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20. Plenarsitzung, 23.01.13

TOP 10. Videoüberwachung an Bahnhöfen – Alles überwacht und dann?

Block I – direkte Abstimmung, Antrag der Fraktion der PIRATEN, Drucksache 16/1902

Unser Redner: Frank Herrmann

Unsere Abstimmungsempfehlung: Zustimmung

Audiomitschnitt der Rede von Frank Herrmann

Videomitschnitt der Rede von Frank Herrmann

Nachtrag zur Rede von Frank Herrmann

Nachtrag zur Rede von Frank Herrmann (video)

Das vollständige Plenarprotokoll gibt es hier.

Das Wortprotokoll der Rede von Frank Herrmann:

Frank Herrmann (PIRATEN): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger! Im Saal sind nicht mehr so viele, ich hoffe, im Stream umso mehr.

Der Kollege Kruse hat heute Morgen schon erklärt, die Gefahrenabwehr zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit ist die ureigenste Aufgabe des Landes. Die Videoüberwachung ist ein Element der Gefahrenabwehr. Deshalb wollen wir mit unserem Antrag zur Video-überwachung den Vertretern des Landes beim kommenden Sicherheitsgipfel zur Video-überwachung der Deutschen Bahn in Berlin einige Aufgaben mitgeben.

Worum geht es? 81 % – das ist die große Zahl, die seit der abgestellten Tasche und dem möglicherweise versuchten Bombenanschlag am Bonner Hauptbahnhof immer wieder genannt wird – in Deutschland sollen auf diese Frage von Infratest dimap mit Ja geantwortet haben. Ich zitiere die Frage mit Erlaubnis des Präsidenten:

„Nach dem versuchten Bombenanschlag im Bonner Hauptbahnhof wird über eine Aus-weitung der Videoüberwachung diskutiert. Befürworten Sie eine Ausweitung der Video-überwachung auf öffentlichen Plätzen und in Bahnhöfen?“

So kommen 81 % zustande. Heute und ohne Bezug auf einen aktuellen Vorfall würde diese Zahl vermutlich wesentlich niedriger ausfallen.

Aber ich lese daraus noch etwas anderes: 81 % der Menschen in Deutschland haben sich an dieser Stelle nicht die Frage gestellt, ob mehr Videoüberwachung irgendetwas an einem möglichen Anschlag auf dem Bahnhof geändert hätte, ihn vielleicht verhindert hätte. Diese Frage hätten Sie dann mit Nein beantworten müssen. Videoüberwachung kann nicht verhindern, sie kann nur dokumentieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit 40 Jahren gibt es in Deutschland Erfahrungen mit Videoüberwachung. Seit 40 Jahren hat diese keine nennenswerten Auswirkungen auf die Kriminalitätsstatistik, mit der kleinen Ausnahme vielleicht bei Straftaten in Parkhäusern. Die Befürworter von Videoüberwachung interessiert das seit 40 Jahren überhaupt nicht. Es wird schon immer – wie auch jetzt – einfach mehr gefordert. Dieses Mehr darf aber nicht einfach so weitergehen. Der anstehende Sicherheitsgipfel ist der richtige Anlass, hier ein Zeichen zu setzen.

Denn ein Zeichen ist notwendig. Wir befinden uns mitten in einem Wechsel der für Video-überwachung eingesetzten Technologien. Damit meine ich jetzt nicht nur die neuen HD-Kameras. Man kann heute nicht mehr feststellen, ob ein Mensch oder eine Software die Bil-der der Kameras überwacht. In Fußballstadien wird bereits Software getestet, die auffälliges Verhaltes von Fans identifizieren soll. Auf Sicherheitsmessen für Behörden kann man schon jetzt die Anwendung solcher Software für Kameras in Bahnhöfen und auf öffentlichen Plät-zen begutachten. Das geht in die völlig falsche Richtung.

Es ist in der Wissenschaft schon heute ein negativer Einfluss von Videoüberwachung auf das Verhalten der Menschen bekannt. Das Verhalten gegenüber Mitmenschen verändert sich zum Beispiel. Das hat insbesondere dann drastische Auswirkungen, wenn wirkliche Not- oder Gefahrensituationen auftreten. Durch Videoüberwachung entsteht der Eindruck, als sei alles unter Kontrolle und professionelle Hilfs- oder Sicherheitskräfte träfen jeden Moment ein. Auch die Angst, dass eventuell falsche Hilfsmaßnahmen durch Videoüberwachung dokumentiert würden, spielt eine Rolle. Deshalb sehen wir dringenden Bedarf, das Instrument Videoüberwachung grundsätzlich neu zu bewerten.

In die gleiche Richtung geht der erste Bericht eines EU-Forschungsprojekts zu Überwachungsgesellschaften, der gestern veröffentlicht wurde. Im vorläufigen Ergebnis wird hier festgestellt, dass die unbeabsichtigten Folgen und auch die Kosten der Überwachung voraussichtlich inakzeptabel hoch ausfallen. Auch wird vor einer Tendenz der Normalisierung der Überwachung gewarnt, deren Folgen für die Gesellschaft noch nicht absehbar sind und noch untersucht werden müssen.

Das sind meiner Meinung nach sehr schwerwiegende Erkenntnisse, die unbedingt dazu führen müssen, jede Ausweitung von Überwachung zu hinterfragen. Daher möchte ich an dieser Stelle eindringlich für unseren Antrag werben. Die Vertreter des Landes werden darin aufgefordert, sich bei dem Sicherheitsgipfel unmissverständlich gegen eine verstärkte Videoüberwachung zum jetzigen Zeitpunkt auszusprechen.

Wenn ich die Äußerung von Herrn Minister Kutschaty ernst nehme, scheint zumindest er unsere Position zu unterstützen. Denn er empfindet es schon jetzt als bedrückend, überall von Überwachungskameras gefilmt zu werden, wie er in einem Interview des WDR vor einigen Wochen sagte.

Ich bitte um Ihre Zustimmung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. –

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