Veröffentlicht am von in Joachim Paul, Reden, Schule und Weiterbildung (A15).

Donnerstag, 27. März 2014

Top 4. Jungen fit für die Zukunft machen

Antrag der Fraktion der FDP

Drucksache 16/5286

Unser Redner: Joachim Paul

Abstimmungsempfehlung:der Überweisung in den Ausschuss ist zuzustimmen

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Protokoll der Rede von Joachim Paul

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Lebewesen und Zuschauer auf der Tribüne, daheim und im Stream! Liebe Girls and Boys! Am Girls’ Day ist die FDP über mangelnde Aufmerksamkeit für Jungen enttäuscht und will nun auch Jungen fit für die Zukunft machen. Ich muss dazu sagen, Frau Schneider, ich goutiere Ihr Engagement ausdrücklich und finde, es ist ein tolles Thema. Nach unserer Auffassung springt Ihr Antrag leider ein wenig zu kurz. Laut Ihrem Antrag findet in diesem Jahr zum vierten Mal der Boys’ Day -Jungen-Zukunftstag  statt. Tatsächlich wurde der Boys‘ Day 2003 als Komplement zum Girls’ Day eingeführt. Das Bundesfamilienministerium fördert den Boys‘ Day erst seit 2011 über das Projekt „Neue Wege für Jungs“.

Seit 2005 existiert im Familienministerium dieses Projekt, dessen ausgewiesenes Ziel es ist, Jungen neue Wege und vielfältige Perspektiven für ihre individuelle Berufs- und Lebensplanung aufzuzeigen. Aber das Familienministerium verfehlt unserer Auffassung nach dieses Ziel genauso locker wie der Antrag. Dennoch: Eine Grundeinsicht, den Jungen-Zukunftstag weiterentwickeln zu müssen, ist vorhanden. In den Vorschlägen zur Beschlussfassung fordern Sie die Landesregierung auf, sich dafür stark zu machen, soziale und pflegerische Berufe aufzuwerten. In diesem Antrag gehen Sie allerdings nicht darauf ein, wie das geschehen soll. Wie auch?  Denn Ihnen sind die Menschen, die in diesen Berufen eher an einer  ich möchte es einmal so formulieren  „gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfungskette“ arbeiten, nicht so wichtig. Ich habe den Verdacht, dass hier eine Ideologiedebatte geführt werden soll. Angesichts immer neuer beruflicher Qualifikationsstandards sowie zunehmender Schulbildungsdefizite spricht der Soziologe Ulrich Beck von einer riskanten Individualisierung. Gerade die Jungs stehen vor der Herausforderung, Wandlungsprozesse von Geschlechterrollen sowie eigene Berufs- und Lebensplanungsphasen miteinander zu vereinbaren. Für Berufe, die bisher noch mit niedriger Schulbildung zugänglich waren, sind heute Realschulabschluss oder das Abitur Einstiegsvoraussetzung. Herr Kern hatte schon darauf hingewiesen: Jungen sind seit Jahren anteilig häufiger an Förder- und Hauptschulen vertreten, verlassen Schulen häufiger ohne Abschluss als Mädchen.

Die Bildungsforscher Quenzel und Hurrelmann vermuten, dass Jungen ihr Leistungspotenzial aufgrund diffuser und daher verunsichernder Männlichkeitsbilder häufig nicht ausschöpfen. Alle Jugendlichen stehen jedoch gleichermaßen vor der Herausforderung, eine rationale Entscheidung für ihre Berufsbiografie zu treffen. Der Boys’ Day als Ergänzung des mädchenfördernden Zukunftstages übersieht hierbei wesentliche Defizite beider Konzepte. Girls’ Day und Boys’ Day spielen Jugendlichen eine Wahlfreiheit vor. Für geschlechtsspezifische Arbeitsmarktseggregation oder Lohnungleichheiten sensibilisieren diese Projekte gerade nicht. Der Antrag übersieht zudem völlig die Instrumentalisierung der Tage für wirtschaftliche Zwecke. Gerade in erzieherischen und pflegerischen Berufen besteht aktuell ja ein gravierender Mangel an Arbeitskräften. Das ist aber auch logisch, wenn wir es uns weiterhin erlauben, Dienst am Menschen mit einem Gehalt zu entlohnen, das unattraktiv für Menschen ist, die sich an der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfungskette engagieren möchten, gar nicht davon zu reden, dass die Gehälter in kirchlichen Einrichtungen teilweise noch niedriger liegen.

Jungen sehen sich eher in frauentypischen Berufen den gleichen Nachteilen wie die Frauen ausgesetzt: Erzieherische und pflegerische Berufe sind oft gleichermaßen unterbezahlt und perspektivlos. Darauf hatte Frau Paul hingewiesen. Es kann daher nicht viel bringen, Jungen quasi gleichberechtigt an Problemen teilhaben zu lassen. Wir möchten von der FDP wissen, wie sie sich das Konzept zur Aufwertung erzieherischer und pflegerischer Berufe vorstellt. Mit einem warmen Handschlag haben noch keine Altenpflegerin und kein Erzieher ihre oder seine Miete bezahlt. Außerdem ist in der Debatte um ausreichende kindgerechte Personalausstattung in der frühkindlichen Bildung der bislang einzige Streitpunkt die Finanzierung. Daher fordern wir die FDP-Fraktion auf, ihren  ich sage einmal  „halben Antrag“ zu vervollständigen/zu komplettieren. Reichen Sie doch einfach ein Konzept zur Aufwertung pflegerischer und erzieherischer Berufe nach. Denn das Thema „gerechte Entlohnung“ haben Sie ausgespart. Die von Ihnen angeforderte Analyse der beruflichen Entscheidungsprozesse von Jungs kann ich Ihnen zum Teil vorwegnehmen: Wenn ein Beruf nicht den Lebensunterhalt sicherstellt, ist die Tendenz, diesen Beruf zu wählen, eher gering. Aber: Unsere Fraktion freut sich auf die Beratungen im Ausschuss.  Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege.  Für die Landesregierung erteile ich Herr Minister Schneider das Wort.

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