Mittwoch, 03. Dezember 2014
Einzelplan 03 – Ministerium für Inneres und Kommunales
in Verbindung damit Gemeindefinanzierungsgesetz
Unser Redner: Dirk Schatz
Abstimmungsempfehlung: Ablehnung
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Protokoll der Rede von Dirk Schatz
Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt stehen wir schon wieder hier. Ein weiteres Jahr ist um. Es ist schon fast unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man älter wird.
(Heiterkeit von der SPD)
Sie lachen. Für Sie ist ein Jahr wahrscheinlich so viel wie für mich ein Monat. Na ja, letztlich muss man festhalten: Viel zum Positiven geändert hat sich in der letzten Zeit nicht. Einiges hat sich sogar eher verschlechtert. Wenn wir uns gleich einmal den Bereich der Flüchtlinge anschauen, dann ist „verschlechtert“ vermutlich das falsche Wort; denn schlecht war es schon die ganze Zeit. In diesem Jahr ist nun ganz deutlich zutage getreten, dass dort schon über Jahre hinweg geschlampt wurde.
Zugegebenermaßen muss man auch einfach sagen, dass Herr Minister Jäger es beim Haushalt nicht leicht hat. Bei einem Gesamtvolumen von etwas mehr als 5,1 Milliarden € im Einzelplan 03 gehen mehr als 3,8 Milliarden €, also mehr als 75 % des Etats, allein für das Personal drauf. Hinzu kommen noch die nicht variablen Sachkosten. Unter dem Strich bleibt dann nicht viel, mit dem man wirklich kalkulieren und etwas bewegen kann.
Aber warum ist das so? Der Finanzminister ist offenbar nicht gewillt, Ihnen mehr Geld in die Hand zu geben, mit dem Sie endlich die Probleme in Ihrem Bereich vernünftig angehen könnten. Ich kann das allerdings ein Stück weit nachvollziehen. Warum sollte er Ihnen auch mehr Geld geben, jemandem, der es versteht, sich die ganze Zeit selbst zu inszenieren, jemandem, der ressourcenfressende und damit teure Blitzmarathons veranstaltet, jemandem, der mit ebenso sinnfreien wie teuren Aktionen gegen Rocker und Einbrecherbanden vorgaukelt, er würde etwas gegen diese Art der Kriminalität unternehmen, das alles aber in Wirklichkeit nur als groß angelegte PR-Masche in eigener Sache nutzt? So jemandem noch mehr Geld in die Hand zu geben, würde vermutlich nur dazu führen, dass er es für noch mehr PR aus dem Fenster schmeißt, statt es für sinnvolle Maßnahmen auszugeben.
(Beifall von den PIRATEN)
Dafür, dass Sie nicht in der Lage sind, Ihr Budget vernünftig einzusetzen, haben Sie in diesem Jahr die Quittung bekommen mit einem Flüchtlingsskandal, der weltweit seinesgleichen sucht. In einem Bereich, in dem es auch und vor allem um Menschenwürde geht, haben Sie sich für den billigsten und nicht für den besten Betreiber entschieden, einen Betreiber namens European Homecare, der für die Sicherheit der ihm anvertrauten Flüchtlingsheime mit Subunternehmen zusammenarbeitet, die Rechte und Kriminelle beschäftigen,
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
einem Betreiber, an dem Sie trotz all der Vorfälle noch immer festhalten, weil Sie lieber auf das Geld statt auf die Menschenwürde achten.
Ja, an dieser Stelle will ich natürlich nicht unerwähnt lassen, dass Sie im Bereich Flüchtlinge für 2015 eine Erhöhung von 77 Millionen € vorgenommen haben. Aber das war auch bitter nötig nach all den Jahren, in denen Sie diesen Bereich trotz der Warnungen von allen Seiten, auch trotz unserer Warnungen, viel zu sehr vernachlässigt haben. Was sind schon 77 Millionen € nach all den Jahren der Misswirtschaft? Damit sind Sie nicht einmal in der Lage, das Mehr an Flüchtlingen, das in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird, in den Griff zu bekommen. Das Schlimme an der Sache ist eigentlich eher die Tatsache, dass Sie das Geld ja nicht zur Verfügung gestellt haben, weil Sie es wollten, sondern nur aufgrund des öffentlichen Drucks. Ich wette mit Ihnen: Wäre der Skandal nicht öffentlich geworden, stünden heute keine 77 Millionen € zusätzlich zur Verfügung. Also auch hier, Herr Minister, setzt sich Ihr Handlungsmuster fort: Geld für menschenwürdige Unterbringung ja, aber nur, wenn es Ihnen PR bringt oder aber zumindest schlechte PR wieder ein bisschen glattbügelt.
Dabei bräuchten wir in NRW eine echte flüchtlingspolitische Wende. Dafür soll zum Beispiel auch unser Antrag zur Förderung der dezentralen Unterbringung in Wohnungen sorgen. Viele Städte in NRW machen es bereits vor und bescheinigen, dass die dezentrale Unterbringung viel humaner ist. Sie bescheinigen auch Herr Minister, jetzt hören Sie genau zu , dass dezentrale Unterbringung kostengünstiger ist. Da können Sie also noch etwas sparen. Das ist doch super.
Die Umsetzung dieses Antrages würde garantieren, dass das Geld bei denen ankommt, für die es vorgesehen ist. Bilder von überfüllten Einrichtungen und Problemen rund um die Einrichtungen können so vermieden werden und setzen sich in den Köpfen der Anwohner nicht fest. Mit dem Geld, das damit gespart wird, können Sie mehr für Flüchtlinge tun, ohne dass Sie tatsächlich mehr ausgeben müssen. Das könnte dann zum Beispiel in die Förderung der Arbeit des Flüchtlingsrates in NRW gesteckt werden. Seit dem Haushaltsjahr 2011 wurde der Ansatz bei diesem Titel nicht mehr erhöht. Deshalb sollte dieser Haushaltsansatz ebenfalls um 70.000 € gesteigert werden. Der Flüchtlingsrat ist das Sprachrohr der Flüchtlinge in NRW.
Seit zwei Jahren nimmt der Flüchtlingsrat aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen immer mehr Aufgaben wahr, zum Beispiel wird er auch die Aufarbeitung der Misshandlungen in den Landesaufnahmen begleiten. Schon allein wegen dieser schrecklichen Vorfälle hat sich die Arbeitsbelastung für den Flüchtlingsrat noch einmal massiv erhöht. Ein weiteres Problem in NRW ist die mangelnde Betreuung, Versorgung und Beratung der Flüchtlinge in ihren medizinischen, sozialen, rechtlichen und psychologischen Belangen. Auch dort muss mehr investiert werden.
Wenn wir über den Haushalt im Bereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales reden, dann kommen wir natürlich nicht daran vorbei, auch über die Polizei zu sprechen, ein Posten, der in der Gesamtsumme, inklusive der Versorgung der pensionierten Beamten, über 70 % des Gesamtetats ausmacht. Das kann nicht außen vor bleiben.
Hier hat der Minister ein echtes Problem. Auf der einen Seite ist er durch das Spardiktat seines Finanzministers gezwungen, zu sparen oder zumindest nicht mehr auszugeben, als er es jetzt schon macht. Auf der anderen Seite kriechen seine Polizeibeamten in vielen Bereichen personell aber auf dem Zahnfleisch. Die Hundertschaften sind überlastet, viele Dienstgruppen können an manchen Tagen nicht einmal mehr ihre Sollstärken erfüllen, Einbruchskriminalität wird nur noch verwaltet und nicht mehr aufgeklärt, um nur drei Bereiche zu nennen, in denen es mehr als brennt.
Eigentlich müssten massiv Neueinstellungen erfolgen, aber wie, wenn Sie derart sparen müssen. Gleich werden Sie wieder davon reden, wie toll Sie doch sind, und dass Sie schon 1.500 Neueinstellungen jedes Jahr vornehmen. Aber damit gleichen Sie noch nicht einmal den demografischen Schwund der nächsten Jahre aus. Das heißt, auch mit jährlich 1.500 Neueinstellungen wird die individuelle Belastung für jeden einzelnen Polizeibeamten weiter zunehmen. Selbst wenn Sie mehr einstellen könnten, hätten Sie nicht einmal ausreichend geeignete Bewerber. Selbst bei der jetzigen Einstellungszahl ist die Bewerberzahl zumindest sehr grenzwertig. Schon deshalb fordern CDU und Piraten seit Beginn der Legislaturperiode, den Polizeidienst auch für Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss wieder zugänglich zu machen, was im Übrigen auch Ihre Überlegung unterstützen würde, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Polizeidienst zu bekommen.
Die Mehrbelastung von der ich eben sprach, führt letztlich in einen Teufelskreis, aus dem Sie irgendwann nicht mehr herauskommen werden. Schon jetzt stellt die hohe Krankenquote innerhalb der Polizei ein sehr großes Problem im Bereich der Personalwirtschaft dar. Was glauben Sie, was passiert, wenn die individuelle Belastung noch weiter zunimmt? Es wird mit Sicherheit die Zahl der Kranken nicht weniger werden, sie werden eher steigen. Die Belastung nimmt weiter zu, und der Kreis schließt sich erneut. Und so geht es immer weiter.
Wenn Sie es heute schaffen würden, die Krankenquote um die Hälfte zu senken, hätten wir auf einen Schlag tagtäglich ungefähr 1.500 bis 2.000 aktive Polizeibeamte mehr in den Behörden. Das hört sich zunächst einmal viel an. Wenn man sich die Krankenquoten bei der Polizei allerdings anschaut, und dann feststellt, dass sie nicht selten mehr als doppelt so hoch ist wie der Durchschnitt in der freien Wirtschaft, dann ist eine Reduzierung um die Hälfte ein durchaus erreichbarer Wert. Dazu wäre jedoch zunächst einmal ein modernes Gesundheitsmanagement erforderlich. Aber wirkliche Bemühungen in diesem Bereich kann ich bei Ihnen nicht erkennen.
Ein weiterer Vorschlag, Personal einzusparen und dieses dann an anderer Stelle sinnvoll einzusetzen, den wir seit Beginn unseres Einzuges in den Landtag machen: Überdenken Sie endlich Ihre Einstellung im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Damit könnten wir laut Ihrer eigenen Antwort auf die Große Anfrage 4 der CDU jeden Tag fast 470 Beamte in anderen Bereichen sinnvoll einsetzen. Selbst Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, der politisch eher dunkelschwarz ist, hat erkannt, dass es der richtige Weg ist nur Sie nicht. Stattdessen verteilen Sie lieber Maulkörbe an Polizeipräsidenten, die sich mit dem Thema wirklich auskennen und seit Jahren intensiv damit beschäftigen. Aber daran muss man sich wohl gewöhnen. Wie ich gehört habe, verteilen Sie jetzt schon Maulkörbe an Kreistage.
Manchmal ist es doch auch für Sie gar nicht so schwer, unseren Vorschlägen zu folgen. Ich möchte aus dem Plenarprotokoll der Haushaltsrede für das Jahr 2013 zitieren, dort sagte mein Kollege, Frank Herrmann:
Herr Minister Jäger, Sie klagen ständig über die hohen Kosten für immer mehr Polizeieinsätze bei Fußballspielen. Versuchen Sie doch einmal mit einer Deeskalationsstrategie.
Daraufhin wurde vom Sitzungsdokumentarischen Dienst eingefügt: Beifall von den Piraten und, jetzt kommt es : Lachen von Minister Ralf Jäger.
Damals haben Sie gelacht, heute wissen Sie, dass wir recht hatten. Denn heute machen Sie es genau so, wie wir es vorschlugen. Das ist auch gut so,
(Beifall von den PIRATEN)
weil es einfach richtig ist. Glauben Sie mir, auch unsere anderen Vorschläge sind richtig.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Was hast du denn für Berater?)
Jetzt reden wir noch ein wenig über die Anträge der CDU. Die CDU hat gebeten, ihre Anträge bei diesem Punkt mit zu verhandeln. Dazu möchte ich nur kurz etwas zu den Beratungen aus dem Ausschuss sagen. Der Antrag zur Demografieentwicklung wird von unserer Seite abgelehnt. Die Streckung des Zeitraums von drei auf fünf Jahre hat genauso viele positive wie negative Auswirkungen auf den Verteilungsmechanismus. Daher ist die Richtung zu einseitig.
Den zweiten Antrag zur Steuererhöhungsspirale teilen wir. Rot-Grün dreht hier an jeder Steuerschraube. Da, wo Sie nicht direkt eingreifen können, zwingen Sie indirekt, wie über den Stärkungspakt, andere dazu, dem zwangsweise nachzueifern. Hier müssen wir ein Augenmerk auf die Entwicklung richte. Ihr Antrag erhält von uns ein positives Votum. In diesem Sinne bedanke ich mich und wünsche noch einen schönen Abend.
(Beifall von den PIRATEN)