Donnerstag, 20.02.2014
Top 1. A k t u e l l e S t u n d e
Landesregierung verursacht Chaos beim Inklusionsprozess – Kinder, Schulen und Kommunen werden im Stich gelassen – Qualität und Finanzierung sind bis heute ungesichert
Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP
Unsere Rednerin: Monika Pieper
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Protokoll der 1. Rede von Monika Pieper
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Priggen.
Nun spricht für die Fraktion der Piraten Frau Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein paar Worte zum Verfahren: Wir haben schon im Oktober unsere Bedenken geäußert, dass die Verhandlungen mit den kommunalen Spitzen verbänden intransparent sind. Wir haben angemahnt, dass der Landtag angemessen informiert wird. Und wieder erfahren wir die Ergebnisse aus der Presse. Das halten wir absolut inakzeptabel.
(Beifall von den PIRATEN)
Nun hat uns Frau Ministerin Löhrmann für die Landesregierung auf den Stand der Dinge gebracht. Immerhin! Dafür danke ich. Wir haben mit Spannung gewartet, was bis heute vielleicht noch passiert. Nun wissen wir: Es gibt ein Angebot der Landesregierung, und es gibt weitergehende Forderungen der kommunalen Spitzenverbände. Wir wissen wohl auch alle, dass Frau Ministerin Löhrmann gehofft hat, uns heute etwas Besseres berichten zu können. Ich denke schon, dass man gehofft hat, dass es zu einem Abschluss kommt. Das ist leider nicht passiert. Natürlich gibt es Interessen der Kommunen, und es gibt Interessen der Landesregierung. Diese Schwarzweißdiskussion, die hier jetzt aufgemacht wird, kann ich nicht verstehen. Natürlich werden die Kommunen versuchen, möglichst viel Geld zu bekommen. Natürlich hat die Landesregierung wenig Geld und muss gucken, dass sie nicht überfordert ist. Hier solche Lager aufzumachen entweder oder, das halte ich nicht für zielführend.
(Beifall von den PIRATEN)
Die Debatte heute Morgen hat ein bisschen was von „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Eigentlich war alles schon gesagt, und die Positionen waren immer klar. Die gebetsmühlenartige Wiederholung Ihrer Forderung, liebe CDU und FDP, die Konnexitätsrelevanz jetzt endlich anzuerkennen, zeigt: Sie sind richtig ausdauernd. Respekt! Einen konstruktiven Beitrag für die Lösung der zahlreichen Probleme vor Ort kann ich aber nicht erkennen.
(Beifall von den PIRATEN Vereinzelt Beifall von der SPD)
Was würde denn passieren, wenn die Konnexität anerkannt würde? Ihr Geschrei möchte ich dann hören: Die Schuldenbremse muss eingehalten werden! Das Land muss sparen! Die Sprüche sind ja bekannt. Ach ja, ich erinnere mich: Die CDU will Studiengebühren einführen und Lehrerstellen streichen. Wenn wir ehrlich sind, wollen Sie eigentlich auch die Inklusion bremsen. Und das ist nicht die Bildung der Zukunft.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
An dieser Stelle möchte ich Frau Geesken Wörmann von der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter aus der Anhörung zitieren mit Verlaub, Herr Präsident:
„Ich kann vor weiteren Diskussionen um Konnexität usw. nur warnen: Der Mensch vor Ort versteht nicht, dass man sich in diesem Zusammenhang über diese Dinge unterhält und nicht über Inhalte. Ich kann nur davor warnen, denn damit wird man keinen Wahlkampf gewinnen.“ Aber genau das versuchen Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP!
(Beifall von den PIRATEN Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie machen hier Wahlkampf unter dem Deckmäntelchen vermeintlicher Anteilnahme für die Betroffenen. Richtig ist aber, dass die Schulträger Unterstützung für den Ausbau der inklusiven Angebote brauchen. Wir haben deshalb schon im letzten Haushaltsverfahren vorgeschlagen, als Sofortmaßnahme zur Unterstützung der Schulträger beim Ausbau des gemeinsamen Lernens Landesmittel bereitzustellen. Weiter haben wir die Landesregierung aufgefordert, mit den kommunalen Spitzenverbänden Gespräche zu einem Landesprogramm zum Ausbau der schulischen Inklusion aufzunehmen. Damals haben Sie uns ignoriert, wenn nicht gar belächelt. Damals sagten Sie im Schulausschuss, Frau Zentis, Sie könnten den Anträgen der Piraten nicht zustimmen, denn das Land könne sich weder in Schulträgeraufgaben einmischen noch in Aufgaben, die nicht Landesaufgaben seien. Das sehen Sie jetzt offensichtlich anders. Hätten Sie damals unseren Vorschlag angenommen und den Kommunen ein echtes Angebot gemacht, befänden wir uns jetzt nicht in dieser Misere.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir wären sehr viel weiter, wenn dieser Weg gewählt worden wäre; denn dann stünden jetzt
schon die Mittel für die Schulen bereit. Die Frage der Kosten der Schulträger liegt schon länger auf dem Tisch. Vor gut einem Jahr haben wir das hier bereits klar formuliert. Das wollten Sie damals nicht wahrhaben, liebe Kollegen von Rot- Grün. Der Weg, den Sie stattdessen genommen haben, hat für Frust und Ärger gesorgt. Nun wird das Land doch noch einen beachtlichen Teil der Kosten übernehmen müssen. Ihre Vogel -Strauß- Politik ist gescheitert. Die Zeche zahlen Sie jetzt doch. Dass Sie sich auf den Weg zu einem pragmatischen Kompromiss mit den kommunalen Spitzenverbänden gemacht haben, erkennen wir an. Das hätten Sie aber schon früher haben können, Herr Römer, wenn Sie sich damals ernsthaft mit unserem Vorschlag auseinandergesetzt hätten. Schön, dass Sie ihn jetzt doch noch aufgegriffen haben. Wenden Sie sich demnächst gerne an uns. Wir beraten Sie gerne. Für pragmatische Lösungen sind wir bekannt.
(Beifall von den PIRATEN Lachen von der SPD)
Der aktuelle Stand kann uns aber nicht zufriedenstellen. Es wurde viel Zeit verloren. Die Frage steht im Raum, ob die Schulen vor Ort bis zum Beginn des nächsten Schuljahres noch von der Unterstützung durch das Land profitieren können. Man muss festhalten, dass beim Jahrhundertprojekt Inklusion einiges schiefgelaufen ist. Der Verzicht auf die Kostenfolgeabschätzung nach KonnexAG im Gesetzgebungsverfahren war falsch. Rot- Grün hat die Kosten, die auf die Schulträger zukommen, bisher immer kleingeredet. Rot -Grün hat das Vertrauen in den Inklusionsprozess beschädigt, verlässliche Rahmenbedingungen bislang verweigert. Herr Laschet, da bin ich ganz bei Ihnen: Es hilft nicht, nur über Geld zu reden. Wir müssen tatsächlich auch noch über Standards und Rahmenbedingungen sprechen. Das ist mindestens genauso wichtig wie das Thema „Konnexität und finanzielle Unterstützung“.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir sehen weiterhin die Gefahr einer Inklusion nach Kassenlage. Wir fürchten, dass die schulische Inklusion in verschiedenen Kommunen in unterschiedlichem Tempo und leider auch in unterschiedlicher Qualität umgesetzt wird. Deshalb haben wir uns schon im Gesetzgebungsverfahren für eine Anerkennung von Mehrkosten der Schulträger ausgesprochen und haben im Haushaltsverfahren entsprechende Anträge eingebracht. Es ist nun wirklich Zeit wenn man ehrlich ist, eigentlich schon zu spät. Nehmen Sie jetzt das Geld in die Hand, unterstützen Sie die Kommunen, und schaffen Sie endlich Verbindlichkeit, was die Rahmenbedingungen betrifft!
Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Pieper. Für die Fraktion der CDU hat nun Herr Kollege Biesenbach das Wort.
Protokoll der 2. Rede von Monika Pieper
Vizepräsident Oliver Keymis:
Vielen Dank, Frau Beer. Für die Piratenfraktion hat jetzt Frau Pieper das Wort. Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal, lieber Marc Herter, glaube ich, dass es nicht so gemeint war, als Sie von „nicht förderwürdigen Schülern“ sprachen. (Marc Herter [SPD]: Habe ich nicht gesagt! Ich habe „bedürftig“ gesagt!)
Okay, alles gut! Worum geht es mir? Wir reden jetzt seit fast zwei Stunden über Konnexität und Kosten. Dabei könnte fälschlicherweise der Eindruck entstehen, dass der Erfolg inklusiver Beschulung allein vom Faktor Geld abhängt. Das ist falsch. (Beifall von den PIRATEN und der SPD) Es ist nicht zu leugnen, dass die Ausstattung der Schulen ein ganz wichtiges Element zum Gelingen des Prozesses ist. Dabei können wir es aber nicht bewenden lassen. Ich würde gerne das Augenmerk auch noch auf andere Themen richten. Wenn man den Rednern der anderen Oppositionsfraktionen zuhört, entsteht so ein bisschen der Eindruck, dass jetzt alle Schulen in zwei Jahren barrierefrei umgebaut werden müssen und dass jede Schule einen Aufzug braucht. So ist es ja nun nicht. Nicht nur bei den Schulträgeraufgaben muss nachgebessert werden. Für den gemeinsamen Unterricht werden zu wenige Lehrer bereitgestellt.
(Beifall von den PIRATEN)
Die Verschlechterung gegenüber den bisherigen integrierten Lerngruppen ist falsch. Wir haben gestern schon darüber gesprochen, Frau Ministerin Löhrmann. Es ist geradezu absurd, wenn die neuen Stellenzuweisungen für das gemeinsame Lernen zur Konsequenz haben, dass Vorreiterschulen mit langer Tradition in der Inklusion in Zukunft weniger Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen als bisher. Wir wollen mehr gemeinsames Lernen im Land und nicht weniger.
(Beifall von den PIRATEN)
Deshalb müssen die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass Schulen, die bereits mit integrativen Lerngruppen arbeiten, die inklusiven Angebote nicht verringern müssen. Sie hatten gestern dazu ausgeführt, dass es dafür Stellen geben soll, damit gerade an den Gesamtschulen der Standard erhalten bleiben kann. Wir werden sehr genau beobachten, ob das auch so sein wird; denn wir können nur mit ausreichender Doppelbesetzung die Qualität sicherstellen. Das ist kein Luxus, sondern, wie ich finde, eine Mindestanforderung an Inklusion.
(Beifall von den PIRATEN)
Des Weiteren stellt sich immer noch die Frage der Budgetierung. Bislang ist immer noch nicht klar, wie die Verteilung der Sonderpädagogen aussehen soll. Welche Kriterien spielen eine Rolle? Wie sieht das Konzept aus? Die Schulen brauchen jetzt endlich Planungssicherheit für das nächste Schuljahr. Frau Ministerin Löhrmann, sagen Sie endlich, wohin die Reise gehen soll. Jede weitere Verzögerung führt zu weiteren Verunsicherungen und ist schädlich für den Prozess.
(Beifall von den PIRATEN)
Bei der Umsetzung vor Ort gibt es eigentlich aktuell genug Unsicherheiten. Viele Kolleginnen und Kollegen an den Förderschulen haben keine Planungssicherheit, an welcher Schule sie im nächsten Jahr unterrichten. Fragen von Abordnung und Versetzung stehen im Raum. Keiner kann ihnen dazu etwas sagen. Viele Kolleginnen und Kollegen an den allgemeinen Schulen wissen nicht, ob sie im nächsten Jahr eine inklusive Klasse unterrichten. Eltern sind verunsichert, weil sie immer noch nicht wissen, welche Schule ihr Kind im kommenden Schuljahr besuchen wird. Ich denke, die meisten von Ihnen können sich gut vorstellen, was das für Eltern bedeutet. Hier muss jetzt konkrete Unterstützung geboten werden; wir kennen das aus den letzten Jahren. Ich finde, es ist eine Zumutung, dass Kollegen erst in den Sommerferien erfahren, wo sie im kommenden Schuljahr ihren Arbeitsplatz haben.
(Beifall von den PIRATEN)
Ein großes Thema sind außerdem wir haben gerade darüber gesprochen die Inklusionsassistenten. Hier sehe ich auch die Kostenfrage als hochrelevant an. Ich stimme Ihnen durchaus zu, dass der Bund da in die Pflicht genommen werden und dementsprechend Mittel zur Verfügung stellen muss.
(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])
Auch dazu muss ich Ihnen aber sagen: Woher das Geld kommt, ist den Betroffenen völlig egal. Wenn man jetzt mit Eltern betroffener Kinder spricht ich war auf einer Veranstaltung mit Eltern autistischer Kinder, bekommt man das kalte Grausen, wenn man sieht, was in diesem Land hier gerade passiert.
(Beifall von den PIRATEN)
Was diesen Eltern zugemutet wird, um an Unterstützung für ihr Kind zu kommen, ist eigentlich ein Skandal. Sie werden von Amt zu Amt geschickt. Dann schaltet sich eine Clearingstelle ein, und es werden möglichst viele Steine in den Weg gelegt. Dieses Verfahren zieht sich in Einzelfällen bis zu einem Jahr hin, und das Kind sitzt in der Schule und hat keinerlei Hilfe durch einen Inklusionsassistenten. Woran liegt das? Die Schulen haben ein enormes Informationsdefizit, denn man kommt nicht an einen Inklusionsassistenten, wenn die Schule nicht in der Lage ist, einen entsprechenden Antrag zu stellen und das zu unterstützen. Dann gibt es diesen Inklusionsassistenten nicht. Es ist, finde ich, Aufgabe der Landesregierung, dafür zu sorgen, dass die Schulen die notwendigen Informationen haben und Lehrer so fortgebildet werden, dass sie auch Hilfe leisten können. Da sehe ich noch eine sehr große Lücke, wo wir tatsächlich etwas für die betroffenen Schüler tun können, ohne dass es viel kostet. Das ist die Aufgabe der Landesregierung, auch wenn sie die Inklusionsassistenten nicht selber bezahlen muss.
(Beifall von den PIRATEN)
Bei allen Mängeln des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes und allen Schwierigkeiten bei der Umsetzung geht es darum, jetzt Sicherheit zu schaffen und die „graue Inklusion“ umzusetzen. Sie wissen, liebe Landesregierung und liebe Fraktionen von Rot und Grün: Wir werden das konstruktiv begleiten und sind weiterhin gern dabei.
Danke.
(Beifall von den PIRATEN) Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Pieper. Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Löhrmann.