Donnerstag, 15. Mai 2014
Top 2. Unterrichtung durch die Landesregierung
Der Schulkonsens als Motor der Schulentwicklung in Nordrhein-Westfalen – Erste Bilanz der Veränderung der regionalen Schulangebote
Audiomitschnitt der Rede von Monika Pieper als Download
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. Für die Piratenfraktion spricht Frau Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Worüber reden wir eigentlich? Wir reden über den Schulkonsens NRW und nicht über den Untergang des Abendlandes. Der Schulkonsens ist schlicht und ergreifend ein Kompromiss von drei Parteien. Er ist weder der Anfang noch das Ende der Schulpolitik in NRW.
Ein guter Kompromiss zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, dass alle Beteiligten nachher unzufrieden sind. Diesen Eindruck hatte ich hier heute durchaus. Viele mussten ihre ursprünglichen Positionen aufgeben, um zusammenzukommen. Dies erkennen wir an, insbesondere, dass sich die CDU für eine Modernisierung der Schullandschaft mit mehr gemeinsamem Lernen geöffnet hat. SPD und Grüne haben sich sicherlich nicht gerne von der flächendeckenden Einführung der Gemeinschaftsschule zugunsten des Kompromissmodells Sekundarschule verabschiedet. Und nichts anderes ist die Sekundarschule. Sie war kein Wunschmodell irgendeiner Fraktion, sondern ist letztendlich ein Kompromiss, mit dem niemand wirklich ganz zufrieden ist. Das muss man so deutlich sagen.
Das ist gewiss nicht zuletzt der besonderen Situation in der letzten Legislaturperiode geschuldet, in der es keine eindeutigen Mehrheiten gab. Man muss wissen: Das wäre so nie passiert, wenn wir eine Regierung mit einer deutlichen Mehrheit gehabt hätten. Das soll aber den Respekt nicht vermindern, dass dieser große Schritt passiert ist. Letztendlich haben wir dadurch verhindert, dass es einen Stillstand oder ein weiteres ideologisches Rumgezerre in der Schulpolitik gibt.
Der Schulkonsens war auch ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung in der Schulpolitik. Er war ein gutes Signal an die Schulen. Dort konnte man sehen: Es wird hier nicht mehr nur über Struktur geredet, sondern es wird über den Inhalt geredet, es wird darüber geredet, wie wir die Schulen verbessern können. Ich werde hier jetzt trotzdem keine Blumensträuße verteilen. Einige der getroffenen Vereinbarungen sehe ich kritisch; andere sind noch nicht so umgesetzt, wie wir das gerne hätten. Ich werde mich auch nicht an der Diskussion beteiligen, wie sie jetzt seit anderthalb Stunden läuft, wer wann was gesagt hat, wer hier irgendwelche Pirouetten dreht. Ich möchte hier gerne über den Schulkonsens reden.
Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben ja ausführlich über die Entwicklung unserer Schullandschaft gesprochen. Das ist in der Tat gut, und es ist viel passiert. 186 neue Schulen wurden seit 2011 gegründet. „Ein beeindruckendes Ergebnis“ haben Sie es genannt, Frau Ministerin Löhrmann. Und das stimmt. Doch den Schulgründungen stehen auch Schulschließungen gegenüber. Leider wird die Entwicklung der Schulschließungen und der regionalen Schullandschaften im Bericht nur am Beispiel des Kreises Warendorf gezeigt. Doch wir müssen sehr genau auf das Schulangebot überall vor Ort schauen.
Die Wahlfreiheit der Eltern ist uns ein hohes Gut. Aber besteht sie eigentlich noch flächendeckend? Hauptschulen und Realschulen verschwinden von der Landkarte, weil sie so sagt man nicht mehr gewünscht sind. Das bedeutet aber, dass Eltern, die ihr Kind nicht in eine Schule des längeren gemeinsamen Lernens schicken möchten, mancherorts gar keine Wahlfreiheit mehr haben. Und da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Lindner. Ich finde auch, dass Eltern bestimmen können sollen, auf welche Schule ihr Kind geht, dass da Wahlmöglichkeiten bestehen müssen.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Dann finde ich es von Rot-Grün unanständig, so zu tun, als gebe es diese Wahlfreiheit überall. Man sollte lieber ehrlich sein und sagen, wo der Zug hinfährt, dass es nämlich letztendlich in vielen Regionen zu einem Zwei-Säulen-System kommen wird, in dem vor Ort ein Gymnasium und eine Schule des längeren gemeinsamen Lernens vorgehalten werden. Zum Herzstück des Schulkonsenses, der Sekundarschule: Auch wir sind für Schulen des gemeinsamen Lernens. Wir finden das Prinzip des längeren gemeinsamen Lernens gut, da es den Bildungsprozess länger offenhält. Deshalb sind wir auch nicht gegen Sekundarschulen.
Allerdings das ist gerade schon von Ihnen, Frau Ministerin Löhrmann, gesagt worden : Es gibt ja gar nicht die Sekundarschule. Es gibt viele verschiedene Sekundarschulen mit verschiedenen Konzepten. Wir haben die integrierte Form, die teilintegrierte Form und die kooperative Form. Die kooperative Form entspricht nicht unseren Vorstellungen, da die Schüler dort wieder in Hauptschüler, Realschüler und Gymnasialschüler getrennt werden. Wir glauben, dass die integrierte Form von Dauer sein sollte, vor allen Dingen im Hinblick auf die Inklusion. Denn genau das wäre ja die inklusive Schule und nichts anderes.
(Beifall von den PIRATEN)
Man muss jetzt nur genau schauen, ob die Umsetzung erfolgreich gestaltet wird. Doch die Sekundarschulen müssen auch von allen Eltern getragen werden. Dann gehe ich wieder dahin, wo Herr Lindner gerade war: Es nutzt nichts, die Sekundarschule von außen aufzudrücken. Vielmehr müssen wir zeigen: Die Sekundarschule leistet hervorragende Arbeit. Sie muss nachweisen können, dass sie eine leistungsstarke Schule ist. Erst dann werden alle Eltern diese Schule akzeptieren und annehmen.
Wir finden es gut, dass die Sekundarschule als Ganztagsschule konzipiert ist, denn das Ganztagskonzept ist wesentlicher Bestandteil zur Umsetzung individueller Förderung. Darauf komme ich gleich noch. Es trägt zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit bei. Einen Kritikpunkt sehe ich in Bezug auf die Sekundarschule noch ganz deutlich: Sie hat keine Oberstufe. Viele Eltern wünschen sich eine Schule, wo die Kinder von Klasse 10 bis Klasse 13 hingehen können. Das hält die Sekundarschule aber nicht vor. Wir haben allerdings einige Sekundarschulen, die vierzügig fahren. Ich verstehe nicht, warum an diesen Schulen keine Oberstufe eingerichtet werden kann, wenn Eltern, Lehrer und Schüler das wollen. Also hier bitte ich noch mal nachzubessern und zu gucken, ob es diese Möglichkeit nicht gibt.
Überall wird individuelle Förderung reklamiert. Das ist im Moment an den meisten Schulen aber eher ein Versprechen, als dass es umgesetzt wird. Es betrifft ganz besonders den immer noch nachweisbaren Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg. Hier gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Bei dieser Frage sind wir dann auch ganz schnell wieder bei den Ressourcen. Wir müssen sehr viel mehr in Bildung investieren; unsere schönen Reden allein helfen uns nicht weiter. Auch gute Konzepte, wie sie von vielen Schulen entwickelt werden, gehen nur dann auf, wenn genügend Personal sie in kleinen Klassen mit genügend Zeit für jeden Schüler und jede Schülerin umsetzen kann.
Der nächste Punkt ist die PRIMUS-Schule ich habe das hier schon mal ausgeführt : Wir finden die PRIMSU-Schule gut. Eine Klasse von 1 bis 10 eröffnet Möglichkeiten, die andere Schulen nicht haben. PRIMUS-Schulen werden sicherlich auch hilfreich sein, wo viele Schulschließungen drohen; da sind sie eine Alternative. Ein weiterer wesentlicher Punkt des Schulkonsenses ist die Sicherung des wohnortnahen Schulangebotes „Kurze Beine Kurze Wege“. Das ist der richtige Weg.
Das 8. Schulrechtsänderungsgesetz haben wir mitgetragen. Die Entwicklung vor Ort müssen wir aber weiterhin genau verfolgen. Dass auch bei den geänderten Regeln viele Schulstandorte gefährdet sind, ist jetzt schon abzusehen. Wir sollten noch mal genau hinschauen, ob wir da nachjustieren müssen, um zu verhindern, dass es im ländlichen Bereich sowie in einigen Stadtteilen überhaupt keine Schulen mehr gibt. Ein weiterer Punkt: Im Rahmen des Schulkonsenses sind sowohl ein Sozialindex als auch ein Inklusionsindex angekündigt worden. So sollen Schulen zum Beispiel in sozialen Brennpunkten oder mit vielen Schülerinnen und Schülern mit besonderen Förderbedarfen mehr Lehrerstellen zur Verfügung gestellt werden. Das halte ich für dringend geboten und zwar jetzt. Wie ist da der Stand der Dinge? Es gab in den letzten Monaten Hinweise, dass die Entwicklung des Sozialindex nicht so recht vorangeht. Da warten wir auf klare Ansagen und Aussagen. Das gilt auch für den Inklusionsindex.
Meine Damen und Herren, im Schulkonsens haben sich SPD, CDU und Grüne auf die Fahne geschrieben, die Klassengröße schrittweise zu verringern. Das ist ein guter Ansatz. Aber wir haben hier ambitioniertere Ziele. Wenn man Inklusion, Bildungsgerechtigkeit und echte individuelle Förderung ernsthaft umsetzen will, muss man hier sehr viel mehr Anstrengungen hineinlegen und mehr Personal zur Verfügung stellen. Natürlich weiß ich um die Schuldenbremse. Aber für uns hat in der Landespolitik die Bildung Priorität. Wenn man entsprechend handeln würde, müssten andere wichtige Projekte warten. Das wäre dann halt so.
Dazu gehört auch die Finanzierung von Lehrerstellen aus demografischen Effekten. Prof. Klemm schreibt in seinem Gutachten „Perspektiven und Chancen Zur demographischen Entwicklung und zum Lehrerbedarf in Nordrhein-Westfalen“ ganz deutlich, dass die demografische Rendite nicht ausreicht, um die Zusatzbedarfe aufgrund der laufenden und geplanten Reformen zu decken. Es gebe da bis 2020 eine Lücke von 4.300 Vollzeitstellen im Bereich frühkindlicher und schulischer Bildung.
Meine Damen und Herren, wir wissen, Bildungspolitik ist kein Wunschkonzert. Aber Bildungspolitik muss Priorität haben. Wir sind für eine schrittweise Verbesserung bei der Schulorganisation, für echte individuelle Förderung und für die Verbesserung der Bildungsteilhabe für alle, insbesondere für die Kinder und Jugendlichen, die bisher noch zu wenig von unseren Schulen profitieren.
Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Pieper. Für die Landesregierung hat nun noch mal Frau Ministerin Löhrmann das Wort.