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Antrag im Plenum 08.06.2016, TOP 4, ca. 13.10 Uhr
Der eSport (Abk. für elektronischer Sport, auch E-Sports), also der sportliche Wettstreit zwischen Menschen mittels Computerspielen, ist längst keine Nischenbetätigung mehr. Seitdem sich ganze Generationen von Computerspielbegeisterten in den 1990er Jahren zu so genannten LAN-Partys getroffen haben, ist die eSport-Szene enorm gewachsen. Neben dem Spielen in der Freizeit und einer ambitionierten Amateursportszene hat sich inzwischen auch eine professionelle eSport-Szene mit eigenen Ligen, Titeln und Preisgeldern herausgebildet.
Die Electronic Sports League (ESL), die aus der 1997 gegründeten Deutschen Clanliga (DeCL) hervorging, bietet mit der ESL Play eine weltweit führende Plattform für über sechs Millionen Mitglieder, die bereits an knapp 80.000 Turnieren teilgenommen haben. Zahlreiche weitere Ligen und Turniere richten sich weltweit ebenfalls gezielt an professionelle Spieler. Jüngst hat das Unternehmen ESL zusammen mit acht bekannten Teams die Wesa gegründet, die „World Esports Association“. Die Turniere sind längst zum Massenphänomen geworden und Millionen Zuschauer verfolgen die Übertragungen der Partien sowohl online im Stream als auch offline in Großhallen. Die Besucher- und Zugriffzahlen (etwa auf Twitch TV) oder die zahlreichen Zugriffe auf Webvideoformate wie „Let`s Play“ (wie auf Youtube) zeigen, dass es sich nicht länger um einen Nischensport handelt, sondern der eSport mit seiner hohen Vielfalt und seinen niedrigen Einstiegshürden mittlerweile auf dem Weg ist, ein Breitensport, insbesondere für die jüngere Generation, zu werden.
Allein das Computerspiel League of Legends wird täglich von 27 Millionen Menschen weltweit online gespielt. Das WM-Finale im vergangenen Jahr in Berlin wurde von über 36 Millionen Menschen über das Internet verfolgt. Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Faszination anhaltend groß. So finanziert der Sportverein Schalke 04 seit Mai 2016 ein eigenes eSport-Profiteam und veranstaltet künftig Turniere und Events, die das Vereinsgelände und die Arena füllen werden.
Dennoch werden die Ausnahmetalente von League of Legends, Dota 2, Counter-Strike: Global Offensive oder StarCraft II in Deutschland bislang nicht offiziell dem Bereich Profisport zugeordnet. Um die Rahmenbedingungen für die vielen Aktiven im eSport weiterzuentwickeln, fehlt bislang die umfassende Anerkennung als Sportart. Dabei gibt es gute Gründe, die Sportart offiziell anzuerkennen, wie es in Ländern wie Frankreich und den USA längst der Fall ist.
Zum Beispiel berichten Sportexperten des WDR von anspruchsvollen körperlichen Aktivitäten während einer eSport-Partie:
„Forschungsergebnissen der Deutschen Sporthochschule in Köln zufolge, ist die Stressbelastung der e-Sportler groß – vergleichbar mit einem Sport wie Bogenschießen. Auch die Herzfrequenz und die Bewegungsanforderungen sind hoch. Rund 140 Herzschläge und bis zu 400 Bewegungen pro Minute – eine hohe körperliche Beanspruchung.“[1]
Eine starke Konzentrationsfähigkeit, hohe motorische Leistungen und soziale Kompetenzen, unter anderem für das gemeinschaftliche Teamspiel, sind weitere Voraussetzungen und Merkmale dieser Sportart.
Eine bewusste politische Anerkennung von eSport als gemeinnützige Sportart, wie sie im steuerrechtlichen Bereich zum Beispiel auch Schach zuteil kommt, ermöglicht eine Reihe von wirksamen Verbesserungen für die Organisationskultur des virtuellen Wettstreits: Die Verbände- und Vereinsstruktur wird auf eine breitere und demokratischere Grundlage gestellt, ehrenamtliche Arbeit kann anerkannt und die Jugendarbeit in effektivere Bahnen gelenkt werden.
Als Austragungsort der weltweit größten Publikumsmesse für Computerspiele, der Gamescom, steht es Nordrhein-Westfalen gut zu Gesicht, für bessere Rahmenbedingungen für die tausenden von Aktiven im Breiten- und Profisport im Land zu werben. Denn schon längst sind Videospiele ein wichtiger Freizeit- und Wirtschaftsfaktor geworden, der unsere Kultur mitprägt. eSport verdient die gleiche gesellschaftliche Wertschätzung und Akzeptanz, die auch andere Sportarten in Deutschland erfahren. Daher ist es notwendig, dass sich die Politik umgehend für die umfassende Anerkennung des eSports im Sinne der steuerrechtlichen Bewertung und sportpolitischen Förderung einsetzt.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass der eSport gesellschaftlich als Sport anerkannt wird und damit auch den Status der Gemeinnützigkeit von § 52 Abs. 2 Nr. 21 der Abgabenordnung (AO) erhält.
[1] http://www1.wdr.de/sport/esports102.html
Mitschnitt der kompletten Plenardebatte:
Protokoll der Rede von Lukas Lamla:
Lukas Lamla (PIRATEN): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zocker, liebe Daddler und Gameler, liebe Sportler – hier, aber auch zu Hause!
Es hat sich viel getan in den letzten Jahren im Bereich des eSports. In den letzten Jahren wurden einige professionelle Teams gegründet: Der Traditionsverein Schalke 04 – die BVB-Fans mögen mir jetzt verzeihen – hat jüngst das „League of Legends“-Team Elements über-nommen. In Südkorea zählt eSport als Nationalsport, und in Frankreich läuft derzeit eine um-fassende Anerkennung dieser Sportart.
Dagegen wird der eSport in Deutschland von offizieller Seite stark vernachlässigt. Bei einigen Menschen in Politik und Verwaltung lösen Computer- und Videospiele negative Assoziationen hervor. Andere sind geistig so unflexibel, dass sie Computerspiele schlicht als Jugendkultur abtun. Aktuelle Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge liegt der Altersdurch-schnitt bei Computerspielen bei etwa 35 Jahren. Zudem ist die Hälfte davon weiblich. Die knallharte Realität von heute überholt die Klischees von gestern mit Warp-Geschwindigkeit. Meine Damen und Herren, wir Piraten werben seit jeher dafür, dem eSport die Wertschätzung und Anerkennung entgegenzubringen, die er verdient; denn eSport ist, wie der Name schon sagt: Sport!
(Beifall von den PIRATEN)
Zur körperlichen Aktivität beim eSport sei zu erwähnen, dass die motorischen Ansprüche und Fähigkeiten im eSport in der Forschung, zum Beispiel an der Deutschen Sporthochschule, einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. eSport-Profis schaffen bis zu 400 Bewegun-gen pro Minute an Tastatur und Maus. Das ist viermal so viel wie ein untrainierter durch-schnittlicher Mensch. Selbst beim Tischtennis, also der schnellsten Ballsportart der Welt, ist weniger in puncto Hand-Augen-Koordination zu leisten.
Professor Ingo Froböse hält den eSport für – Zitat – „mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen“. Der Cortisol-Spiegel – Cortisol ist ein Stresshormon – ist etwa auf dem Niveau eines Profiradsportlers während eines Wettrennens. Dazu kommt ein hoher Puls, der teil-weise eine Herzfrequenz von 160 bis 180 Schlägen pro Minute hat. Das ist ungefähr mit einem sehr schnellen und ausdauernden Lauf zu vergleichen, wie wir ihn beispielsweise von Marathonsportlern kennen.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Na und?)
Profi-eSportler legen großen Wert auf körperliche Fitness und gesunde Ernährung. Aber es geht nicht nur um Leistung, sondern auch um Sportsgeist. Fairplay und das Erleben sozialer Kompetenzen im gemeinschaftlichen Spiel im Team stehen im Vordergrund. Nicht nur auf dem Rasen oder in der Halle sind diese Kompetenzen bei körperlicher Tätigkeit zu erlernen. Sie sind auch am Bildschirm mit Tastatur und Maus erlernbar. Computerspiele sind weit entfernt von dem, was teilweise stereotype Vorstellungen immer wieder kolportieren: Wege zur Vereinsamung und Abkapselung von der gemeinschaftlich ori-entierten Umwelt. Solche Sachen hört man immer wieder. Vielmehr gilt für den Breiten-eSport der schöne Spruch aus dem digitalen Volksmund: Those who game together stay together. Auf Deutsch heißt das in etwa: Die, die zusammen zocken bleiben zusammen und verbringen ihre Zeit zusammen – auch nach dem Spiel. – Sport verbindet, und dazu gehört auch eSport.
Zur Anerkennung einer Sportart braucht es auch Voraussetzungen. Der Deutsche Olympi-sche Sportbund setzt für eine Anerkennung eine existierende Verbändelandschaft für die be-treffende Sportart voraus. Damit diese Anerkennung erfolgen kann, wurde schon mal aus dem Bereich eSport eine solche Struktur erschaffen. Dieser Dachverband hatte immer wieder Hürden zu nehmen und ist dann abgeblitzt.
Mittlerweile ist er leider wieder erloschen. Das ist ein Versagen der offiziellen Entscheidungs-träger und Institutionen. Es ist jedoch ein heilbares Versagen. Auch diese Heilung wollen wir mit diesem Antrag anregen. Wir wollen erreichen, dass der Staat und die Gesellschaft eSport offiziell anerkennen und ihm damit die Rahmenbedingungen zugestehen, die auch anderen Sportarten zugutekommen.
Eine politische Anerkennung des eSports als gemeinnützige Sportart ermöglicht einige wich-tige Verbesserungen für die Organisationskultur des virtuellen sportlichen Wettkampfs. Diese Anerkennung, die auch steuerliche Auswirkungen hat, ist auch schon dem Schach-, Billard- oder Dartsport zugutegekommen. Die Verbände- und Vereinsstruktur wird auf eine breitere und demokratischere Grundlage gestellt. Ehrenamtliche Arbeit kann anerkannt und Jugend- und Integrationsarbeit in effektivere Bahnen gelenkt werden. Gleichzeitig wäre dies ein be-deutendes Zeichen an den Deutschen Olympischen Sportbund, sich endlich mal zu bewegen und ein Umdenken einzuleiten.
(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Meine Damen und Herren, den Satz „Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche“ habe ich in ähnlicher Form mehr oder weniger von jedem hier schon mal gehört. Ich bin gespannt, ob Sie bereit sind, auch den digitalisierten Sport als gleichwertig anzuerkennen.
Ich komme zum Schluss. Es gibt keine allseits anerkannte Definition, was Sport ist und was nicht. Wenn aber Schach-, Billard-, Dart- und Motorsport offiziell anerkannt sind und für sie entsprechende steuerrechtliche Ausnahmen gemacht werden, sollte nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.
(Beifall von den PIRATEN)
Gleichzeitig möchte ich zum Schluss darauf hinweisen, dass unser Antrag zur Erhebung von Daten zur Konsolidierung der Game-Development-Branche in Deutschland und NRW auf ein weiteres Entwicklungsdefizit in puncto Games hinweist. Bis dato gibt es keine verlässlichen Daten zu Game Developern in Deutschland und vor allem nicht zu denen, die aus NRW stam-men. Daher gibt es auch noch keine Möglichkeit, sich als Spieleentwicklungsstudio bei den Finanzämtern oder Banken ordentlich etwa als Game Developer eintragen und anerkennen zu lassen. Man wird also im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als Spieleschmiede im-mer noch irgendwo zwischen Software, Marketing und Design oder einfach nur unter „Sons-tiges“ eingestuft. Beantragen Sie so mal einen Kredit!
Es scheint, als ob die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Games zwar immer mal wieder gerne erwähnt wird, wenn es um Sonntagsreden geht oder eine gamescom eröff-net werden soll, aber wenn es um tatsächliches Handeln, Ändern und Umdenken geht, tut sich die Politik hierzulande tierisch schwer – in der Kreativwirtschaft und im Sport.
Lassen Sie uns vor der gamescom ein starkes, glaubwürdiges Signal absenden und zeigen, dass das Bundesland NRW als Austragungsort dieser bedeutsamen internationalen Messe die Games auch wirklich ernst nimmt!
(Beifall von den PIRATEN)
Nein, meine liebe Landesregierung, liebe Fraktion von SPD und Grünen, liebe Frau Ministerin, es wird nicht reichen, das bisschen Engagement der Film- und Medienstiftung aus NRW lob-zuhudeln. Wenn Sie es wirklich ernst meinen, heben Sie gleich Ihre Hand, stimmen diesem Antrag zu und setzen so ein starkes Zeichen! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)