Donnerstag, 17. Oktober 2013
Top 4. Gesetz zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes
Gesetzentwurf der Landesregierung
Block I
1. Lesung
in Verbindung damit
Unser Land braucht eine Neukonzeption der Flüchtlingsaufnahme – hin zu einer humanen und dezentralen Unterbringung in ganz NRW
Antrag der Fraktion der PIRATEN
Die aktuelle Situation in den Flüchtlingseinrichtungen des Landes NRW ist alarmierend. Wir fordern eine Erneuerung der Flüchtlingspolitik in NRW. Es bedarf der Definition klarer Vorgaben und Standards, damit in Zukunft Flüchtlinge in NRW menschenwürdig untergebracht werden. Auch für die soziale Betreuung in den Kommunen muss es Standards geben. In der Vergangenheit hat sich zudem gezeigt, dass das vom Land zur Verfügung gestellte Geld teilweise nicht bei den Menschen ankommt sondern zweckentfremdet wird.
Frank Herrmann, Flüchtlingspolitischer Sprecher der Piratenfraktion: „In Containerdörfern leben 450 oder mehr Menschen auf engstem Raum zusammen, ehemalige Klassenräume dienen neun Menschen als Wohn- und Schlafraum auf unbestimmte Zeit… Solche Verhältnisse führen zu sozialen Spannungen, die wir unbedingt vermeiden müssen. Wir fordern mit unserem Antrag Mindeststandards für die Unterbringung von Flüchtlingen und schlagen Lösungen vor – beispielsweise die Unterbringung nach dem Leverkusener Modell in angemieteten Wohnungen.“
Abstimmungsergebnis: Der Antrag wurde einstimmig an den Innenausschuss (federführend), an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Integrationsausschuss überwiesen.
Audiomitschnitt der kompletten Debatte als Download
Protokoll der Rede von Frank Herrmann:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream! Gestatten Sie mir zu Beginn meiner Redezeit einige Anmerkungen zur Flüchtlingssituation in Europa und zur Politik der Bundesregierung in dieser Sache.
Ich schäme mich dafür, dass die Verantwortlichen in Berlin trotz der schrecklichen Zustände für Flüchtlinge in den Ländern Südeuropas ein „Weiter so!“ propagieren. Zwar diskutieren wir aufgrund der letzten Tragödien im Mittelmeer vor Lampedusa endlich ein wenig über die Auswirkungen einer „Festung Europa“. Aber die Bundesregierung hat nun schon mehrfach angekündigt, dass sie an der Abschottung Europas und Deutschlands vor dem auch von ihr und von uns verursachten Elend in der Welt nichts ändern will.
Im Jahr 2011 sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks 1.500 Menschen im Mittelmeer ertrunken; im letzten Jahr sollen es 1.700 gewesen sein. Hinzu kommt eine sehr hohe Dunkelziffer. Was tun wir dagegen? Wir buttern jetzt Millionen Euro in Überwachungssysteme wie „Eurosur“, die zur Ausgrenzung und zur Abschottung gedacht sind, und treiben damit die Menschen dazu, in noch kleineren Booten noch gefährlichere Routen über das Meer zu suchen.
Dann kommt der Bundesinnenminister noch daher und brüstet sich mit den großen Zahlen von Flüchtlingen, die wir in Deutschland aufnehmen, wo doch nachweislich andere Länder in Europa drei- bis viermal mehr Flüchtlinge im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl aufnehmen.
Ohne es groß zu erzählen, ist er mit seinem Einfluss in Brüssel dann immer noch ständig dabei, die Reisefreiheit der Menschen in Europa zu torpedieren. Das ist wirklich das Letzte, und ich hoffe, dass er in der kommenden Bundesregierung nicht mehr unser Innenminister sein wird.
(Beifall von den PIRATEN)
Mut macht mir hingegen, dass die Grünen im Bund eine Generalüberholung der europäischen Asylpolitik fordern und dies als Kernpunkt in die Verhandlungen mit der CDU eingebracht haben sollen, auch wenn das im Moment wohl keine weiteren Folgen haben wird.
Wenn der SPD-Bundesvorstand Ralf Stegner fordert, dass Art. 1 Grundgesetz – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – für alle Flüchtlinge, Asylbewerber, Bürgerkriegs- und auch Armutsflüchtlinge gelten soll, dann ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es ist aber gut, dass er es noch einmal deutlich gemacht hat.
Hierzu sollte er aber dringend seinen Parteikollegen Olaf Scholz in Hamburg anrufen; denn nach aktuellen Berichten werden dort gezielt Menschen mit schwarzer Hautfarbe auf der Straße kontrolliert und erkennungsdienstlich behandelt, um festzustellen, ob sie zu einer Flüchtlingsgruppe gehören, die sich seit Wochen in Hamburg aufhält. Das ist, wie ich finde, ein unglaublicher Zustand. Dagegen protestieren Menschen in Hamburg, und das zu Recht. Es ist dringend geboten, nicht mit der Bereitschaftspolizei dagegen vorzugehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, laut Umfragen möchte jeweils mehr als die Hälfte Ihrer Mitglieder und Anhänger, dass Flüchtlingen geholfen wird und dass wir in Deutschland mehr notleidende Menschen aufnehmen. Mein Appell an Sie: Nehmen Sie das als Auftrag und handeln Sie danach.
Herr Minister Jäger, wenn Sie ein neues humanitäres Konzept für die Flüchtlingspolitik in Europa vorschlagen möchten – ich habe so etwas nämlich in der Zeitung gelesen –, dann begrüßen wir das. Ich hoffe aber zunächst, dass Sie keine Hundertschaften der Bereitschaftspolizei NRW nach Hamburg schicken. Vielleicht können Sie gleich noch einmal klären, ob das so ist oder nicht. Dort sollen sich Hundertschaften aus fünf Bundesländern aufhalten.
Doch nun zur Situation in Nordrhein-Westfalen: Hier darf es kein „Weiter so!“ geben, und hier können wir mit vereinten Kräften einiges an Hilfe für die Verbesserung der Situation der Flüchtlinge auf den Weg bringen. Die Änderungen des Flüchtlingsgesetzes sind ein erster Schritt dazu. Wir begrüßen das ausdrücklich. Aber Sie wissen auch, dass wir noch viel mehr Schritte machen müssen.
Die Summen für die Unterbringung der Asylsuchenden decken die Kosten in den Kommunen nicht. Ich weiß, dass Sie für den Haushalt 2014 70 Millionen € mehr eingeplant haben. Das ist gut, aber die Kommunen sind laut Flüchtlingsaufnahmegesetz verpflichtet, die Menschen unterzubringen. Daher ist es die Pflicht des Landes, den Kommunen genug Geld zur Verfügung zu stellen.
Deshalb ist es kein Wunder, wenn in den Kommunen an allen Ecken und Enden gespart wird und die Menschen schlecht versorgt sind. Container-Dörfer mit 450 Menschen und mehr oder ehemalige Klassenräume als Wohn- und Schlafräume für neun Menschen auf unbestimmte Zeit – das führt zu sozialen Spannungen bei allen Menschen, nicht nur bei Flüchtlingen.
Das muss vermieden werden, und deswegen fordern wir mit unserem Antrag Mindeststandards für die Unterbringung. Dazu bieten wir auch Lösungsbeispiele wie die Unterbringung in angemieteten Wohnungen entsprechend dem Leverkusener Modell an.
Ich will jetzt nicht alle Forderungen und Notwendigkeiten aufzählen. Denn Sie wissen eigentlich alle, dass wir dringend eine Reform brauchen. Ich möchte Sie jedoch alle bitten, dass wir parteiübergreifend versuchen, Verbesserungen in NRW zu erreichen. Das Thema ist für parteipolitisches Kalkül absolut nicht geeignet, weil es gefährlich ist, mit dem Feuer der Fremdenfeindlichkeit zu spielen, und weil es dafür zu wichtig ist. Denn hier geht es um das Leben von Menschen, nicht nur um ihre Würde.
Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)