Donnerstag, 20. Juni 2013
TOP 15. Urananreicherungsanlage in Gronau schließen, alle Atomanlagen in NRW sofort stilllegen!
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer – vielleicht verfolgen Sie uns noch draußen im Stream; hier auf der Tribüne ist leider niemand mehr. Bereits gestern gab es einen Antrag zum Thema „Atompolitik“. In diesem Zusammenhang hatte ich die Grünen darauf hingewiesen, dass in der Atomkraftbewegung die Meinung vorherrscht, die Grünen hätten mit dem Atomausstieg nichts mehr zu tun.
Noch gestern habe ich eine Rückmeldung von der Antiatomkraftbewegung bekommen, die die Debatte verfolgt hatte. Sie war wenig begeistert von dem, was die Regierungsfraktionen hier vorzutragen haben. Das wird Sie vielleicht interessieren.
Ich erinnere auch an den Redebeitrag des Kollegen Markert, seines Zeichens Kirchenjurist, der mit inquisitorischem Charme und Scharfsinn erkannt zu haben glaubte, dass unsere Anträge angeblich von der Linkspartei abgeschrieben seien. Ich kann Ihnen versichern: Das ist nicht der Fall.
Der Grund, dass die Linkspartei in der letzten Legislaturperiode und wir in dieser ganz ähnliche Anträge vorlegen, liegt darin, dass wir beide eng mit der Antiatomkraftbewegung zusammenarbeiten und dass die Politik, die die Landesregierung verfolgt, ganz einfach keine andere Option offenlässt, als genau diese Anträge immer und immer wieder vorzulegen. Wir werden damit auch weitermachen, und zwar so lange, bis der Atomausstieg komplett ist.
(Beifall von den PIRATEN)
Denn der schnellstmögliche Atomausstieg ist für uns Piraten unverzichtbarer Bestandteil der Energiewende. Es reicht nicht, dass in Nordrhein-Westfalen kein Reaktor mehr läuft, solange der Betrieb anderer Anlagen hier im Land den Ausstieg verzögert.
Besonders wichtig ist dabei die Urananreicherungsanlage in Gronau, die nicht nur zahllose Transporte erfordert, sondern auch angereichertes Uran sowie abgereichertes Uran für Reaktoren anderswo – und zwar weltweit – liefert. „Friedliche Nutzung der Kernenergie“ ist da wohl das Stichwort. Wie viel Uran aus Gronau wurde zur Munitionsproduktion verwendet und exportiert und war dann aus den Augen, aus dem Sinn?
Aber nicht alles abgereicherte Uran lässt sich in Munition umwandeln. So viele Terroristen gibt es denn auch nicht, die man damit erschießen könnte. Die Mengen sind immens, und die Lagerung wird wegen des Zerfalls des Urans 238 in stärker strahlende Nuklide ein immer größeres Problem. Durch Genehmigungen von Kapazitätserweiterungen – wie von der rot-grünen Regierung 2005 erteilt – wird das Problem verschlimmert und der Atomausstieg sabotiert.
Die Flugverbotszone ist zu klein, wenn man das aktuelle Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2013 zu Mindestabständen von Flugzeugen bei Atomanlagen zugrunde legt. Die Genehmigungsstandards der 1980er-Jahre wurden nicht aktualisiert.
Ganz aktuell gibt es ein neues Urteil aus Schleswig-Holstein, das das Zwischenlager in Brunsbüttel betrifft. Das Verwaltungsgericht Schleswig hat aus demselben Grunde – Gefahr durch Flugzeugabstürze – die Erweiterung dieses Lagers verboten.
Stresstests nach Aktenlage können Sicherheitsprobleme nicht lösen. Wir teilen die Bedenken der Bürgerinitiativen. Es gibt keinen ausreichenden Schutz des Uranhexafluorids vor Bränden und Flugzeugabstürzen. Einwirkungen Dritter wurden genauso wenig berücksichtigt wie die chemotoxischen Eigenschaften von Flusssäure, die bei einem Unfall mit Beteiligung von Uranhexafluorid freigesetzt wird.
Bezeichnend für die Transparenz ist auch, dass die Frage des Gronauer Ratsmitglieds Udo Buchholz von der GAL – der übrigens nichts mit den Grünen zu tun hat –, ob die Politiker die schriftlichen Berichte erhalten könnten, verneint wurde. Warum eigentlich? Vielleicht weil Matthias Eickhoff vom „Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen“ recht hat, wenn er sagt, dass – ich zitiere mit Erlaubnis – „wesentliche Gefahrenpunkte einfach ausgeblendet oder die Folgen schöngeredet und sich allein auf Stellungnahmen der jeweiligen Betreiber und Genehmigungsbehörden verlassen wurde“.
Die Angaben der Genehmigungsbehörden zu Flugzeugabstürzen sind selbst nach Einschätzung der Entsorgungskommission unvollständig bzw. sie werden von der Landesregierung NRW geheim gehalten. Weder das Uranfreilager noch die unverbunkerten Zentrifugenhallen können einem Flugzeugabsturz standhalten.
Warum wird das abgereicherte Uran als Wertstoff deklariert? Das möchte ich von der Regierung wissen. Zu was kann es denn weiterverarbeitet werden? Auch wenn es nur noch Spuren von Uran 235 enthält – man kann es noch einmal durch Zentrifugen jagen und nochmals anreichern. Ist es erst einmal exportiert, dann lässt sich überhaupt nicht mehr kontrollieren, wie weit die Anreicherung geht. Das geht bis zur Bombenfähigkeit, 95 %.
Man kann, wie schon erwähnt, Uranmunition aus dem abgereicherten Uran herstellen. Das aus Gronau nach Russland exportierte abgereicherte Uran wird dort als strategische Ressource angesehen. Es lagert unter unvorstellbaren Bedingungen unter freiem Himmel und ist eine noch größere Gefahr für die Bevölkerung in Angarsk und Umgebung als bei uns.
Nicht ohne Grund wollen neoliberale Adepten von marktradikalen Sekten in den Regierungen der Niederlande und Großbritannien die Urenco privatisieren. Dieselbe Sorte zugekokster Manager, die schon das Finanzwesen an die Wand gefahren hat, soll jetzt Zugriff auf den strategischen Wertstoff bekommen.