Donnerstag, 25. April 2013
TOP 9. Inhaltliche Stellungnahme gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG zum
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Ein-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Registrierungsprogramm für Reisende („Smart Borders“-Paket)
Nicolaus Kern (PIRATEN): Danke. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Der europäische Integrationsprozess beruht auf dem Gedanken einer weltoffenen, toleranten und rechtsstaatlichen Union von Mitgliedstaaten, welche die Grundrechte der hier lebenden Menschen achtet und schützt. Diese Grundsätze kommen – gerade in letzter Zeit – immer mehr unter die Räder. Das ist alarmierend.
Die Europäische Union beschreitet seit Jahren den Weg hin zu einer digitalen Überwachungsfestung. Folgende Projekte machen das deutlich: Datenstriptease für Flüchtlinge durch EUROSUR, für Flugreisende durch das Passagiernamensregister und jetzt für Reisende ein Grenzkontrollsystem namens „Smart Borders“.
Worum geht es bei „Smart Borders“? – Unter dem Deckmantel des Sicherheitsaspekts wird hier ein weiterer Baustein einer grundrechtsverletzenden und menschenverachtenden Überwachungsarchitektur in der EU gelegt. Es ist ein weiteres Hochrüsten eines europäischen Überwachungsapparats, der in einem schleichenden Prozess auf alle Menschen in der EU ausgeweitet werden kann, der sich also gegen die eigene Bevölkerung richtet.
Auf Drängen einiger sicherheitsparanoider Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – will die EU mit „Smart Borders“ nun also ein milliardenschweres Grenzkontrollsystem einführen. Dabei sollen bei der Einreise alle relevanten persönlichen Daten, darunter auch Fingerabdrücke, von Reisenden aus Drittstaaten erfasst werden mit dem Ziel, mittels der Megadatenbanken herauszufinden, wer seine Aufenthaltserlaubnis in der EU überzieht. Doch wo sich diese Menschen nach Ablauf der Aufenthaltsfrist genau befinden, kann das System nicht erfassen, sodass der angebliche Zweck des Vorhabens gar nicht erreicht werden kann.
Allein das verstößt aus unserer Sicht eindeutig gegen den Schutz personenbezogener Daten sowohl nach EU-Grundrechtecharta als auch nach deutschem Verfassungsrecht. „Smart Borders“ ist eine Sicherheits-Fata-Morgana, der Verstoß gegen Verfassungsrecht hingegen ist real.
(Beifall von den PIRATEN)
Auch die vorgesehene Nutzung der erhobenen Daten zur Strafverfolgung ist für uns Piraten eine eklatante Zweckentfremdung.
Der zweite Gesetzesvorschlag von „Smart Borders“ will ein Registrierungsprogramm einführen, mit dem sich Vielreisende nach vorheriger datentechnischer Vollbeichte die schnellere und effizientere Grenzüberschreitung erkaufen. Nicht nur, dass ein echter Effizienzgewinn dabei mehr als fragwürdig ist – hier wird de facto Druck ausgeübt, sensibelste persönliche Informationen, zum Beispiel zur wirtschaftlichen Situation, preiszugeben. Jeder, der die Vollbeichte beim Grenzbeamten nicht abgibt, gerät automatisch unter Rechtfertigungsdruck.
Damit nicht genug: Vorgesehen ist weiterhin eine Differenzierung von Drittstaaten nach Risikofaktoren. Das ist eine menschenverachtende Stigmatisierung von Reisenden allein aufgrund des falschen Passes,
(Beifall von den PIRATEN)
und es missachtet den europaweiten Grundsatz der Nichtdiskriminierung.
Das vollkommen unverhältnismäßige „Smart Borders“-Paket lädt nicht nur zu Datenmissbrauch und Rasterfahndung ein, sondern schafft Voraussetzungen zur Datenerfassung aller Menschen in der EU. Meine Damen und Herren, „Smart Borders“ ist nicht smart oder intelligent, sondern dreist und perfide!
(Beifall von den PIRATEN)
Es ist nichts anderes als der rostige Nagel für den Wundstarrkrampf des europäischen Grundrechtesystems.
Wir Piraten bleiben dabei: Einer grundrechtsverletzenden und menschenverachtenden Überwachungspolitik in NRW, in Deutschland und in der EU treten wir Piraten entschieden entgegen!
(Beifall von den PIRATEN)
Ich appelliere an die Landesregierung: Sorgen Sie dafür, dass „Smart Borders“ im Bundesrat wieder auf die politische Tagesordnung kommt, dass NRW ein klares Signal nach Brüssel sendet! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Geyer das Wort.