Veröffentlicht am von in Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie (A10), Joachim Paul, Reden.

Mittwoch, 19. Juni 2013

 

TOP 9. Rückabwicklung der Hochschulfreiheit: Kein Staatsdiktat am Parlament vorbei

Antrag FDP

Block I

Unser Redner: Joachim Paul

Direkte Abstimmung

Unsere Abstimmungsempfehlung: Ablehnung

 

 

Audiomitschnitt der Rede von Joachim Paul

Wortprotokoll zur Rede von Joachim Paul:

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Ich möchte einmal ein sprachliches Bild aus Fußball und Tennis bemühen, liebe FDP-Fraktion: Einen solchen Antrag, diese „marktrechte“ Flanke, kann man einfach nur volley nehmen.

Wir Piraten haben ja eine Art Zustimmreflex, wenn die Begriffe „Freiheit“ und „Autonomie“ fallen. Dieser Antrag jedoch ist handwerklich unpräzise und dazu in einem solch schlechten Deutsch abgefasst, dass wir ihn nur ablehnen können.

(Beifall von den PIRATEN)

Ganz ernsthaft: Bei dem Freiheitsbegriff, der gerade offen zutage trat, überkommt mich sogar bei einem Wetter wie heute das Frösteln. Sie reden die ganze Zeit von Hochschulfreiheit und meinen die Freiheit der leitenden Gremien. Herr Schultheis hat es schon ausgeführt: Über die an den Hochschulen beteiligten Gruppen wird an dieser Stelle überhaupt nicht nachgedacht.

Das will ich Ihnen im Folgenden begründen:

Erstens. Das, was durch diesen Antrag verteidigt wird, ist im Grunde ein Auslaufmodell. Immer und immer wieder wird beschworen, dass sich die Mehrzahl der Experten in den bisherigen Ausschussanhörungen für das jetzige „Politikentmündigungsgesetz“, das da sinnverzerrend Hochschulfreiheitsgesetz genannt wird, ausspricht.

Wenn Sie die Hochschulrektoren als die einzigen Experten betrachten, ist das natürlich richtig. Welcher Vogel sägt schon an dem Ast, auf dem er sitzt? Welcher Frosch legt gerne den eigenen Sumpf trocken?

(Zurufe von der FDP)

Dass eines Ihrer Hauptprojekte der Staatsdiffamierung angegriffen werden soll, das schmerzt Sie bis ins Mark, oder sollte ich lieber „bis in den Markt“ sagen?

(Lachen von der FDP)

Denn Ihre marktradikalen Dogmen des New Public Management sind und bleiben völlig ungeeignet, um eine Hochschule zu steuern, die der ganzen Gesellschaft gegenüber verantwortlich ist.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Zweitens. Die alten Polaritäten: „Mehr Staat ist schlecht, mehr Markt ist gut“ oder umgekehrt: „Mehr Staat ist gut, mehr Markt ist schlecht“, gelten hier nicht mehr. Es geht um eine echte Autonomie in der Wissenschaft. Wie eine solche Umsetzung gelingt, wird ein Maß für die Zukunftsfähigkeit unserer Parlamente und ihrer Fraktionen sein.

(Zuruf von der FDP: Dazu brauchen wir keine Piraten!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte. Der Kollege Dr. Berger würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Bitte, Herr Berger.

Dr. Stefan Berger (CDU): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Paul, Sie haben jetzt die Marktradikalität erwähnt, die angeblich Einzug gehalten hat. Wieso orientieren sich Ihrer Meinung nach die Universitäten, die im Moment eigentlich in einer guten Verfassung sind, am Markt? Wie kommen Sie zu der Auffassung und Behauptung, dass sich die Universitäten in der jetzigen Organisationsform marktgesteuert verhalten?

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Das kann ich Ihnen ganz einfach begründen. Innerhalb und unter den Universitäten und Fachhochschulen wird eine Überbetonung des Wettbewerbs ausgerufen. So ist es ja in der Rüttgers/Pinkwart-Regierung eindeutig geschehen. Sicherlich hat aber auch die damalige rot-grüne Bundesregierung ihre Anteile hieran.

Außerdem brauchen Sie sich nur die Zusammensetzung der Hochschulräte anzuschauen. An dieser Stelle herrscht eindeutig ein Übergewicht. Dabei meine ich nicht nur Professoren. Ich sehe keine anderen gesellschaftlichen Gruppen in diesen Räten repräsentiert. Dort trifft man die Hochschule selbst – das ist richtig – und auf der anderen Seite Menschen aus dem Management, vor allem von größeren Unternehmen.

Aber lassen Sie mich fortfahren. Es geht uns um echte Autonomie in der Wissenschaft. Wie eine solche umgesetzt werden kann, ist nach unserer Auffassung ein Maß für unsere Zukunftsfähigkeit, auch für uns als Parlament.

Sicherlich, die bekannt gewordenen Rahmenvorgaben kann man kritisch sehen; da stimmen wir sogar ein klein wenig mit Ihnen überein. Wir würden uns jedoch hier mehr Verantwortungsbewusstsein und mehr Schwung vonseiten der Regierung und der Koalitionsfraktionen wünschen.

Das könnte auch ohne Autonomieverlust – im Gegenteil, sogar mit Autonomiegewinn – wunderbar im Hochschulgesetz geregelt werden. Wir Piraten bleiben dabei, dass die Hochschulräte als Gremium erstens systemfremd und zweitens in ihrer aktuellen Zusammensetzung undemokratisch und intransparent sind und deshalb abgeschafft gehören.

(Beifall von den PIRATEN)

Das ehrgeizige Ziel des offenen Dialogverfahrens verkommt im Grunde zu einer Farce, wenn versucht wird, die Hochschulrektoren auf die eigene Seite zu ziehen. Diese werden sich so oder so auf die Hinterbeine stellen und kritisch anmerken, dass Bestrebungen laufen, ihnen ihre Spielzeuge wegzunehmen.

Beenden wir daher, Frau Ministerin, diesen Dialogprozess einfach und legen zügig einen Referentenentwurf vor. Das soll ja geschehen. Wir freuen uns auf die konstruktive Auseinandersetzung hier im Parlament. Mit CDU und FDP scheint das leider nicht möglich zu sein.

Kommen Sie endlich aus dem Schützengraben heraus und stellen sich den wirklichen Problemen der nordrhein-westfälischen Hochschulen: chronische Unterfinanzierung, fehlende Demokratie, prekäre Beschäftigungen bei wissenschaftlichen Mitarbeitern, Open Access als Chance für jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Reform des Bachelor- und Master-Systems, Intransparenz von Hochschuletats und, und, und.

(Beifall von den PIRATEN)

Dann würden wir hier nicht zum tausendsten Mal diese Nebelkerzendebatte führen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

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