Freitag, 22. März 2013
TOP 2. Reform der Ausrichtung des Verfassungsschutzes NRW und des Verfassungsschutzgesetzes NRW kosequent umsetzen
Dirk Schatz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuschauer! Der Minister hat einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich habe leider nur fünf Minuten Redezeit. Es gibt natürlich einige Kritikpunkte in der ersten Lesung; das ist völlig normal. Meine fünf Minuten werden nicht ausreichen, um sie hier komplett aufzuzählen.
Deswegen will ich versuchen, vereinzelt darzulegen, worum es uns geht. In § 1 erweitern Sie die Aufgaben des Verfassungsschutzes dahingehend, dass auch die Öffentlichkeitsarbeit ausdrücklich als Aufgabe definiert ist. Das macht unter Umständen Sinn, aber das ist im Entwurf zu weit gefasst. Zwar sagen Sie in der Begründung, dass es nicht in einen allgemeinen Bildungsauftrag ausarten solle, aber mit dieser Formulierung können Sie das nicht verhindern, zumal es wohl auch schon Veranstaltungen gegeben haben soll, bei denen Referenten des Verfassungsschutzes waren
(Zustimmung von der SPD)
und die sich an Lehrer und Multiplikatoren richteten,
(Zustimmung von Nadja Lüders [SPD])
wenn man den Medienberichten Glauben schenken darf.
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
Das Problem ist: Damit haben sie eine Art Definitionshoheit über bestimmte Begriff, die sie nicht haben sollten. Das ist gar nicht ihre Aufgabe. Sie schreiben den Christen auch nicht vor, wie sie ihre Zehn Gebote auszulegen haben.
(Nadja Lüders [SPD] fasst sich an den Kopf.)
Genauso wenig sollten sie Definitionshoheit über irgendwelche anderen Begriffe haben. Das können sie intern für sich definieren, aber nicht in die Öffentlichkeit tragen.
Der nächste Punkt betrifft die V-Leute. Sie sagen, dass bei Straftaten von erheblicher Bedeutung die Zusammenarbeit zu beenden sei. Das ist keine Frage. Aber was ist mit den übrigen Straftaten, die nicht von erheblicher Bedeutung sind? Da ist die getroffene Regelung meiner Meinung nach nicht klar genug – abgesehen davon, dass Sie das selbst bei den Straftaten von erheblicher Bedeutung im nächsten Satz sofort wieder komplett einschränken. Die Frage ist, was in der Praxis letztlich davon übrig bleibt. Das wird sich dann zeigen.
(Zuruf von Minister Ralf Jäger)
– Natürlich ist klar, dass man nicht sofort bei jeder Beleidigung oder jeder kleinen Straftat einen V-Mann aufdecken kann; das ist keine Frage. Aber Sie haben ursprünglich von szenetypischen Straftaten gesprochen. Das kommt im Entwurf jetzt nicht mehr so zum Tragen. Da müssen wir schauen, wie man das ändert.
Sie sagen, die parlamentarische Kontrolle sei umfassend erweitert worden. Sie haben noch einmal den Begriff „revolutionär“ in den Mund genommen. Ich sage dazu: Der Verfassungsschutz arbeitet ohne jegliche richterliche Kontrolle; sie findet eigentlich nicht statt, höchstens, wenn man Glück hat, ein bisschen im Nachhinein. Das ist aber in folgendem Bereich der Fall – das hat Frau Schäffer gerade dargestellt –: Es hat noch keine Straftat stattgefunden. Es findet noch nicht einmal eine Gefährdung statt. Noch nichts hat stattgefunden. – Eigentlich sind das erst einmal Menschen, die sich über krude Gedanken unterhalten, die dann natürlich in Gefahren enden können; das ist keine Frage.
Aber in einem so sensiblen Bereich ohne jegliche Kontrolle zu arbeiten … Die parlamentarische Kontrolle ist, wie es hier geregelt ist, meiner Meinung nach nicht ausreichend. Sind wir ehrlich: Ihre „revolutionären Neuerungen“ beschränken sich im Prinzip auf erweiterte Berichtspflichten. Mehr ist das eigentlich nicht. Eine Berichtspflicht ist aus meiner Sicht keine Kontrolle; das muss man ganz deutlich sagen.
(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])
Jeder Verdächtige im Strafverfahren hat mehr Rechte als die Menschen, die aus strafrechtlicher und aus gefahrenabwehrrechtlicher Sicht noch gar nichts getan haben.
Schließlich: Wir müssen natürlich auf jeden Fall einmal über die Erweiterung der G 10-Kommission von vier auf fünf Mitglieder reden. Darüber hatten wir auch schon einmal gesprochen. Die G 10-Kommission macht aus meiner Sicht eine verdammt wichtige Arbeit; das ist keine Frage. Ich sehe sie quasi als verlängerten Arm des Kontrollgremiums, weil sie viele Dinge macht, die wir schon aus Zeitgründen gar nicht im Detail kontrollieren könnten; das ist keine Frage. Deshalb ist natürlich Vertrauen dort eine ganz große Frage.
Es ist kein Geheimnis, dass die Wahl der Leute durch das Kontrollgremium in die Kommission wahrscheinlich eine Konsensentscheidung ist. Wenn wir vier Fraktionen bzw. jetzt fünf Fraktionen im Kontrollgremium haben, aber nur vier Mitglieder in der G 10-Kommission, sehe ich mit dem Konsens ein paar Probleme, die das Vertrauen eventuell zumindest aus meiner Sicht nicht ganz rechtfertigen.
Einige andere Punkte hat auch schon Herr Orth angesprochen, wie die Rechtschutzgarantie bzw. die nachträgliche Berichtigung. Eine Rechtschutzgarantie muss nach Art. 19 Abs. 4 GG gewahrt sein. Dafür haben alle Gesetze, zum Beispiel auch das Polizeigesetz, die eine geheime Beobachtung vorsehen, Benachrichtigungspflichten normiert. Das ist hier auch der Fall. Aber sie sind zu kurz gefasst. Zum einen sind sie sehr eingeschränkt. Zum anderen sind sie so ausgelegt, dass der Verfassungsschutz sagen kann, ohne dass hinterher jemand darüber schaut: Wir benachrichtigen denjenigen niemals. – Das ist aus meiner Sicht so nicht haltbar.
Bei den Dauerbeobachtungen frage ich mich: Wie lange darf man jemanden beobachten? Bis irgendwann festgestellt ist, dass er gar nicht verfassungsfeindlich ist? Oder anders: Wie lange darf man beobachten, wenn man feststellt, dass jemand zwar noch verfassungsfeindlich, aber überhaupt keine Bedrohung mehr für uns ist? Warum muss dann noch beobachtet werden?
Das ist nur ein kleiner Teil unserer Kritikpunkte. Die Zeit reicht nicht für mehr. Ich freue mich auf die Ausschusssitzungen und vor allem natürlich auf die Anhörung, die mit Sicherheit kommen wird. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz.