Antrag im Plenum: Donnerstag, 12. Mai 2016, TOP 5, ca. 13.45 Uhr
I. Sachverhalt
Am 02. Mai 2016 wurde nach knapp dreijährigen Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und der US-amerikanischen Regierung der aktuelle Stand des Handels- und Investitionsabkommens TTIP geleakt. Das schon zuvor höchst umstrittene Abkommen, der institutionelle Rahmen der Verhandlungen sowie die Verhandlungsführung haben durch die veröffentlichten Inhalte einen immensen öffentlichen Vertrauensverlust erfahren.
Der massive Vertrauensverlust in die europäischen Verhandlungsführer liegt zum einen in den Verhandlungsinhalten begründet. Nach vorläufiger Auswertung der Papiere muss der Eindruck entstehen, dass die US-Seite insbesondere auf die Einflussnahme auf die europäische Gesetzgebung abzielt: So sollen laut TTIP-Leaks einer Expertenkommission mit Vertretern beider Seiten Kompetenzen bei künftigen Gesetzesvorhaben oder Vertragsänderungen eingeräumt werden. Auch legen die veröffentlichten Leaks nahe, dass gewohnte Standards des europäischen Verbraucherschutzes, vor allem das bewährte Vorsorgeprinzip, durch TTIP ausgehöhlt oder sogar abgeschafft werden könnten. Die Kommission konnte diese und andere Befürchtungen zu keinem Zeitpunkt entkräften.
Zum anderen hat sich die EU-Kommission mit ihrer restriktiven Öffentlichkeitspolitik, die nur sehr zaghaft auf die Forderungen aus der Zivilgesellschaft nach mehr Transparenz und demokratischer Einflussnahme regierte, in den Augen der Menschen in Deutschland und NRW als Verhandlungsführer selbst diskreditiert. Die Beschwichtigungen der EU-Kommission infolge der Leaks klingen wenig glaubwürdig.
II. Der Landtag stellt fest
- Das Vertrauen der Öffentlichkeit in das TTIP-Abkommen, den institutionellen Rahmen der Verhandlungen sowie die Verhandlungsführung der EU-Kommission ist nachhaltig erschüttert. Auf dieser Basis ist eine Fortsetzung der Verhandlungen nicht möglich.
III. Der Landtag beschließt
- Der Landtag fordert die Landesregierung dazu auf, sich auf allen politischen Ebenen für ein Ende der aktuellen TTIP-Verhandlungen und einen demokratischen, transparenten und zivilgesellschaftlich getragenen Neustart einzusetzen.
Mitschnitt der kompletten Debatte:
Protokoll der 1. Rede von Joachim Paul:
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Vor etwa vier Jahren ist das hinter verschlossenen Türen ausgehandelte ACTA-Abkommen am zivilen Widerstand in ganz Europa gescheitert.
Aber ACTA war gestern – TTIP, CETA und TiSA sind heute. Die transnational operierenden Großunternehmen und ihre Buddies versprechen bedeutende Arbeitsplatzgewinne und Wachstum. Wir Kritiker hingegen warnen vor der Aushöhlung von demokratischer Entscheidungsfindung, vor dem Absenken von Daten-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzstandards.
(Beifall von den PIRATEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Zu Recht!)
Über die Gefahren, die von TTIP für Demokratie und Rechtsstaat ausgehen, haben wir im Landtag auf unsere Initiative hin schon mehrmals debattiert.
Aus landespolitischer Sicht kann man TTIP nur ablehnen. Es muss davon ausgegangen werden, dass TTIP schwerwiegende Folgen für die nordrhein-westfälische Demokratie, regionale Unternehmen und die kommunale Familie hätte. Die Piraten lehnen TTIP ab – basta!
(Beifall von den PIRATEN)
Jetzt ist es mit den veröffentlichten Verhandlungsinhalten, den sogenannten TTIP Leaks, wieder zivilgesellschaftlicher Courage zu verdanken, dass wir endlich Klarheit haben. Es wurde, wie befürchtet, die ganze Zeit am Gemeinwohl der Europäer vorbeiverhandelt. Und wieder braucht es den beeindruckenden Einsatz von Whistleblowern, damit die Öffentlichkeit erfährt, wie ihre Interessen in Hinterzimmerverhandlungen verkauft werden.
(Zuruf von der FDP: Mein Gott!)
Wir Piraten fordern deshalb seit Langem einen gesetzlichen Whistleblowerschutz, idealerweise auf EU-Ebene, notfalls auch auf Landesebene. Doch die EU bewegt sich gerade in die entgegengesetzte Richtung. Die jüngst beschlossene Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist eine versteckte Whistleblower-Kriminalisierungsrichtlinie.
Die EU-Richtlinie verschärft das bereits bestehende gewaltige Machtgefälle zwischen Whistleblowern und Großunternehmen. Dieses Vorgehen vernichtet weiteres Vertrauen in die Europäische Union und ihre Institutionen. Denn die Qualität unserer Demokratie misst sich nicht zuletzt daran, wie wir diejenigen behandeln, die unter Gefahr für das öffentliche Interesse eintreten.
Auch wenn die SPD-Fraktion im Europaparlament der genannten Richtlinie zugestimmt hat, darf man einem SPD-Kollegen auch einmal Anerkennung zollen. Lieber Herr Kollege Töns, eine der kritischen Stimmen in der SPD, hat nun auch offen gegen die von oben verordnete Pro-TTIP-Linie rebelliert und von „überschrittenen roten Linien“ gesprochen.
Lieber Markus Töns, das ist dein Applaus von den Piraten!
(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von der FDP: Da freut er sich aber!)
Das begrüßen wir also. Ein gesamtparteiliches Umdenken wird in der SPD hoffentlich bald einsetzen.
Das Vertrauen der Menschen in die eigenen Verhandlungsführer, also in die EU-Kommission, ist zerstört. Das ist das Ergebnis der Politik der Intransparenz. An dieser Stelle sollten wir auch berücksichtigen, dass dieser Vertrauensverlust Verwesungsprodukte am politischen rechten Rand hervorruft, die wir alle nicht wollen.
Auf dieser Basis kann es also keine weiteren Verhandlungen geben. Wir Piraten bleiben dabei: Die TTIP-Verhandlungen müssen beendet werden – ohne Wenn und Aber. Ein Aber gibt es aber doch: Es braucht einen kompletten Reset, einen Neustart, transparent, demokratisch legitimiert und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft. Wenn das nicht geht, dann darf es kein Handelsabkommen mit den USA geben.
Zum Schluss noch ein Signal an die ganz offensichtlich gammaverstrahlten Alphawölfe aus der FDP:
(Zurufe von der FDP: Oh je!)
Bei TTIP gibt es keinen Betatest!
(Zuruf von der FDP: Wir werden es vermissen!)
Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Protokoll der 2. Rede von Joachim Paul:
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin, verehrter Herr Kollege Höne! Der Kern unseres Antrags zielte eigentlich auf den Vertrauensverlust und die Verhandlungsführung durch die EU ab. Dankenswerterweise hat der Kollege Töns von Leitplanken für Freihandelsabkommen gesprochen, und Herr Kollege Engstfeld hat noch mal deutlich auf die Differenz zwischen Risiko- und Vorsorgeprinzip hingewiesen.
Sie haben selber den alten Ricardo erwähnt. Bei den Freihandelstheorien ist die generelle Kritik ja die, dass man eigentlich anfängt – ich bin nicht dagegen; das sage ich ausdrücklich – Nationalökonomien als Betriebswirtschaften zu behandeln, um Angleiche voranzuführen.
Ich sage mal: Um dafür zu sorgen, dass eine amerikanische Mutter auf eine deutsche Schraube passt, brauche ich kein Freihandelsabkommen. Was ist die Position, was ist Ihre Sichtweise auf den Vorwurf, Nationalökonomien würden wie Betriebswirtschaften behandelt. Wo bleibt da für die FDP, für die Freie Demokratische Partei Deutschlands das demokratische Selbstbestimmungsprinzip?
Andrea Masur
Ein Abkommen, dass dermaßen geheim gehalten wird, macht misstrauisch. Abgeordneten wird mit Strafe gedroht, wenn sie sich darüber beraten wollen. Herr Maschmeyer lobt es. DAS kann für den Normalbürger nichts Gutes bedeuten…