Veröffentlicht am von in Rechtsausschuss (A14), Reden.

Mittwoch, 24. April 2013

 

TOP 4. Verschlechterung der Prozesssituation für Rechtsuchende durch die Änderung des Prozesskostenhilfe-   und Beratungshilferechts verhindern

Antrag der Fraktion der PIRATEN
Unser Redner : Dietmar Schulz
Unsere Abstimmungsempfehlung: Zustimmung der Ausschussüberweisung

Audiomitschnitt der Rede von Dietmar Schulz

Videomitschnitt der Rede von Dietmar Schulz

Das Wortprotokoll zur Rede von Dietmar Schulz:

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Der Ihnen vorliegende Antrag der Fraktion der Piraten zur Frage der Verhinderung der Verschlechterung der Prozesssituation für Rechtsuchende durch die Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts ist ein sozialer Antrag. Wir gehen – das möchte ich direkt zu Anfang ausführen – davon aus, wir hoffen, dass dieser Antrag nach den Beratungen im Ausschuss eine sehr breite Mehrheit im Plenum finden wird.

Der Antrag bezieht sich auf das, was man früher einmal als Armenrecht bezeichnete. Prozesskostenhilfe ist eine Sonderform der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege. Sie bietet Hilfe zum Lebensunterhalt in besonderen Lebenslagen. Betroffene sind auf Rechtsschutz angewiesen, den sie ohne diese Leistungen nicht erhalten könnten. Der Zugang zu Gerichten und zu Beratungen in Rechtssachen würde ihnen möglicherweise verwehrt.

Gegen den geplanten Gesetzentwurf der Bundesregierung, des Bundesministeriums für Justiz im Besonderen, gegen den sich unser Antrag richtet, gibt es grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken. Vor allem im Hinblick auf die geplante Eigenbeteiligung von Bedürftigen an den Prozesskosten gibt es erhebliche Bedenken, die es noch auszufüllen gilt. Es werden Beträge von ohnehin geringen Einkommen abgeschöpft, die das Existenzminimum sichern sollen. Das wollen wir durch unseren Antrag vermeiden, indem wir uns gegen diesen Gesetzentwurf stellen.

Es gibt drei besonders wichtige Punkte, die es hervorzuheben gilt:

Erstens. Der Gesetzentwurf mangelt daran, dass eine unzureichende Analyse des Ausgabenanstiegs durch die Länder erfolgt ist.

Zweitens. Er krankt an Unverhältnismäßigkeit der Einsparungen im Vergleich zu den Auswirkungen, besonders im Bereich des Familienrechts.

Drittens. Er erfordert einen Mehrbedarf im Personalhaushalt der Justiz, was gerade für das Land Nordrhein-Westfalen – wenn wir bedenken, wie es mit der Personalsituation im Allgemeinen und in der Justizverwaltung im Besonderen, vor allem in Gerichten, aussieht – sehr problematisch sein dürfte.

In aller Kürze zu den Punkten im Einzelnen:

Erstens: unzureichende Analyse des Ausgabenanstiegs. Der Gesetzesvorschlag soll Kosten einsparen, die in den letzten Jahren anscheinend angestiegen sind. Tatsächlich ist es so – so haben es auch viele Experten auf Bundesebene bereits gesagt –, dass die Zahl an einkommensschwachen Menschen zugenommen hat. Dementsprechend stieg auch der Hilfebedarf im Bereich der Prozesskostenhilfe. Diese Steigerung ist durchaus akzeptabel.

Wir sagen: Eine der reichsten Nationen der Erde, ein Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland sollte sich dies zumal dann leisten können, wenn er sich zudem noch Sozialstaat nennt.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Landesregierung hat angegeben, dass die Zahlen zur Prozesskostenhilfe in NRW seit 2006 stagnieren bzw. rückläufig sind. Somit bleibt die Entwicklung der Ausgaben deutlich hinter dem Anstieg der Gruppe einkommensschwacher Menschen zurück. Auch dies verstärkt den Eindruck, Herr Minister, dass die Prozesskostenhilfe jedenfalls nicht so wesentlich gestiegen ist, dass eine Begrenzung dieser Ausgaben unausweichlich erscheint.

Zur Unverhältnismäßigkeit der Einsparungen im Vergleich zu den Auswirkungen im Familienrecht: Da wirkt es sich ganz besonders aus; denn berücksichtigt man die Höhe der Prozesskosten, könnten jedenfalls viele einkommensschwächere Menschen überhaupt keine Prozesse mehr führen, egal, ob im Scheidungsrecht, Sorgerecht oder bei den Unterhaltungsleistungen etc.

Berechtigte Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung müssten unterbleiben, nicht nur im Familienrecht, sondern auch im Verwaltungsrecht, im Sozialrecht und im Arbeitsrecht. Auch dies sind, wie der Rechtsstaat insgesamt, Säulen unserer Republik. Und dieses hat man zu beachten, und darauf sollte unser Augenmerk gerichtet sein.

Das im Entwurf vorliegende Gesetz, gegen das wir uns wenden, ist ein Rückschritt gegenüber allen bisherigen Regelungen und unseres Erachtens, möchte ich fast sagen, auch ein Nachteil für unseren Rechtsstaat. Dieses gilt es zu vermeiden. Es gibt darüber hinaus einen Mehrbedarf im Personalhaushalt der Justiz.

Im Entwurf werden die Maßnahmen damit begründet, dass dadurch missbräuchlicher Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe entgegengewirkt werden soll.

Missbräuche sind allerdings gar nicht belegt. Es existiert nur ein Generalverdacht gegen alle Antragsteller, und davon geht dieser Gesetzentwurf aus. Dagegen müssen wir uns im Sinne des Rechtsstaats verwahren. Denn es sind Prüfungsmöglichkeiten vorhanden. Rechtspfleger haben es zu prüfen, Richter haben es zu prüfen. Das ist bereits das tägliche Geschäft an den Gerichten.

Es mag durchaus sein, dass man den Prüfungsmaßstab etwas erhöhen oder vielleicht nur etwas besser hinschauen sollte; denn ich persönlich habe in der Anwaltschaft oder auch in Prozessen die Erfahrung gemacht, dass manchmal die Prüfung hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, was nicht unbedingt nur eine Zeitfrage und nicht eine Frage des Personals ist, sondern unter Umständen auch eine Frage der Ausbildung. Da wären wir dann jedoch auf einem anderen Feld.

Unabhängig von der Generalverdachtsfrage gibt es natürlich gemäß dem Entwurf einen erhöhten Personalaufwand. Dieser erhebliche Personalaufwand ist selbstverständlich auch mit weiteren Kosten verbunden. Diese Kosten sind im Gesetzentwurf überhaupt nicht erwähnt. Das heißt, man setzt sich damit überhaupt nicht auseinander, wobei wir auch da wieder bei der Analyse des Kostenanstiegs wären.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Sie kommen zum Schluss; Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Ich komme zum Schluss: Die Personalkosten – und das sagen die Experten – werden sich derart erhöhen, dass die Einsparungen durch den Kostenanstieg aufgebraucht werden. Wir gehen also davon aus, dass der Antrag, wie eingangs erwähnt, spätestens nach den Ausschusssitzungen eine breite Mehrheit finden kann.

Ich empfehle daher, der Überweisung dieses Antrags in den Ausschuss zuzustimmen.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Schulz. Wir waren hier mit der Redezeit sehr großzügig.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Wir machen das in der Fraktion aber nicht so!)

Nun kommt für die SPD-Fraktion Herr Kollege Ganzke zu Wort. Bitte schön.

 

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