Donnerstag, 20. Juni 2013
TOP 3. Achtung! YES, WE SCAN. Bürger in NRW vor PRISM und anderen Überwachungsprogrammen schützen!
Der Skandal rund um das amerikanische Überwachungsprogramm Prism zeigt deutlich, welche drastischen Konsequenzen der staatliche Sicherheitswahn für die Freiheit und Privatsphäre seiner Bürger haben kann. Wir fordern, dass Menschen und Unternehmen in Deutschland wirksam vor in- und ausländischer Datenspionage geschützt werden. Dafür benötigen wir in NRW unter anderem dringend die sofortige und vollumfängliche Überprüfung aller IT-Systeme der Landesbehörden.
Frank Herrmann, Sprecher der Piratenfraktion für Datenschutz und Privatsphäre: „Wir befinden uns erst am Anfang des Internetzeitalters. Das Internet ist mehr als ein von Geheimdiensten zu überwachendes Kommunikationsnetz. Das Internet ist Teil unseres Lebens. Wir müssen jetzt klären, wann, wer, wie und was im Internet überwacht werden darf. Im Moment wird nach dem Prinzip ‚alles was möglich ist‘ verfahren. Wir brauchen dagegen weniger Überwachung und mehr Achtung vor den Bürgerrechten auch im Internet.“
Abstimmungsergebnis: Der Antrag wurde einstimmig an den Innenausschuss (federführend), an den Hauptausschuss, an den Ausschuss für Europa und Eine Welt, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk überwiesen.
Beachten Sie dazu auch unsere Demo am Samstag, 22. Juni 2013, in Düsseldorf: www.noprism.de
Frank Herrmann (PIRATEN): Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die noch im Saal sind! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Stream und auf der Tribüne! Mich wundert die Aufregung über PRISM und die anderen Überwachungsaktivitäten des amerikanischen NSA schon ein bisschen.
Liebe Kollegen Abgeordnete, haben Sie das wirklich nicht gewusst oder nicht doch zumindest geahnt? Wir haben uns ein kleines Experiment überlegt, um Ihnen eine Vorstellung zu geben, um was es hier überhaupt geht. Dazu folgender Sachverhalt: Die IT-Abteilung der Piratenfraktion wird den E-Mail-Verkehr der Abgeordneten des Landtags ab heute Mittag 13 Uhr für eine Woche mitschneiden und speichern.
In dem gleichen Zeitraum werden die Aufrufe der Webseiten, ausgehend vom Landtagsnetzwerk, gespeichert. Anschließend werden wir mit einem Datenabgleich die Webseiten-Aufrufe anhand der Gerätekennungen den E-Mail-Adressen zuordnen. Die Ergebnisse werden dann am kommenden Freitag im Rahmen einer Pressekonferenz bekanntgegeben. Wir gehen davon aus, dass hier niemand etwas dagegen hat, denn es hat ja wohl keiner etwas zu verbergen. So weit im Moment zu dem Sachverhalt und dem Experiment.
(Beifall von den PIRATEN)
Das Internet ist mehr als 40 Jahre alt. Das Internet, das Sie kennen, das mit den Bildern, ist gerade 20 geworden. Für manche Bundeskanzlerin ist es auch immer noch Neuland. Für die Geheimdienste ist das Internet aber nicht neu. Sie haben es schließlich mit aufgebaut. Anfangs waren sie gar nicht begeistert über die Mitnutzung des Netzes durch Studenten und schließlich der gesamten Weltbevölkerung. Es hat etwas gedauert. Aber heute sind sie nur noch begeistert, teilweise auch verblendet von den Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle, die ihnen die digital vernetzte Welt bietet.
Auch wenn es eine Art internationale Verwaltung für das Internet gibt: Im Kern ist das Netz nach wie vor unter der Kontrolle der amerikanischen Regierung bzw. des Militärs und der Geheimdienste dort. Diese haben es schon früh verstanden, dass gesetzliche Grundlagen möglichst allgemein formuliert werden, um möglichst wenig in ihrer Tätigkeit eingeschränkt zu werden – Stichwort Lawful Interception oder, auf Deutsch: gesetzlich geregelte Eingriffsmöglichkeit. Es gibt kein Kommunikationsnetz weltweit ohne Schnittstellen für Sicherheitsbehörden.
Die Nutzungsbedingungen für diese Schnittstellen unterscheiden sich noch ein bisschen von Land zu Land. In den USA sind aber nach 9/11 quasi alle Schranken gefallen. Protect America Act, Patriot Act, FISA und verschiedene andere Gesetze und Regelungen machen auch das Überwachungsprogramm PRISM völlig legal – für amerikanische Verhältnisse.
Doch auch in Europa hingen wir nicht weit hinterher. Im Stockholmer Programm der Europäischen Union sind viele Schritte für die Überwachung der gesamten Bevölkerung definiert, die auch nach und nach umgesetzt werden.
Dass Europa und auch Deutschland von den USA gelernt haben, wie Überwachungsgesetze umgesetzt werden, mussten wir gerade im Bundesrat erleben, als Minister Jäger mit „Achtung!! Achtung!! Terrorismus und Kinderpornografie!“ jede Diskussion um bürgerliche Grundrechte zum Gesetz zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft zur Seite gewischt hat. – Ja, so ist das.
(Beifall von den PIRATEN)
Gestern haben die regierungstragenden Fraktionen hier dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz die Aufdeckung der Identität von Internetnutzern nach eigenem Ermessen gestattet. Heute Abend entscheiden wir darüber, ob die Polizei in Nordrhein-Westfalen in Zukunft auch Internetforen überwachen darf. Kein anderes Bundesland hat sich das bisher getraut.
Zu PRISM und den anderen Überwachungsaktivitäten amerikanischer Geheimdienste ist im Moment festzustellen, dass wohl für alle Handlungen irgendeine Rechtsgrundlage nach amerikanischem Recht vorgelegt werden kann. Uns kann das selbstverständlich nicht zufriedenstellen, vor allem nicht, wenn Deutschland ganz besonders im Fokus der Überwachungen zu stehen scheint.
Es gibt somit genug Potenzial, sich aufzuregen. Dass sich gerade viele Menschen aufregen, ist durchaus ein positives Zeichen. Denn das heißt, es gibt Hoffnung, dass sich noch Menschen Gedanken machen und weitere Fragen stellen. Mein Dank gebührt hier ganz besonders Edward Snowden, der mit seinem Gang an die Öffentlichkeit bestätigt hat, was bisher meist als Verschwörungstheorie abgetan wurde.
(Beifall von den PIRATEN)
Bitte machen Sie sich bewusst, dass er damit seine Zukunft und sein Leben aufs Spiel gesetzt hat! Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Menschen, die solche Missstände aufdecken, Schutz gewährt wird und dass sie nicht um die halbe Welt flüchten und um ihr Leben fürchten müssen.
Meine Damen und Herren, wir haben in unserem Antrag viele Fragen aufgeworfen, die wir gemeinsam in den Ausschüssen diskutieren und beantworten müssen – allen voran die Frage, ob wir überhaupt eine dermaßen umfassende Überwachung wollen oder ob uns unsere Freiheit nicht ein bisschen Unsicherheit wert ist.
Wir befinden uns erst am Anfang des Internetzeitalters. Aber schon jetzt ist abzusehen, dass das Internet mehr ist als ein von Geheimdiensten zu überwachendes Kommunikationsnetz. Das Internet wird Teil unseres Lebens in der Zukunft. Daher müssen wir dafür Sorge tragen, dass unsere Grundrechte dort auch zur Geltung kommen.
Wir brauchen für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, für uns alle, eine Perspektive für ein freies und selbstbestimmtes Leben in einer digital vernetzten Welt ohne Angst vor Dauerüberwachung und dem großen Bruder. „Big Brother is watching you“ darf hier nicht Realität bleiben. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Protokoll des Nachtrags zur Rede von Frank Herrmann:
Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank. – Ich versuche es noch mal zur Sache, aber vorweg – wahrscheinlich – ein ganz herzliches Dankeschön an Herr Minister Jäger; denn es sieht ja so aus, als würde er heute Abend unserem Änderungsantrag zum Polizeigesetz zustimmen,
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wir sind hier im Parlament!)
mit dem wir den Richtervorbehalt fordern, der im Gesetz im Moment noch nicht enthalten ist.
(Beifall von den PIRATEN)
Sie haben es gerade ganz deutlich gesagt. Wir werden sehen, was nachher passiert.
Ich will noch kurz erwähnen, dass Überwachungen – das war auch der Sinn meines Redebeitrags am Anfang dieses Punktes – in aller Regel legal durchgeführt werden. Es werden Gesetze gemacht, damit die Sicherheitsbehörden ihre Überwachungen legal durchführen. Das ist das, worauf wir gucken müssen, das ist das, worauf wir achten müssen: dass wir jetzt nicht die Zukunft des Internets verbauen, indem wir für alle möglichen Dinge eine Überwachung einführen.
Die Bestandsdatenauskunft, so wie sie auf Bundesebene geregelt wurde, hebt für Deutschland definitiv die Anonymität im Netz auf. Das heißt, das Internet kann nicht mehr anonym genutzt werden. Bis hin zu Ordnungswidrigkeiten kann die Anonymität eines Internetnutzers aufgehoben werden. Das ist etwas, was viele Türen für die zukünftige Internetnutzung verschließt. Wenn es Teil des digitalen Lebens wird, brauchen wir einen Freiraum, wo anonyme Meinungsäußerung möglich ist. Das ist mit der momentanen Regelung nicht machbar. Daran müssen wir arbeiten. Das werden wir im Laufe der Gespräche zu diesem Antrag hoffentlich tun.
Ich möchte noch kurz etwas zu Herrn Hegemann sagen, der die Kontrollen bei der Einreise in die USA so hervorgehoben hat. Sie wissen, dass es immer wieder vorkommt, dass Menschen dort zurückgewiesen werden. Letztens wieder waren es Schüler, die zu Gasteltern in den USA fahren wollten, auf Facebook geschrieben hatten, dass sie dort vielleicht ein bisschen jobben, an der Grenze gefragt worden sind, was sie denn in den USA wollen, nicht erwähnt haben, was sie auf Facebook geschrieben hatten, und mit dem nächsten Flieger nach Hause zurückgeschickt worden sind.
Das zeigt, was die US-Einreisebehörde jetzt schon alles macht: Facebook überwachen und dies mit den Fluggästen zusammenbringen, die einchecken, um in die USA zu fliegen. Da findet schon eine ganze Menge Überwachung statt, die nichts mit Terror oder ähnlichen Dingen zu tun hat. Ich denke, dass wir darüber kräftig nachdenken und schauen müssen, wo wir Riegel vorschieben. – Danke.
(Beifall von den PIRATEN)