Donnerstag, 11. September 2014
Top 5. Gesetz zur Novellierung des Gesetzes über die Zuweisung und Aufnahme ausländischer Flüchtlinge (Flüchtlingsaufnahmegesetz – FlüAG)
Gesetzentwurf der Landesregierung
1. Lesung
in Verbindung damit
Verantwortung übernehmen – Zügig mehr irakische Flüchtlinge aufnehmen
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
direkte Abstimmung
Abstimmungsempfehlung: Zustimmung
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Protokoll der Rede von Frank Herrmann
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Herrmann das Wort.
Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream! Herr Kruse, Sie hatten eben angemerkt, dass wir hier nur über vorliegende Anträge diskutieren. Das Thema „Sichere Herkunftsstaaten“ lasse ich deshalb weg, weil das sonst ausufern würde.
Trotzdem: Frau Düker hat eben darauf hingewiesen, dass wir zwei Anträge behandeln, die eigentlich sehr wenig miteinander zu tun haben. Ich verstehe nicht, warum wir über die Flüchtlingsaufnahme in Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit einem Antrag sprechen, der ein Bundesaufnahmeprogramm für irakische Flüchtlinge fordert. Vielleicht wollen Sie mit diesem großherzigen Appell an die Bundesregierung auch nur von dem dünnen Inhalt Ihres Flüchtlingsaufnahmegesetzes ablenken.
Natürlich ist es gut, dass wir in dieser Woche gleich auf der Grundlage mehrerer Anträge über die Flüchtlingskrisen in NRW und auch in der Welt reden. Heute und morgen tun wir das hier im Landtag. Aber reden allein hilft nicht. Bereits letztes Jahr haben wir über das Flüchtlingsaufnahmegesetz hier im Plenum gesprochen, und zwar unter dem Eindruck einer der vielen schlimmen Tragödien vor Lampedusa. Daran möchte ich erinnern. Es war der 3. Oktober 2013. Fast 400 Menschen ertranken damals. Wir waren alle sehr erschüttert.
Eine Änderung in der Flüchtlingspolitik beziehungsweise eine neue Konzeption wie wir es in einem Antrag nannten schien möglich. Wir alle waren uns einig, dass es ein „Weiter so!“ nicht geben darf. Sie versprachen Reformen, liebe Landesregierung, auch in NRW. Nun legen Sie abermals ein Flüchtlingsaufnahmegesetz vor, das lediglich eine Anpassung der Landeszuweisung an die höheren Flüchtlingszahlen enthält. Wo sind Ihre Vorschläge, wo die Initiativen?
Herr Minister Jäger, Sie haben letztes Jahr in der Debatte gesagt ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten : „Menschen eine menschenwürdige Unterkunft zur Verfügung zu stellen, ist Aufgabe dieses Landes. Dazu kann es keine zwei Meinungen geben.“ Ende des Zitats. Es war eben zwar schon angesprochen worden, aber ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass ich nicht verstehe, wie Sie zulassen konnten, dass in Ihrer Heimatstadt Duisburg eine Zeltstadt zur Unterbringung von Flüchtlingen geplant und aufgebaut wurde. Die Nutzung der Zeltstadt konnte letztendlich nur verhindert werden, weil die Kirchen eingesprungen sind, nicht das Land.
(Minister Ralf Jäger: Quatsch!)
Die Kirchen haben Wohnungen gestellt. Das Land hat dazu keinen Beitrag geleistet. Nun denkt Duisburg über die Unterbringung von Menschen in Schrottimmobilien nach. Das darf alles nicht wahr sein. Denn auch bei der verzweifelten Suche nach Unterbringungseinrichtungen müssen doch humanitäre und menschenwürdige Standards berücksichtigt werden Konnexität hin oder her. Es geht um die Menschenwürde. Die ist kein Deutschenrecht, sondern ein Menschenrecht.
Frau Düker, Sie sagten uns im letzten Jahr: Nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz ist vor dem Flüchtlingsaufnahmegesetz! Sie versprachen uns, dass Sie bei der Wiedervorlage des Flüchtlingsaufnahmegesetzes unsere Anregungen aufgreifen würden. Wir haben mittlerweile zwei Anträge mit sehr guten Vorschlägen in der Beratung und eine Anhörung gemacht, wo die Forderung nach dezentraler und humaner Unterbringung in Wohnungen besprochen worden ist. Die Experten haben uns rundweg bestätigt und so viele gute Argumente und Vorschläge für eine Neukonzeption der Flüchtlingsaufnahme geliefert, dass Sie die Dinge doch nur eins zu eins übernehmen müssen. Aber im Gesetzentwurf steht nichts drin. Dieser Gesetzentwurf zur Flüchtlingsaufnahme ist meiner Meinung nach nur ein erneutes Zeichen für die Bankrotterklärung so muss ich es bezeichnen der rot-grünen Flüchtlingspolitik.
In der nächsten Sitzung des Innenausschusses beraten wir auch auf unsere Initiative hin über das Aufnahmesystem des Landes. Das läuft nun auch schon seit zwei Jahren im Notbetrieb und ist aktuell wieder völlig zusammengebrochen. Im Moment herrscht offensichtlich das reinste Chaos. Aus Dortmund bekommen wir die Meldung, dass Menschen dort vorgestern die Nacht in den Fluren der Ausländerbehörde verbracht haben. Mehrere Busse mit Flüchtlingen aus Nordrhein-Westfalen sind Anfang der Woche in Hessen in der dortigen Erstaufnahme in Gießen aufgetaucht, völlig ohne Anmeldung, ohne Erstversorgung. Und hungrig waren die Menschen. Die Helfer dort hatten bis tief in die Nacht zu tun, um die Menschen notdürftig zu versorgen.
Eine ordentliche Aufnahme und Beratung ist so sicher nicht möglich. Ich finde es unerträglich, was wir den Menschen, die seit Tagen und Wochen auf der Flucht oft auch aus Krisen- und Kriegsgebieten sind, hier durch fahrlässige Planung antun. Herr Kruse, dass wir von einer Flüchtlingswelle überrollt würden, mag ich nicht mehr hören ebenso wenig ähnliche Superlative zur Beschreibung der Situation. Vor 22 Jahren haben wir mit ca. 440.000 Flüchtlingen fast dreimal so viele Menschen wie heute bei uns untergebracht. Das war auch möglich. Die Verantwortlichen für solche Meinungsmachemeldungen sollten sich wirklich schämen. Als mittlerweile zweitgrößter Waffenexporteur der Welt haben wir zudem eine besondere Verpflichtung für die Flüchtlingsaufnahme aus Kriegsgebieten. Auf die Vorschläge nach dem Bundesaufnahmeprogramm für irakische Flüchtlinge möchte ich nur kurz eingehen.
Ich empfehle meiner Fraktion, beide Anträge, also auch den FDP-Vorschlag zur Erweiterung um ein Landesprogramm, anzunehmen, und appelliere bei einer möglichen Umsetzung, nicht die gleichen bürokratischen Hindernisse auf- und einzubauen wie beim Aufnahmeprogramm für die syrischen Flüchtlinge. Denn die Menschen brauchen jetzt die Hilfe und nicht erst in zwölf Monaten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.