Freitag, 29. November 2013
TOP 3. Land muss umfassende Aufsicht über wirtschaftliche Betätigung von Kommunen in schwieriger Finanzlage garantieren
Audiomitschnitt der Rede von Frank Herrmann als Download
Protokoll der Rede von Frank Herrmann:
Die näheren Umstände und Bedingungen des Deals bleiben aber unter Verschluss. Das musste auch der Bochumer Ratsherr Gräfingholt erfahren, dem gerade einmal eine Stunde Akteneinsicht gewährt wurde. Er muss nun vor dem Verwaltungsgericht klagen, um mehr als einen kurzen Blick auf die Teile des Vertragswerks werfen zu dürfen.
Transparenz ist beim sogenannten STEAG-Deal offensichtlich ein Fremdwort. Dabei wäre doch die Veröffentlichung der Details das Mindeste, was der Bürger erwarten darf.
Nun argumentiert Herr Hübner, dass sich die Städte nicht unmittelbar beteiligen; das täten vielmehr Konsortium bzw. die Stadtwerke als Privatunternehmen. Diese müssten sich nicht so transparent geben wie der Staat. Das ist aber eine juristische Spitzfindigkeit, die unserer Meinung so nicht zulässig ist.
Zu dieser Ansicht kommt auch Prof. Dr. Oebbecke, der in seinem Gutachten, auf dem der Antrag der CDU letztlich basiert, anmerkt, dass nach § 108 Abs. 6 Gemeindeordnung auch Tochter- und Enkelgesellschaften an die Bestimmungen der Gemeindeordnung zur wirtschaftlichen Betätigung gebunden seien.
Allerdings merkt er wörtlich auch an, es gebe „Umgehungsmöglichkeiten“. Auch könne die Aufsichtsbehörde – also die Kommunalaufsicht – im Rahmen ihres Ermessens auf die Durchsetzung der Vorgaben verzichten. Es kommt also maßgeblich auf den politischen Willen an. An dieser Stelle sind die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen gefragt. Wie ernst nehmen Sie Ihre eigenen Worte von Transparenz im Koalitionsvertrag? Wie ernst nehmen Sie Ihre Verantwortung gegenüber den Bürgern? Diese Fragen stellen sich umso dringender, als Prof. Dr. Oebbecke ganz klar in seinem Gutachten feststellt, dass der Erwerb der STEAG im Hinblick auf die Aufwandstragfähigkeit und Risikotragfähigkeit bei den Städten in schwieriger Haushaltslage mit § 107a Abs. 1 GO unvereinbar wäre.
Insbesondere die Risiken sind unüberschaubar, weil erstens die STEAG immer noch zu großen Teilen auf Steinkohle setzt, was mit nationalen und internationalen Klimaschutzzielen in Konflikt steht. Zum Zweiten sind die Risiken eines international tätigen Unternehmens mit Kraftwerken in Staaten außerhalb der EU weder abschätzbar noch kontrollierbar. Man denke zum Beispiel an Naturkatastrophen wie den Taifun Haiyan. Die STEAG betreibt ein Kohlekraftwerk auf den Philippinen.
Natürlich wäre auch der Kernhaushalt der Kommunen sehr schnell betroffen. Die Haushaltssperre durch den Kämmerer in Essen wurde nicht zuletzt durch die Hiobsbotschaften von der RWE ausgelöst. Bei der STEAG würde sich eine ähnliche Situation kaum anders auf die kommunalen Haushalte auswirken.
Das eigentliche Problem liegt aber auf einer viel grundsätzlicheren Ebene: Wie ernst ist es uns mit der Demokratie und der Verfassung? Prof. Dr. Oebbecke stellt nämlich in seinem Gutachten fest, dass die Vereinbarkeit der Vorschriften der Gemeindeordnung zur wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen außerhalb ihres Gebiets mit der Verfassung – ich zitiere wörtlich – „äußerst zweifelhaft“ ist.
Deutlicher kann man es kaum sagen. Aber es kommt noch schlimmer. Diese Bedenken sind alle bekannt, nur möchte sie niemand klären lassen. Im weiteren Verlauf des Gutachtens wird argumentiert, dass sich das Risiko, dass das Bundesverfassungsgericht die Regelung kassiere, gering sei, weil niemand ein Interesse an einer Klärung habe.
Auch mache es die enge Verbindung zwischen Landes- und Kommunalpolitik unwahrscheinlich, dass vonseiten der Politik dagegen geklagt werde. Also: Wo kein Kläger, da kein Richter.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frank Herrmann (PIRATEN): Nein, ich möchte fortfahren.
Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage. – Bitte schön.
Frank Herrmann (PIRATEN): Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Im Klartext heißt es doch, dass die Verfassung der Politik egal ist, wenn man einen Nutzen aus dem Verfassungsbruch ziehen kann. Nichts weniger bedeutet diese Aussage im Gutachten.
Dabei gäbe es eine Möglichkeit aus diesem Haus, wie Prof. Dr. Oebbecke ausführt, die Regelung im Wege der objektiven Normenkontrolle vorm Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen prüfen zu lassen.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was hat das mit Ihrem Antrag zu tun, Herr Kollege?)
Antragsberechtigt vor dem Verfassungsgerichtshof wäre die Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Landtags.
(Zuruf von Michael Hübner [SPD])
Wenn die Kolleginnen und Kollegen von der CDU die Intention ihres Antrags wirklich ernst meinen, sollten sie darüber nachdenken. Wir Piraten würden uns solchen Gesprächen sicher nicht verschließen.
Grundsätzlich stehen wir Piraten für mehr Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung. In unserem Wahlprogramm haben wir uns daher für Bürgerentscheide bei allen budgetrelevanten Investitionsprojekten ausgesprochen. Einen STEAG-Deal ohne Bürgerentscheid hätte es mit Piraten nie gegeben.
(Beifall von den PIRATEN)
Ich möchte daher anregen, auch bei der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen mehr Demokratie zu wagen. Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie künftig bei Projekten dieser Größenordnung der Bürger eingebunden werden kann. Denn das, was wir jetzt haben, ist intransparent, es beinhaltet juristische Winkelzüge, nicht abschätzbare Risiken und höchstwahrscheinlich verfassungswidrige Gesetzesvorschriften.
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Das kann und muss besser gehen. Wir möchten Sie einladen, mit uns gemeinsam darüber zu reden. In diesem Sinn freue ich mich auf eine anregende Diskussion im Ausschuss und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)