Der Innenausschuss des Landtags NRW war am 27.10.2016 fast vollständig in Piratenhand: Die Fachpolitiker behandelten an diesem Tag ganze sieben Anträge unser Fraktion – so viel wie noch nie in den letzten vier Jahren. Ansonsten bestand die Tagesordnung hauptsächlich aus Berichten der Landesregierung, zwei Gesetzesentwürfen und zwei Anträgen anderer Fraktionen.
Deswegen erklärten wir ganz offiziell diesen Tag zum #Piratentag. Um immer auf dem Laufenden zu bleiben, konnte man uns auf Twitter folgen. Hier kann man den Live-Ticker noch einmal nachlesen:
„Demokratie baut auf Freiheit und Gleichheit der Bürger auf. Die Gleichheit der Mitwirkungsmöglichkeiten ist grundlegend für die Demokratie. Zentrale Bedeutung kommt der Chancengleichheit bei der politischen Willensbildung des Volkes zu“, so heißt es in einem juristischen Kommentar zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.[1] Für die Gesamtheit der Staatsbürger in der repräsentativen Demokratie erschöpfen sich die Einflussmöglichkeiten weitgehend im Recht auf Teilnahme an periodisch stattfindenden Wahlen. Dabei ist zu konstatieren, dass die Beteiligung bei Landtagswahlen in NRW seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zurückgegangen ist und sich inzwischen bei ca. 60% einzupendeln scheint (bei ca. 13,2 Mio. Wahlberechtigten). Bei Kommunalwahlen in NRW liegt die Beteiligung im Landesdurchschnitt nur bei ca. 50%, Tendenz fallend. Volksabstimmungen sind auf Bundesebene grundsätzlich nicht vorgesehen (Ausnahmen: Artikel 29 und Artikel 146 Grundgesetz) und auf Landesebene in NRW mit hohen Hürden verbunden. Kommunale Bürgerbegehren bzw. Bürgerentscheide finden in NRW nur punktuell statt,[2] was ebenfalls durch hohe Hürden bedingt ist. Es bleiben den Bürgern mittelbare Partizipationsmöglichkeiten über die Mitgliedschaft in politischen Parteien. Allerdings ist dort nur ein Bruchteil der Bevölkerung organisiert, wovon wiederum nur ein kleiner Teil auch tatsächlich politisch aktiv ist, Tendenz, ebenfalls fallend.
Somit kann festgestellt werden, dass in der repräsentativen Demokratie die verfassungsmäßigen Mitwirkungsmöglichkeiten wesentlich begrenzt sind, wobei innerhalb dieser Möglichkeiten der Grundsatz formaler Gleichheit aller Staatsbürger gilt.
Neben den geregelten verfassungsrechtlichen Mitwirkungsmöglichkeiten für die Staatsbürger besteht ein anderes, ungeregeltes System der Geltendmachung von subjektiven Interessen im politischen Willensbildungsprozess: der Lobbyismus. Lobbyismus kann definiert werden als Einflussnahme organisierter Gruppen auf die Exekutive und Legislative zwecks Durchsetzung ihrer Gruppeninteressen durch Pflege persönlicher Beziehungen. Damit steht Lobbyismus in einem Spannungsverhältnis zu demokratischen Anforderungen. Lobbyismus beeinträchtigt das Prinzip der Chancengleichheit, weil systematisch und durch Pflege persönlicher Beziehungen auf die Exekutive und Legislative einwirkende Gruppen gegenüber dem einzelnen Staatsbürger ein großes Machtübergewicht haben. Darüber hinaus berührt Lobbyismus das Gebot der Transparenz politischer Willensbildung, weil er auch in Teilen jenseits demokratischer Öffentlichkeit stattfindet. Schließlich steht Lobbyismus in einem Spannungsverhältnis zum Gemeinwohl, weil Lobbyisten die Verwirklichung von Partikularinteressen anstreben.
Dagegen wird oftmals erklärt, dass effiziente Politik ohne externes Fachwissen kaum noch möglich sei. Die Einbeziehung organisierter Interessengruppen sei zudem in einem modernen parlamentarisch-repräsentativen System Ausdruck demokratischer Offenheit. Tatsächlich scheinen in Anbetracht des stetig wachsenden Wissensvolumens die Kapazitäten insbesondere der Legislative zu dessen Bewältigung begrenzt. Die Anhörung betroffener Bevölkerungsgruppen bzw. deren organisierter Interessenvertreter in Gesetzgebungsverfahren erscheint aus rechtsstaatlicher Perspektive ohne Frage angezeigt. Die mit Lobbyismus verbundenen Vorteile lösen allerdings die verfassungsrechtlichen Probleme nicht auf.
Um in einem ersten Schritt Lobbyismus transparent und die Geltendmachung von Partikularinteressen für die Menschen im Land nachvollziehbar zu machen, ist die Einführung eines öffentlichen Lobbyregisters erforderlich.
Zusätzlich bedarf es offener, auch im Internet einsehbarer, zeitlich aktueller Statistiken, welcher Verband, welche Interessenvertretung, organisierte Gruppe oder Einzelvertreter wie oft und zu welchen Themen einzelne Mandatsträger, Ausschüsse, das Parlament oder die Landesregierung beraten hat. Dabei ist auszuweisen, von wem die Initiative dazu ausgegangen ist.
II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
Die Landesregierung bringt bis Ende 2016 einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Lobbyregisters in den Landtag ein. Das Lobbyregister hat folgende Merkmale aufzuweisen:
a) Jede Person, die im Auftrag ihres Arbeitgebers, Kunden oder ihrer Lobbygruppe über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten pro Kalenderjahr wenigstens 20% ihrer Arbeitszeit für Kontaktanbahnung und Kommunikation mit Mitgliedern der Landesregierung oder deren Mitarbeitern aufwendet (Lobbyist), hat ihre Tätigkeit unter Angabe
ihres Namens
der Namen des Arbeitgebers, des Kunden oder der Lobbygruppe
des Lobbythemas
des für die Lobbytätigkeit bereitgestellten Budgets
im Lobbyregister zu veröffentlichen. Das soll auch für Rechtsanwälte gelten, soweit sie als Lobbyisten tätig werden.
b) Das Lobbyregister wird als öffentliche, nutzerfreundliche und barrierefreie Online-Datenbank ausgestaltet.
c) In dieser Datenbank werden alle Kontakte auch nach Häufigkeit und Dauer erfasst, sowie aufgeführt, von wem die Kontaktinitiative ausging.
d) Die Angaben der Lobbyisten im Lobbyregister werden von einen Lobbyismus-Beauftragten auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft. Bei einem Verstoß gegen Veröffentlichungspflichten kann dieser Sanktionen verhängen.
e) Jeder Bürger hat das Recht, dem Lobbyismus-Beauftragten Hinweise zu geben und Beschwerden zu Veröffentlichungen im Lobbyregister zu erheben.
III. Der Landtag verpflichtet sich,
noch in dieser Wahlperiode eine analoge Regelung zu II. zwecks transparenter Darstellung des Lobbyismus im Landtag zu entwickeln und einzuführen. Zusätzlich werden alle Beratungen in Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Fraktionen erfasst.
[1]Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Rn. 16, 19, 20; 7. Auflage, München 2014
[2]vgl. die Übersichten auf http://nrw.mehr-demokratie.de