Da kann man leider nichts machen – oder doch? @netnrd telefoniert mit der Landesregierung.

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phone-14131_640Am letzten Plenar-Donnerstag, dem 26. September 2013, protestierte der Frauenverband Courage e. V. vor dem Landtag in Düsseldorf. Rund 30 Frauen und Männer waren zum Landtag gezogen, um gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Verbands zu demonstrieren. Zu diesem Zweck wollten die Vertreterinnen des Verbands unserer Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eine Liste mit Unterschriften gegen die Aberkennung sowie einige Dutzend Protesterklärungen übergeben.

Den Termin hatten die Damen der Landesregierung schon länger angekündigt; nur reagiert hatte bisher offenbar niemand. Jedenfalls erschien niemand, ganz besonders nicht Frau Kraft, um die Unterschriftensammlung entgegenzunehmen oder auch nur dem Anliegen des Vereins zu lauschen.

Der Hintergrund

Dem Frauenverband Courage e. V. wurde Ende 2012 vom Finanzamt Wuppertal mitgeteilt, dass ihm die Gemeinnützigkeit ab 2010 aberkannt werde, weil der Verein seit 2010 im NRW-Verfassungsschutzbericht erwähnt wird. Der Verdacht, der im Verfassungsschutzbericht geäußert wird, lautet: Der Verband sei eine Vorfeldorganisation der MLPD. Die Courage-Frauen selber betonen jedoch ihre politische Unabhängigkeit. Eine solche Aberkennung der Gemeinnützigkeit führt jedenfalls zu großen steuerlichen Nachteilen – der Verein wäre durch eine Aberkennung in seiner Existenz bedroht. Vor allem aber: Die beiläufige Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht ist aus juristischer Sicht keine ausreichende Grundlage zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Dies hat die Bundesregierung bereits mehrfach bestätigt. Die Landesregierung von NRW teilt diese Auffassung, wie eine Kleine Anfrage von Birgit Rydlewski und mir im Februar 2013 ergeben hat. Damit dem Verein die Gemeinnützigkeit aberkannt werden könnte, müsste der Verein in einem Verfassungsbericht schon eindeutig als extremistische Organisation eingestuft werden. Das wird er nicht – aus gutem Grund. Dennoch hat das Finanzamt Wuppertal darauf basierend Fakten geschaffen, und dagegen wehrt sich der Verband m.M.n. zurecht.

Zwei Vertreterinnen des Courage e. V. entschieden daraufhin, sich direkt im Landtag umzuschauen, Frau Ministerpräsidentin Kraft, oder alternativ unsere Emanzipations-Ministerin Steffens abzufangen und ihnen die Unterschriften quasi im Handstreich zu überreichen. Die Polizei am Eingang hatte allerdings etwas dagegen – wo kämen wir da hin, wenn der Souverän so mir nichts dir nichts sein Haus betreten könnte? Ich lud die beiden Damen spontan als meine Gäste in den Landtag ein, sehr zum Missfallen der beteiligten Polizei. Dabei wollten die beiden Frauen wirklich nur eines tun: Ihren berechtigten Protest über eine (meiner Meinung nach) rechtswidrige behördliche Maßnahme zum Ausdruck bringen und Protestunterschriften überreichen. Das wollte ich gerne unterstützen.

Da ich freilich nicht der richtige Empfänger für die Unterschriften war, fassten wir den Plan, einfach mal in der Staatskanzlei anzurufen und zu fragen, ob Frau Kraft nicht Zeit habe, die Unterschriften entgegenzunehmen. Immerhin war Plenartag – an solchen sind die Damen und Herren Minister (und -präsidentinnen) normalerweise im Haus.

Runde 1

Erster Anruf in der Telefonzentrale der Staatskanzlei: Ob man mich bitte mit dem Büro der Ministerpräsidentin verbinden könne? *Kurze Wartemelodie.* Und tatsächlich – das Vorzimmer von Frau Kraft ist am Apparat. (Das ging wirklich einfach – ich vermute mal stark, dass das damit zusammenhing, dass ich vom Landtag aus anrief.) Habe kurz unser Anliegen geschildert, am anderen Ende herrscht jedoch Ratlosigkeit: Man könne zu dem Fall nicht sagen, auch nichts zu den Unterschriften und überhaupt wäre es derzeit schwierig, mit Frau Kraft einen Termin zu machen. Aber Moment, man könne mich mit der persönlichen Referentin von Frau Kraft verbinden. *Diesmal längere Wartemelodie.* Dann die Referentin am Telefon: Ein wichtiges Thema! Man wisse nur, leider, gar nichts von einem geplanten Termin und zudem sei die Staatskanzlei auch nicht zuständig. Frau Kraft sei zudem gar nicht im Lande und ohnehin sei es mit Terminen in der Nach-Wahlkampfzeit sehr schwierig, das verstehe man doch sicherlich? In der Sache könne man im Moment gar keinen Termin machen. Ah, na dann, vielen Dank!

Runde 2

So leicht geben wir natürlich nicht auf. Also ein zweiter Anruf, diesmal beim Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen. Frau Ministerin Steffens war als Ersatzempfängerin der Unterschriften vorgesehen, und als Ministerin für Gleichstellung irgendwie auch zuständig. Schönen guten Tag sage ich, man wolle Frau Steffens einige Unterschriften überreichen und daher mit dem Büro der Ministerin verbunden werden, ob das wohl möglich sei? *Wartemelodie.* Dann aus dem Vorzimmer der Ministerin: Man habe von dem Fall gehört. Worum es denn genau gehe? Unterschriften? Oh je, das sehe schlecht aus. Vielleicht könne die persönliche Referentin helfen. *Lange Wartemelodie.* Persönliche Referentin: Oh, der Frauenverband Courage, man nehme das Thema sehr ernst! Frau Steffens sei jedoch, leider, nicht im Land und könne also keine Unterschriften entgegen nehmen. Vor allem sei das Familienministerium gar nicht zuständig! … Moment, man wolle kurz schauen, wo der Vorgang zur Zeit liege. … Ah ja, beim Finanzministerium! Man könne sogar einen Ansprechpartner nennen, der den Fall dort bearbeitet. Dort könnten wir es mal versuchen. Vielen Dank!

Runde 3

Immerhin: Wir haben einen Ansprechpartner Finanzministerium. Ich rufe dort an: Schönen guten Tag, Schwerd hier, ob wohl der Herr Soundso zu sprechen sei? Achso, er ist leider heute nicht da, gerade heute hat er Urlaub. Ob jemand anders helfen könne? Nein, der Herr soundso sei leider der einzige, der mit dem Fall befasst sei, man bedauere außerordentlich.

Runde 3.5

Wenn einem die Sachbearbeiter nicht weiterhelfen können, dann aber vielleicht der Herr Minister Walter-Borjans. Sein Ressort ist offenbar zuständig, also wäre er der richtige Ansprechpartner. Zudem habe ich ihn heute im Plenum gesehen, er ist also da. Also tätige ich einen weiterer Anruf, jetzt in der Telefonzentrale des Finanzministeriums. Das Ministerbüro bitte! *Wartemelodie.* Man wolle fragen ob der Minister Zeit habe, Unterschriften des Frauenverbands Courage entgegenzunehmen? … Schwierig? Ob man gar nichts machen könne? … Die Damen stünden hier im Büro, es wäre wirklich schade, wenn man sie einfach so wieder wegschicken müsste. … Und der persönliche Referent? Meldet sich gleich? Ja, vielen Dank.

Nun gut, da standen wir also im Büro, nach einigen mehr oder weniger ergebnislosen Telefonaten. Immerhin, wir konnten unser Anliegen bis in die Ministerbüros tragen. Aber die Unterschriften waren wir immer noch nicht los. Was sollten wir also machen? Wir warteten noch einige Minuten, ob der persönliche Referent des Finanzministers vielleicht tatsächlich zurückrufen würde. Nach 15 Minuten entschieden wir uns dann aber, unverrichteter Dinge abzuziehen. Ich musste schließlich auch wieder in den Plenarsaal. Auf dem Weg nach unten klingelt dann mein Handy. Diesmal ist _mein_ persönlicher Mitarbeiter am Telefon:

Runde 4

Große Freude: Der persönliche Referent des Finanzministers hat gerade angerufen! Der Minister sei zwar leider nicht mehr im Haus und habe auch keine Zeit, um die Unterschriften entgegenzunehmen, ihm sei das Thema aber sehr wichtig. Darum würden der Minister anbieten wollen, dass sein persönlicher Referent die Unterschriften in seinem Namen entgegennimmt. Wir vereinbaren, uns direkt vor dem Landtag zu treffen.

Wow, zu dem Zeitpunkt hatte ich schon nicht mehr dran geglaubt. Aber tatsächlich taucht der Referent nach wenigen Minuten auf, ist sehr freundlich, nimmt sich einige Minuten Zeit für die Vertreterinnen des Frauenverbandes Courage und bekommt die Unterschriften übergeben. Man wirbt gegenseitig um Verständnis, und alle zufrieden. Die ganze Aktion ist in weniger als 5 Minuten vorbei.

Warum nicht gleich so?

Besorgte Bürger*innen oder Lynchmob?

Veröffentlicht am von unter Persönliche Blogposts.

Heute standen in Duisburg wieder mehrere Kundgebungen/Demos an. Als erstes eine Veranstaltung von Bürger*innen: http://www.radioduisburg.de/duisburg/lokalnachrichten/lokalnachrichten/archive/2013/09/24/article/in-den-peschen-in-rheinhausen-stehen-die-naechsten-demonstrationen-an.html
(In deren Flyer machen sie mit dem Haus “In den Peschen” auf. Leider finde ich den Flyer gerade nicht im Netz.)

Vor meiner Ankunft am Hochemmericher Markplatz in Duisburg wurde dort mehreren Gegendemonstrant*innen ein Platzverweis erteilt. Wir waren also dann vor Ort nur sehr wenige Gegendemonstrant*innen.

Der Versammlungsleiter erzählte dann in seiner Einstiegsrede gleichzeitig was von Toleranz und belässt aber trotz ausdrücklichem Hinweis darauf Menschen mit Thor Steinar Sachen (teilweiser NW Duisburg (?), teilweise sogar mit Ordnerbinde) in der Kundgebung. Die könnten ruhig mitdemonstrieren, das sei ja Meinungsfreiheit, ergänzt ein anderer Mann.

Nachtrag: Auf ihrer Facebookseite behaupten die Bürger*innen, die Bilder der Nazis in ihrer Mitte seien Fotomontagen:
https://www.facebook.com/groups/260550860733260/
(Offensichtlich schrecken sie vor Lügen keinesfalls zurück. Die Bilder wurden von verschiedensten Personen gemacht. Auch der anwesenden Presse und der Polizei müssen diese Menschen aufgefallen sein. Siehe auch die Fotoserie von “Der Westen“.)

Es wird in den ersten Reden vor allem Angst geschürt und auf die Kriminalität hingewiesen (zum Teil mit absurden Behauptungen. Es sollen zum Beispiel 300 Schafe gestohlen und auf “der Rheinbrücke verrichtet” worden sein.)

Zwischendurch eskaliert es fast. Eine sehr mutige Frau, die wohl zufällig vorbeikam, redet spontan. Sie weist auf die antisolidarische Stimmung hin und bittet um Verständnis für Armutsflüchtlinge. Da zeigt sich, wie es mit der Meinungsfreiheit der Bürger*innen wirklich aussieht. Die Frau soll aufhören, zu reden. Sie wird ausgebuht. Wir stellen uns solidarisch zu der Frau. Der Rednerin wird das Mikro abgenommen. In der Mitte der Kundgebung, also zwischen den Bürger*innen, danken wir der Frau für ihre Rede. Bürger*innen kommen daraufhin sehr nah und bedrängen uns. Nach meiner Frage, warum sie offen Nazis in ihrer Mitte dulden, werde ich massiv beschimpft und mir wird gesagt, ich solle “nach Rumänien gehen.” Dieselbe Frau, die das sagt, wettert vorher, dass es ja Geld nur für deutsche Kinder geben solle. Wir werden körperlich von Bürger*innen angegriffen, körperlich bedrängt und mehrfach geschubst. (Ein Ordner hat sich nach der Veranstaltung aber immerhin bei mir dafür entschuldigt. Ob aus Einsicht oder aus Angst vor einer Anzeige, weiß ich nicht.) Wir begeben uns daraufhin außerhalb des Pulks.

Es wird weiterhin vom “Problemhaus” gesprochen, deutsches Liedgut gespielt und ein Rapper rappt irgendwas mit Stolz auf Deutschland.

Es fällt die Aussage “Dann ist Deutschland verloren”.

Die Stimmung ist unangenehm, aufgeheizt und es fehlen nur die Fackeln und Mistgabeln…

Es gibt auch offene Hetze:
“Scheiß Bulgaren. Die werfen Waschmaschinen aus dem Fenster und kacken aus dem Fenster.”

Jemand von uns fragt die Polizei, ob das für eine Anzeige reiche. Die Anzeige wird erstattet. Danach verbale Angriffe auf uns. Derjenige, der Anzeige erstattet hat, wird als “Pisser” beschimpft und dass er nicht “die Eier” habe, sich direkt mit ihnen auseinander zu setzen. Weiterhin werden wir als “Gutmenschen” beschimpft. Immer alles sehr körperlich nah und sehr unangenehm bedrohlich. Es wird von mehreren Bürger*innen behauptet, niemand außer uns hätte das gehört….

Wir sind dann weiter zur Demo gegen Pro NRW “In den Peschen”. (Auf dem Weg dorthin hört ein Bekannter mehreren Menschen zu, die auch von der Bürger*innenkundgebung dorthin laufen. Eine Frau soll telefoniert und dabei gesagt haben, dass es doch auch gut wäre, wenn jemand das Haus anzünde. Dann wäre auch Ruhe.)

In den Peschen werden wir noch einmal von der oben genannten Bürgerin, die wir angezeigt haben, angesprochen. Sie möchte zusammen mit einer Begleitung wissen, warum wir sie angezeigt hätten. Wir benennen ihre Aussage. Sie habe “Scheiß Bulgaren” gesagt. Daraufhin sagt ihre Begleitung “Recht hat sie”. Weiterhin bedroht sie uns. Ihr Freund sei “Bulle” (Zitat) und wir wüssten ja gar nicht, mit wem wir uns da jetzt angelegt hätten. Ein Mann mit “Patriot”-Shirt sagt dann, sie “sollen ‘die Antifa’ in Ruhe lassen”. (Derselbe soll etwas später gedroht haben, jemandem von uns (Antifa) die Beine zu brechen.)

Auf der Veranstaltung stehen also die vormals besorgten Bürger*innen auf der Seite gegen Pro NRW. Das ist ja doch dann sehr inkonsequent. Sie rufen zum Teil: “Wir sind keine Nazis, wir sind besorgte Eltern.” im Schulterschluss mit Nazis.

Als Pro NRW kommt, stehen wir Gegendemonstrant*innen für eine Weile zwischen Pro NRW (geschützt von Polizei und mit zwei Reihen Absperrgitter) und hinter uns stehen die “besorgten Bürger*innen” zusammen mit Nazis (zum Teil wohl auch Division Duisburg und NW Duisburg). Unangenehm. Die Polizei geht erst nach mehrfacher Aufforderung und Bitte dazwischen.

Nach Neumühl zur Kundgebung von Pro NRW bin ich nicht mehr gefahren. Aber ein Kollege hat mir berichtet, dass die Anwohner*innen dort (ich erlebte einige von ihnen schon derletzt) mit Hassparolen “Kein Asyl in Neumühl” direkt zur Seite von Pro NRW gegangen seien. Das ist dann zumindest konsequent.

Die heute offen rassistischen Äußerungen der “besorgten Bürger*innen” und deren Lynchmobstimmung sowie deren offene Aggression bis hin zu körperlichen Übergriffen machen für mich auch deutlich, dass die Geschichten von der Bürger*innenversammlung, die angeblich von “Linksautonomen” überfallen wurden, auch deutlich anders gewesen seien könnte…

Diese Menschen machen mir Angst. Diese Stimmung macht mir Angst. Sie behaupten, keine Nazis zu sein und finden es unfair, wenn man sie als solche bezeichnet. Aber ich meine, man muss da den Alltagsrassimus auch klar benennen. Die in einer Reihe, Schulter an Schulter, mit Nazis stehen und das nicht ändern, sind eben auch Nazis. Punkt.

Platzpatronen qualmen nicht – StopWatching.EU Aftermatch in Brüssel

Veröffentlicht am von unter 20 Piraten, Nico Kern, Persönliche Blogposts.

Gespräch zwischen Prof. Selmayr (EU-Kommission) und Nico Kern (Piratenfraktion NRW)

Brüssel, 2. Oktober 2013. Sonne, 18 Grad. Ich ging die Treppe hinab über den sandsteinfarbenen Platz vor dem Berlaymont-Gebäude, wo sonst Kamerateams darauf warten, dass sich Armani-Anzüge aus dunklen Limousinen schälen. Überwachungskameras fingen jeden meiner Schritte ein. Die Schiebetür mit dem Sternenbanner schnellte auf. Ein lautes Piepen durchfuhr meinen Kopf. Waren es die fünf Gläser billigen Scotchs vom Vorabend? Der Wachmann an der Sicherheitsschleuse des EU-Kommissionsgebäudes schaute mich einen Augenblick lang verwundert an und deutete dann mit einem kurzen, freundlichen Kopfnicken auf die Fahrstuhltüren hinter ihm. Ich hatte einen klaren Auftrag: Mehr als 3.000 EU-Bürger hatten mir das Mandat übertragen, mich gegen die Totalüberwachung in der EU einzusetzen.

Ich kam im 12. Stock des Berlaymont an und gleichzeitig aus meiner Jerry Cotton-Phantasie heraus. Zwar ließ mich der Kabinettschef von Viviane Reding, Prof. Dr. Martin Selmayr, noch etwas warten, dafür nahm er sich mehr Zeit für mich als erwartet. Diese Variante war mir wesentlich lieber als umgekehrt. Und mein Gesprächspartner sollte dafür sorgen, dass am Ende des Gesprächs wieder meine kriminalistischen Fertigkeiten angesprochen werden.

Da ich wusste, dass Prof. Selmayr nur wenig Zeit für mich und unser Anliegen hatte, kamen wir direkt zur Sache. Wir hatten Bürger aus ganz Europa aufgefordert, eine Beschwerde an die EU-Kommission wegen der Verletzung von Unionsrecht zu zeichnen . Damit war die Forderung verknüpft, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien einzuleiten. Bekanntlich hatte der Geheimdienst Ihrer Majestät – GCHQ – nicht nur die Kommunikation der eigenen Bürger, sondern quasi aller Bürger Europas abgehört, indem er insbesondere den Internetknotenpunkt in Richtung USA mittels des Programms „Tempora“ anzapft. Auf die Details möchte ich hier jetzt nicht mehr eingehen, die gibt es hier und hier nachzulesen.

Zu meiner Verwunderung stimmte mir Prof Selmayr sofort zu, dass die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Briten einleiten könnte, wenn die Anschuldigungen stimmten: Wegen des Verstoßes gegen gleich mehrere in der EU verankerten Grundrechte. Doch dann relativierte mein Gegenüber seine Aussage schnellstens und verwies darauf, zur Einleitung des Verfahrens eine „Smoking Gun“ – also der konkrete und nachweisbare Rechtsbruch durch die Briten, z.B. die abgefangene Mail eines britischen Staatsbürgers – zu benötigen. Weder die britische Rechtsgrundlage des Tempora-Programms, der RIPA 2000, noch die Enthüllungen von Edward Snowden gäben der Kommission genügend Anlass ein Verfahren zu starten. Ohne „Smoking Gun“ seien die Erfolgsaussichten vor dem EuGH dürftig – und aussichtslose Verfahren wolle man nicht führen. Hier macht es sich die Kommission natürlich einfach. Sich hier auf den neutralen Standpunkt einer unpolitischen Verwaltung zurückzuziehen, ist mir zu wenig. Frühere Fälle in Sachen Vertragsverletzung zeigen, dass die Kommission hier durchaus aktiv wird, wenn der politische Wille besteht.

Während des Gesprächs kam Prof. Selmayr immer wieder auf sein Lieblingsthema zu sprechen: Die Datenschutzgrundverordnung. Wie wichtig diese sei und die eventuell erheblich verzögert würde, wenn man jetzt zu viele Ressourcen auf den Streit um Tempora verwenden würde. Immerhin seien nur 14 Kommissionbeamte für diesen Bereich zuständig. Ich muss gestehen: Eine bemerkenswert geringe Zahl, wenn man bedenkt, wie wichtig dieses Thema für unsere Gesellschaft ist und welches Heer an Lobby-Vertretern dem gegenüber steht.

Ich wies auch darauf hin, dass bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA die eigene Position gestärkt wird, wenn man in dieser Sache auch konsequent gegen die eigenen Mitgliedsstaaten vorgeht. So gewinnt man Glaubwürdigkeit, um die Einhaltung der gleichen Regelungen auch von den USA einzufordern. Mein Eindruck war, dass sich Prof. Selmayr diesem Argument nicht verschließen konnte.

Auch bleibt für uns als Partei festzuhalten: Wir hätten hier eine größere Schlagkraft entwickeln können, wenn nicht die Angst einiger Bedenkenträger eine höhere Aufmerksamkeit für die „StopWatchingEU-Aktion (und somit Mobilisierung von Unterstützern) verhindert hätte. Eine Angst, die sich nach dem Gespräch mit Prof. Selmayr als unbegründet erwies. Fazit: Es braucht eine Bürgerbewegung mit engagierten Menschen, die sich auch weiterhin gegen den Überwachungs- und Kontrollstaat einsetzt. Selbst die Kommission gab zu, auf dieses Engagement angewiesen zu sein.

Als ich nach knapp einer Stunde wieder hinaus in das gleißende Tageslicht von Brüssel trat, kreisten meine Gedanken um die letzten Worte meines Gastgebers: „Bringen Sie mir die ‚Smoking Gun‘“. Wieder ein Auftrag für Jerry Cotton. Vielleicht werden die nächsten fünf Glas Scotch helfen, eine heiße Fährte nach dem rauchenden Colt aufzunehmen. Vielleicht wird es aber auch einfach ein EU-Bürger sein, der der Kommission eine abgefangene E-Mail liefert. Dann würde die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Das war jedenfalls die klare Botschaft an diesem Tag.

Mutiert das Parlamentarische Kontrollgremium zur Werbeplattform für den Verfassungsschutz?

Veröffentlicht am von unter 20 Piraten, Dirk Schatz, Persönliche Blogposts.

Seit der letzten Reform des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz im Sommer dieses Jahres sind die Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) nun grundsätzlich öffentlich. Die erste öffentliche Sitzung findet am 09.10.2013 um 10:00 Uhr im Raum E03 A02 statt, wozu auch ich gern nochmal alle Interessierten einlade. Die Tagesordnung sieht wie folgt aus:

 

1.        Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2012 und aktuelle Sicherheitslage
– Sachstandsbericht des Ministeriums für Inneres und Kommunales –

 

2.        Aufgaben des Verfassungsschutzes NRW im Rahmen der Spionageabwehr/Wirtschaftsspionage
– Bericht des Ministeriums für Inneres und Kommunales –

 

3.        Islamistische Bedrohungsvideos im Internet
– Bericht des Ministeriums für Inneres und Kommunales –

 

4.        Verschiedenes

 

Um bereits hier allen Missverständnissen gleich vorzubeugen. Selbstverständlich begrüße ich die Öffnung des PKG in Richtung Öffentlichkeit. Allerdings wurde schon in der Diskussion über die Gesetzesreform kritisiert, dass eine solche Öffnung dazu führen könnte, dass die öffentlichen Sitzungen als reine Showveranstaltungen missbraucht werden, während das eigentlich „Wichtige“ weiterhin in nichtöffentlichen Sitzungsteilen besprochen wird.

 

Gut, mal unabhängig davon, dass ich das PKG, egal ob öffentlich oder nicht, grundsätzlich für eine Showveranstaltung halte (wozu ich aber noch einmal ausführlich in einem gesonderten Blogpost schreiben werde), kann man an der aktuellen Tagesordnung erkennen, dass die Kritik nicht unberechtigt war. Insbesondere aufgrund der Punkte 2 und 3 hege ich sogar die schlimme Befürchtung, dass diese Sitzungen nicht nur eine Show-, sondern sogar eine Werbeveranstaltung für den Verfassungsschutz werden.

 

Ich versuche mich mal im Wahrsagen:  Bei TOP 2 wird der Minister (oder einer seiner Mitarbeiter) ausführlich erklären, was der Verfassungsschutz alles für wichtige Aufgaben hat, was er bisher leistete und zukünftig noch leisten wird. Vermutlich werden sogar einige reale Fälle angesprochen werden, in denen der Verfassungsschutz bereits erfolgreich seine Spionageabwehr betreiben konnte. Natürlich kann der Minister keine Details nennen, weil ja alles geheim ist. Eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes ist also schonmal schwierig. In der Tat könnte zumindest ich das in einer nichtöffentlichen Sitzung nochmal konkreter eruieren. Nach außen tragen darf ich das Ergebnis dann aber selbstverständlich nicht.  Und was ist mit Dingen, die im Zuge all dieser Tätigkeiten eventuell falsch oder sogar rechtswidrig gelaufen sind? Von sich aus wird der Minister so etwas selbstverständlich nicht ansprechen; was in nichtöffenltichen Sitzungen im Übrigen auch nicht passiert, es sei denn, er muss befürchten, dass ohnehin schon etwas an die Presse durchgesickert ist. Dann handelt er regelmäßig nach dem Motto: „Bevor sie es aus der Presse erfahren, sage ich es ihnen lieber schnell selber, dann wirkt das nicht so komisch!“

 

TOP 3 wird vermutlich ähnlich ablaufen, hat aber einen entscheidenden Vorteil zu TOP 2. Zusätzlich zur Aufgabenbeschreibung und zur Herausstellung der Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit des Verfassungsschutzes kann man hier noch ein konkretes und für jeden Bürger greifbares aber dennoch diffuses Bedrohungsszenario hinzufügen, das geeignet ist, jedem einen Schauer über den Rücken laufen zu lassen.

 

Was wird vermutlich noch passieren? Ach ja… Die regierungstragenden Fraktionen werden munter in diesen Kanon mit einstimmen und alles hoch loben (wobei ich da auf die Grünen besonders gespannt bin), während die Oppositionsfraktionen eventuell hier und da vielleicht noch einen kritischen Blick aufsetzen können und für Details (die für eine Kontrolle bzw. Kritik unverzichtbar sind) auf eine nichtöffentliche Sitzung warten müssen, um ihre Kritik dann auch gefälligst nichtöffentlich zu äußern. Aber mit dem Verteilen von Maulkörben kennt sich unser Innenminster ja aus.

 

Ich hoffe wirklich inständig, dass es nicht so kommen wird. Ich halte es für absolut falsch, dass genau das Gremium, das die rechtsstaatliche Rechtfertigung für die fehlende gerichtliche Kontrolle über Maßnahmen des Verfassungsschutzes darstellt und somit in allen Belangen (und egal welcher Fraktion man angehört) der größte Kritiker des Verfassungsschutzes sein MUSS, derart missbraucht wird, um als Werbeträger für eben diesen zu fungieren. Man darf gespannt sein!

 

Fraktionsrundgang für die Stadt Düsseldorf

Veröffentlicht am von unter Persönliche Blogposts.

Einmal quer durch Düsseldorf, um zu zeigen, wo meine Arbeit in der Fraktion vor Ort wirkt und wo die Baustellen sind – manchmal wortwörtlich.
Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, Innovation, Wissenschaft und Forschung: Die Arbeit in meinen Ausschüssen hat direkt mit der Stadt Düsseldorf zu tun, in der ich seit 14 Jahren lebe.

Zusammen mit Yaroslav, Mitarbeiter der Piratenfraktion, bin ich einige Stunden mit der Kamera durch Düsseldorf gezogen und er hat es tatsächlich geschafft aus Unmengen von Material einen Film unter 5 Minuten zu schneiden, der ziemlich gut zeigt, was Düsseldorf ausmacht und was die Fraktion ausmacht. Dankeschön!

Weitere Filme, meine Reden und die Rundgänge meiner Kollegen findet Ihr im YouTube-Kanal der Piratenfraktion NRW.

Bodewig-Kommission lässt Chancen liegen und Fragen offen.

Veröffentlicht am von unter Persönliche Blogposts.

Jahrzehnte wurde falsch in Verkehrsinfrastruktur investiert. Deutschland und NRW brauchen eine Verkehrswende, um Mobilität, Transport und die entsprechende Finanzierung in Zukunft sicherzustellen.
Doch die einzigen Erkenntnisse der Verkehrsminister heute waren „Erhalt vor Neubau“ und „Wir brauchen mehr Geld“. Schade. Chance vertan.

Was ist passiert?
Heute haben sich die Verkehrsminister – auch Minister Groschek aus NRW – in Berlin zu einer Sonderkonferenz getroffen, um zu besprechen, wie es mit der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland weitergehen soll. Das ist klug, denn so können die Ergebnisse – man sprach gar von „Textbausteinen“ – noch in den Koalitionsvertrag einfließen und Deutschland auf Jahre hinaus gestalten. Dabei sollte es egal sein, wer nun wie mit wem koaliert.

Grundlage dafür bildeten die Ergebnisse der Bodewig-Kommission, die aus den Ergebnissen der vorangegangenen Daehre-Kommission einen empfehlenswerten Instrumentenkasten zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur entwickeln sollte. Die Daehre-Kommission hatte zuvor Möglichkeiten von der City-Maut bis zum Infrastrukturfond evaluiert. Natürlich ist mit der Finanzierung der Zukunft  immer auch ein Verkehrskonzept der Zukunft verbunden.

Wie es sich bereits vorher andeutete, ist die Ausweitung der LKW-Maut eines der empfohlenen Instrumente. Ebenfalls soll es für Schiene und Straße getrennte Infrastrukturfonds geben. In der Schweiz hat man damit – gespeist aus vielen Quellen, die jedoch zum Teil bei uns nicht in Frage kommen – gute Erfahrungen gemacht. Erfolgreiche Varianten solcher zweckgebundenen Sondervermögen sind auch in NRW bekannt: für Darlehen zum Bau von Sozialwohnungen.

Die Idee dieser Infrastrukturfonds ist gut. Man erhält Planungssicherheit für langjährige Bauvorhaben und hoffentlich eine zweckgebundene Bestimmung der Mittel – „nur für Verkehr“. Man entzieht die Mittel allerdings auch ein Stück weit der Kontrolle des Parlaments. Damit solche Fonds nicht zu Tricks werden – möglicherweise zur Umgehung der Schuldenbremse, des Parlaments oder der Öffentlichkeit – müssen wir aufpassen.

Die Verkehrsminister verlangen mehr Geld – und zwar für alle Verkehrsträger.
Das ist zunächst eine gute Nachricht, konnte man doch bei Bundesminister Ramsauer vermuten, es ginge ihm nur um Bundesfernstraßen. Natürlich benötigen gerade die Verkehrsträger mehr Investitionen, die in den letzten Jahrzehnten besonders vernachlässigt wurden, auch wenn es im Sinne des „Erhalts“ natürlich absolut die höchsten Defizite bei den Straßen gibt. Davon gibt es am meisten.

Doch „alle Verkehrsträger“ schließt scheinbar im wesentlichen Schiene und Straße ein. Wo ist der ÖPNV? Wo ist die Binnenschifffahrt? Wo sind das Radfahren und die Nahmobilität? Haben die Verkehrsminister vergessen, dass es um die Verkehrsinfrastruktur der Zukunft geht?

Sollen wir wirklich weiter machen wie bisher? Nur mit noch größeren Geldtöpfen, weil uns das „weiter so“ dahin gebracht hat, dass wir heute nicht mal mehr erhalten können, was wir bereits gebaut haben?

Ich sehe auch bei den Anmeldungen zum Bundesverkehrswegeplan 2015 nur noch wenig Hoffnungen, dass es – trotz vorgeblich besserer Bewertungsverfahren – ein Umdenken gibt: Wir werden weiterhin eine riesige Wunschliste an weiteren Straßenbauprojekten pflegen, weil unser Netz noch nicht dicht genug, noch nicht jeder Ort mit Umgehungsstraße versehen zu sein scheint. Wir werden weiter bauen, was wir in Zukunft nicht mal mehr erhalten können.

Die Verkehrsminister haben es leider zudem versäumt, über die Verteilung der durch die neuen Instrumente akquirierten Gelder zu sprechen. Wohin, in welche Region und in welche Art von Instandhaltungsprojekten werden die Gelder hauptsächlich fließen?

Weder wurde ein Tor zur verkehrspolitischen Zukunft geöffnet, noch wurde in den wesentlichen Streitfragen eine Einigung erzielt.
Schade. Aber noch nicht zu spät für ein Umdenken.

Was wirklich geschah…

Veröffentlicht am von unter 20 Piraten, Nico Kern, Persönliche Blogposts.

Am Abend der Bundestagswahl erreichte mich die Nachricht, dass Robert Stein aus der Piratenfraktion NRW ausgetreten ist. Viele gaben sich überrascht und monierten das Vorgehen von Robert. Man hätte sich gewünscht, dass Robert sich vorher in der Fraktion deutlicher geäußert hätte. Nun kann sich meiner Meinung nach niemand in der Fraktion über Roberts Schritt überrascht geben. Diese Überraschung wirkt umso abstruser, wenn man bedenkt, dass manche noch vor kurzem das Gerücht intern verbreitet haben, man wolle Robert aus der Fraktion ausschließen. Andererseits kann man selbstverständlich immer noch deutlichere Signale einfordern. Aber was bringt diese Diskussion? Lenkt sie nicht viel zu sehr von den eigentlichen Ursachen ab, die die Fraktion dahin gebracht haben, wo sie jetzt steht: An den Rand der Handlungsunfähigkeit? Und ist diese Ablenkung vielleicht sogar gewollt?

Was ich sicherlich nicht will, ist, den Schritt von Robert gutzuheißen oder ihn zu rechtfertigen. Das muss er wenn alleine tun. Und schon gar nicht möchte ich hier eine politische Bewertung der konträren Positionen vornehmen. Mir geht an dieser Stelle darum, dass nicht wieder eine Gelegenheit verpasst wird, über uns selbst zu reflektieren und die notwendige Diskussion darüber zu führen, was sich in der Fraktion ändern muss, damit wir nicht weiter derart hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben.

 

Jetzt erst recht, aber kein „Weiter so“

Das Ergebnis vom letzten Sonntag muss für jeden ein Alarmsignal  sein; Ein Anlass, das eigene Handeln zu reflektieren. Vor allem für all jene, die in Verantwortung stehen, insbesondere als hochbezahlte Parlamentarier. Dies ist in meinem Umfeld (sprich der Piratenfraktion NRW) bislang höchstens ansatzweise geschehen. Und auch die Diskussion in der Sonderfraktionssitzung am Freitag hat mir gezeigt, dass sie scheinbar in die völlig falsche Richtung geht. Die Einstellung „Jetzt erst recht“ teile ich grundsätzlich. Jeder der mich kennt, weiß das. Aber dieses „Jetzt erst recht“ darf nicht einhergehen mit einem stumpfen „Weiter so“. Das möchte ich hiermit ändern. Mir geht es um die Funktionsfähigkeit der Fraktion unabhängig davon, welche politische Richtung sie letztlich verfolgt.

Jede andere Partei hat diese Selbstreflexion besser drauf als wir. Nun kann man allen anderen Parteien auch mehr Erfahrung mit dem Umgang von Wahlniederlagen zugutehalten, aber selbst von einer so unerfahrenen Partei – oder in unserem Fall – Fraktion wie den Piraten, darf man sicher mehr erwarten.

Ich beschäftige mich jetzt an dieser Stelle – #ausgründen- nur mit der Fraktion.
Die Diskussion ist gekennzeichnet von unverschuldeter Unwissenheit (soweit es die Basis betrifft) und von Nebenkriegsschauplätzen bzw. absichtlich geführten Scheindebatten (was die Fraktionsmitglieder betrifft). Als Parlamentarier tragen wir jedoch besondere Verantwortung für diese Partei und ihren Erfolg.

 

Konfliktlinien

Die Arbeit in der Fraktion ist leider geprägt von vielen unterschiedlichen Konflikten. Ich kann drei verschiedene Ursachenkategorien identifizieren:

Unsere Konflikte beruhen zum einen – wie bei allen anderen Parteien oder sonstigen Personenvereinigungen – auf Differenzen auf der zwischenmenschlichen Ebene. Dies halte ich nicht für wünschenswert, aber nun einmal im gewissen Maße für normal. Jedenfalls wird es uns auch bei größter Anstrengung niemals gelingen, diese Konflikte vollständig zu vermeiden. Was ich aber erwarte, ist an dieser Stelle ein professioneller Umgang mit diesen zwischenmenschlichen Dissonanzen. Sie dürfen jedenfalls nicht dazu führen, dass die Arbeit der Fraktion darunter leidet oder gar zum Stillstand kommt. Hier sind uns die anderen Fraktionen wesentlich voraus.

Ein anderer Teil der Konflikte beruht  auf inhaltlichen Differenzen. Auch diese kann ich bis zu einer Grenze akzeptieren, aber hier ist ebenfalls professioneller Umgang gefragt. Insbesondere sind Mechanismen der Aufarbeitung und der Lösung angezeigt.

Und dann gibt es noch einen Konfliktherd, der betrifft organisatorische Fragen. Um das einmal zu verdeutlichen, mache ich auf folgenden funfact aufmerksam: Nach nunmehr 16 Monaten Fraktionsarbeit haben wir zwar einen Betriebsrat, aber immer noch kein Organigramm, geschweige denn definierte Arbeitsabläufe oder Arbeitsplatzbeschreibungen. Auf Vertretungsregelungen im Urlaubsfall würde ich mich nicht verlassen. Jede Waldorfschule ist gegen uns eine straff geführte Kaderorganisation.

Unsere bisherige Herangehensweise mit Konflikten auf inhaltlicher oder organisatorischer Ebene würde ich mit sechs minus beschreiben. Der am meisten genutzte Konfliktlösungsmechanismus ist die Verlagerung des Konflikts auf die persönliche Ebene. Dies kann dann auch schon mal mobbinghafte Züge annehmen. Das Ergebnis ist eine demotivierende Arbeitsatmosphäre in der Fraktion, die mittlerweile auch schon die Referenten- bzw. Mitarbeiterebene erreicht hat. Dieser Zustand ist absolut alarmierend. Jedenfalls müsste er das sein. Vor allem für diejenigen, die Personalverantwortung tragen.

Roberts Austritt ist vor dem Hintergrund dieser Problemlage zu bewerten, denn er war sicherlich am meisten von diesen Problemlagen betroffen. Die Auseinandersetzung um die finanzpolitische Ausrichtung der Fraktion wurde außerhalb der dafür eigentlich zuständigen Gremien auf dem Rücken der für den Ausschuss Haushalt und Finanzen (HFA) zuständigen Abgeordneten und Referenten geführt. Dies weiß jeder, der mit den Fraktionsinterna vertraut ist. Nur hat Dietmar ein wesentlich dickeres Fell als Robert. Das weiß auch jeder. Ob das auch für Referenten gilt, bleibt abzuwarten.

 

Plenar-Crash

Kulminiert ist der Streit um den HFA dann in einer denkwürdigen Plenarsitzung bereits am 10.07.2013. Das letzte Plenum vor der Sommerpause. Einer der letzten Tagesordnungspunkte an diesem Tag. TOP 14: Es ging um die Abstimmung über ein Gesetz zur Änderung sparkassenrechtlicher Vorschriften. Dazu hatte die Piratenfraktion NRW einen eigenen Änderungsantrag eingebracht, der die personellen Verflechtungen zwischen Sparkassen und den Kommunen, den Ländern und dem Bund transparent machen sollte.

Daniel Düngel als Vizepräsident und ich als Schriftführer waren zu dem Zeitpunkt im Sitzungsvorstand. Eigentlich war mit keiner Überraschung an dieser Stelle zu rechnen: Piraten fordern (mal wieder) mehr Transparenz ein. Kernthema. Easy Job. Mit eigenen Anträgen positioniert man sich selbst und zwingt die anderen Fraktionen Farbe zu bekennen. Unser Vizepräsident ruft den Änderungsantrag auf, fragt nach den Ja-Stimmen und schaut routinemäßig nach links, dort wo die Piraten im Landtag sitzen. Stirnrunzeln. Ein irritierter Blick als nur ein Teil der Fraktion für den eigenen Antrag stimmt, was von den übrigen Fraktionen hämisch kommentiert wird.

Das Beschlussprotokoll besagt tatsächlich: „Der Änderungsantrag – Drucksache 16/3523 – wurde mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU und GRÜNEN gegen die Stimmen eines Teils der Fraktion der PIRATEN bei Enthaltung der Fraktion der FDP und eines Teils der Fraktion der PIRATEN abgelehnt.“

Das Plenarprotokoll schildert den Vorgang so:

„Vizepräsident Daniel Düngel: Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/3523 ab. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? – Das ist die Piratenfraktion.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Eine Minderheit! – Weitere Zurufe von der SPD)
– Nein, es sind Teile der Piratenfraktion.
(Zurufe)
Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Teile der CDU.
(Unruhe und Zurufe)
Wer möchte sich enthalten? – Das sind Teile der Piratenfraktion und die FDP-Fraktion. Damit ist der Änderungsantrag, so wie gerade besprochen und festgestellt, abgelehnt.
(Unruhe)“

Wir fielen aus allen Wolken. Ein Teil der Fraktion hatte sich also bei der Abstimmung lediglich enthalten. Wohlgemerkt: Bei einem EIGENEN Antrag. Die Fraktion hatte diesen Antrag einstimmig noch am Vortag mit 17/0/0 Stimmen beschlossen. Delikat an der Angelegenheit war insbesondere, dass sich nicht irgendwer enthalten hatte, sondern dass es zwar nicht nur, aber ausgerechnet der (soweit anwesende) Vorstand war, der nicht für den Antrag der eigenen Fraktion stimmte. Mir fiel es in der Situation schwer, einen sachlichen Grund für dieses Vorgehen zu finden. Wahrscheinlich ist das englische Wort mit „M“ hier passender. Jedenfalls kann ich mir gut vorstellen, wie dieses Abstimmungsverhalten auf die zuständigen Abgeordneten (Robert und Dietmar) sowie die Referenten gewirkt haben muss: Aufgrund von persönlichen Motiven wird ein Antrag für mehr Transparenz torpediert, der zuvor in der Fraktion als sachlich richtig bewertet und einstimmig angenommen wurde. Unsere Arbeit im Parlament für mehr Transparenz hatte ich mir anders vorgestellt. Das HFA-Team wahrscheinlich auch.

Und diese Aktion war ja nun nicht nur für das HFA-Team eine Klatsche. Dies hat dem Ansehen der Fraktion im Landtag natürlich massiv geschadet. Wir haben uns – wie man so schön sagt – zum Obst gemacht. Und was mich ebenso enttäuscht hat wie der Vorfall selbst, war die Art und Weise wie danach der Vorfall aufgearbeitet wurde. Nämlich erst mal gar nicht! Eine zeitnahe Aussprache im Rahmen einer Fraktionssitzung wurde abgeblockt. Der Vorstand hat gegen die Anberaumung einer Sonderfraktionssitzung gestimmt. Auch auf der Klausurtagung Anfang September wurde das Thema gemieden. Lediglich von Simone gab es eine prompte Entschuldigung in der auf die Plenarsitzung folgenden Fraktionssitzung, die aber nicht ausreichte, um den Vorfall komplett zu klären. Der Vorstand zog es lieber vor, sich in die Sommerpause zu flüchten. So arbeitet man jedoch nichts auf.

 

Aufarbeitung, aber bitte mit Selbstreflexion

Wer all diese Geschehnisse der letzten Wochen und Monate im Hinterkopf hat, der kann über die letzte Fraktionssitzung am Freitag, 27.09.2013, nur den Kopf schütteln. Wer die Ereignisse nicht kennt, wird wahrscheinlich auch den Kopf geschüttelt haben, aber wahrscheinlich an anderen Stellen und aus anderen Gründen.

Neben der Ausschussneubesetzung war in dieser Sitzung der Umgang mit Robert Stein ein wichtiges Thema. Den von Oliver Bayer eingebrachten Antrag, sich grundsätzlich für die Möglichkeit einer Rückkehr von Robert Stein auszusprechen, unterstützten lediglich drei Fraktionsmitglieder. Es deutet meiner Meinung nach nicht auf das notwendige Problembewusstsein hin, wenn man sich weigert, sich auch zu fragen, wo man als Fraktion Fehler gemacht hat. Es ist nicht hilfreich, wenn man allein die Schuld/Verantwortung bei Robert Stein sucht. Es hätte uns als Fraktion nichts gekostet, wenn wir die Türe zur Fraktion symbolisch aufgehalten hätten, damit man wieder in einen Annäherungsprozess eintreten kann. Das wäre auch kein „Anbiedern“ gewesen. Damit löst man ja nun auch keinen Automatismus für einen Wiedereintritt von Robert in die Fraktion aus. Diese Größe hätten wir zeigen können. Aber dies war für die meisten nicht möglich. Lieber schaltete man auf stur. Vielleicht fürchtete die Mehrheit, sich so eine Mitschuld am Austritt zu attestieren. Oder dass man damit Roberts Verhalten entschuldigen würde. Das wäre aber gar nicht der Fall gewesen. Man hätte lediglich ein Zeichen dafür gesetzt, dass man als Fraktion nicht weiter die Gräben vertiefen will, sondern auf Ausgleich setzt. Wir hätten als Fraktion besser dagestanden, weil wir mehr Handlungsoptionen gehabt hätten als vorher. Jetzt aber hat man nur die eigene Hilfslosigkeit demonstriert.

Ich bin davon überzeugt, dass Robert weiterhin Pirat ist und sein möchte. Das entscheidet sich für mich nicht in erster Linie an der Haushaltspolitik, bei der wir -Entschuldigung-  sowieso medial keine Rolle spielen. Und wenn dem doch so sein sollte, dann vertritt Robert genügend andere piratige Positionen, die ihn für andere Bereiche/Ausschüsse qualifizieren. Alles besser als dieses Signal der Auflösung zu senden und/oder bestehen zu lassen.

 

Noch eine Bitte

Eine Bitte habe ich zum Schluss: Empörungsschreie auf Mailinglisten oder Twitter a la „Reißt Euch endlich mal zusammen“ oder „Setzt Euch zusammen und löst das endlich mal“ bringen niemanden weiter. Wir sind zwar DIE 20 Piraten im Landtag, und wir sind auch tatsächlich 20 Piraten, aber jeder eben doch auch ein Stück weit nach seiner eigenen Interpretation und noch auf der Suche nach einer gemeinsamen Linie.

Ich hätte mir gewünscht, dass ich diesen Blogpost nicht schreiben muss. Ich versuche Konflikte, wenn möglich, intern zu klären. Aber bei so vielen Abstimmungsniederlagen und internen Gesprächen, die erfolglos blieben, weiß ich mir nicht mehr anders zu helfen. Ich glaube, Ihr habt ein Recht darauf zu erfahren, was wirklich geschah.

Wir sind mal angetreten mit der Aussage, dass wir als Fraktion die Lokomotive für die Piraten sein wollen. Momentan befinden wir uns aber im Schlafwagenabteil. Wenn das so weiter geht, werden wir irgendwann auf dem Abstellgleis unsere Fahrt beenden. Das möchte ich auf jeden Fall verhindern.  Wir haben jetzt noch die Zeit, die Fehler aufzuarbeiten und daraus zu lernen. Und  all jenen, die mit uns auf die Straße gehen, Infostände durchführen, an Demos teilnehmen, sich dem Bürger stellen und für unsere Ideen und Ideale streiten und natürlich auch unseren Wählern sind wir schuldig, dass wir unsere Hausaufgaben machen. Jetzt!

 

PS: Und bitte nicht vergessen: Auch dies ist nur eine Sichtweise und nicht die ganze Wahrheit 🙂

.@netnrd hat Hals: Rant im Parlament

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Vergangenen Donnerstag habe ich im Parlament am Rednerpult über die mangelnde Bereitschaft der anderen Parteien geschimpft, konstruktiv mit Piraten zusammenzuarbeiten. Beinahe wäre ich zum Opernsänger geworden. Bittesehr:

Der Barbier von Sevilla.

Und hier die vorigen Folgen von “@netnrd hat Hals”:
@netnrd hat Hals: Pofallas #Prism-Pressekonferenz
Die Piraten machen ja nichts zu #PRISM und #Tempora

Zu Personalien – ich liebe Marx.

Veröffentlicht am von unter Persönliche Blogposts.

Eigentlich, ja eigentlich hatten wir von der Piratenfraktion vor, erst nach unserer Sonderfraktionssitzung am Freitag, den 27.09. öffentlich zum Fraktionsaustritt von Robert Stein Stellung zu nehmen.

Aber nun hat Robert Stein mit Vorwürfen gegen die Fraktion und gegen meine Person im Besonderen im Kölner Stadtanzeiger vom 25.09. nachgelegt.

Er könne “nicht mehr widersprechen, wenn FDP-Fraktionschef Christian Lindner von einer Linkspartei mit Internetanschluss spricht”, die Verantwortung dafür sehe er bei mir und bei anderen, die diesen Kurs stützen oder sich raushalten, so Robert Stein. Darüber hinaus sagt er, dass sich nur wenige Abgeordnete in der Fraktion an den inhaltlichen Debatten beteiligen.

Das darf nicht unwidersprochen bleiben, obwohl etwas daran wahr ist.

Robert Stein selbst hat mit uns nicht inhaltlich diskutiert. Beispielsweise in einer seiner Reden im Plenum des Landtags bezeichnete er einmal die Finanzpolitik des Finanzministers als “linke Finanzpolitik” und das SPD-Bundestagswahlprogramm als links.

Ich habe ihn daraufhin, da er bei der seiner Rede folgenden Fraktionssitzung nicht anwesend war, auf einer öffentlichen Fraktionsmailingliste, wiederholt! gefragt, was er denn allgemein unter “links” und unter “linker Finanzpolitik im Besonderen” verstehe. Auf seine Antwort warte ich bis heute. Das spricht für sich.

In der vorletzten Fraktionssitzung vor der Bundestagswahl sprach ich ihn an, um einen Termin für ein Vier-Augen-Gespräch zu finden. Aufgrund voller Kalender einigten wir uns auf einen Zeitpunkt nach der Wahl. Sein Austritt kam dem zuvor. Ich erfuhr davon von einem Journalisten per Handy  auf der Fahrt zur Wahlparty nach Düsseldorf.

Robert Stein äußerte zudem den Vorwurf “marxistischer Positionen” in der Fraktion, die seinem bürgerlich-liberalen Ansatz widersprechen.

Martin Delius bezeichnete die Piratenpartei gegenüber Frau Schausten im TV einmal als “zum linken Spektrum gehörig”. Das kann man machen, und es steht jedem Piraten frei, das zu tun, etwa um unsere sozialen Programmpunkte zu betonen. Aber ich bin nach wie vor der Ansicht, dass eine Einordnung im eindimensionalen Links-Rechts-Schema für die Piratenpartei als innovative Bewegung der Informations- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht zielführend ist. M.E. sollte es unsere Aufgabe sein, einen neuen Weg zu beschreiten, der nicht mit Begrifflichkeiten des 19. Jahrhunderts spielt.

Wir haben programmatisch beschlossen, eine Partei zu sein, die insbesondere den Aspekt der Nachhaltigkeit und seine drei Säulen, die ökologische, die ökonomische und die soziale, betont.

Wenn dabei im Programm die Forderungen nach Steuern, etwa nach der Vermögenssteuer und der Finanztransaktionssteuer zu Gegenfinanzierungen und zur Bedämpfung der Finanzmärkte auftauchen, muss dies nicht zwingend als “links” bezeichnet werden. Und wenn die Linken Ähnliches im Programm haben, bitteschön, was soll uns das kümmern?

Ich lehne wie viele Piraten linken Dogmatismus und oligarchische Parteistrukturen jedenfalls ebenso ab, wie jedwede Formen des Staatsdirigismus. Staat ist der demokratisch bestimmte Gewährsträger für Gemeinwohl und Regeln für Märkte.

Auch lehne ich jedwede “Ismen” als zu dogmatisch ab. Das politische Geschäft zwingt uns jedoch oft zur kritischen Auseinandersetzung mit Ismen gleich welcher Art.

Es sei mir noch ein Satz zur politischen Ausrichtung meiner Person gestattet. Seit Mitte der Achtziger Jahre bin ich sehr positiv eingestellt gegenüber Philosophiekonzeptionen, die weder rein idealistisch noch rein materialistisch – wie der Marxismus – sind und nach meiner persönlichen Auffassung besonders gut zu den Piraten passen. Dies ist durch Veröffentlichungen meinerseits auch schriftlich belegt, hier und hier.

Wer mich einen Marxisten nennt, liegt also erstens definitiv falsch und tut dies zweitens von einem nicht zukunftsfähigen Standpunkt im alten politischen Spektrum aus.

Und wer etwa den keynesianischen oder auch postkeynesianische Ansätze der Wirtschaftspolitik als “links” bezeichnet, hat klar ein Bildungsproblem und zeigt stereotype politische Beißreflexe.

Ja, ich liebe Marx, und zwar Groucho Marx und seine Brüder.

 

Nick H. aka Joachim Paul

Selbstkritik die zweite

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Den 100sten Blogeintrag zum Thema Wahlanalyse schreiben? Als 101er über all die Probleme, Ungereimtheiten, Kommunikationsfehler innerhalb der Partei reden? Oder doch als „amtierendes MdL“ den Fehler zunächst bei sich selbst suchen?

Ich glaube mit Letzterem fahre ich besser.

Alles in allem wird dieser Blogeintrag wieder eine Abrechnung werden. Eine Generalabrechnung mit meiner Arbeit als MdL, als Parteimitglied, als Wahlkämpfer am Infostand und an den Briefkästen.

Um eins vorweg zu nehmen: Dieser Text ist gespickt mit Hilflosigkeit. Ich weiß, dass ich Fehler mache und gemacht habe, bin mir bei vielem aber unsicher, wie und wann ich die Zeit aufbringen soll diese Fehler nicht wiederhole und stattdessen andere Dinge, wichtigere Dinge vorzuziehen.

Alles in allem hat die Landtagsfraktion NRW einen schlechten Wahlkampf gemacht.

Ja, wir haben Anträge zu den wichtigen Themen gestellt und diese im Plenum, so gut es uns möglich war, verkauft. Wir haben eine „Achtung!“-Aktion gefahren (bei der ich mich (aus heutiger Sicht) leider enthalten habe), wir haben Pressemitteilungen verschickt und unsere Website bedient. Aber wir haben den Bonus nicht genutzt!

Wir haben als Landtagsabgeordnete den Bonus, in der Aufmerksamkeitsökonomie mit einem Vorsprung zu starten. Für unsere Aktionen und Statements interessiert sich die Presse nunmal mehr als für einen Brief von Lieschen Müller. Oder vom KV Kleve. Oder sogar vom LV NRW.

Wir sind die kleinste Fraktion im Landtag und viele in unseren Reihen denken noch immer, dass sie durch das Stellen von Anträge die Welt verbessern können. Leider können wir das nicht. Unsere Feinde heißen nicht nur Regierungskoalition sondern ganz klar auch Opposition (zumindest die CDU in den allermeisten Fällen). Damit es jeder noch einmal gelesen hat, schreibe ich hier noch mal ganz unverblümt: Wir werden für uns wichtige Anträge niemals durchbekommen!

Umso mehr sollten wir auf spektakuläre Aktionen setzen und unsere Themen einschränken. So wichtig es auch ist, in vielen/allen Themen eine Meinung zu haben und diese zu vertreten, am Ende haben uns die Bürger dafür nicht gewählt. Wir haben eine Veränderung, eine Verbessrung der Demokratie versprochen. Wir wollten Nachvollziehbarkeit unserer Entscheidungen sicherstellen. Wir haben mehr Bürgerbeteiligung, leichter verständliche Anträge und einen direkten Draht zu Politikern versprochen. Wir sollten uns ein Wort auf die Fahnen schreiben, das ich schon länger Propagieren. Dieses Wort heißt „Ehrlichkeit“.

Wir sollten ehrlich zu den Bürgern sein und jetzt sagen, was wir in den nächsten 6/12/36 Monaten an Utopien und Wahlversprechen umzusetzen. Über ein Jahr ohne Liquid Democracy System, über ein Jahr ohne Kodex der Fraktionsmitglieder und über ein Jahr ohne Antwort auf Fragen bei Abgeordnetenwatch sollten uns zu denken geben.

Wir dürfen uns nicht mehr täglich auffressen lassen von der Routine des Landtags, sondern müssen uns davon frei machen und die Prioritäten neu setzen.

Wenn wir für den Bürger da sein wollen, dann müssen wir auch Sprechstunden anbieten, online erreichbar sein UND AUCH antworten auf die an uns gestellten Fragen.

Wenn wir Demokratie 2.0 postulieren, dann müssen wir Anträge gemeinsam mit unserer Basis entwickeln.

Wenn wir das Bild von Politikern verbessern wollen, dann müssen wir wieder unsere regelmäßigen Tätigkeitsberichte veröffentlichen.

Wenn wir Politik verständlicher machen wollen, dann müssen wir im Fraktionsblog Hintergründe zu Anträgen erklären und warum wir diese ablehnen oder diesen zustimmen.

Ich weiß, dass diese Kritik auch an mich selber geht. Ich habe vor ca. einem halben Jahre eine langweilige, weil abgelesene „Brandrede“ gehalten und verkündet, dass ich jetzt rebellischer sein und alles anders machen werde. Alles in allem fehlt mir dazu der Mut und das Wissen, einen Großteil der Fraktion bei solchen Aktion hinter mir stehend zu haben!

Würde ich tatsächlich ohne Sakko reden, von der Präsidentin ermahnt, gebeten mir ein Jacket überzuziehen, dies verneinen und mit das Reden versagt: Wer würde aufstehen und mit mir aus Protest den Raum verlassen? Wer würde bei einer Brandrede voller wütender Worte von seinem Platz aufstehen und schreien „recht hat er!!“? Wer würde bei mir stehen, wenn ich Forderungen stelle, die in der Verfassungskommission/GO/GemeinsameArbeitsgruppeX sowieso schon gestellt werden sollen – gegen jeden Shitstorm aus dem Parlament?

Wenn ich wüsste, dass diese Fraktion bereit ist, Politik wieder anzuprangern, bloß zu stellen und die Schwachpunkte aufzuzählen, anstatt sich vom täglichen Einheitsbrei die Zeit dafür klauen zu lassen… ich würde versuchen, mit einer kleinen Gruppe, immer und immer wieder der Stachel im Fleisch der Großen zu sein, der wir immer sein wollten.

Ja, auch das sind bis zur tatsächlichen Umsetzung einzig leere Vorsätze und ich weiß nicht, ob ich sie tatsächlich umsetzen kann. Langsam aber komme ich an einen Punkt, an dem ich mich frage, ob ich das, was ich täglich im Landtag tue, noch mit meinem Gewissen vereinbaren kann!

Wenn wir gegen so wichtige Dinge, wie die 3%-Sperrklausel auf kommunaler Ebene, nur mit Anträgen vorgehen und keine großen Medienkampagne fahren, eine Demo organisieren und Aktionen durchführen, dann braucht uns diese Demokratie nicht mehr. Dann können wir unsere Mandate abgeben und auf die Präsenz der Piratenpartei im Landtag verzichten.

Daher hier meine Ankündigung, meine Vorgaben von vor Monaten in die Tat umzusetzen und zu versuchen, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Ich hoffe auf genug Rückendeckung, dass ich tatsächlich den Mut finde, diesen Weg zu gehen.