Veröffentlicht am von in Arbeit, Gesundheit, Soziales (A01), Olaf Wegner, Reden.

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Top 5. Gesetz zur Entwicklung und Stärkung einer demographiefesten, teilhabeorientierten Infrastruktur und zur Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Wohn- und   Betreuungsangeboten für ältere Menschen, pflegebedürftige Menschen, Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen (GEPA NRW)

Gesetzentwurf der Landesregierung
Drucksache 16/3388

in Verbindung damit
Entwurf einer Verordnung zur Ausführung   des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen und nach § 92 SGB XI   (APG DVO NRW)
Entwurf der Landesregierung Vorlage 16/2165

in Verbindung   damit
Überarbeiteter Entwurf einer Verordnung zur Durchführung des Wohn- und Teilhabegesetzes (Wohn- und Teilhabegesetz-Durchführungs-verordnung – WTG DVO)
Entwurf der Landesregierung Vorlage 16/2166

 

Unsere Redner: Olaf Wegner
Abstimmungsempfehlungen: Enthaltung
Audiomitschnitt der Rede von Olaf Wegner anhören


Audiomitschnitt der Rede von Olaf Wegner als Download


Protokoll der Rede von Olaf Wegner

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider.  Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Wegner das Wort.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Fangen wir mit dem an, was uns Piraten an diesem Gesetz gefällt, ja, sogar sehr gut gefällt: Wir finden es wunderbar, dass in Zukunft größere Anstrengungen unternommen werden, die Menschen zu Hause besser zu pflegen und zu versorgen. Diese Anstrengungen sind ja auch seit Langem überfällig, aber nicht, weil damit die Kosten für die Pflege gesenkt werden können, auch nicht, weil dadurch der Bedarf an stationären Einrichtungen sinken wird.

Diese Ziele sind mit diesem Gesetz nicht zu erreichen. Vielmehr wird es möglich sein, die 70 % der Pflegebedürftigen besser zu unterstützen, die heute im häuslichen Umfeld gepflegt werden und denkbar schlechte Versorgungsstrukturen und ungünstige bauliche Voraussetzungen haben. Hier sind es in erster Linie die Menschen, die aufgrund ihrer Immobilität und Hilfsdürftigkeit zurzeit zu Hause vereinsamen und häufig auch verwahrlosen. Zu sehr vielen Menschen kommt der Pflegedienst: morgens, mittags und abends.  Mehr Kontakt zu anderen Menschen ist nicht möglich, weil die Pflegebedürftigen ihre Wohnungen nicht verlassen können. Daneben bleibt häufig nur der Fernseher. Solange die betroffenen alten Menschen keine Gefahr für sich und andere darstellen, wird ihnen auch heute meist keine Heimnotwendigkeitsbescheinigung ausgestellt. Es ist keine Ausnahme, dass die Menschen solange ambulant gepflegt werden, bis sich der versorgende Krankenpflegedienst komplett überfordert sieht, oft auch trotz der Bedürfnislage der Hilfsbedürftigen nach Kontakt und Teilhabe am Leben.

Wir sind aber bereit anzuerkennen: Menschen mit Gehbehinderung und Menschen ohne versorgende Familie werden die großen Profiteure altersgerechter WGs, Mehrgenerationenhäusern und Quartiersentwicklung sein. Schon heute werden nur Menschen mit schwersten Erkrankungen in Altenheimen gepflegt. Die durchschnittliche Verweildauer beträgt zurzeit ca. ein halbes Jahr. Die Kriterien der Heimnotwendigkeit noch weiter zu verschärfen, ist nach Meinung von Fachleuten zweifellos die preiswertere Lösung. Viele Pflegeprobleme lösen sich dann durch das Versterben der Pflegebedürftigen.

Damit sind wir an dem Punkt, der uns Piraten an diesem Gesetz nicht gefällt, genaugenommen: überhaupt nicht gefällt. Es wird nämlich immer wieder damit argumentiert, dass durch die angestrebte Verbesserung der Lebensqualität in der häuslichen Pflege der Bedarf beziehungsweise die Nachfrage an stationärer Pflege abnehmen wird.  Aber die vorgebrachten gesetzlichen Anstrengungen werden den stationären Bedarf höchstens ein wenig verringern. Eine andere Schlussfolgerung ist  das ist auch die Meinung von Experten  schlichtweg falsch.

Solange die Personengruppe der über 75-Jährigen weiter anwächst, wird auch der Bedarf an stationären Pflegeeinrichtungen weiter ansteigen. Es ist bekannt, dass derzeit in der stationären Pflege zwischen 70 und 80 % Menschen mit Orientierungsproblemen leben. Diese Menschen können ihren Tagesablauf nicht selbstständig strukturieren. Selbstbestimmung ist dann weniger nützlich als Schutz und vertrauensvolle Pflege. Die Anzahl der Menschen mit gerontopsychiatrischen Erkrankungen wächst, und die fachpflegerische Unterstützung wird mit zunehmenden altersbedingten Erkrankungen unverzichtbar. Immer mehr Menschen brauchen aufgrund von Multimorbidität eine 24-stündige intensive fachpflegerische Versorgung.

Die Argumentation stützt sich auf die Ergebnisse einer Umfrage. Dort haben die meisten Menschen angegeben, dass sie lieber zu Hause statt im Heim gepflegt werden möchten. Soweit, so richtig! Die Umfragen dazu zweifeln wir nicht an. Nur ist die Fragestellung schlicht falsch. Es wurde nicht gefragt: Wie möchten Sie leben, wenn Ihr Partner und Ihre Freunde verstorben sind und Sie niemanden mehr in Ihrer Straße kennen? Oder auch: Wie möchten Sie leben, wenn Sie Angst und Schmerzen an einem normalen Tagesablauf hindern? Und besonders: Wie möchten Sie leben, wenn Sie sich ständig verlaufen und Ihnen alles fremd erscheint? Möchten Sie dann durch die Stadt irren und von der Polizei zurück nach Hause begleitet werden?

Nun zum Umgang mit den Umfrageergebnissen: Mit den Gesetzen wird der Bevölkerung suggeriert, dass man sich an ihren Wünschen aus den Umfragen orientiert.  An ihren Wünschen schon, aber nicht an ihren Pflegebedürfnissen. Natürlich möchte jeder Mensch lieber zu Hause gepflegt werden. Es fällt ja auch mehr als schwer, sich vorzustellen, dass man sich in einer Lebenslage befinden könnte, in der das Leben in einem Heim würdevoller als das Leben zu Hause ist.

Doch die Aussage hinter dem Gesetz lautet: Wir lassen weniger Pflegeheime bauen, weil ihr sie ja gar nicht wollt! Weiterhin wird gesagt: Wenn wir mit diesem Gesetz die Qualität der häuslichen Pflege verbessern, braucht man keine Heimnotwendigkeit mehr. Wir Piraten können dieser Logik nicht folgen und sehen darin eine Täuschung der Bevölkerung. Schlimmer noch: Sie spielen mit den Ängsten der Menschen. An diesem Punkt stellen wir Piraten uns die Frage: Können wir diesem Gesetz unter diesen Umständen zustimmen?  Wir möchten eben nicht mittragen, dass mit diesem Gesetz unrealistische Hoffnungen geweckt werden, die mit der derzeitigen Teilkaskoversicherung  das ist die Pflegeversicherung, wie Sie wissen  nicht umgesetzt werden können. Im Klartext führt das Gesetz dazu, dass die stationären Pflegeplätze so knapp werden, dass sie für die vielen kranken Menschen, die eine Rundumversorgung brauchen, nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen werden. Das planen Sie aufgrund Ihrer Umfrage, also angeblich auf Wunsch der zukünftigen Pflegebedürftigen. Aufgrund dieses Täuschungsversuchs treten wir Ihrer Suggestion entgegen. Wir Piraten treten weiter für den realen Bedarf in der Pflege ein.

(Widerspruch von Manuela Grochowiak-Schmieding [GRÜNE])

Wir möchten eine gesundheitliche Versorgung in allen Altersgruppen und bei jeder Erkrankung.

(Ministerin Barbara Steffens: Och, Herr Wegner!)

Deswegen empfehle ich meiner Fraktion, sich bei den Abstimmungen zu diesem Gesetz zu enthalten. Dem Änderungsantrag werden wir als Mitantragsteller natürlich zustimmen, weil er aus unserer Sicht einige wichtige Verbesserungen enthält. Ohne diese Verbesserungen hätte ich meiner Fraktion empfohlen, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Ganz zum Schluss möchte ich mich allerdings auch noch einmal mit meinem Dank an alle Ausschussmitglieder und Mitarbeiter richten. Die Zusammenarbeit war wirklich gut, auch wenn wir uns nicht unbedingt mit unseren Vorstellungen so durchsetzen konnten, dass wir dem Gesetz zustimmen können. Trotzdem ist zu sagen: Die Zusammenarbeit bei diesem Gesetz  vor allen Dingen bei den Änderungsanträgen  war im Ausschuss vorbildlich. Vielen Dank!

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner.  Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Steffens das Wort.

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