I. Sachverhalt
Der Unterlassungsanspruch gegen Betreiber offener WLAN-Netze, den Urheberrechteinhaber im Falle von Urheberrechtsverletzungen Dritter haben, die sogenannte Störerhaftung, wurde durch die Reform des Telemediengesetzes im Juni 2016 nicht beseitigt.
Auch das EuGH-Urteil in der Rechtssache C‑484/14 vom 15. September 2016 lässt offen, dass Rechteinhaber eine gerichtliche Anordnung gegen WLAN-Betreiber beantragen können, die sich auf den Unterlassungsanspruch stützt. Darüber besteht nach dem EuGH Urteil große Rechtsunsicherheit für Anbieter offener WLAN Hotspots. Wenn Rechteinhaber Anordnungen erwirken können, den offenen Zugang zum Internet über WLAN mit verpflichtendem Login und Passwort zu schließen, wäre dies auch das Aus für die Freifunk-Idee.
Ob das derzeitige Providerprivileg und die Praxis bei vielen Freifunk-Vereinen, den Datenverkehr über ein virtuelles privates Netzwerk (VPN) zu einem deutschen Server zu übermitteln, in Zukunft noch ausreichen wird, WLAN-Netze rechtssicher offen anzubieten, ist durch das Urteil unklar geworden. Nach der EuGH-Entscheidung besteht die Gefahr, dass auch Freifunk-Vereine Anordnungen erhalten, ihre Netze mit Zugangskontrollen auszustatten. Das wäre das exakte Gegenteil der Freifunk-Idee und der Betrieb eines echten Freifunknetzes wäre nicht mehr möglich. Dieses richtet sich ausdrücklich an jedermann im Netzbereich, ohne dass die Identität eines jeden Nutzers bekannt ist. Gerade durch den Verzicht auf Verschlüsselung oder Zutrittskontrolle steht ein solches Netz jedem Menschen im Einzugsbereich zur Verfügung, auch Passanten und Besuchern. Es ist schlichtweg nicht möglich, jeden im Einzugsbereich eines Freifunknetzes zu registrieren und zu identifizieren. Der „digitale Schluck Wasser“, den man seinen Nachbarn und Passanten seines Hauses anbieten möchte, wird dadurch faktisch ausgeschlossen.
Es wäre ein fatales Signal für den Standort Deutschland: In nahezu allen Ländern Europas ist ein freier WLAN-Zugang an allen Orten eine Selbstverständlichkeit. Überall in den Städten und öffentlichen Verkehrsmitteln kann man sich frei bewegen und findet an vielen Orten freie Netzwerkzugänge ohne Registrierung und Namenspflicht. Login- und Passwortpflicht schließen vom digitalen Fortschritt, Partizipation und Teilhabe im Netz aus. Die Breitbandstrategie von Bund und Ländern wird konterkariert. Breitbandzugang, der laut Bundesgerichtshof Teil der materiellen Lebensgrundlage der Menschen ist, wird verkompliziert und verwehrt.
Auch ein verschlüsseltes WLAN mit Zutrittskontrolle per Login und Passwort wäre nicht sicher darstellbar. Wie Passanten eines WLANs in zumutbarer Weise identifiziert werden sollen, ist völlig unklar und wird auch wieder Gegenstand von juristischer Klärung sein müssen. Die Erfassung und Speicherung von Nutzern stellt ihrerseits ein Datenschutzrisiko dar. Durch die Identifikation und Vorratsdatenspeicherung innerhalb der WLANs wird die Anfertigung von Bewegungsprofilen ermöglicht. Eine solche Speicherung auf Ebene der Netzwerke ist mit dem Gebot der Datensparsamkeit unvereinbar.
II. Der Landtag stellt fest
- Der unbeschränkte Zugang zu freien, offenen Netzen an möglichst vielen Orten ist Voraussetzung eines erfolgreichen Wandels zur Informationsgesellschaft. So wird das Grundrecht auf breitbandigen Internetzugang unterstützt, welcher zur materiellen Daseinsvorsorge aller Menschen gehört.
- Betreiber offener Netzzugänge müssen dem Providerprivileg unterliegen, ganz gleich ob der Zugang per WLAN oder kabelgebunden erfolgt, ganz gleich ob der Zugang aus kommerziellen oder nicht geschäftsmäßigen Gründen zur Verfügung steht.
- Die vorgesehenen Kontroll-, Identifikations-, Belehrungs- und Aufzeichnungspflichten stellen Betreiber vor neue Haftungsrisiken und ungeklärte technische und rechtliche Probleme, ohne dass sie zu zusätzlicher Sicherheit vor Rechtsverletzungen führen.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung dazu auf,
- auf allen politischen Ebenen darauf hinzuwirken, die Haftungsprivilegierung auf Unterlassungsansprüche auszuweiten, so dass WLAN-Anbieter endgültig rechtssicher vor Abmahnungen geschützt werden.
- auf allen politischen Ebenen darauf hinzuwirken, dass natürliche und juristische Personen, die Ihren Internetzugang Freifunk-Initiativen zur Verfügung stellen, weiterhin zu ermöglichen, ein offenes WLAN-Netz ohne Zugangsbeschränkung, Identitätsfeststellung und Login-Pflicht anzubieten.
Mitschnitt der kompletten Debatte im Plenum:
Protokoll der Rede von Lukas Lamla:
Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer hier und auch zu Hause am Stream! Das Land NRW unterstützt offenes freies WLAN, insbesondere die Freifunkinitiativen. Und das ist gut so.
(Beifall von den PIRATEN)
–Ja, da kann man ruhig klatschen.
– Auch die EU-Kommission will freies und offenes WLAN. Auch das ist ganz gut so. Was aber nicht ganz so gut ist, ist die Tatsache, dass es weiterhin keine Rechtssicherheit für Anbieter von offenen WLANs gibt, die den Zugang zum Internet ermöglichen. Rechtsicherheit, so scheint es, gibt es nur für Abmahnanwälte und die Rechte-Inhaberlobby – und das nach der vergeigten Änderung des Tele mediengesetzes im Juni 2016 und nach dem Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs. Der EuGH hat vor drei Wochen zwar grundsätzlich geurteilt, dass Gewerbetreibende, die offene WLAN-Hotspots in ihren Geschäften anbieten, nicht für die Inhalte verantwortl ich gemacht werden können, die ihre Kundschaft oder die Passanten herunter- oder hochladen.
Aber nun soll man möglicherweise durch eine Anordnung dazu gezwungen werden, das offene WLAN durch ein geschlossenes mit Login- oder Passwortpflicht zu ersetzen. Offensichtlich haben die europäischen Richter und auch die Gesetzgeber auf europäischer Ebene und im Bundestag nicht erkannt, dass sie damit den offenen und freien Zugang zu einer elementaren Infrastruktur für alle verschließen. Diese mögliche Anordnung zeugt vor allem von einem: von mangelndem technischen Sachverstand am Europäischen Gerichtshof. Und das ist sehr schade. Die verantwortlichen Gesetzgeber haben offensichtlich leider immer noch nicht erkannt, dass ein offener Zugang zum Netz genauso wichtig ist wie der offene Zugang zu öffentlichen Straßen oder Plätzen. Ich bediene mich an dieser Stelle einmal der eigentlich unsäglichen Begrifflichkeit der sogenannten digitalen Autobahn. Schon einmal gehört? – Ja, furchtbar.
(Heiterkeit von den PIRATEN)
Wir halten fest: Man findet sich damit ab, dass wir in einem Staat leben, in dem alle Datenautobahnen privatisiert sind. Man findet sich auch damit ab, dass wir in einem Land leben, in dem alle Datenlandstraßen einer Handvoll von Großkonzernen gehören. Und man findet sich damit ab, dass wir in Kommunen leben, in denen fast alle kommunalen Datenwege in privater Hand sind.
Und denen, die vor ihrer Haustür ein bisschen digitalen Schotter verbreiten, damit die Gäste nicht im signallosen Raum versinken, signalisiert der Gesetzgeber nicht nur Unverständnis und Untätigkeit; nein, den gastfreundlichen, hilfsbereiten Datensamaritern, die offene WLANs betreiben, droht jetzt auch noch von übergeordneter Stelle die Pflicht, Schranken aufzustellen. Schranken überall, digitale Wege in Fürstenhand: Herzlich willkommen im digitalen Feudalismus, meine Damen und Herren.
Beim Betreten quasi dieser digitalen Pfade soll erst einmal überall kontrolliert werden: Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle. Die Identität der Nutzenden wird zum digitalen Wegezoll. Aber was erhofft man sich davon? Dass weniger geklaut wird? Dass weniger geschmuggelt wird? Nein! Das hat auch früher nicht funktioniert. Überalterte Strategien helfen da nicht weiter. Was wird passieren? Es kommen einfach weniger Menschen. Es kommen weniger durch.
Will man Zugang aufbauen, muss man Barrieren abbauen. So einfach ist das. Die Schranken vor Autobahnbrücken – man kennt das vielleicht in NRW – führen genauso dazu, dass neben den unerwünschten Lkw auch Pkw stecken bleiben. Ich will nicht in einem Bundesland leben, in dem Herr Groschek bald feierlich digitale Freifunkschranken eröffnen muss, weil die Bundesregierung wieder gepennt hat. Das will ich einfach nicht. Eingangskontrollen für das Internet bedeuten weniger Nutzer. Überall surfen geht dann nur für die jenigen, die sich einen teuren Datentarif leisten können, und die digitale Kluft zwischen Menschen wird immer größer.
Wovor haben wir an dieser Stelle eigentlich Angst? Wovor haben wir überhaupt Angst? Wieso diese ganze Kontrolle? Wieso diese ganzen Zwänge? Wie viele der Millionen internationalen Gäste in diesem Bundesland werden wohl auf ihren Smartphones unrechtmäßig kopierte Inhalte zum Download anbieten, wenn sie zum Beispiel Düsseldorf besuchen? Wie viele davon? Es ist wahrscheinlicher, dass diese Gäste vielleicht ein mal am Obststand illegal an einer Erdbeere oder einer Traube naschen, als dass sieirgendwelche Lieder zum Download anbieten.
Wollen wir deswegen Marktplätze mit Zugangskontrollen ausstatten? Wollen wir das, nur weil dort jemand etwas Illegales tun könnte? Nein, ich denke nicht. Stellen Sie sich einmal Ausweiskontrollen am Carlsplatz, kaum 1 km von hier entfernt, vor. Wäre das sinnvoll? Da würden die ganzen Marktbetreiber aber ordentlich auf die Barrikaden gehen. Das geht nicht. Aber genau das tun wir im digitalen Raum.
Meine Damen und Herren, alle, die offene Zugänge zum Netz einschränken wollen, müssen endlich verstehen, dass es sich um eine grundlegende und in Zukunft immer wichtiger werdende Infrastruktur handelt. Wir brauchen offene Netze für eine offene Gesellschaft – Punkt.
An dieser Stelle freue ich mich auf die Debatte zu unserem Antrag in den Fachausschüssen. Ich würde mir wünschen, dass wir auch aus NRW wieder ein starkes Signal in Richtung Bund und Europa aussenden würden.
–
Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)