Veröffentlicht am von in Michele Marsching, Reden, Schule und Weiterbildung (A15).

Mittwoch, 17. Dezember 2014

 

Top 3. Elftes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (11. Schulrechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf der Fraktion der   SPD und der Fraktion   BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7544
Michele Marsching| Foto Tobias M. EckrichUnser Redner: Michele Marsching
Abstimmungsempfehlung: Zustimmung der Ausschussüberweisung
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Protokoll der Rede von Michele Marsching:

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Tribüne und zu Hause! Sehr geehrte Frau Beer, Sie haben sich gewünscht, dass ich das Konfliktpotenzial meiner Rede absenke. Den Gefallen kann ich Ihnen leider nicht tun. Wir befinden uns aber erst in der ersten Lesung. Da darf man noch ein bisschen frisch, fromm, fröhlich, frei von der Leber reden, und das möchte ich jetzt auch tun.

Ich erzähle zunächst einmal etwas zum Hintergrund und zu der historischen Einordnung dessen, was wir heute hier diskutieren. Die Landesverfassung und das Schulgesetz kennen bei den öffentlichen Grundschulen drei Arten, nämlich die Gemeinschaftsschule, die Bekenntnisschule und die Weltanschauungsschule, wobei es die Weltanschauungsschule in freier Wildbahn nicht gibt, man findet sie ausschließlich im Schulrecht. Wir reden somit über Gemeinschafts- und Bekenntnisschulen.

Als die Verfassung in Nordrhein-Westfalen entwickelt wurde, hat der Gesetzgeber an alte Traditionen angeknüpft und kein neues Konzept gefahren, was er hätte tun können. Die Volksschule war in den deutschen Staaten im 19. Jahrhundert im Wesentlichen kirchlich geprägt. Die Literatur spricht von einer „verstaatlichten Katecheseschule“.

Als der Staat immer mehr Einfluss auf die Volksschulen genommen hat, wurde die konfessionelle Gliederung beibehalten. Zu der Frage, warum die Konfessionen getrennt wurden, möchte ich jetzt keine weiteren Ausführungen machen. Wer das wissen möchte, der mag sich mit der Geschichte des Kaiserreichs beschäftigen.

Als dieses Kaiserreich im Jahr 1918 zerfiel, wurde diese Streitfrage um Konfessionsschule, weltliche Schule oder die sogenannten Simultanschulen gelöst, und zwar im sogenannten Weimarer Schulkompromiss. Der hat den Elternwillen vor Ort zum bestimmenden Faktor gemacht, und das gilt bis heute in Nordrhein-Westfalen.

Außer bei uns in NRW gibt es öffentliche Bekenntnisschulen nur noch in Niedersachsen. Diese Schulen werden, um das kurz zu erklären, von den Kommunen getragen und unterrichten mit verbeamteten oder angestellten Lehrerinnen und Lehrern. Das sind Landesangestellte. In allen anderen Ländern haben seit den 60er-Jahren Gemeinschaftsschulen, also säkulare Grundschulen, den Vorrang, und vorhandene Schulen wurden umgewandelt. In Nordrhein-Westfalen wurden zwar die meisten Hauptschulen umgewandelt, aber eben nicht die Grundschulen. Wichtig ist, dass man auch Gemeinschaftsschulen christlich nennen kann; denn hier werden die Kinder aller Bekenntnisse oder auch Nichtbekenntnisse – Zitat – in aller Offenheit für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen. – So sagt es der Kommentar zum Schulgesetz. Fachunterricht wird ohne Bindung an ein bestimmtes christliches Bekenntnis gegeben, religiöse Erziehung findet im Religionsunterricht statt.

An Bekenntnisschulen werden Kinder „nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses erzogen und unterrichtet“, so sagt es das Schulgesetz. Hier beschränkt sich der Einfluss der Bekenntnisse nicht nur auf einen Teil der Bildung, sondern – Zitat – „das bekenntnismäßige Gepräge der Schule ist auch bei der Anstellung von Lehrerinnen und Lehrern, der Aufnahme der Schülerinnen und Schüler, beim Lehrplan und Lehrstoff sowie bei der Auswahl der Lehr- und Lernmittel angemessen zu berücksichtigen“. – Kommentar zum Schulgesetz. Das heißt aber auch, die Zusammensetzung des Lehrkörpers und der Schülerschaft ist konfessionell homogen, wobei Ausnahmen möglich sind, und zwar ganz klar nur Ausnahmen!

Aber nicht nur auf dem Papier müssen die Lehrerinnen und Lehrer dem Bekenntnis hörig sein, auch die – Zitat – „Einstellung und das Verhalten müssen den Grundsätzen des Bekenntnisses entsprechen“. Das heißt, tritt eine Lehrkraft aus der Kirche aus oder heiratet nach einer Scheidung wieder – im katholischen Fall –, dann ist sie ihre Arbeit los. Das Lehramt ist also ein konfessionell gebundener Job.

Ein Letztes: Gibt es an einer Bekenntnisschule mehr Anmeldungen als freie Plätze, werden Kinder mit dem entsprechenden Bekenntnis bevorzugt. Die Konsequenz ist teilweise ein kilometerlanger Schulweg für Kinder anderer Glaubensrichtungen oder ohne Bekenntnis.

Warum gehören Bekenntnisschulen also grundsätzlich abgeschafft und nicht nur anders geregelt? Das war ja meine Forderung; Frau Beer ist darauf eingegangen. Ja, die Verfassung kann man mit Mehrheiten ändern. Wir wissen, dass das in der Verfassung steht!

Erstens. Die Aufnahme an der nächstgelegenen öffentlichen Grundschule darf nicht vom Glauben abhängen.

(Beifall von den PIRATEN)

Zweitens. Öffentliche konfessionell gebundene Arbeitsstellen sollten die absolute Ausnahme sein, und für den Grundschulunterricht sind sie nicht notwendig.

Drittens. Wörtlich genommen reden wir hier über Grundschulen, die theoretisch den Kreationismus im Sachunterricht geben können. Dagegen sagen wir: Bildungsinhalte haben auf fundierten und belegbaren Erkenntnissen zu basieren. Sie tun so, also wollten Sie mehr Elternwillen und mehr Partizipation, mehr Inklusion und mehr Integration. All das ist an Bekenntnisschulen mindestens gefährdet. All das wird durch ein Gesetz behindert, das den Status quo auf unabsehbare Zeit zementiert.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Michele Marsching (PIRATEN): Ich bin sofort fertig. – All das können wir besser erreichen, wenn wir nicht über eine mögliche Umwandlung der Bekenntnisschulen reden, sondern die Bekenntnisschulen einfach in säkulare Gemeinschaftsschulen umwandeln, und zwar alle und zwar jetzt. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

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