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I. Sachverhalt

„Demokratie baut auf Freiheit und Gleichheit der Bürger auf. Die Gleichheit der Mitwirkungsmöglichkeiten ist grundlegend für die Demokratie. Zentrale Bedeutung kommt der Chancengleichheit bei der politischen Willensbildung des Volkes zu“, so heißt es in einem juristischen Kommentar zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.[1] Für die Gesamtheit der Staatsbürger in der repräsentativen Demokratie erschöpfen sich die Einflussmöglichkeiten weitgehend im Recht auf Teilnahme an periodisch stattfindenden Wahlen. Dabei ist zu konstatieren, dass die Beteiligung bei Landtagswahlen in NRW seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zurückgegangen ist und sich inzwischen bei ca. 60% einzupendeln scheint (bei ca. 13,2 Mio. Wahlberechtigten). Bei Kommunalwahlen in NRW liegt die Beteiligung im Landesdurchschnitt nur bei ca. 50%, Tendenz fallend. Volksabstimmungen sind auf Bundesebene grundsätzlich nicht vorgesehen (Ausnahmen: Artikel 29 und Artikel 146 Grundgesetz) und auf Landesebene in NRW mit hohen Hürden verbunden. Kommunale Bürgerbegehren bzw. Bürgerentscheide finden in NRW nur punktuell statt,[2] was ebenfalls durch hohe Hürden bedingt ist. Es bleiben den Bürgern mittelbare Partizipationsmöglichkeiten über die Mitgliedschaft in politischen Parteien. Allerdings ist dort nur ein Bruchteil der Bevölkerung organisiert, wovon wiederum nur ein kleiner Teil auch tatsächlich politisch aktiv ist, Tendenz, ebenfalls fallend.

Somit kann festgestellt werden, dass in der repräsentativen Demokratie die verfassungsmäßigen Mitwirkungsmöglichkeiten wesentlich begrenzt sind, wobei innerhalb dieser Möglichkeiten der Grundsatz formaler Gleichheit aller Staatsbürger gilt.

Neben den geregelten verfassungsrechtlichen Mitwirkungsmöglichkeiten für die Staatsbürger besteht ein anderes, ungeregeltes System der Geltendmachung von subjektiven Interessen im politischen Willensbildungsprozess: der Lobbyismus. Lobbyismus kann definiert werden als Einflussnahme organisierter Gruppen auf die Exekutive und Legislative zwecks Durchsetzung ihrer Gruppeninteressen durch Pflege persönlicher Beziehungen. Damit steht Lobbyismus in einem Spannungsverhältnis zu demokratischen Anforderungen. Lobbyismus beeinträchtigt das Prinzip der Chancengleichheit, weil systematisch und durch Pflege persönlicher Beziehungen auf die Exekutive und Legislative einwirkende Gruppen gegenüber dem einzelnen Staatsbürger ein großes Machtübergewicht haben. Darüber hinaus berührt Lobbyismus das Gebot der Transparenz politischer Willensbildung, weil er auch in Teilen jenseits demokratischer Öffentlichkeit stattfindet. Schließlich steht Lobbyismus in einem Spannungsverhältnis zum Gemeinwohl, weil Lobbyisten die Verwirklichung von Partikularinteressen anstreben.

Dagegen wird oftmals erklärt, dass effiziente Politik ohne externes Fachwissen kaum noch möglich sei. Die Einbeziehung organisierter Interessengruppen sei zudem in einem modernen parlamentarisch-repräsentativen System Ausdruck demokratischer Offenheit. Tatsächlich scheinen in Anbetracht des stetig wachsenden Wissensvolumens die Kapazitäten insbesondere der Legislative zu dessen Bewältigung begrenzt. Die Anhörung betroffener Bevölkerungsgruppen bzw. deren organisierter Interessenvertreter in Gesetzgebungsverfahren erscheint aus rechtsstaatlicher Perspektive ohne Frage angezeigt. Die mit Lobbyismus verbundenen Vorteile lösen allerdings die verfassungsrechtlichen Probleme nicht auf.

Um in einem ersten Schritt Lobbyismus transparent und die Geltendmachung von Partikularinteressen für die Menschen im Land nachvollziehbar zu machen, ist die Einführung eines öffentlichen Lobbyregisters erforderlich.

Zusätzlich bedarf es offener, auch im Internet einsehbarer, zeitlich aktueller Statistiken, welcher Verband, welche Interessenvertretung, organisierte Gruppe oder Einzelvertreter wie oft und zu welchen Themen einzelne Mandatsträger, Ausschüsse, das Parlament oder die Landesregierung beraten hat. Dabei ist auszuweisen, von wem die Initiative dazu ausgegangen ist.

 

II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

Die Landesregierung bringt bis Ende 2016 einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Lobbyregisters in den Landtag ein. Das Lobbyregister hat folgende Merkmale aufzuweisen:

a) Jede Person, die im Auftrag ihres Arbeitgebers, Kunden oder ihrer Lobbygruppe über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten pro Kalenderjahr wenigstens 20% ihrer Arbeitszeit für Kontaktanbahnung und Kommunikation mit Mitgliedern der Landesregierung oder deren Mitarbeitern aufwendet (Lobbyist), hat ihre Tätigkeit unter Angabe

  • ihres Namens
  • der Namen des Arbeitgebers, des Kunden oder der Lobbygruppe
  • des Lobbythemas
  • des für die Lobbytätigkeit bereitgestellten Budgets

im Lobbyregister zu veröffentlichen. Das soll auch für Rechtsanwälte gelten, soweit sie als Lobbyisten tätig werden.

b) Das Lobbyregister wird als öffentliche, nutzerfreundliche und barrierefreie Online-Datenbank ausgestaltet.

c) In dieser Datenbank werden alle Kontakte auch nach Häufigkeit und Dauer erfasst, sowie aufgeführt, von wem die Kontaktinitiative ausging.

d) Die Angaben der Lobbyisten im Lobbyregister werden von einen Lobbyismus-Beauftragten auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft. Bei einem Verstoß gegen Veröffentlichungspflichten kann dieser Sanktionen verhängen.

e) Jeder Bürger hat das Recht, dem Lobbyismus-Beauftragten Hinweise zu geben und Beschwerden zu Veröffentlichungen im Lobbyregister zu erheben.

 

III. Der Landtag verpflichtet sich,

noch in dieser Wahlperiode eine analoge Regelung zu II. zwecks transparenter Darstellung des Lobbyismus im Landtag zu entwickeln und einzuführen. Zusätzlich werden alle Beratungen in Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Fraktionen erfasst.

[1]Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Rn. 16, 19, 20; 7. Auflage, München 2014

[2]vgl. die Übersichten auf http://nrw.mehr-demokratie.de

Mitschnitt der kompletten Debatte:

 

Protokoll der 1. Rede von Michele Marsching:

 

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Lobbyisten am Stream und auf der Tribüne! Lobbyist ist jeder, mindestens in eigener Sache. Lobbyismus ist auch nicht per se schlecht. Milliardenschwere Unternehmen machen genauso Lobbyismus wie Nichtregierungsorganisationen. Intransparenter Lobbyismus ist aber per se schlecht. Denn es ist völlig in Ordnung, Kontakt zur Politik zu pflegen. Es ist nicht in Ordnung, wenn der Bürger nicht weiß, wer Kontakt zur Politik pflegt.

(Beifall von den PIRATEN)

Unser Antrag fordert die Einführung eines Lobbyregisters für Nordrhein-Westfalen, zunächst für die Landesregierung und im Weiteren auch für den Landtag. Damit sollen nicht Lobbyisten an den Pranger gestellt werden. Ja, zugegeben, das Wort „Lobbyismus“ ist negativ belastet. Aber es soll eigentlich nur der Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben werden, sich zu informieren und durchzublicken.Die Bürgerinnen und Bürger des Landes haben ein Recht darauf zu wissen, welche Interessengruppen welche Forderungen in einem politischen Prozess gestellt haben.

Wer viel Geld hat, kann auch viel Einfluss auf Politik nehmen. Ein Lobbyregister würde hier Transparenz schaffen, wer Einfluss auf Gesetze nimmt, wer seine Interessen in den politischen Diskurs einbringt, und würde zu einer offeneren und transparenteren Arbeitsweise der Landesregierung und auch des Landtags führen.

Nicht mehr und nicht weniger fordert unser Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Protokoll der 2. Rede von Michele Marsching:

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich habe noch drei Minuten Zeit. Ich habe extra wenig geredet; denn ich wollte ein bisschen hören, was die anderen Fraktionen sagen. Herr Kollege Mostofizadeh, das war nicht lustlos. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Vielleicht sollte ich den Antrag hier steppen oder so. Ich weiß es nicht.

Frau Kollegin Freimuth, Sie haben gerade über das freie Mandat und ganz viel über Abgeordnete geredet. Ich möchte Sie bitten, den Antrag tatsächlich zu lesen. – Sie haben den Finger schon auf dem Drücker; das finde ich gut. Dann lesen Sie doch einmal vor, was in dem Antrag unter II. steht und wer diese Transparenzregeln zuerst durchsetzen und umsetzen soll. Erst dann reden wir unter III. darüber, wozu sich der Landtag selbst verpflichten soll.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Freimuth nimmt Ihre Ansprache gerne auf und möchte Ihnen eine Frage stellen. Ich bin mir sicher, Sie lassen diese zu.

Michele Marsching (PIRATEN): Natürlich.

Angela Freimuth (FDP): Herr Kollege Marsching, stimmen Sie mir zu, dass in Ihrem Antrag unter III. der Satz „Zusätzlich werden alle Beratungen in Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Fraktionen erfasst“ elementar den Kernbereich des Parlaments und damit auch der Abgeordneten betrifft?

Michele Marsching (PIRATEN): Ja, ich stimme Ihnen zu, dass mit einem Lobbyregister, das für diesen Landtag gelten würde, in diesen Kernbereich eingegriffen würde, dass offengelegt würde, welche Gesprächspartner man hier empfängt und mit wem man hier geredet hat. Es wurde eben schon gesagt, dass Anhörungen öffentlich sind und alles protokolliert wird. Es ist aber nicht öffentlich, mit wem man unten sitzt, einen Kaffee trinkt und über welches Thema man spricht. Ich glaube aber, dass Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, das zu erfahren.

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Kollegin Freimuth, Sie haben eben von dem allgemeinen Misstrauen gegenüber der Politik geredet. Ich glaube, dass eine Politik, die sich selbst abschottet, die unter sich sein will, ein viel größeres Misstrauen hervorruft als eine Politik, die offen ist und darstellt, dass sie mit Verbänden redet; das kann man auch in den Anhörungsprotokollen nachlesen. Wir möchten allerdings eine Politik, die auch sagt, mit wem sie spricht, der es nicht geschafft hat, einen der fünf begehrten Plätze bei der Expertenanhörung zu ergattern. Wir möchten, dass sie sich bekennt und sagt: Wir haben auch mit dem und dem geredet, und die haben sich auch noch zu diesem Thema geäußert.

Ihr Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender, Herr Kollege Lindner, hat schon 2012 gesagt, dass die Bürger eigentlich eine bessere Fehlerkultur fordern, dass sie mehr Offenheit wollen, dass sie mehr Transparenz vom Parlament wollen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Deswegen war es eine Rede genau gegen ihren Vorsitzenden!)

Das, was Sie gerade gesagt haben, war sehr protektionistisch, so nach dem Motto: Wir müssen erst einmal gucken und dürfen nicht allzu viel herausgeben.

Jetzt möchte ich mich aber nicht nur an Ihnen abarbeiten. Ich habe nämlich noch zwei, drei Hinweise in Richtung der Kollegin Warden. Sie haben gesagt, das Einholen von Sach- und Fachkunde sei sehr wichtig. Ich finde das auch okay. Ich wiederhole es noch einmal: Lobbyismus ist nicht per se schlecht.

Die Abgeordneten, haben Sie gesagt, müssen zwischen Interessen abwägen. Ja, aber was hindert uns denn daran, zu sagen, dass der Bürger am Ende überprüfen kann, ob diese Abwägung auch stattgefunden hat oder ob nur einseitig Interessen gehört wurden? Ein solches Register wäre der richtige Schritt, so etwas offensichtlich zu machen.

Ja, die Anhörungen sind öffentlich, und man kann den Einfluss sehen, aber nicht – ich habe es schon gesagt – das Kaffeetrinken in der Cafeteria.

Herr Kollege Krückel, erst einmal vielen Dank für die Zustimmung. Sie haben gesagt, Sie sehen noch nicht, dass es bis Ende des Jahres möglich ist. Ich sage: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. – Anscheinend sagen alle: Na ja, die Idee ist gut. – Wenn die Idee gut ist, dann nehmen wir doch diesen Antrag als Grundlage. Dann machen wir zusammen etwas daraus. Sie haben einen Vorschlag gemacht, nämlich die Bundestagsregelung eventuell entsprechend anzuwenden. Man kann so etwas machen, wenn der Wille tatsächlich vorhanden ist. Ich habe das gerade herausgehört.

Noch ein Letztes zum Kollegen Mostofizadeh. Sie haben gerade lauter Beispiele genannt. Sie haben „Rent a Rüttgers“ und den Politikerkollegen von Klaeden erwähnt. Ich kann es erweitern. Ich kann über den Kollegen Koch reden, über den Kollegen Pofalla. Also, dass Politiker in die Wirtschaft gehen, um die Wirtschaft zu beraten, genauso wie umgekehrt, ist öffentlich. Deswegen können wir uns ja darüber aufregen. Wenn sie aber hier sitzen, mit ehemaligen Kollegen reden und eventuell tatsächlich Einfluss auf diese ausüben, dann geschieht dies nicht öffentlich. Und hier setzen wir an: Wir wollen, dass das veröffentlicht wird. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

 

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