Freitag, 22. März 2013
TOP 3. Bildungschancen verbessern und Leistungsgerechtigkeit gewährleisten – schleichende Entwicklung zur leistungslosen Schule stoppen!
Wir sind uns wohl alle einig: Alle Kinder wollen, wenn sie in das erste Schuljahr kommen, Leistung erbringen. Sie möchten lernen, sind ganz wild darauf. Der erste Schultag wird bei uns in Deutschland als Beginn eines neuen Lebensabschnitts gefeiert. Diesen Tag begehen alle sehr motiviert.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Jedes Kind versucht, sein Bestes zu geben. Wenn das dann irgendwann während der Schulzeit verloren geht, liegt irgendwo ein Fehler im System.
Dieser Fehler wird aber nicht durch Ziffernoten behoben. Ziffernoten und Angst vor dem Sitzenbleiben sind Ausdruck von extrinsischer Motivation, also Motivation aus Angst vor dem Versagen.
Wir aber wollen intrinsische Motivation fördern und aufrechterhalten. Deshalb müssen wir die individuelle Förderung noch viel mehr ausbauen. Da stecken wir noch in den Kinderschuhen.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD, den GRÜNEN und Klaus Kaiser [CDU])
Individuelle Förderung heißt: Jedes Kind und jeder Jugendliche hat seine eigenen Lernziele und Leistungsanforderungen. Es wird unter Umständen zieldifferent gearbeitet. Individuelle Förderpläne mit individuell zu erreichenden Kompetenzstufen für jeden Schüler werden an die Stelle von starren Curricula treten müssen, und zwar für alle Schüler.
Frau Gebauer, ich weiß, dass Ihnen besonders die leistungsstarken Schüler am Herzen liegen. Ich gebe Ihnen durchaus recht, dass diese häufig unter „ferner liefen“ bedacht werden. Schule orientiert sich immer noch zu sehr am Mittelmaß. Das kann und muss sich durch den Ausbau individueller Förderung ändern. Aber Ziffernnoten sind kein Mittel der Förderung, sondern – im schlimmsten Fall – ein Mittel der Ausgrenzung.
Auch und besonders für leistungsstarke Schüler sehe ich Chancen durch eine bessere individuelle Förderung. In einem zunehmend heterogenen und inklusiven Schulsystem werden Ziffernnoten keinen Platz haben können. Denn Noten sind darauf aus, die Leistungen einer Gruppe von Schülern miteinander zu vergleichen, sie dokumentieren nicht den individuellen Leistungsfortschritt, den ein Schüler erreicht hat. Schlimm fände ich es, wenn in zunehmend heterogenen Klassen diejenigen, die eher eine praktische Begabung haben, immer die Fünfer-Kandidaten wären. Da schwindet die Motivation dann tatsächlich.
In NRW von individueller Förderung zu sprechen, finde ich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings mehr als gewagt. Die vorhandenen Ressourcen reichen für eine wirkliche Förderung bei Weitem nicht aus. Dafür muss das Schulsystem völlig auf den Kopf gestellt werden, Schule muss sich komplett verändern. Das wird noch viele Jahre dauern.
Zum Thema „Kopfnoten“: Auch hier sagt eine bloße Ziffer nichts aus. Die meisten Schulen haben es sich leicht gemacht und den Schülern ein Befriedigend gegeben. Was heißt das? – Negativ aufgefallene Schüler haben ein Mangelhaft bekommen, ohne dass beschrieben wurde, wo das Problem lag geschweige denn die Ursache.
Frau Gebauer, ich bin kein Gegner von Kopfnoten, gerade aus meiner Sicht als Sonderpädagogin nicht. Für viele meiner Schüler war die Beschreibung eines guten Arbeits- und Sozialverhaltens die Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Die Beschreibung von vorhandenen Schlüsselkompetenzen gelingt jedoch nicht durch eine Ziffer, sondern nur durch die klare Ausformulierung der Kompetenzen, die ein Schüler erreicht hat.
Zum Sitzenbleiben: Vor dem Hintergrund der individuellen Förderung kann das Wiederholen einer Klasse bei Verfehlen des Klassenziels nicht mehr als Automatismus erfolgen; denn in der inklusiven Schule wird es kein allgemeines Klassenziel mehr geben. Das Wiederholen einer ganzen Klasse ist eine pädagogische Maßnahme für Einzelfälle. Bei mangelhaften Leistungen in einzelnen Fächern sollte zunächst versucht werden, die Defizite durch Fördermaßnahmen anzugehen.
Dennoch wird es immer wieder Gründe geben, bei denen eine Klassenwiederholung Sinn macht. Ich finde es falsch, Klassenwiederholungen zu verteufeln. Lange Krankheit oder eine Phase der Schulverweigerung können Gründe für eine Wiederholung sein, wenn man dadurch zum Beispiel einen besseren Bildungsabschluss erlangen kann.
(Beifall von den PIRATEN und Klaus Kaiser [CDU])
Eine solche Entscheidung sollte einvernehmlich mit den Schülern und Eltern getroffen wer-den. Es ist eine pädagogische Entscheidung und keine Strafe für mangelnde Leistung.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf unsere Idee der fließenden Schullaufbahn hinweisen, die von einem Kurssystem ausgeht, welches aufeinander aufbaut; das kann man durchaus innerhalb eines Klassenverbandes umsetzen. Das Erreichen einzelner Kursziele durch die dort erworbenen Kompetenzen führt dann zu unterschiedlichen Abschlüssen. Gelingt es einem Schüler nicht, einzelne Kurse erfolgreich abzuschließen, auch nicht durch intensive Förderung, dann kann bei Aussicht auf Erfolg der Kurs, aber es muss nicht das ganze Jahr wiederholt werden.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das wäre Lebenszeitverschwendung!)
– Wenn ich einen Kurs wiederhole, ist das keine Lebenszeitverschwendung. Das ist der Fall, wenn ich das ganze Jahr wiederhole.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Nein, sie meint die Klasse!)
Als Betroffene sage ich Ihnen: In Fremdsprachen hatte ich Probleme, war aber in Mathe und Deutsch immer prima. Warum muss man dann alles noch mal machen? Dafür gibt es kei-nen Grund.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich unterstütze das! – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Man ver-steht sich nicht!)
Insofern sage ich: Wenn man einen Kurs wiederholt, dann kann man da die Defizite aufarbeiten, man muss aber nicht das ganze Jahr wiederholen.
Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin Pieper.