Warnung: Dieser Blogbeitrag wird etwas länger, die Materie ist speziell und komplex und die (Un-)Verantwortlichen haben im Laufe der Zeit ein ziemliches Kuddelmuddel angerichtet.
Wir wollen, dass in Jülich ein Lager für die dortigen 152 Castor-Behälter mit insgesamt rund 300.000 hochradioaktiven Brennelementkugeln gebaut wird. Das Lager soll schnellstmöglich und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik errichtet werden, so dass es den Anforderungen an Erdbebensicherheit auch bei Bodenverflüssigung und den Sicherheitsanforderungen des Schleswiger Urteils zum Zwischenlager Brunsbüttel genügt. Die Landesregierung muss ohnehin laut einer Vereinbarung mit der Bundesregierung 30 Prozent der anfallenden Kosten mittragen – egal was beschlossen wird. Ihren Einfluss aufgrund dieser Vereinbarung soll sie nutzen, die oben genannten Punkte durchzusetzen.
In Jülich lagert lange schon der Atommüll aus dem dortigen Kugelhaufenreaktor. Aufgrund einer über Jahrzehnte vertuschten und erst vor kurzem bekannt gewordenen schweren Havarie 1978 ist der Abfall hoch problematisch. Der von uns beigezogene Experte Dr. Rainer Moormann, der dort selbst lange Jahre arbeitete und ein exzellenter Kenner der Materie ist, führte aus: „Grosse Anteile des radioaktiven Inventars befinden sich bei vielen Kugeln nicht mehr in den beschichteten Brennstoffpartikeln, sondern sind unerwünscht in den porösen Graphitmantel der Kugeln gewandert – und dann teilweise in den Behälter. Kugelgraphit ist brennbar. Das Inventar der einzelnen Jülicher Castoren ist nur ungenau bekannt.“
Das Zwischenlager Jülich hatte eine befristete Betriebsgenehmigung und reichte für den erneuten Antrag unvollständige Unterlagen ein. So war der Antrag trotz Nachbesserungsaufforderungen nicht genehmigungsfähig, die Betriebsgenehmigung erlosch, danach wurde das Lager aufgrund von halbjährlich befristeten Anordnungen betrieben. Gleichzeitig gab es Verhandlungen mit den USA zur Übernahme nicht nur des Jülicher Materials, sondern auch des in Ahaus lagernden Mülls aus dem THTR 300 in Hamm.
„Im Jahre 2007 sah man bereits Schwierigkeiten bei der Nachrüstung in Jülich“, teilte der Experte Rudolf Printz, technischer Geschäftsführer des Betreibers JEN, in der heutigen Ausschusssitzung mit. Seit längerem war bekannt, dass die ursprüngliche Annahme, es seien keine Erdstöße stärker als 6,5 im Gebiet zu erwarten, verkehrt ist. Zusätzlich konnte ein neues Gutachten die Gefahr von Bodenverflüssigungen bei starken Erdstößen nicht ausschließen. Das neueste Gutachten bezweifelt das jedoch wieder. Die Düsseldorfer Aufsichtsbehörde ordnete im Jahre 2014 die unverzügliche Räumung des Lagers an und gab den Betreibern auf, die möglichen Optionen zu prüfen. Diese sind:
Neubau eines Lagers am Ort
Transport ins Zwischenlager Ahaus
Export in die USA
Die Prüfung dieser Optionen ist noch nicht abgeschlossen.
Die Optionen im Einzelnen:
Der Export in die USA ist sicher die schlechteste Option. Es gibt weltweit keine Anlage, die das Material aus Jülich (und auch Hamm) wieder aufarbeiten und für eine Endlagerung konditionieren kann. Die vorgesehene Militäranlage Savannah River Site strahlt neben Radioaktivität auch den nostalgischen Charme der 1950er aus und wäre in Europa wohl längst ein Industriemuseum. Entwicklung und Bau der notwendigen Anlagen müssten zum großen Teil von Deutschland, auch NRW, bezahlt werden. Der Transportweg ist lang, in Deutschland über Land, dann über den Atlantik. Dr. Moormann legte dar, dass das Material aus Hamm für die USA interessant ist, weil es 77 – 78 % Uran-235 enthält, das besser zum Atombombenbau geeignet ist als Plutonium. Das Graphit, radioaktiv wegen des hohen Gehalts an Kohlenstoff-14, soll zu Kohlendioxid vergast und in die Atmosphäre entlassen werden, würde also die Umgebung kontaminieren. Der Beirat vor Ort sprach sich bereits vor einigen Wochen gegen diese Option aus. Auf das lange angekündigte Ergebnis der dortigen Umweltverträglichkeitsprüfung warten alle nach mehreren Verschiebungen immer noch. Man hatte bei der MOX-Bearbeitung in Savannah eine Kostenexplosion erlebt und wünscht jetzt eine höhere technische Sicherheit vor Vertragsabschluss.
Ein Export von Atomabfall aus Leistungsreaktoren, die zur Erzeugung von Strom dienten, ist ohnehin nach deutschem und EU-Recht verboten. Beide Reaktoren, Jülich wie Hamm, waren Leistungsreaktoren zur Stromerzeugung. Sie dienten nicht der Neutronenerzeugung, wie Forschungsreaktoren es tun.
Transport nach Ahaus: Im dortigen Zwischenlager lagert der Atommüll aus dem THTR 300 in Hamm in baugleichen Castoren wie in Jülich. Die Vorbereitungen für den Transport begannen laut heutigem Expertengespräch im Jahre 2009, als die Betreiber der beiden Zwischenlager einen Vertrag schlossen. Im September 2009 wurde ein Aufbewahrungsantrag gestellt, im Oktober 2010 ein Transportantrag. Als die USA-Option im Jahre 2012 ins Spiel kam, wurden beide Anträge ruhend gestellt und zwei Jahre später wieder zum Leben erweckt. Inzwischen gibt es eine Einlagerungsgenehmigung aus 2016, aber eine Transportgenehmigung ist wegen geänderter Rechtslage noch nicht in Sicht. Der Experte Rudolf Printz sagte heute, er rechne nicht mit einem Transport 2017. Das Lager Ahaus wird zur Zeit noch ertüchtigt. Die Betriebsgenehmigung ist bis 2036 befristet, der Ansiedlungsvertrag schließt einen Neubau danach dort aus. Dieses Lager muss also spätestens in 20 Jahren ebenfalls geräumt werden. Der Ahauser Stadtrat ist entschieden gegen eine Verlängerung und auch gegen die Einlagerung des Jülicher Mülls dort. Ahaus möchte nicht zu einem schleichenden Endlager werden.
Die zweimal gestellte Frage nach den vorhandenen Lastwagenkapazitäten für die Castor-Transporte, von der die Anzahl der Fahrten abhängig ist, wurde bezeichnenderweise nicht beantwortet.
Jülich: Dort hat der Betreiber JEN mittlerweile einen Antrag auf Zwischenlagerung für drei Jahre gestellt. Die Frist würde ab Antragsgenehmigung laufen und Zeit für die weitere Prüfung der Optionen und Durchführung der Räumung bringen. Da es sich um eine Neugenehmigung und keine Verlängerung handelt, gelten schärfere Regeln. Ein Änderungsgenehmigungsverfahren war wegen geänderter Lastannahmen, besonders für Erdbeben, nicht möglich. Das zuständige Bundesamt für kerntechnische Entsorgung übersandte im Sommer 2016 eine Liste mit offenen Punkten, die inzwischen beantwortet wurde und in Fachprüfung ist.
Der durch die Havarie 1978 verseuchte Reaktorkern, selbst gefährlicher Atomabfall, wird auf unabsehbare Zeit noch in Jülich bleiben. Dessen sichere Lagerung dort muss ohnehin gewährleistet werden, ganz egal, was mit den Castoren und den darin gelagerten Kugeln geschieht. Ein neues neutrales und umfassendes Gutachten zu Erdbeben und eventuellen Bodenverflüssigungen muss schnell in Auftrag gegeben werden und der erste Schritt zur Planung eines sicheren neuen Zwischenlagers dort sein. Die anderen beiden Optionen erweisen sich heute schon als nicht sinnvoll (Ahaus) oder gefährlich und illegal (USA).
ulrics
Wenn 2014 von unverzüglich die Rede war, ist dies Ende 2016/Anfang 2017 sicherlich nicht mehr unverzüglich, da hier auf den ersten Blick zu langsam gehandelt wird.
Hanns-Jörg Rohwedder
„Unverzüglich“ ist im juristischen Sinne definiert, nämlich als „ohne Verzug durch eigenes Verschulden“. Absichtlich verzögern geht also nicht, aber deshalb muss das noch nicht zeitnah sein.
In diesem Fall war die Transportinfrastruktur vergammelt (2 Kräne nicht betriebsbereit), es gab keine Einlagerungsgenehmigung für Ahaus (inzwischen geheilt) und es gibt noch keine Transportgenehmigung. Zum teil sind das auch Faktoren, auf die Jülich keinen wesentlichen Einfluss hat.