Mittwoch, 27. November 2013
Rede im Rahmen der Haushaltsdebatte 2013
Protokoll der Rede von Olaf Wegner:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Ich könnte an dieser Stelle über einzelne Haushaltsposten referieren und sie kritisieren. Doch würde das wenig Sinn machen, denn es sind weniger einzelne Posten, sondern es ist das Gesamtkonzept, in das der Einzelplan 11 eingebettet ist, das wir kritisieren.
Ich möchte dazu mit einem Zitat von Frank-Walter Steinmeier vom 19.11.2013 beginnen. Er sagte vor dem BDA – ich zitiere –:
„Nachdem wir das alles durchgerungen haben, uns haben beschimpfen lassen dafür, auch Wahlen verloren haben dafür, müssen Sie sich jetzt nicht vorstellen, dass wir das, was den ökonomischen Erfolg in dieser Republik begründet hat, nachträglich auf irrsinnige Weise infrage stellen.“
(Beifall von der FDP – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Da hat er recht!)
Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man bei der Betrachtung der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse vermuten, dass Herr Steinmeier gerade mit der Schlusspointe sein Kabarettprogramm beendet hat. Leider aber ist dies sehr ernst gemeint. Es ist der O-Ton eines SPD-Spitzenfunktionärs.
Wieder und wieder werden die Wohltaten der Agenda 2010 gelobt. Mit Blick auf die Statistiktricks der Agentur für Arbeit könnte man sogar mutmaßen, diese Politik sei erfolgreich gewesen. Doch die Bilanzen der führenden Sozialverbände und die Armutsberichte sprechen dagegen: Für viele Menschen ist der Sturz in Hartz IV die Armutsfalle, aus der sie ihr Leben lang nicht mehr herauskommen. Vollzeit arbeitende Menschen können von ihren Löhnen nicht leben und müssen Transferleistungen beziehen.
Mich kotzt dieses Schreibtischtäterachselzucken regelrecht an. Alles richtig gemacht? – Ja, vielleicht, doch es gibt nichts Richtiges im Falschen. Die Agenda 2010 hat eine automatisierte Lohndrückerpolitik hervorgerufen. Wer will diesen Zusammenhang bezweifeln?
Wo sind die neuen Ideen und Visionen unserer reichen Wohlstandsgesellschaft? Warum erlauben wir uns ein Prekariat, in dem Vollbeschäftigung keine Existenzsicherung erlaubt?
Hannelore Kraft hatte im Jahr 2007 ja schon Visionen beschrieben. Im „Deutschlandradio“ antwortete sie auf die Frage nach einer Perspektive für Langzeitarbeitslose – ich zitiere –:
„Wir nennen das sozialer Arbeitsmarkt. Ich glaube, dass eine Menge zu tun ist in unserer Gesellschaft und dass es sinnvoll ist, nicht nur über 1-Euro-Jobs befristet solche Chancen zu gewähren …. Mit dem 1-Euro-Instrument geht das nicht. Wir brauchen dafür einen geregelten sozialen Arbeitsmarkt.“
Zitatende!
(Zuruf: Da hat sie recht!)
– Stimmt, die Ministerpräsidentin hat Recht; denn eine Möglichkeit wäre es sicherlich, einen sozialen öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen. Ich sehe ihn nur nicht. Allerdings würde ich darüber gerne einmal ergebnisoffen diskutieren. Es gibt so viele Fragen: Sind die sogenannten Qualifizierungsmaßnahmen wie zum Beispiel das vierte Bewerbungstraining wirklich erfolgreich? Oder geht es dabei nicht doch nur um das Beschönigen von Statistiken?
Die Grundfrage ist doch: Wie kann eine soziale, demokratische Gesellschaft bei unseren Möglichkeiten denn aussehen?
Unsere Vision ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Ich bin gerne bereit, Ihnen vorzurechnen, dass dies einerseits finanzierbar ist und andererseits sogar rechenbares Einsparpotenzial birgt. Bei wahrem Interesse können Sie jederzeit gerne Termine mit meinem Büro vereinbaren.
Uns Piraten geht es um ein würdevolles Leben aller Menschen. Jeder weiß, dass das ohne finanzielles Grundrauschen nicht möglich ist. Hier kann die Philosophie der Menschenrechte einmal praktisch werden.
Einem bedingungslosen Grundeinkommen sollten folgende vier Kriterien zugrunde liegen:
Es soll die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einen individuellen Rechtsanspruch darstellen, ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden und keinen Zwang zur Arbeit beinhalten.
Ein so gestaltetes, garantiertes Grundeinkommen setzt konsequent um, was unsere Verfassung fordert. Ein Verlesen von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 5 und Art. 12 Absätze 1 bis 3, die durch ein bedingungsloses Grundeinkommen fundamental gefestigt würden, erspare ich mir. Ich nehme an und hoffe, dass Ihnen diese Artikel bekannt sind. Lediglich in der konsequenten Auslegung wird es wohl Gesprächsbedarf geben.
Wie Sie sich sicherlich denken können, bin ich, was die ersten 19 Artikel unseres Grundgesetzes angeht, ausnahmsweise Fundamentalist. Wir sollten alle Fundamentalisten sein, was das angeht. Lassen Sie uns ein bedingungsloses Grundeinkommen bitte auch einmal ernsthaft diskutieren! Das ist keine Sozialträumerei, sondern machbar. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)