Mittwoch, 24. April 2013
TOP 6. Erstes Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen (9. Schulrechtsänderungsgesetz)
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Liebe Monika, ich weiß, es wäre Deine Rede gewesen. Du schaust im Stream zu. Es ist mir eine Ehre, Dich zu vertreten.
Erlauben Sie mir, Herr Präsident, mit einem Zitat zu beginnen. Das Zitat stammt aus einem Antrag von Rot-Grün zu den Eckpunkten für den Weg zur inklusiven Schule in Nordrhein-Westfalen. Hier findet sich ein sehr wichtiger Hinweis im Umgang mit dem Thema der Inklusion an Schulen. Zitat:
„Sowohl bei den Eltern von Kindern mit Behinderung wie auch bei den Eltern von Kindern ohne Behinderung ist Vertrauen auf eine gelingende Entwicklung hin zu einem inklusiven Schulsystem notwendig. Alle geplanten Maßnahmen sind immer auch unter dem Aspekt des Vertrauens in den verlässlichen Rahmen für den Inklusionsprozess zu bewerten.“
Diesem Anspruch wurde das Verfahren zuletzt nicht gerecht: erst das Hickhack um den Referentenentwurf und jetzt die Vorlage eines Regierungsentwurfs, der leider mehr Fragen aufwirft, als er Antworten gibt. So erhält man nicht das dringend notwendige Vertrauen bei den Betroffenen. Hier läuft die Landesregierung Gefahr, viel Porzellan kaputtzuschlagen.
Um es noch einmal ganz unmissverständlich klarzumachen: Wir Piraten sind für den Ausbau von inklusiven Schulen!
(Beifall von den PIRATEN)
Wir wollen, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen und aufwachsen. Und wir wollen ein konsequent inklusives Bildungssystem schaffen, das den Bedürfnissen aller Schülerinnen und Schüler gerecht wird. Deshalb sprechen wir uns auch für einen kontinuierlichen Rückbau der Förderschulen aus. Dieser schrittweise Rückbau muss aber vom Ausbau des gemeinsamen Unterrichts an Regelschulen begleitet werden. Wir wissen, das ist eine sehr große Aufgabe, die allen Beteiligten viel abverlangt.
Dabei sind natürlich die Sorgen der Betroffenen ernst zu nehmen. Und es muss Antworten geben, die das Vertrauen der Betroffenen in den Prozess rechtfertigen. Schüler, Eltern, Lehrer und Kommunen fragen sich: Wie wird sich die Schullandschaft entwickeln, also konkret und vor Ort? – Betroffene Eltern fragen sich: Was ist gut, was ist das Beste für mein Kind? – Und einige Praktiker sagen: Die allgemeine Schule ist nicht für alle Kinder der richtige Platz.
Doch wie lange es noch Förderschulen für Lern- und Entwicklungsstörungen vor Ort geben wird, ist fraglich. Es ist der erklärte Wille von Rot-Grün, dass Förderschulen für Lern- und Entwicklungsstörungen in großer Zahl geschlossen werden. In vielen Kommunen gibt es dazu schon entsprechende Pläne.
Es darf dabei aber nicht zu einer „Inklusion light“ kommen: dass Kommunen mit Blick auf ihre Haushaltssituation vor allem kostengünstige Wege beschreiten. Wir wollen nicht, dass diese Förderschulen rasch schließen, die Angebote für den gemeinsamen Unterricht aber erst später ausgebaut werden.
(Beifall von den PIRATEN)
Denn dann droht betroffenen Schülern ein langer Schulweg, um weiterhin eine Förderschule besuchen zu können. Ob sie alternativ einen Platz an einer inklusiven Schule angeboten bekommen, ist zunächst ungewiss. Der Entwurf sieht erst einmal nur im Übergang zur 5. Klasse einen Anspruch auf den Wechsel an eine allgemeine Schule mit gemeinsamem Unterricht vor.
Aufgrund ihrer Erfahrungen sprechen sich Lehrer für durchgängige Doppelbesetzungen im gemeinsamen Unterricht aus. Werden dafür die Ressourcen bereitstehen?
Auch die Arbeit in multiprofessionellen Teams wird gewünscht. Im Gesetzentwurf allerdings findet sich dazu nichts.
Förderschulen nehmen vielfältige Aufgaben wahr, zum Beispiel die Kooperation mit Jugendhilfeeinrichtungen und Maßnahmen zur Vermittlung in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Wie werden diese Kompetenzen der Förderschulen Eingang in die allgemeinen Schulen finden?
Und welche Mittel werden den Schulträgern für den weiteren Ausbau des gemeinsamen Unterrichts zur Verfügung stehen? Die Landesregierung geht davon aus, dass die Kommunen keinen Anspruch auf zusätzliche Landesmittel haben. Da gemeinsamer Unterricht bereits praktiziert wird, würde hier keine Konnexität bestehen. Ein Rechtsgutachten von Prof. Höfling für den Städtetag kommt da zu einem anderen Schluss.
Wo wir gerade bei Gutachten sind: Meine Fraktionskollegen Michele Marsching und Torsten Sommer haben eine Anfrage nach unveröffentlichten Gutachten gestellt. Im Sinne der Transparenz fordern wir die Offenlegung dieser Gutachten. Unser Antrag dazu wird morgen hier im Plenum beraten.
In der Antwort der Landesregierung findet sich auch ein Hinweis auf ein Rechtsgutachten zu Konnexitätsfragen. Es wurde im Auftrag Ihres Hauses, Frau Ministerin Löhrmann, verfasst. Wenn dieses Gutachten das Thema der Inklusion im Schulbereich berührt, haben wir an der Offenlegung natürlich ein besonderes Interesse.
In der weiteren Beratung, denke ich, werden wir diesen Fragen nachgehen. Und wir werden darauf hinwirken, dass zufriedenstellende Antworten gegeben werden.
Wie Prof. Werning in seinem Gutachten zu den Kompetenzzentren zu Recht feststellt, ist es wichtig, hohe Standards für inklusive Bildung festzulegen, die garantieren, dass in inklusiven Schulen zum Wohle aller Kinder und Jugendlicher die bestmöglichen entwicklungs- und lernförderlichen Bedingungen selbstverständlich sind.
An vielen Schulen haben Eltern und Kollegien mit sehr viel Enthusiasmus das Thema „Inklusion“ angepackt. Wenn jetzt nicht die passenden Rahmenbedingungen für diesen Prozess entwickelt werden, droht das Erlahmen dieses Engagements und ein wenig Resignation. Das muss unbedingt verhindert werden.
Vor diesem Hintergrund erwarten wir eine intensive Auseinandersetzung in den weiteren Beratungen. Es ist ja noch nicht Hopfen und Malz verloren, denn – wie Minister Jäger vor einiger Zeit sagte – ein Gesetzentwurf verlässt dieses Haus nie in der Form, in der er eingebracht wurde. Von daher: Auf gute Zusammenarbeit und herzlichen Dank!
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Damit haben interfraktionell alle Rednerinnen und Redner die Redezeit überzogen.