Donnerstag, 21. Mai 2015
Top 1. A k t u e l l e S t u n d e
Rot-grüne Umsetzung der schulischen Inklusion ohne Qualitätsstandards gefährdet Lernerfolg für alle Kinder und überfordert die Lehrkräfte
Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP
Drucksache 16/8703
Unsere 1. Rednerin: Monika Pieper
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Protokoll der Rede von Monika Pieper
Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die liebe Kollegin Beer hier steht und ihr nichts anderes übrig bleibt, als einfach nur eine Fraktion zu bashen, dann, glaube ich, haben wir alles richtig gemacht.
(Beifall von den PIRATEN und der FDP)
Jetzt stehen wir also mal wieder hier und debattieren über das gemeinsame Lernen. Wir stehen jetzt wieder hier, weil all das, was unsere Schulministerin so wunderbar eingestielt glaubte, jetzt wie ein Bumerang zurückkommt und Ihnen, Frau Löhrmann, auf die Füße fällt.
Das erste Schuljahr unter den neuen Rahmenbedingungen für die schulische Inklusion geht jetzt zu Ende durchaus ein geeigneter Zeitpunkt, um eine erste Bestandsaufnahme zu machen. Und die fällt so aus: Die getroffenen Regelungen hebeln ein Elternwahlrecht aus, überfordern Schulen und Schulträger und können nicht die notwendige Förderung aller Kinder gewährleisten. Ich bin dem VBE dankbar, dass nun eine erste Evaluation zur Inklusion vorliegt. Ich kann Herrn Beckmann nur zustimmen, der sagt: Uns ist wichtig, die Diskussion endlich auf den harten Boden der Tatsachen zurückzuführen. Das ist auch uns sehr wichtig. Es ist ja eher ein Abgrund, in den wir hier blicken, als dass es ein Boden wäre.
Überraschung? Nein. Überraschen dürfte Sie das wirklich nicht. Alle Oppositionsfraktionen haben genau dies angemahnt. Nicht letztes Jahr, sondern schon vorletztes Jahr haben wir alle Ihnen gesagt: So wird das nicht gelingen.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Das haben Sie ignoriert. Die Personalausstattung der inklusiven Klassen der Sekundarstufe I ist heute schlechter, als es die integrativen Lerngruppen waren. Schulen mit langjähriger Erfahrung in der Inklusion haben dies frühzeitig kritisiert und eine bessere Ausstattung angemahnt. Das haben Sie ignoriert. Das Stellenbudget reicht hinten und vorne nicht. Dorothea Schäfer von der GEW erklärte, eine Erhöhung des Stellenbudgets sei erforderlich. Es sei ein Fehler gewesen, die Zahl der Stellen für die Förderung von Kindern mit Lern-, Sprach- und Entwicklungsstörungen zu deckeln. Durch die Verteilung der Kinder auf eine größere Zahl von Schulen seien die Bedingungen in den Schulen schlechter als vorher. Auch das haben Sie ignoriert, und Sie tun es immer noch.
Die Unzufriedenheit der Lehrer ist groß. Es knirscht an vielen Stellen, sagt auch der Bildungsforscher Klaus Klemm. Er hat recht. Die Unzufriedenheit der Lehrer ist groß, und sie ist berechtigt. Ich bin in den letzten Wochen viel unterwegs gewesen, habe mich an vielen Schulen umgeschaut und habe mit vielen Kollegen vor Ort gesprochen. Das war ernüchternd. Ein paar Beispiele: Es fehlen Differenzierungsräume. Sie sind auch nicht einmal eben einzurichten, da die Schulen auch aufgrund der vielen Flüchtlingskinder inzwischen aus allen Nähten platzen. Die Differenzierungsgruppen sitzen auf dem Flur, es hallt, und Tische dürfen aus Brandschutzgründen nicht in den Flur gestellt werden. Die Grundschulkollegin erzählt, man habe zwar Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf, jedoch leider keine Sonderpädagogen, dafür aber 29 Kinder in der Klasse. Das habe ich an vielen Stellen gehört. Die Klassen sind bis zum Anschlag voll in der Realität keine Spur von kleineren Klassen. Beratungsgespräche werden auf dem Schulhof abgehalten oder auch mal im Abstellraum für Putzmittel.
An den Schulen fehlen Testverfahren und Diagnosematerial. Die Schule kann das nicht bezahlen, 1.500 € für ein solches Verfahren ist einfach zu viel. Dann kommt der Vorschlag, die Testverfahren im Schulamt zu deponieren. Dort muss der Kollege dann eben hinfahren und sie später wieder zurückbringen natürlich nicht während der Arbeitszeit, sondern das macht der Kollege gerne in der Freizeit. Ich könnte hier stundenlang weitere Beispiele aufzählen, die zeigen: Es knirscht nicht nur im Fundament, sondern auch überall an den Bedingungen und an der Umsetzung.
Zum Thema „Doppelbesetzung“: Wenn es überhaupt gelingt, eine Doppelbesetzung zu ermöglichen, wird das natürlich gerne vorrangig in den sogenannten Hauptfächern ermöglicht. Die Kollegen vor Ort beklagen zu Recht eine schleichende Abwertung der Nebenfächer. Dort müssen die Schüler und die Kollegen eben sehen, wie sie klarkommen. Dann muss ich jetzt noch einmal im Rückblick auf die von uns gestellte Kleine Anfrage, inwieweit die Sonderpädagogen zum Vertretungsunterricht eingesetzt werden, sagen: Da bleibt mir immer noch die Spucke weg. Sie postulieren tatsächlich, eine Doppelbesetzung sei nicht so wichtig, wichtiger sei die gemeinsame Planung von Unterricht. Die Kollegen vor Ort laufen auf dem Zahnfleisch, und Sie stellen sich hin und sagen, Doppelbesetzung sei nicht so wichtig. Doppelbesetzung ist eine der elementaren Voraussetzungen für das Gelingen von Inklusion!
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Die Sonderpädagogen vor Ort brauchen keine guten Ratschläge, sondern eine zuverlässige Arbeitsplatzbeschreibung, die sie davor schützt, unangemessen als Vertretungsreserve eingesetzt zu werden. Es bedarf einer Arbeitsplatzbeschreibung, die sicherstellt, dass Schüler die sonderpädagogische Förderung erhalten, die ihnen zusteht. Frau Hendricks hat es ja gerade auch noch einmal gesagt: Zu viel Doppelbesetzung wäre pädagogisch weder sinnvoll noch notwendig. Dazu muss ich Ihnen sagen: Da sind Sie auf dem Holzweg. Wir fordern weiterhin Doppelbesetzung in den Klassen, in denen inklusiv gearbeitet wird.
(Beifall von den PIRATEN Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)
Inklusion ist eine große pädagogische Herausforderung für unsere Schulen, und sie wird nicht durch ein einfaches „Om“ oder durch bloße Esoterik gelingen. Nein, es reicht nicht, immer wieder zu betonen, es müsse sich vor allem in den Köpfen etwas ändern, es müsste ein anderes Bewusstsein entstehen oder das habe ich gerade hier auch noch gehört man sollte die Angst vor der Veränderung nehmen, es bräuchte einen Mentalitätswechsel. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen sehr deutlich sagen: Das ist eine Unverschämtheit gegenüber den Kollegen vor Ort, die nicht wissen, wie sie weiterkommen, und Sie sagen einfach nur: Oh, da muss sich irgendwie ein bisschen was in den Köpfen ändern.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Wir reden hier von Bewusstseinsänderung. Die ist sicherlich notwendig. Allerdings finde ich, dass die Umfrage vom VBE eine sehr gefährliche Möglichkeit der Bewusstseinsänderung aufzeigt. Durch die mangelnde Qualität und die so entstehende Unzufriedenheit aller Betroffenen wird der Sinn von Inklusion inzwischen auch generell infrage gestellt.
Ich glaube, dass wir dem eigentlich guten Gedanken einen Bärendienst erweisen, wenn die Lehrer und die Eltern sich davon abwenden, weil es so nicht funktioniert. Das wäre das Schlimmste. Wir müssen jetzt hergehen und unverzüglich handeln. Frau Löhrmann, Sie müssen endlich Rahmenbedingungen schaffen, damit alle an diesem inklusiven Prozess weiter mitarbeiten möchten.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)