Plenarsitzung 14 vom 28. November 2012
Dietmar Schulz zu TOP 2: Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012)
Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 16/300, Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses, Drucksache 16/1300, Entschließungsantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 16/1562, Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, Drucksache 16/1566, dritte Lesung, Und:
Finanzplanung 2011 bis 2015 des Landes Nordrhein-Westfalen, Drucksache 16/301, Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses, Drucksache 16/1221, In Verbindung mit:
Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2012 (Gemeindefinanzierungsgesetz – GFG 2012), Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 16/302, Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses, Drucksache 16/1301, dritte Lesung, Sowie:
Gesetz zur Errichtung eines Fonds des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Gesetzes zur Unterstützung der kommunalen Haushaltskonsolidierung im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen (Stärkungspaktfondsgesetz), Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 16/176, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kommunalpolitik, Drucksache 16/1238, dritte Lesung
Redeprotokoll:
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste im Saal und am Stream! Herr Kollege Börschel, es ist ja eine feine Sache, Ihnen fehlt ein Feindbild. Die Linke sind wir nicht. Die Linke haben Sie in der letzten Legislaturperiode umworben und gebraucht. Ich weiß nicht, ob Sie das vielleicht auch mit dem Bund verwechseln. Wenn Sie von Milliardenforderungen sprechen und das mit den Linken verbinden, so kann das sein. Bei uns ist das nicht der Fall.
Wir finden einen Haushalt vor mit einer Nettoneuverschuldung – heruntergerechnet und nach irgendwelchen Tilgungen – von derzeit round about 4,2 Milliarden €. Im Haushaltsgesetzentwurf waren es noch 4,749 Milliarden €. Wenn ich bedenke, dass unsere Forderungen, die wir im Laufe der Haushaltsberatungen erhoben haben, 470 Millionen € umfassen, dann haben Sie wahrscheinlich vergessen, bei den Milliarden eine Null wegzustreichen, weil wir dann genau da sind, wo wir angesetzt haben.
(Beifall von den PIRATEN)
Was die WestLB angeht, die gern von allen Fraktionen bemüht wird, um sich das einander vorzuwerfen: Das muss nicht sein. Ich glaube nicht, dass in diesem Raum eine Fraktion einer Partei sitzt, die sich bei der WestLB in den letzten 20 Jahren in irgendeiner Form mit Ruhm bekleckert hat. Was dabei herauskommt und ob vielleicht doch noch der Untersuchungsausschuss zustande kommt, wissen wir nicht. Das müssen wir einfach abwarten.
Letztendlich haben wir es aber mit einem Haushalt zu tun, und der ist nichts weiter als ein Beleg dafür, dass hier eine Politik der Verlustsozialisierung stattfindet. Das beste Beispiel ist die WestLB.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir sind in diesem Parlament angetreten und in dieses Parlament gewählt worden, um zu lernen. Das haben wir immer gesagt. Wir haben nie gesagt, wir können es. Wir bemühen uns darum, hier vernünftige, konstruktive Oppositionspolitik zu gestalten.
Im Eiltempo durften wir lernen, was es heißt, sich die Schatten der haushalts- und finanzpolitischen Vergangenheit der letzten Legislaturperioden um die parlamentarischen Ohren zu hauen. Im Eiltempo durften wir lernen, wie es sich anfühlt, wenn vernünftige Vorschläge zur Haushalts- und Finanzpolitik des Landes in Anlehnung an die Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen niedergestimmt werden. Demokratie – wunderbar, dazu stehen wir.
Wir haben in den Ausschüssen beraten, uns in zahlreichen Anhörungen und Besprechungen ausgetauscht und die Besetzung des Schuldenraumschiffs ausgelotet. Wir haben gelernt, dass es nicht möglich ist, die Schulden auf den Mond zu schießen, und wir stellen fest, am Steuerknüppel des Schuldenraumschiffs sitzt die Regierungskoalition.
Wir haben auch gelernt, dass es nötig sein wird, an denjenigen Stellen weiterhin die haushalts- und finanzpolitischen Daumenschrauben anzusetzen, an denen wir es im Interesse der Menschen in unserem Bundesland für notwendig halten.
Wir haben gelernt, was es heißt, eine Forderung nach Erhöhung des Verbundsatzes zugunsten der Städte und Gemeinden nicht bewilligt zu bekommen, und dass moderate Einzelplanforderungen abgewiesen werden.
Wir haben gelernt, wie es sich anfühlt, wenn für solche Forderungen Hunderte von Millionen zusätzlicher Bundeszuweisungen und die Erhöhung der Zuflüsse aus dem Länderfinanzausgleich in Höhe von rund 600 Millionen € nicht als für die Gegenfinanzierung ausreichend angesehen werden, sondern dass solche Mittel in die WestLB bzw. in die Reduzierung der Schuldenlast aus der WestLB gesteckt werden müssen. Sozialisierung von Verlusten!
Wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass es wegen schlechter Verhandlungsergebnisse ein notwendiges Übel ist, diese Verluste zu sozialisieren. Aber daraus können wir ja nicht die Erkenntnis ziehen, dass das gut ist. Die Städte und Gemeinden verharren weiterhin in ihren ausweglos erscheinenden Schuldensümpfen. Wenn wir dann hören, die Zuweisungen haben dieses Jahr 8,1 Milliarden € betragen, dann mag das ursprünglich auch der Plan gewesen sein – das haben wir ja schon im Haushaltsentwurf Anfang des Jahres gesehen –, aber dass die Effekte aus den Mehreinnahmen in irgendeiner Form den Kommunen zu Gute gekommen wären, davon ist nichts zu sehen. Das ist wiederum kein Lerneffekt, sondern die rechnerische Konsequenz verfehlter und nicht nachhaltiger sowie nicht in allen Belangen konnexer Haushaltspolitik.
Wir wissen, dass dies keineswegs ausschließlich Folge der Politik der aktuellen Regierung und der sie tragenden Fraktionen ist. Das ist sicher auch Folge der Politik anderer in diesem Hause, heute in der Opposition sitzender Fraktionen. Wir werden bemüht sein, daran mitzuwirken, dass das nicht so bleiben muss.
Bei der mittelfristigen Finanzplanung bis 2015 rechnet die Regierung mit jährlichen Mehreinnahmen in Höhe von rund 2 Milliarden € allein aus Steuern. Wie die konjunkturelle Entwicklung verläuft, müssen wir abwarten, und auch, ob mit solchen Mehreinnahmen realistisch gerechnet werden darf. Das wird sich bereits zeigen, wenn im Frühjahr die ersten Steuerschätzungen auf dem Tisch liegen.
Dennoch betrachten wir, die Piratenfraktion, es als nicht zwingend, einen Schuldenhaushalt des gegebenen und heute zur Abstimmung stehenden Volumens zu verabschieden und ihm zuzustimmen, ein Schuldenhaushalt, der lediglich noch dokumentarischen Charakter hat, nachdem elf Zwölftel des Jahresbudgets bereits abverfügt sind. Dabei stehen bereits heute eine dreiviertel Milliarde Euro an globaler Minderausgabe praktisch fest, und es stehen auch, wie ich bereits sagte, Mehreinnahmen aus Bundeszuweisungen fest.
Wir reden also von deutlich über 1,2 Milliarden €, die es ermöglicht hätten, sinnvolle Ausgaben vor dem Hintergrund unserer Forderungen, die insgesamt ein Volumen von 470 Millionen € ausmachen, zu tätigen – und zwar finanziert aus dem laufenden Haushalt.
Betrachten wir den Lerneffekt bezüglich unserer moderaten Forderungen für 2012, bleibt die Frage – denn wir sind ja die mit den Fragen –, ob die Landesregierung es wirklich ernst meint, wenn sie einen politischen Dreiklang proklamiert, der lautet: Sparen, Zukunftsinvestitionen und Einnahmenverbesserung.
Wir sehen im Haushalt allenfalls, dass am falschen Ende gespart wird, um sich auftuende Löcher an anderer Stelle zu stopfen, Stichwort: WestLB. Zukunftsinvestitionen stellen sich bei Ihnen als der Versuch heraus, Fehlentwicklungen der jüngeren Vergangenheit auszugleichen. Zukunftsinvestitionen hätten gemäß unseren Forderungen zum Beispiel bedeutet, 400 neue Lehrerstellen zu schaffen, die es ermöglicht hätten, verschiedene Defizite abzubauen und der Inklusion den Stellenwert einzuräumen, den sie verdient.
Einnahmenverbesserungen – das heißt bei Ihnen nichts anderes, als sich darauf zu beschränken – so sieht es zumindest aus –, nach dem Zufallsprinzip auf Steuereinnahmen aus Selbstanzeigen von Steuersündern zu hoffen.
Das kann es nicht sein. Wo bleibt der Dreiklang? Für mich ist das ein Missklang.
(Beifall von den PIRATEN)
Da es im Haushalts- und Finanzausschuss geheißen hat – Herr Kollege Börschel hat das mal erwähnt –, dass die Hand, die wir geben, nicht genommen werden könne, weil es sich nicht um die Hand handele, die die regierungstragenden Fraktionen gerne hätten, müssen wir uns fragen: Welche Hand hätten Sie denn gerne? Doch sicherlich nicht die der Zustimmung zu all dem, was Sie hier machen. Denn dazu brauchen Sie uns nicht; dafür haben Sie ja sich selbst.
(Heiterkeit von den PIRATEN)
Wir haben es mit einer Nettoneuverschuldung im Haushalt von abgerundet 4,2 Milliarden € nach Tilgung an Gebietskörperschaften und Sondervermögen zu tun. Dies dürfen und können wir angesichts des Abschlusses der Haushaltsberatungen in dritter Lesung selbstverständlich nicht unkommentiert lassen. Den Kommentar dazu habe ich bereits gegeben. Außer Annahmen ins Blaue hinein sehen wir für die Zukunft im Prinzip nichts.
Es liegen die Themen „Bildung“ und „Inklusion“ auf dem Tisch. Es liegen auch die Themen „ÖPNV“ und „Umwelt“ auf dem Tisch. In all diesen Bereichen fehlen vernünftige Ansätze, die auch zukunftsorientiert sind. Ich verweise an dieser Stelle nur auf die Kostenansätze für den Rückbau des Hochtemperaturreaktors in Hamm-Uentrop. Auch da fehlt es an Plänen, obwohl es im Koalitionsvertrag steht.
Im Koalitionsvertrag steht vieles. Er dokumentiert diejenigen Mängel der Regierungsplanung, die durch Haushaltsentwürfe offenkundig und lediglich perpetuiert werden. Das ist eine Politik, die wir beobachten werden. Wir wollen sie nach Möglichkeit weiterhin konstruktiv begleiten. In der Rolle der Opposition sehen wir uns allerdings an dieser Stelle nicht in der Lage, diesem Haushalt auch nur ansatzweise zuzustimmen. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)