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I. Ausgangslage

Wie Medien berichten hat die Bundesagentur für Arbeit eine Weisung an die Jobcenter herausgegeben, wonach noch härter gegen ihre „Kunden“ vorzugehen sei. So soll „sozialwidriges Verhalten“ direkt und stärker sanktioniert werden. Beispielsweise sollen Leistungen gekürzt werden, wenn nicht die vom Sachbearbeiter ausgesuchte Fortbildung besucht wird, sondern eine, die der „Kunde“ sich selbst gesucht hat. Auch sollen alleinerziehende Mütter mehr unter Druck gesetzt werden, den eventuell nicht bekannten Vater ihres Kindes dem Jobcenter zu nennen.

Diese Weisung ist unsinnig und wird nicht einen Menschen mehr in Arbeit bringen oder auch nur einen Euro in der Repressionsmaschinerie Hartz IV einsparen. Stattdessen werden weiter Konflikte zwischen Sachbearbeitern und Kunden geschürt. Diese Konflikte fördern bereits jetzt tausendfache psychische Beeinträchtigungen auf beiden Seiten des Schreibtisches im Jobcenter.

Diese Druck- und Konfliktsituationen sorgen teilweise für körperliche Auseinandersetzungen im Jobcenter. Diese Situation noch weiter anzuheizen ist nicht nur fahrlässig, sondern ein vorsätzliches In-Kauf-Nehmen von weiteren Auseinandersetzungen, die bis hin zu Amokläufen führen können.

Dazu ist die Rechtswirksamkeit äußerst fraglich. Beispielsweise darf einem Menschen der angestrebte Beruf nicht vorgeschrieben werden. Zudem hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 16.04.2013 (B 14 AS 55/12 R) beschieden, dass „sozialwidriges Verhalten“ auf „eng zu fassende Ausnahmefälle“ zu begrenzen ist.

Auch „der Grundsatz, dass existenzsichernde Leistungen „unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit “ zu gewähren sind, darf nicht durch weitrechende Rückzahlungspflichten konterkariert werden. Diese vom BSG gestärkte Sichtweise muss auch unter den neuen Regelungen Gültigkeit haben.

II. Der Landtag stellt fest:

Sanktionen im SGB II Bezug sind gefährlich, weil sie physische uns psychische Verletzungen nach sich ziehen.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass die angedachten Verschärfungen im SGB II Bezug nicht zum Tragen kommen.

Mitschnitt der kompletten Debatte:

Protkoll der Rede von Torsten Sommer:

Torsten Sommer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne – ein paar sind noch da, das ist schön – und im Livestream. Das Repressionsgesetz Hartz IV muss weg. Das erst einmal grundsätzlich vorweg. Es erfüllt seinen Zweck nicht. Menschen werden durch dieses System nicht in Arbeit gebracht, und es wird ihnen auch nicht geholfen. Im Gegenteil: Dieses System übt einen unmenschlichen Druck sowohl auf die Menschen vor als auch hinter dem Schreibtisch auf – das ist mir sehr wichtig, zu betonen. Wie bekannte Studien zeigen, führt eine Verstärkung von Sanktionen nicht mehr Menschen in dauerhafte Arbeitsverhältnisse. Im Gegenteil: Gemäß einer

Schätzung des IAB-Forschungsberichts aus dem Jahr 2013 liegt die Zahl der Bezieher von Alg II mit psychischen Beeinträchtigungen zwischen 30 % und 50 %. Diese Sanktionen helfen nicht, Menschen in Arbeit zu bringen, sondern sie machen viele Menschen krank. Viele sind schon vorerkrankt, allerdings werden viele auch erst durch diese Sanktionsgesetze krankgemacht – Menschen, die Hilfe aus der Gesellschaft erwarten und nicht die Zunahme von Druck und Repression. Eigentlich ist das allen Menschen, die sich mit diesem System beschäftigen müssen, bekannt. Was macht die Bundesregierung, aber auch die Agentur für Arbeit? Sie verschärft noch Sanktionen. In dieser Sommerpause hat sich die Agentur für Arbeit nicht nehmen lassen, Hilfsbedürftige noch mehr zu kriminalisieren und in einer fachlichen Weisung darauf hinzuweisen, dass vermehrt Ersatzansprüche geltend zu machen seien. Diese Ersatzansprüche werden von den Betroffenen als Sanktionen hoch zwei empfunden; dementsprechend schreiben wir in unserem Antrag auch konsequent von Sanktionen und nicht von diesen Ersatzansprüchen.

Diese Ersatzansprüche bzw. Sanktionen stehen im offensichtlichen Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung. Auch die Neufassung des § 34 Abs. 1 SGB II: „Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde“ wird daran nicht grundlegend etwas ändern. Denn – wie die BA übrigens in derselben Weisung schreibt, in der sie jetzt mehr Ersatzansprüche fordert –, die Ersatzpflicht nach § 34 ist auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle zu begrenzen. Genau darauf beziehen sich die Bundessozialgerichtsentscheidungen der Vergangenheit.

Es gibt also wieder einmal mehr Rechtsunsicherheit. Und wieder einmal muss mehr beim Bundessozialgericht geklagt werden. Ähnlich argumentiert übrigens das Bundesverfassungsgericht. Schaue ich mir die einzelnen Fälle an, die es bis jetzt gab, so geht das Bundessozialgericht immer davon aus: Nur dann, wenn jemand absichtlich herbeiführt, dass er anschließend So- zialleistungen beziehen darf – durch den Wegfall einer Tätigkeit, durch eine kriminelle Handlung –, darf ich von sozialwidrigem Verhalten ausgehen. Sollte jemand aber aus Krankheitsgründen seine Ar beit verlieren – ich habe das eben schon genannt; er ist zum Beispiel Kraftfahrer, der alkoholkrank ist; das ist übrigens ein Beispiel, das in der Fachlichen Weisung genannt wird – , dann ist das kein sozialwidriges Verhalten. Das ist einfach krankheitsbedingt, weil er damit einer Krankheit folgt. Der Mann – es kann auch eine Frau sein – braucht Hilfe. Er braucht keine zusätzlichen Sanktionen.

An der Stelle macht es keinen Sinn zu versuchen, noch mehr Sanktionsdruck auszuüben und diese Ersatzansprüche geltend zu machen. Denn bei diesem Menschen ging es gar nicht darum, dass er sich Leistungen erschleichen wollte, sondern es ist ein Verhalten, das der Mensch eventuell gar nicht steuern kann. Entsprechend wird den Menschen noch weniger geholfen. Es werden noch mehr Sanktionen und noch mehr Repression aufgebaut werden. Dieses Sanktions-und Repressionssystem hilft niemandem. Es muss weg. Jedwede Verschärfung muss unterbleiben, egal, ob es sich um Sanktionen im engeren Sinne oder um Ersatzansprüche handelt. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag hier direkt zuzustimmen, weil es eine eindeutige Angelegenheit ist. –

Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

2 Kommentare an “Sanktionsverschärfungen im SGB II verhindern!”

    • belaya

      Guten Tag,

      ein wenig mehr Recherche wäre förderlich.
      Es handelt sich bei Tatbestand des sozialwidrigen Verhaltens nicht um eine Sanktion, sondern um einen Ersatzanspruch im SGB II, der mit der letzten Änderung des SGB II im Umfang erweitert wurde.
      Das hat rechtlich einen ganz anderen Hintergrund als die sogenannten Sanktionen.
      Insoweit ist die Forderung an den Landtag ja leider nur auf Sanktionen beschränkt und nicht auf die Ersatzansprüche, die hier vorrangig eigentlich angesprochen waren.

      lg belaya

    • Torsten Sommer

      Hallo Belaya,
      danke für den formaljuristisch richtigen Hinweis. Wir verwenden hier durchgehend den Begriff Sanktionen, da die Betroffenen es als Sanktionen empfinden, wenn sie Leistungen zurückzahlen sollen. Ich werde das in der Plenarrede aber gerne verdeutlichen.
      Vielen Dank
      Torsten Sommer

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