Veröffentlicht am von in Bauen, Wohnen und Verkehr (A02), Olaf Wegner, Reden.

Freitag, 21. Juni 2013

 

TOP 2.  Wohnungsmarkt entfesseln statt ausbremsen – Die Menschen in unseren  wachsenden Großstädten brauchen Wohnungen und keine staatlich verordneten Markthemmnisse

Antrag FDP
Block I
Direkte Abstimmung
in Verbindung damit
Entschließungsantrag von SPD, Bundnis90/Grüne & PIRATEN
Drucksache 16-3310 

Entschließungsantrag CDU

Drucksache 16-3339

Unsere Redner: Olaf Wegner
Unsere Abstimmungsempfehlung (Antrag FDP): Ablehnung
Unsere Abstimmungsempfehlung (Entschließungsantrag SPD/Grüne/PIRATEN): Zustimmung
Unsere  Abstimmungsempfehlung (Entschließungsantrag CDU): Ablehnung/Enthaltung

 

 

 

Audiomitschnitt der Rede von Olaf Wegner

Wortprotokoll zur Rede von Olaf Wegner:

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Ich habe mich über den Antrag der FDP zur Entfesselung der Wohnungsmärkte sehr gefreut. Alle anderen Fraktionen und Parteien überall im Land haben die Mieter für sich entdeckt und werben im Wahljahr mit dem Recht auf bezahlbaren Wohnraum, als ob der derzeit grassierende Mangel über uns gekommen wäre wie eine Jahrhundertflut – unerwartet und unvorhersehbar. Das ist schon für die Jahrhundertflut nicht wahr, für diese Misere an den Wohnungsmärkten trifft es erst recht nicht zu.

Aber unter den gegebenen politischen Bedingungen ist das Thema nach dem 22. September sowieso wieder vom Tisch. Konzepte liegen jedenfalls nicht vor. Lieber werden Anträge der Piraten zur Vermeidung von Wohnraumzweckentfremdung als sozialistisches Teufelswerk bezeichnet. Das ist grotesk!

Da tut es gut, mal wieder einen Antrag in die Hände zu bekommen, der an guten alten ideologischen Wahrheiten festhält: Der Markt wird es richten, wenn man ihn nur lässt. – In eleganter und von jeder empirischer Erkenntnis absehender Weise wird das Hohelied der Angebotstheorie gesungen, als ob sich der Wohnungsmarkt in nichts vom Luftmatratzenmarkt unterscheidet.

Okay, in dieser Welt können wirtschaftliche Aktivitäten von privaten Anbietern wohl überhaupt nur dann gedacht werden, wenn sie gewinnversprechend sind. Da könnten Anreizsysteme dazu beitragen, das Angebot auszuweiten. Inwieweit sich ein solcher staatlicher Eingriff mit der Maxime der FDP des sich selbst regulierenden Marktes verträgt, sei dahingestellt.

Die implizierte Unterstellung jedoch, dies sei in der Vergangenheit nicht geschehen, ist abenteuerlich. Nur zur Erinnerung: In unterschiedlichsten Farbgebungen haben Bundes- und Landesregierungen in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem diese Initiativen ergriffen: Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit, Liberalisierung der Kapitalmärkte, Abschaffung der Kapitalverkehrssteuer, Zulassung von Hedgefonds, Verzicht auf 35 Milliarden € durch großzügige Steuerbefreiung der großen Wohnungsunternehmen, weitreichende Entwertung der Wohnungsaufsicht, Abschaffung des Wohnungszweckentfremdungsverbotes, faktischer Ausstieg aus der Wohnraumförderung.

Diese Liste ließe sich problemlos verlängern. Alle Aktivitäten sind absolut verträglich mit den bekannten FDP-Positionen. Im vorliegenden Antrag werden sie nur ein weiteres Mal aufgekocht. Bekömmlicher werden sie dadurch nicht.

Der Reihe nach: Die FDP behauptet pauschal einen Wohnungsmangel in den Wachstumsregionen unseres Landes. Tatsächlich haben wir es aber zunehmend mit einem Mangel an bezahlbaren Wohnungen zu tun – und dies eben nicht nur in den wenigen Wachstumsregionen, sondern in immer mehr Städten, auch in den stagnierenden und schrumpfenden. Offensichtlich hat die FDP das Problem noch nicht in seiner ganzen sozialen Brisanz erkannt. Vielleicht kann sie es aber auch aufgrund ihrer ideologisch begründeten Sehbehinderung gar nicht erkennen.

Ja, in Köln, Düsseldorf, Bonn und wenigen anderen Städten gibt es insgesamt nicht genug Wohnraum. Das Schaffen von Anreizsystemen jedoch, die es Investoren schmackhaft machen sollen, am oberen Preisrand des Marktes weitere Angebote zu generieren, würde erstens die vollkommen falschen Signale setzen und zweitens die beschränkten öffentlichen Mittel in skandalöser Weise falsch einsetzen.

Wer heute, im Jahr 2013, wirklich noch daran glaubt, dass durch die magischen Mechanismen des Marktes die oben geschaffenen Angebote letztendlich auch denen am anderen Ende des Marktes zugutekommen, zeigt vor allem eines: seine entwickelte Fähigkeit, jeden empirischen Befund zu ignorieren. In der höflichen Sprache dieses Parlaments: Das ist nicht zielführend.

Was wir brauchen, ist die Entdeckung bzw. Wiederentdeckung einer Wohnungspolitik, die an der Überzeugung ansetzt, dass eine an den gesellschaftlichen und individuellen Bedarfen orientierte Versorgung mit zeitgemäßem Wohnraum eben keine Wohnungsmarktpolitik ist. Wir können auf Margarine ausweichen, wenn uns Butter zu teuer ist. Wir können Samsung statt Apple wählen, wenn uns danach ist. Gegebenenfalls können wir auf beides verzichten. Aber versuchen Sie doch mal, nicht zu wohnen! Weil das eben nicht geht, ist es fatal und falsch, so zu tun, als sei der Wohnungsmarkt ein Markt wie jeder andere auch.

Es handelt sich um einen Kernbereich der Daseinsvorsorge. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Recht auf Wohnen ist ein Kernelement würdevollen Lebens. Würde lässt sich nun mal nicht in Kaufkraft messen. Wir brauchen also keine Anreizsysteme für Investoren, sondern die Einsicht, dass Wohnen keine Ware wie jede andere ist. Angemessener Wohnraum ist kein Mechanismus des Marktes, sondern ein Grundrecht.

Aus diesem Grund kann ich meiner Fraktion nur empfehlen, diesen Antrag abzulehnen und dem von uns zusammen mit den Grünen und der SPD gestellten Entschließungsantrag zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

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