– Keine weitere Black-Box-Politik, sondern Schuldenschnitte als Alternative –
Anlässlich der mündlichen Verhandlung am Bundesverfassungsgericht zum Euro-Rettungsschirm ESM und dem Anleihekaufprogramm der EZB sagt Nico Kern, Europolitischer Sprecher der Piratenfraktion NRW:
Die massenweise Finanzierung von Staatsschulden zweifelhaften Wertes sowohl über den ESM als auch das unbegrenzte Aufkaufen von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank lehnen wir Piraten ab. Nicht nur, dass ESM und EZB sich hier im Bereich der durch die EU-Verträge untersagten Staatsfinanzierung bewegen. Die heutige sogenannte Euro-Rettungspolitik hebelt die parlamentarische Beteiligung aus, setzt die Haushaltshoheit der Parlamente außer Kraft und begräbt die Unabhängigkeit der EZB.
An weitreichenden Entscheidungen zur Rettung einzelner Euroländer bzw. der gesamten Eurozone müssen die nationalen Parlamente maßgeblichen Anteil haben. Denn für etwaige Verluste haftet auch die deutsche Bundesbank und somit der deutsche Steuerzahler – ohne dass dieser heute irgendeinen Einfluss auf die Entscheidungen ausüben könnte.
Wir Piraten fordern daher die kurzfristige Durchführung frühzeitiger einmaliger Schuldenschnitte, um die Schuldenlast nachhaltig zu senken. Dabei müssen die konsequente Beteiligung der Eigentümer von Finanzinstituten in Schieflage sowie der Schutz von Kleinanlegern und Renten- und Lebensversicherungen sichergestellt sein. Somit wird nicht in die Haushaltshoheit der Eurostaaten eingegriffen oder die Steuerzahler anderer Länder in Haftung genommen.
thomasb
1. Dass durch „unbegrenzte Aufkaufen von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank“ entstehen Haftungsrisiken für den deutschen Steuerzahler entstehen, ist nicht wahr. Das Gegenteil ist der Fall, der Steuerzahler hat sogar einen Gewinn. Um das zu verstehen, lohnt es sich einmal die Bilanz einer Notenbank zu studieren. Ansonsten ist die Inzahlungnahmen von Staatsanleihen ein Offenmarktgeschäft, das durch das Statut der EZB gedeckt ist.
2. Ein Schuldenschnitt hingegen wäre eine echte Katastrophe für Steuerzahler, Sparer und die europäische Konjunktur. Massive Bankenpleiten wären die Folge. Instrumente zur Abwicklung insolventer Banken existieren noch nicht, d.h. der Fiskus müsste einspringen. Die Abschreibungen schon verstaatlichter Banken würden sich massiv erhöhen. Ansonsten bedeutet Bail-In notwendigerweise, dass Renten- und Lebensversicherungen herhalten müssen.
3. Das Problem der EZB ist, dass sie Austerität von den Gläubigerländern fordert und damit die Rezession verschärft. Sinnvoll wäre eine Politik der quanitativen Lockerung, die die dortige Bilanzrezession zu stoppen vermag, wie Rowe und Krugman auch empfehlen. Das Problem ist Deflation, nicht Inflation!!!
http://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/130607_greece_gdp_troika_0_small.png
Arno
1. Natürlich entstehen Risiken für den Steuerzahler. Dem gehört nämlich die Zentralbank, und wenn die faule Kredite in der Bilanz hat, gehören diese faulen Kredite letztendlich dem Steuerzahler.
2. Wenn ein Schuldner nicht zahlungsfähig ist, bleibt letztendlich nur ein Schuldenschnitt. Das Hinauszögern eines solchen notwendigen Schuldenschnitts ist letztlich nichts anderes als eine Konkursverschleppung.
3. Besser als Sparsamkeit ist natürlich die Steigerung des Einkommens. Da aber eine Steigerung des Einkommens nicht ganz so einfach ist, ist auch Sparsamkeit angesagt.
Die vielgerühmte quantitative Lockerung führt nur zu immer neuen Schulden, zu Blasen, die irgendwann platzen.
@Inoxis63
@thomasb
Teil 1. ist schlicht falsch von Dir interpretiert.
Es geht nicht darum ob ein Land wie die BRD an den Zinsen von GR partzipiert, sondern das die BRD mit dem kompletten Ausfall der Gelder rechnen muss.
Und das wird passieren, garantiert.
@Inoxis63
Michael (AMT)
Das Problem ist tiefgreifender.
1. Die EZB handelt außerhalb ihres Mandats – der Einwand von ThomasB „die Inzahlungnahmen von Staatsanleihen [ist] ein Offenmarktgeschäft, das durch das Statut der EZB gedeckt ist“ stimmt. Die EZB hat nur bisher keine Permanentkäufe getätigt und es ist eine indirekte Staatsfinanzierung die so nicht vorgesehen ist. Der ESM ist undemokratisch und „hebelt die parlamentarische Beteiligung aus“. Soweit richtig.
2. Beim Schuldenschnitt stellt sich die Frage, wessen Guthaben hier gegen Staatsschulden vernichtet werden. Es ist essentiell wichtig endlich klarzustellen, dass Staatsschulden auf der einen Seite Unternehmens- und Privatvermögen auf der anderen Seite darstellen. Die Frage ist, wessen Guthaben hier gestrichen werden soll. Je nachdem, wie diese Frage beantwortet wird, ist der Vorschlag also eine „Katastrophe“ (wie ThomasB) meint oder ein sinnvolles Programm zur Entlastung von Staaten (so hab ich Nico Kern verstanden).
3. Staatsschulden sind erst ab dem Zeitpunkt ein Problem, an dem man sie zum Problem erklärt. Und natürlich dann, wenn die Zinsen, die auf sie gezahlt werden müssen zu hoch sind (also alles über 5% ist tödlich – so gegen 2% ist es meist gut erträglich – und unter 2% sind Staatsschulden positiv für gemeinwohlorientierte Politik bei gleichzeitigem Privatvermögensaufbau)
4. Der 3.These von ThomasB schließe ich mich voll an.
Mein Fazit:
Die Staaten sollten endlich unabhängig von den Finanzmärkten werden und sich nicht von diesen erpressen lassen. An Lösungsvorschlägen wird gearbeitet. Bekannte Vorschläge sind: Vollgeldreform (Huber „Vollgeldreform“, Felber „Gemeinwohlökonomie“, Kumhof „the Chicago plan revisited“); Das Mandat der EZB auf Staatsfinanzierung erweitern (schwierig); Guthabenbremse als logischen Gegenpart zur Staatsschuldenbremse ins Grundgesetz; steuerliche koordinierung in ganz Europa (schwierig); Weitere Ansätze um die Staatsschuldenkrise in den Griff zu bekommen werden ebenfalls weiter ausgearbeitet. Zur weiteren Info hier ein Link auf eine Seite, die erklärt, was für Krisen aktuell parallel wirken. Damit man das ganze mal aus der Vogelperspektive würdigen kann und nicht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht: http://wiki.piratenpartei.de/AG_Geldordnung_und_Finanzpolitik/Eurokrise
bridgR
zu thomasb – 3. „Das Problem der EZB ist, dass sie Austerität von den Gläubigerländern fordert und damit die Rezession verschärft.“ <= die EZB fordert gar nichts, die Banken im betroffenem Land tun das. Die Geschäftsbanken und die politisch-konservative Klasse, die in den Geschäftsinteressen bzw. Fortbestand der Banken auf die ein oder andere Weise verwickelt ist.
"Das Problem ist Deflation, nicht Inflation!!!" Irrtum. Beides sind etwa gleich tadelnswerte Probleme, die ungelöst über kurz oder lang zu (volks-)wirtschaftlichen Verwerfungen und folglich zu sozialen Unruhen führen.
Das Problem sind die volatilen Sparer, weniger schlechte Schuldner. Mit einer progressiven Inflationsrate (QE) kann man sich zwar effizient der privaten & institutionalen Sparer entledigen; dies führt jedoch tendenziell zu realen Preissteigerungen durch den Wechsel zu alternativen Anlage-Objekten wie Rohstoffe, Lebensmittel, Wasser…und damit zu einer künstlich-spekulativen Begehrtheit derselben. Durch die Commodity-/ Investment-Blase inflationieren die Warenpreise, da sie nicht auch nur annähernd gleich der Derivate-Blase versteckt werden kann. Die Preissteigerungen im unternehmerischen Einkauf und anschwellende Lohnkämpfe würgen dann die (Binnen-)Wirtschaft letztendlich auch ab..
thomasb
Schade, ich hätte gehofft, dass jemand auf den Unterschied zwischen OMT und den 2011/12 durchgeführten LTRO’s zu sprechen kommt. Nun gut, mittels LTRO (suchmaschine selbst) hat die EZB Liquidität i.H.v. 1 Billion Euro für bis zu 3 Jahre bereitgestellt. Dafür wurden insb. (schlecht geratete) Staatsanleihen als Pfand entgegengenommen, jedoch mit Abschlägen von 55 bis 75%.
OMT (suchmaschine selbst): Hier wechselt der Gläubiger der Anleihen von der Geschäftsbank zur Zentralbank. Damit gehen auch Zinsforderungen an die Zentralbank über. Die Zinsen der in Frage kommenden Staatsanleihen sind aber höher als der aktuelle Leitzins. Somit bekommt die EZB erhebliche Gewinne zugespühlt, die bekanntlich in die Staatshh. fließen. Es handelt sich hierbei sehr wohl um eine quantitative Lockerung, entgegen der Behauptungen aus EZB-Kreisen, die einen Sturm der Entrüstung gegen die mit ihr Verbündeten, Kommision und Merkel/Schäuble, wegen der Inflationsangst befürchtet, falls sie dies zugeben würde.
Nachteil im ersten Fall ist, dass die Risiken bei den Banken bleiben und diese weiterhin die Papiere abschreiben müssen. Damit bleibt ein hoher Refinanzierungs- sowie Kapitalisierungsbedarf, die bekanntlich die Ursache der Kreditklemme sind. Im zweiten Fall neutralisiert die EZB das Risiko. Dazu muss man wissen, dass eine Notenbank praktisch unendlich viel Eigenkapital zur Verfügung hat. Und wer jetzt wieder mit dem Inflationsargument kommt: Es herrscht Deflationsgefahr. Die Inflation gab es, als in Südeuropa in sinnlose Dinge (Konsum statt Innovation und Infrastruktur) investiert worden war.
Wer glaubt wegen OMT und LTRO die EZB zu schnappen, der wartet am falschen Loch des Fuchsbaus.
Das Problem waren die untschiedlichen Inflationsraten ‚pre-crisis‘ mit bis zu 3 Prozentpunkten Unterschied. Die EZB erwähnt aber stets nur ihre 2% ‚im Durchschnitt‘. Geldpolitik national zu differenzieren ist aber aufgrund des freien Kapitalverkehrs schwierig.
Sehr wohl sind die Anleihenkäufe „konditionalisiert“, d.h. abhängig vom Erfüllen der Austeritätsmaßnahmen, Lohn- und Rentenkürzungen, sowie Privatisierung von Staastsunternehmen. Damit nimmt die Troika (negativ) Einfluss auf die Konjuktur. Und erstes Opfer einer Rezession sind immer die Jugendlichen.