Plenarsitzung 16 am 30. November 2012
Frank Herrmann zu TOP 4: Zum Schutz der Vertraulichkeit und Anonymität der Telekommunikation
Antrag der Fraktion der PIRATEN, Drucksache 16/1467
Mitschnitt der Rede von Frank Herrmann
Redeprotokoll:
Werter Herr Präsident, danke schön. – Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger auf der Tribüne und im Stream! Manchmal bin selbst ich kurz davor, zu verzweifeln.
(Zurufe: Oh!)
Ich wollte Ihnen heute unseren Antrag zum Schutz der Vertraulichkeit und Anonymität der Telekommunikation vorstellen. Das ist ein wichtiger Antrag, der die Landesregierung auffordern soll, im Vermittlungsausschuss des Bundesrates auf Veränderungen des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes einzuwirken. Eine Änderung war notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Januar dieses Jahres Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt hatte.
Warum bin ich nun kurz davor, zu verzweifeln? – Ich habe erfahren, dass die Justizminister der Länder am Mittwoch im Rechtsausschuss des Bundesrates noch weitergehende Verschärfungen im Gesetz gefordert haben. Warum?
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Es wurde früher nirgendwo notiert, wann ich meine Wohnung verlasse, wo ich hingehe, wen ich besucht habe. Ich musste früher auch nicht meinen Wohnungs-, Keller- oder Briefkastenschlüssel bei der Polizei hinterlegen. Welche Zeitungen oder Bücher ich lese oder welche Musik ich höre, wurde früher auch nicht aufgeschrieben. Das wäre auch recht aufwendig und teuer gewesen, da ständig jemand mit einem Notizblock hätte neben mir herlaufen müssen. Ich – wir – haben trotzdem überlebt – auch ohne dass all diese Daten zu unserem Schutz aufgezeichnet wurden.
Aber heutzutage produzieren Smartphones diese Daten quasi als Abfall nebenbei. Statt Schlüsseln gibt es Passwörter. Der Browser speichert jeden Klick, den ich auf einer Zeitungs- oder einer anderen Website mache, automatisch ab. Jetzt, wo diese Daten einfach da sind und nur eingesammelt werden müssen, werden sie von den Behörden dringend gebraucht und müssen alle gespeichert werden, nur damit wir Bürger sicher sind und nicht von Terror, Pest und Cholera überrannt werden. Das ist für mich nicht logisch.
Die Justizminister der Länder haben also tatsächlich eine weitere Verschärfung des Telekommunikationsgesetzes gefordert. Sie möchten nun auch verschlüsselte Passwörter von Cloudspeichern wie „Dropbox“ oder „Google Drive“ zurücksetzen können, um unbemerkt auf die Daten der Nutzer zurückzugreifen. Einen Ausweiszwang beim Kauf von Prepaidtelefonkarten wollen Sie ebenfalls durchsetzen. Dabei kann man in den meisten EU-Staaten Prepaidtelefonkarten einfach so an jeder Ecke kaufen – das ist auch gut so – und – auch in Deutschland damit telefonieren.
Wer wird seine Daten noch in einer Cloud speichern, wenn er weiß, dass eine staatliche Hintertür eingebaut ist? Herr Kutschaty, ich bitte wirklich um eine Erklärung, wie ein solches Handeln mit grundlegenden Bürgerrechten, aber auch mit einfacher Vernunft vereinbar ist.
(Beifall von den PIRATEN)
Mit diesen neuen Entwicklungen ist unser Antrag natürlich nicht überholt – im Gegenteil: Es ist umso wichtiger, dass wir gemeinsam in den Ausschüssen darüber sprechen. Wir haben zwölf Punkte im Telekommunikationsgesetz herausgearbeitet, die zu ändern wir für unverzichtbar halten. Dazu gehören die Beschränkung des Kreises der zugriffsberechtigten Behörden, keine automatisierte Schnittstellen zur Datenabfrage und eine Beschränkung der Auslieferung von Bestandsdaten auf Einzelfälle.
Wir möchten die Strafverfolgung im Internet nicht behindern oder unmöglich machen, aber es gilt, grundsätzliche Bürgerrechte zu beachten und zu schützen.
Es sollte zu denken geben, dass der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein auch den aktuellen Entwurf ebenfalls für nicht mit unserer Verfassung vereinbar hält.
Wir würden uns freuen, wenn wir gemeinsam zu der Erkenntnis gelangten, dass der Gesetzesvorschlag der Bundesregierung im Vermittlungsausschuss des Bundesrates verändert werden muss, um den Bürgern unseres Landes noch ein Mindestmaß an Vertraulichkeit und Anonymität der Telekommunikation zuzugestehen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)