polykontexturalitätstheorie des Philosophen und Logikers Gotthard Günther (1900-1984) in die Wissenschaft eingeführt wurde. Eigentlich ist Gotthard Günther der bedeutendste Kybernetiker des 20. Jhd. und durchaus in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit seinem großen Vorgänger Leibniz, in dessen Tradition sein Oeuvre – work in progress wie er es nannte – anzusehen und einzuordnen ist. Das gilt auch und ganz besonders vor dem Hintergrund, dass der Scientific Mainstream seine Arbeiten heute (.. noch ..) gar nicht wahrhaben will und sein Oeuvre schlichtweg ignoriert oder gar diskreditiert.
Endnoten:
[*] Zum Autor Eberhard von Goldammer, siehe: http://www.vordenker.de/vgo/vgo_publiste.pdf
[1]
(a) Eberhard von Goldammer & Rudolf Kaehr: ‘Lernen’ in Maschinen und lebenden Systemen, in: Design & Elektronik, Ausgabe 6 vom 21. März 1989, S. 146-151— als pdf-Datei: http://www.vordenker.de/vgo/lernen-maschinen-leben.pdf
Das ist eine konzeptionelle Kritik an der damals so hochgejubelten Neuroinformatik, die nicht immer auf Gegenliebe gestoßen ist.
(b) Eberhard von Goldammer & Peter Rath: „Historischer Rückblick und Anmerkungen zu einem Projekt, das an einer Privat-Universität unerwünscht war … sowie Wissenschaftszensur oder Universität nach Gutsherrenart – Eine ‘Elite’ in Deutschen Landen“, in: www.vordenker.de, 2007.
URL: http://www.vordenker.de/vgo/vgo_ein-ungeliebtes-forschungsprojekt.pdf
Das nur zur der oben gemachten Aussage “Alternativen wurden abgewürgt“ – auch das bezieht sich auf die 80er Jahre und es ist leider nicht das einzige Beispiel. In den 90ern war die Republik vereinigungsbesoffen und hatte dann auch keinerlei Interesse an solchen Themen.
[2] Eberhard von Goldammer: Leibniz … reloaded oder UniversalSCHRIFTsprache – Vision oder Illusion?, in: www.vordenker.de, 2011
URL: http://www.vordenker.de/vgo/anmerkungen_leibniz_a.pdf
[3] Es gab nicht nur einen “Vater” der Kybernetik. Man kann der Einfachheit halber vielleicht auf das Biological Computer Laboratory (BCL) verweisen, an dem eine ganze Reihe bekannter Wissenschaftler gearbeitet haben, die alle irgendwie für die Vaterschaft eines Gebietes stehen, das alles andere als militaristisch angedacht war. Den von Sascha Lobo und vielen anderen unterstellten Militarismus – wenn man diese Sicht einmal einnimmt – ist eine unmittelbare Folge der strikt monokontexturalen Logik und Mathematik, mit der das Gebiet in der Folgezeit bearbeitet wurde. Auf dieser Grundlage lässt sich Kybernetik im ursprünglichen Sinne nicht betreiben und entartet allenfalls zur elektronischen Datenverarbeitung – was ja tatsächlich geschehen ist. Lebende Systeme, um die es in der Kybernetik primär ging, sind nun einmal nicht monokontextural und damit monothematisch zu bearbeiten – das wussten schon die Urväter der Kybernetik – im Gegensatz zu ihren heutigen Kollegen aus der Informatik und/oder der Künstlichen Intelligenz (siehe: Macy-Konferenzen: http://de.wikipedia.org/wiki/Macy-Konferenzen).
URL zum BCL: http://de.wikipedia.org/wiki/Biological_Computer_Laboratory und http://bcl.ece.illinois.edu/
Geschichte des BCL: http://www.univie.ac.at/constructivism/papers/mueller/mueller00-bcl.html