Veröffentlicht am von in 20 Piraten, Abgeordnete, Daniel Düngel.

Wir sparen uns hier eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Begriffs Kritik und dessen Bedeutung in der Gesellschaft oder dergleichen. Das können und wollen wir nicht. Außerdem gibt es dazu bereits zwölfdrillionen Abhandlungen viel viel schlauerer Menschen.

Für uns, den drei Autoren dieses Blogbeitrags (@fidelisamica, @saendralein und @rwolupo), ist Kritik und der Umgang mit selbiger eines der Kernprobleme unseres innerparteilichen Umgangs miteinander.

Da das Ganze wohl etwas länger wird, ein tl;dr mit entsprechendem Hinweis, frei nach Georg Cristoph Lichtenberg:

„Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.“:

wenn du dir nicht ein paar Minuten Zeit für diesen Beitrag und vor allem für das Problem, welches hier behandelt wird, nehmen möchtest, bist du möglicherweise auch nicht der richtige Adressat. Oder vielleicht doch genau der/die Richtige.

Wir beginnen mal mit einem Zitat. Wilhelm Busch sagte einst:

„Diese persönlichen Stänkereien vor den Augen des versammelten Publikums sind mir unglaublich widerwärtig. Hol’s der Teufel!“

Twitter muss es schon damals gegeben haben. Oder so was Ähnliches. Jedenfalls ist unser öffentlicher Umgang mit Kritik nicht grad eine unserer Stärken. Und nein, hierbei geht es nicht um Transparenz. Wenn wir uns inhaltlich und sachlich streiten wollen, dann können wir das gerne tun. Mit Livestream und so. Aber Twitter ist dafür ein eher ungeeignetes Medium.

Die Probleme bei Twitter sind

  1. Twitter ist immer nur eine sehr kurze Momentaufnahme. Hinzukommende Leser und Akteure kennen fast nie den gesamten Diskussionsverlauf oder andere Hintergründe, die sich bereits vorher abgespielt haben.
  2. Twitter ist nun mal begrenzt auf 140 Zeichen. Wir finden’s ja toll, wenn man sich kurz und knapp ausdrücken kann, aber für umfängliche Kritik reicht das nicht.
  3. Die Filterbubble. 30, 40 Tweets zu einem Thema zeigen in der eigenen Timeline direkt einen recht großen Schwerpunkt. In Wahrheit interessiert das, worüber da grad wenige twittern, möglicherweise gar nicht so viele Menschen. Durch die eigene Filterbubble fasst man dadurch etwas als wichtig und gehyped auf, obwohl es das vielleicht gar nicht ist.
  4. Die Person an der Kritik geübt wird fühlt sich an den Pranger gestellt und ungerecht behandelt auch wenn die Kritik gut gemeint ist.

Durch die Filterbubble erhöht sich Kritik, daraus erhöht sich der Druck dann künstlich. Retweets, +1 oder andere Zustimmungen sind Immer wieder zu sehen. Die Grundlagen für einen Shitstorm innerhalb unserer Filterbubble sind gelegt. Wenige male zu Recht, weil jemand wirklich in die Kacke gegriffen hat. Oft zu Unrecht, weil aufgebauscht wird. Weil wir uns gegenseitig anstacheln oder Dinge missverstanden werden aufgrund der knappen Zeichenverfügbarkeit.

Uns geht es hier zwar zum einen auch um die Selbstdarstellung, zum anderen aber auch um das, was man mit dem Kritisierten erreicht.

Im günstigsten Fall greift der Kritisierte selbst Massenkritik auf und ändert $Dinge.

Vielleicht ignoriert er sie.

Vielleicht verletzt der ausgelöste Shitstorm.

Vielleicht ist die Kritik aber auch gar nicht berechtigt und aus einem Missverständnis und/oder falschen Tatsachen heraus entstanden.

Und wenn all das passiert, darf die „Gegenseite“ nicht schweigen. Wir meinen nicht, dass man sich blind hinter bzw. vor einem stellen soll. Wir meinen, dass man seine Meinung äußern muss, wenn Unrecht geschieht. Steht bitte für Eure Meinung ein. Zeigt einen Zusammenhalt! Oder schlichtet sogar den „Streit“ und helft somit bei der Konfliktlösung.

„Nur wenige Menschen sind klug genug, hilfreichen Tadel nichtssagendem Lob vorzuziehen.“
(François de La Rochefoucauld, 1613-80, frz.  Schriftsteller)
„I like criticism. It makes you strong.“
Lebron James

Wir glauben, wir sind uns alle in einem einig: Kritik ist wichtig, Feedback ist immens wichtig. Ob Kritik stark macht, wissen wir nicht, „the chosen one“ sieht es offenbar so und nimmt Kritik entsprechend wahr. Fakt ist: Nur wenn ich Feedback erhalte, kann ich feststellen, ob ich etwas gut gemacht habe. Oder eben schlecht und beim nächsten Mal $Dinge vielleicht anders angehen sollte. Kritik ist also wichtig um mich weiterentwickeln zu können.

Wir nennen hier mal konkrete Beispiele:

Die Reden im Plenum des Landtags. Manchmal gibt’s Feedback wie „toll gemacht“, „geile Rede“ oder „du hast dies und jenes vergessen“ und so weiter – positives und negatives Feedback. Lob und Kritik.

Aber wie gehe ich damit um, wenn es kein Feedback gibt? Welche Schlüsse ziehe ich daraus?

Ich gehe davon aus, dass alles richtig und gut war und ich es beim nächsten Mal genauso machen kann. Dabei wird mir aber nicht von anderen bewusst gemacht, dass das was ich da geschrieben habe im Grunde totale Kackscheiße war oder einfach nicht angebracht. Schlicht: ich weiß es nicht. Sagt es!

Will sagen: Kritik ist immer wichtig!

Bitte äußert Euch, wenn Euch was auf dem Herzen liegt!

Und bitte entschuldigt: Aber Nachfragen sind ausdrücklich erlaubt, ja, gewünscht.

Wenn der Kritisierte nicht versteht, was gemeint ist, dann sollte er – nein – er muss nachfragen.

Denn erst dann ergibt Kritik einen Sinn – wenn man es versteht und vielleicht sogar einen Nutzen draus ziehen kann.

„Es gibt Menschen, die sich immer angegriffen wähnen, wenn jemand eine Meinung ausspricht.“
Christian Morgenstern

Ein weiteres Problem ist der passive Umgang mit Kritik. Es gibt viele Piraten, die sich sehr sehr schnell zurückziehen, wenn Kritik geäußert wird, weil sie sich angegriffen fühlen. Die Frage ist: wie gehen wir damit um? Persönliche Angriffe sind hier noch weniger zielführend als generell. Hier bedarf es angepasster Kritik (Vier-Augen und sowas) und vor allem hilft es, wenn wir unser Gegenüber besser kennenlernen.

Eines der großen Probleme selbst oder grad auch in der Landtagsfraktion: Wen kenne ich eigentlich wirklich?

Es ist unmöglich _jeden_ Piraten besser kennen zu lernen. Aber die, mit denen man oft und regelmäßig zusammenarbeitet (oder zusammenarbeiten muss), ist es aber sicher einfacher. Hierbei muss man sich auch drauf einlassen mit Menschen etwas zu tun zu haben, mit denen man eigentlich nicht reden würde. Eine normale Situation in der Arbeitswelt.

Und da sind wir auch schon bei der nächsten Hürde in Sachen Kritik, der Kritikkompetenz aka aktive und passive Kritikfähigkeit.

Wie bewirke ich, dass  Kritik nicht direkt negativ aufgefasst wird (auch bei mir selbst nicht) und nur bewirkt, dass das Gegenüber (oder ich selbst) die Schutzmauern weiter hoch zieht und in eine Rechtfertigungshaltung kommt?

Die ersten Fragen die ich mir stellen sollte, bevor ich auf was reagiere oder Kritik äußere, ist: Hab ich die Äußerung/Situation richtig verstanden? Kenne ich alle Fakten? Kenne ich die Hintergründe? Speziell auf Twitter: Kenne ich die gesamte Konversation oder poltere ich grad mal mitten in den Kontext? Ist das, was ich verstanden habe auch das, was der Sender sagen wollte und meinte? Kenne ich die Situation und Sichtweise aus der heraus sich geäußert wird?

Das Problem an digitaler Kommunikation ist, dass ich keinen Tonfall höre, keine Mimik und Gestik sehe und eventuell auch nur begrenzten Raum zur Verfügung habe. Das macht es uns auch so schwer die Dinge aus der digitalen Kommunikation richtig einzuordnen und zu interpretieren. Uns fehlt der menschliche Bezug (zumindest bei den Menschen, die man nicht wirklich gut kennt). So laufen wir schnell Gefahr, Situationen falsch einzuordnen und miss zu verstehen.

Eine weitere Frage ist: Ist es grad eine persönliche oder sachliche Kritik?

Kurz vorab: Aus unserer Sicht ist grad persönliche Kritik in unserer virtuellen Welt sehr schwierig! Es gibt nur wenige Ausnahmen, aber dafür sollte ich den Menschen schon ziemlich gut kennen. Ansonsten: Persönliche Kritik sollte immer persönlich geäußert werden! Sprecht denjenigen doch einfach bei nächster Gelegenheit an, zur Not nehmt das Telefon in die Hand (wobei auch hier der Part der Mimik / Gestik fehlt) und sprecht über euer Empfinden. Wenn die persönliche Kritik so wichtig ist, dann nehmt Euch die Zeit dafür!

In den meisten Fällen im Bezug auf die Parteiarbeit reden wir von sachlicher Kritik.

Nehmen wir beispielsweise den Bundestagswahlkampf. Wir sind alle seit dem 22.09. dabei zu überlegen,  was falsch gelaufen ist und was verbessert werden muss. In den meisten Fällen läuft die Kritik sehr konstruktiv und hat Optimierungen zum Ziel. Doch auch hier zeigte sich mal wieder, wie schnell sachliche Kritik, im Verlaufe des Dialoges, in persönliche Kritik umschlägt und damit Leuten, die sich tierisch den Allerwertesten aufgerissen haben, vor den Kopf stößt. Es fängt oft mit wenigen Textzeilen an, die ein Problem ansprechen, meist noch sehr sachlich. Doch dann trifft die Mail den Nerv bei Einigen und es wird genutzt um sich erst mal eine Runde auszukotzen. Und das ganze ohne sich vorher mal zu überlegen, wie sich der Mensch in der Situation fühlt. Wie jemanden, die sachliche Kritik persönlich treffen könnte. Und schon ist der Stein ins Rollen gekommen…

Alles wird rausgehauen ohne Rücksicht und Respekt auf den Menschen der dahinter steht und wieder werden Ehrenamtler verschreckt, weil sie sich genau das nicht mehr länger geben wollen.

Nein, das wird kein Aufruf dazu, mit Kritik hinterm Berg zu halten. Wie oben schon geschrieben, ist Kritik sehr wichtig. Es gibt zahlreiche Methoden um Kritik vernünftig zu kanalisieren und vor allem auch aufzubereiten. Dazu bedarf es im Regelfall eines Individuums, der sich dessen annimmt und den Vorgang anstößt. Hier ist ein Punkt, wo wir als Partei auch professioneller werden müssen. Die Tatsache, dass Feedback nach dem Bundestagswahlkampf gesammelt werden muss, kommt ja nicht ganz überraschend und war ungeachtet des Ergebnisses auch im Vorfeld klar. Hierzu bedarf es also auch einer gewissen Planung im Vorfeld. Eine Veranstaltung wie die „Wir müssen reden“ am 3.11. in Kerpen ist ein sinnvoller Ansatz. Für eine zügige Nachbetrachtung der Bundestagswahl allerdings leider auch etwas spät – aber nicht zu spät. Auch unsere Landtagsfraktion hat gelernt und diese Dinge mittlerweile auf dem Radar. Es finden vorbereitete Klausurtagungen statt, die die Arbeit weiter verbessern werden.

Häufig geht es bei Kritik nicht um das was, sondern um das wie! Ich sollte mir vor abschicken einer Nachricht überlegen, was ich demjenigen sagen möchte und mir den Text nochmal genau durchlesen, ob auch das daraus gelesen werden kann. Vielleicht sollte ich mir auch überlegen vor der eigentlichen Kritik auch mal zu sagen was gut gelaufen ist oder was ich an dem anderen schätze. Das zeigt erst mal, dass ich die Arbeit des anderen respektiere und schätze und öffnet zugleich für Kritik. Dann sollte ich mir auch überlegen wie ich die Kritik selbst äußere. Mit „du musst, du musst, du musst“ kommt man meistens nicht weit. Versucht es doch lieber als Vorschlag zu formulieren:

Statt „Das ist scheiße gelaufen, weil du das und das gemacht hast. Du musst das und das anders machen!“ lieber „Das und das ist gut gelaufen, leider konnten wir aber doch nicht das erreichen was wir erreichen wollten. Was würdest du davon halten wenn wir das und das mal anders machen würden und zwar indem wir (…)?“

Ihr merkt vielleicht schon selbst beim lesen, dass beide Äußerungen genau das selbe sagen, aber bei einem selbst ein jeweils ein ganz anderes Gefühl auslösen.

Hier geht es schlicht und ergreifend um Respekt. Respekt demjenigen gegenüber, den ich da grad kritisiere. Wenn ich z. B. gar nichts Gutes an jemandem oder einem Prozess finde, bin ich vielleicht der falsche Absender der Kritik, weil meine Kritik beim Kritisierten einfach verhallen wird. Aber auch als Kritisierter muss ich stets versuchen, Persönliches aus dem gelesenen und gehörten zu filtern. Nein, es ist unmöglich, komplett auszublenden, von wem die Kritik kommt. Aber ich sollte zumindest versuchen herauszufinden, was an der geäußerten Kritik objektiv betrachtet, vielleicht doch hilfreich für meine Arbeit ist.

Zu Guter Letzt:

Wichtig ist es auch einfach mal Gutes zu sagen:

„Es ist leicht, ein Werk zu kritisieren. Aber es ist schwer, es zu würdigen.“
Luc de Clapier Vauvenargues (1715 – 1747)

Wie leicht es ist, etwas zu kritisieren und Fehler zu finden sehen wir daran, wie oft kritisiert wird.

Wie schwer es aber  ist, zu loben und nette, wärmende und vor allem ehrliche Worte zu finden, die nicht einfach „Du bist nett“ oder „Das hast du toll gemacht“ beinhalten sehen wir daran, dass genau letzteres so selten geschieht. Oder sind wir wirklich so schlecht, dass immer und immer wieder nur die Kritiker zu Wort kommen?

„Der Jammer mit den Weltverbesserern ist, dass sie nicht bei sich selber anfangen.“
Mark Twain (1835-1910), amerikanischer Schriftsteller

Kluge Worte. Also machen wir das. Das mit dem anfangen. Bei uns selbst. Und wir werden Euch daran erinnern, dass ihr das auch machen solltet. Und wenn wir mal nicht dran denken, erwarten wir Kritik. Von Euch! Oder uns.

In diesem Sinne,

Wir.

http://fidelisamica.overblog.com/2013/10/%C3%9Cber-den-umgang-mit-kritik.html

http://saendralein.blogspot.de/2013/10/uber-den-umgang-mit-kritik.html

Ein Kommentar an “Über den Umgang mit Kritik (@rwolupo)”

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