Veröffentlicht am von in Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie (A10), Joachim Paul, Reden.

Freitag, 29. November 2013

 

TOP 1. Aktuelle Stunde: US-Militärforschung an NRW-Hochschulen aufklären

Unser 1. Redner: Joachim Paul

Auf Antrag der Piratenfraktion hat sich der Landtag im Rahmen einer Aktuellen Stunde mit der Forschung des US-Militärs an NRW-Hochschulen befasst. Der Steuerzahler hat das Recht zu erfahren, was an unseren öffentlich finanzierten Unis geschieht und was dort geforscht wird, auch wenn Finanzmittel Dritter hinzukommen. Wir fordern lückenlose Aufklärung zur Höhe der aufgewendeten Mittel sowie zu den Inhalten der Forschungsvorhaben und den Beteiligungen der Universitäten.

 

Joachim Paul, Vorsitzender der Piratenfraktion:

„Geheimniskrämerei ist hier fehl am Platz. Universitäten in NRW, die sich ausschließlich friedlicher Forschung verschrieben haben, forschen mit Geldern des US-Militärs. Für eine moderne Demokratie des 21. Jahrhundert ist das ein untragbarer Zustand. Wir alle haben das Recht zu erfahren, was an Hochschulen geforscht wird und welche Drittmittel fließen, ohne Wenn und Aber. Es ist ein Skandal, dass Informationen zu Militärforschung an Hochschulen über ausländische Quellen ans Tageslicht kommen und das Ministerium keine Kenntnis darüber hat. Wenn Forschung im Verborgenen betrieben wird, dann schürt das Misstrauen. Wir müssen die Hochschulen finanziell so ausstatten, dass sie dem Lockruf des Geldes der Rüstungsindustrie widerstehen. Zentral für uns ist hierbei die Transparenz.“

Audiomitschnitt der kompletten Debatte anhören (die Rede von Joachim Paul ab 0:36 Min )#

Audiomitschnitt der kompletten Debatte als Download


Protokoll der Rede von Joachim Paul:

Guten Morgen, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und daheim! Erst einmal zum Sachstand: Nach Recherchen des „Norddeutschen Rundfunks“ und der „Süddeutschen Zeitung“ hat das US-Verteidi-gungsministerium seit dem Jahr 2000 mit mehr als 10 Millionen Dollar Projekte an 22 deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen unterstützt. Darunter sind auch Universitäten, die sich ausschließlich der friedlichen Forschung verpflichtet haben. In Nordrhein-Westfalen haben die Universitäten in Aachen, Bochum und Wuppertal Geld vom Pentagon erhalten.

Das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium bewertete die Forschung zu militärischen Zwecken an Universitäten grundsätzlich kritisch. „Wir fördern und fordern diese Art von Forschung nicht“, sagte ein Ministeriumssprecher, wie in „ZEIT ONLINE“ vom 25. November 2013 zu lesen war. Das ist schön.

Überhaupt nicht schön ist jedoch, dass unser Ministerium weiter erklärt, es habe keine Kenntnis über eine mögliche Zusammenarbeit von Hochschulen mit dem US-Verteidigungsministerium. Die Hochschulen müssten solche Kooperationen nicht anmelden. Diese Militärforschung ist rein zufällig über ausländische Quellen ans Tageslicht gekommen. Allein das ist schon skandalös.

(Angela Freimuth [FDP]: Das steht doch seit 2010 in der „Süddeutschen Zeitung“!)

Universitäten sind die geistigen Werkbänke der Gesellschaft. Da grundfinanzieren die Steuerzahler, also wir alle, Personal und Werkbänke an den Hochschulen und erfahren noch nicht einmal, was dort geforscht wird. Für eine moderne Demokratie des 21. Jahrhunderts ist das ein untragbarer Zustand.

(Beifall von den PIRATEN)

Dual Use hin oder her: Wir Piraten fordern das ein. Wir alle haben ein Recht darauf zu erfahren, was an Hochschulen und Forschungseinrichtungen geforscht wird und wer die Auftraggeber bei Drittmittelforschungen sind – ohne Wenn und Aber.

(Beifall von den PIRATEN)

Bochum ging hier mit sehr gutem Beispiel voran. Dabei geht es unter anderem um hitzebeständige Materialien.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN] hält ein Dokument hoch.)

– Das kann man im Netz finden. Ich muss dazu sagen: Mit Open Access ging das noch ein bisschen besser. Wir finden auch, dass neben der US-Airforce die europäische Aerospace mit an der Förderung dieser Projekte beteiligt ist.

Wenn aber die Forschungen im Verborgenen betrieben werden wie im Fall der RWTH Aachen, schürt das Misstrauen, wo vielleicht gar keines nötig wäre. So äußerte sich der Rektor der RWTH Aachen, Prof. Schmachtenberg, in den „Aachener Nachrichten“ vom 26.11.2013 sinngemäß, dass grundsätzlich keine Informationen zur Auftragsforschung herausgegeben werden und die Veröffentlichungen der Forschung den Richtlinien des Auftraggebers obliege. Des Weiteren würde es eine Schwächung der Position am Markt der Auftragsforschung bedeuten und Hunderte Arbeitsplätze in Aachen sehr gefährden, wenn freimütig über Auftraggeber und Inhalte der Forschungen gesprochen würde.

Es werden also noch nicht einmal Informationen an den zuständigen Ausschuss des Parlaments erwogen. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, rufe ich als Anwalt Herrn Edsger W. Dijkstra, einen niederländisch-amerikanischen Informatiker, auf, der in bahnbrechenden Arbeiten dafür gesorgt hat, dass unsere Betriebssysteme nicht in Verwirrung geraten. Sie können ihn auch gerne „Mr. Multitasking“ nennen. Ich zitiere aus seinem Vortrag „The strengths of the academic enterprise“ vom 7. Februar 1994 vor dem Industrieforum in Austin, Texas:

Eine Universität, die betrügt oder verheimlicht, kann ihre Türen schließen. Die essenzielle Rolle der Offenheit ist etwas, an das wir uns erinnern sollten, wenn wir über akademisch-industrielle Kooperationen beraten. Wir sollten uns auch daran erinnern, wenn eine Regierung Gründe der nationalen Sicherheit oder des Wohlstands erfindet, um eine freie Publikation akademischer Forschung zu unterbinden. Universitäten sind nicht Teil des nationalen Sicherheitssystems. Sie sind noch nicht einmal nationale Forschungslabore. Sie sind nationale Universitäten. – Soweit das Zitat.

Bemerkenswert daran ist, dass das nicht ein Soziologe ist, sondern ein Informatiker und Ingenieur, der sehr genau weiß, unter welchen Randbedingungen Innovationen am besten entstehen können.

Klar sind wir Freunde von internationalen Forschungskooperationen. Wissenschaft ist schließlich Begegnung, und Begegnung ist Bildung. Bildung ist Dünger und Nährboden für Innovationen. Aber umso mehr gelten Dijkstras Worte, wenn es sich bei dem Partner um das Militär eines befreundeten Landes handelt. Nicht der Krieg, sondern der Friede ist der Ernstfall.

Wissenschaft und Hochschulen sowie die an ihnen Tätigen haben sich der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung zu stellen. Wir sollten die Hochschulen finanziell so ausstatten, dass sie dem Lockruf des Geldes der Rüstungsindustrie widerstehen können. Gerade wir Deutsche sollten auf zivile Stärke statt auf militärische Scheinstärke setzen.

(Beifall von den PIRATEN)

Kriege sind schließlich keine Naturereignisse. Jeder Krieg ist erst ein wirtschaftlicher, politischer und sozialer Krieg, bevor er militärisch wird. Das heißt, er ist Ausdruck dafür, dass die Gesellschaften versagt haben, Probleme zivil zu meistern: Ausdruck eines pathologischen Zivilversagens.

Darüber hinaus haben wir Menschen das grundlegende Problem – man denke dabei zum Beispiel an die Kernenergie oder die Gentechnik –, dass wir ganz offensichtlich weiter werfen als gucken können. Wir haben also ganz andere Herausforderungen zu bewältigen, für die Wissenschaft und Hochschulen tätig werden sollten und eben nicht für die Rüstungsforschung für ein anderes Land. Der jetzige Widerstand gegen die Militarisierung unserer Bildungseinrichtungen ist ein wichtiger Beitrag einer glaubwürdigen Friedenspolitik.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine generelle Bemerkung zu den USA, denen gerade wir Deutsche so viel zu verdanken haben. Deutsches Duckmäusertum gegenüber den USA, wie jüngst auch bei den Snowden-Enthüllungen, haben unsere amerikanischen Freunde wahrlich nicht verdient. Wirkliche Freundschaft geht anders. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

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