Donnerstag, 28. Februar 2013
TOP 4. Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013)
Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 16/1400
Beschlussempfehlungen und Berichte des Haushalts- und Finanzausschusses 16/2100 bis 16/2107, 16/2109 bis 16/2115 und 16/2120
2. Lesung, und
Finanzplanung 2012 bis 2016 mit Finanzbericht 2013 des Landes Nordrhein-Westfalen
Drucksache 16/1401, Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses, Drucksache 16/2121
in Verbindung damit
Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2013 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2013 – GFG 2013)
Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 16/1402, Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses, Drucksache 16/2117
2. Lesung, in Verbindung damit
Gesetz zur Änderung des Wasserentnahmeentgeltgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen
Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 16/1286
TOP 4/5. Einzelplan 09 – Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr
b) Stadtentwicklung und Verkehr
Audiomitschnitt der Rede von Oliver Bayer
Videomitschnitt der Rede von Oliver Bayer
Das Wortprotokoll zur Rede von Oliver Bayer:
Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bewohner von NRW, ich will diesmal nicht über Eigenheimförderung oder mutwillige Zersiedelung sprechen – das haben wir zum Haushalt 2012 gemacht, das haben wir im Ausschuss in den Sitzungen mit den Nummern 1 bis n gemacht –, sondern zur Wohnungspolitik allgemein.
Wenn wir über Wohnungspolitik reden, sprechen wir über ein Grundrecht – ein Grundrecht, das allen Menschen ermöglicht werden muss, unabhängig von Herkunft und Einkommen. Es geht weit über die reine Behausung hinaus. Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis, und die Aufgabe der Wohnungspolitik ist, dies zu erfüllen. Wohnungspolitik ist immer auch Sozialpolitik, und falsche Wohnungspolitik hat fatale Auswirkungen auf die sozialen Verhältnisse. Die Folgen einer Fehlentwicklung sind unabschätzbar.
Vor einem Monat konnte in Köln eine Zwangsversteigerung von 1.200 Wohnungen sprichwörtlich in letzter Minute verschoben werden.
(Zuruf von der SPD: Durch die Stadt!)
Vor zwei Tagen wurde das Ergebnis der Enquetekommission „Wohnungswirtschaftlicher Wandel“ vorgelegt, welches den erschreckenden Zustand vieler Wohnungen in NRW und die üblen Auswirkungen einer ausschließlich auf Rendite setzenden Wohnungswirtschaft offenbart hat.
Auf der einen Seite bilden sich durch den Prozess der Gentrification Wohngebiete der Wohlstandsgesellschaft. Aus ihnen werden marginalisierte Gruppen verdrängt. Im fortgeschrittenen Zustand würden es „Gated Communities“. Das ist die eine Seite der Medaille.
Die andere Seite derselben Medaille ist die zunehmende Bildung von verwahrlosten Quartieren innerhalb der Städtecluster des Ruhrgebiets und einzelner Großsiedlungen entlang der Rheinschiene. Im fortgeschrittenen Zustand werden sie zu Armenvierteln. Es geht also nicht nur um die finanziellen Folgen, sondern auch um die gesellschaftlichen Kosten und nicht zuletzt um die individuellen Schicksale, wenn die Wohnadresse darüber entscheidet, welche Chancen man in dieser Gesellschaft hat. Teilhabe und Chancengerechtigkeit sehen anders aus!
In diesem Zusammenhang wird gerade wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben, das vermeintliche Problem der sogenannten „Armutszuwanderung“. Es ist nicht das Problem bestimmter Menschengruppen, sondern die grundlegende Problematik sozialer Segregation. Man macht es sich zu leicht, wenn man mit Vorurteilen und Schuldzuschreibungen Menschen als Problem abzustempeln versucht. Es stimmt nicht, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen das Problem wären. Das ist nur die polemische Suche nach Sündenböcken. Das Problem sind die Umstände, in denen sie und andere Ausgegrenzte notgedrungen leben müssen.
(Beifall von den PIRATEN)
Man kann, nein, man muss dieser Entwicklung entgegenwirken. Der Koalitionsvertrag sieht das sogar als Absichtserklärung vor. Der Haushaltsplan zeugt jedoch nicht mehr davon. Ein beherztes Investieren am Wohnungsmarkt könnte dem entgegenwirken. Ein BGE könnte dem entgegenwirken. Viele Lösungsmöglichkeiten könnten dem entgegenwirken; die meisten werden als unbezahlbar bezeichnet. Selbst Projekte wie die Soziale Stadt, von denen jeder weiß, dass sie nicht ausreichen – aber Städtebauförderung wirkt zumindest, das haben wir 2012 an dieser Stelle diskutiert –, lässt man schulterzuckend kürzen.
Frau Schneckenburger, es ist nicht so, dass Sie die Kürzungen des Bundes durch Landesmittel ausgeglichen hätten.
Viele Familien geben fast die Hälfte ihres Haushaltseinkommens für Wohnungskosten aus. Selbst viele Familien mit Wohnberechtigungsschein haben keine Aussicht auf eine Sozialmietwohnung, weil es immer weniger davon gibt.
Für viele Menschen sind selbst Sozialwohnungen zu teuer. Für sie bleiben die Substandardwohnungen, allgemein „Schrottimmobilien“ genannt. Viele davon sind eigentlich unbewohnbar. Ihr Zustand wird dem Anspruch auf ein würdevolles Lebens nicht gerecht. Wer Menschen lange genug nötigt, in solchen Zuständen zu leben, der sollte nicht überrascht sein, wenn sich aufgestauter Frust plötzlich in Gewalt entlädt. Das ist in Paris, London und in Los Angeles bereits geschehen. In der Theorie entstehen dann sogenannte Unterlassungskosten: Sachbeschädigung, Verletzte. In Wirklichkeit sind das die unbezahlbaren Kosten.
(Beifall von den PIRATEN – Jochen Ott [SPD]: Ein ganz müder Applaus!)
Ich frage Sie daher: Entspricht die Entwicklung Ihren Zielen und Visionen einer sozial gerechten und nachhaltigen Gesellschaft? Entspricht dieser Haushaltsplan diesen Zielen? Haben Sie die langfristigen Kosten dieser Entwicklung kalkuliert? Haben Sie die möglichen Unterlassungskosten in der Haushaltsplanung berücksichtigt?
Es gibt noch eine dritte Lesung. Sie stehen in der Verantwortung. Stellen Sie sich selbst erneut diese Fragen, bevor Sie unter „parlamentarischen Zwängen“ oder sonstigen Ausreden einen Haushalt beschließen, der nicht einmal Ihren eigenen Ansprüchen genügt. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bayer.