Am Abend der Bundestagswahl erreichte mich die Nachricht, dass Robert Stein aus der Piratenfraktion NRW ausgetreten ist. Viele gaben sich überrascht und monierten das Vorgehen von Robert. Man hätte sich gewünscht, dass Robert sich vorher in der Fraktion deutlicher geäußert hätte. Nun kann sich meiner Meinung nach niemand in der Fraktion über Roberts Schritt überrascht geben. Diese Überraschung wirkt umso abstruser, wenn man bedenkt, dass manche noch vor kurzem das Gerücht intern verbreitet haben, man wolle Robert aus der Fraktion ausschließen. Andererseits kann man selbstverständlich immer noch deutlichere Signale einfordern. Aber was bringt diese Diskussion? Lenkt sie nicht viel zu sehr von den eigentlichen Ursachen ab, die die Fraktion dahin gebracht haben, wo sie jetzt steht: An den Rand der Handlungsunfähigkeit? Und ist diese Ablenkung vielleicht sogar gewollt?
Was ich sicherlich nicht will, ist, den Schritt von Robert gutzuheißen oder ihn zu rechtfertigen. Das muss er wenn alleine tun. Und schon gar nicht möchte ich hier eine politische Bewertung der konträren Positionen vornehmen. Mir geht an dieser Stelle darum, dass nicht wieder eine Gelegenheit verpasst wird, über uns selbst zu reflektieren und die notwendige Diskussion darüber zu führen, was sich in der Fraktion ändern muss, damit wir nicht weiter derart hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben.
Jetzt erst recht, aber kein „Weiter so“
Das Ergebnis vom letzten Sonntag muss für jeden ein Alarmsignal sein; Ein Anlass, das eigene Handeln zu reflektieren. Vor allem für all jene, die in Verantwortung stehen, insbesondere als hochbezahlte Parlamentarier. Dies ist in meinem Umfeld (sprich der Piratenfraktion NRW) bislang höchstens ansatzweise geschehen. Und auch die Diskussion in der Sonderfraktionssitzung am Freitag hat mir gezeigt, dass sie scheinbar in die völlig falsche Richtung geht. Die Einstellung „Jetzt erst recht“ teile ich grundsätzlich. Jeder der mich kennt, weiß das. Aber dieses „Jetzt erst recht“ darf nicht einhergehen mit einem stumpfen „Weiter so“. Das möchte ich hiermit ändern. Mir geht es um die Funktionsfähigkeit der Fraktion unabhängig davon, welche politische Richtung sie letztlich verfolgt.
Jede andere Partei hat diese Selbstreflexion besser drauf als wir. Nun kann man allen anderen Parteien auch mehr Erfahrung mit dem Umgang von Wahlniederlagen zugutehalten, aber selbst von einer so unerfahrenen Partei – oder in unserem Fall – Fraktion wie den Piraten, darf man sicher mehr erwarten.
Ich beschäftige mich jetzt an dieser Stelle – #ausgründen- nur mit der Fraktion.
Die Diskussion ist gekennzeichnet von unverschuldeter Unwissenheit (soweit es die Basis betrifft) und von Nebenkriegsschauplätzen bzw. absichtlich geführten Scheindebatten (was die Fraktionsmitglieder betrifft). Als Parlamentarier tragen wir jedoch besondere Verantwortung für diese Partei und ihren Erfolg.
Konfliktlinien
Die Arbeit in der Fraktion ist leider geprägt von vielen unterschiedlichen Konflikten. Ich kann drei verschiedene Ursachenkategorien identifizieren:
Unsere Konflikte beruhen zum einen – wie bei allen anderen Parteien oder sonstigen Personenvereinigungen – auf Differenzen auf der zwischenmenschlichen Ebene. Dies halte ich nicht für wünschenswert, aber nun einmal im gewissen Maße für normal. Jedenfalls wird es uns auch bei größter Anstrengung niemals gelingen, diese Konflikte vollständig zu vermeiden. Was ich aber erwarte, ist an dieser Stelle ein professioneller Umgang mit diesen zwischenmenschlichen Dissonanzen. Sie dürfen jedenfalls nicht dazu führen, dass die Arbeit der Fraktion darunter leidet oder gar zum Stillstand kommt. Hier sind uns die anderen Fraktionen wesentlich voraus.
Ein anderer Teil der Konflikte beruht auf inhaltlichen Differenzen. Auch diese kann ich bis zu einer Grenze akzeptieren, aber hier ist ebenfalls professioneller Umgang gefragt. Insbesondere sind Mechanismen der Aufarbeitung und der Lösung angezeigt.
Und dann gibt es noch einen Konfliktherd, der betrifft organisatorische Fragen. Um das einmal zu verdeutlichen, mache ich auf folgenden funfact aufmerksam: Nach nunmehr 16 Monaten Fraktionsarbeit haben wir zwar einen Betriebsrat, aber immer noch kein Organigramm, geschweige denn definierte Arbeitsabläufe oder Arbeitsplatzbeschreibungen. Auf Vertretungsregelungen im Urlaubsfall würde ich mich nicht verlassen. Jede Waldorfschule ist gegen uns eine straff geführte Kaderorganisation.
Unsere bisherige Herangehensweise mit Konflikten auf inhaltlicher oder organisatorischer Ebene würde ich mit sechs minus beschreiben. Der am meisten genutzte Konfliktlösungsmechanismus ist die Verlagerung des Konflikts auf die persönliche Ebene. Dies kann dann auch schon mal mobbinghafte Züge annehmen. Das Ergebnis ist eine demotivierende Arbeitsatmosphäre in der Fraktion, die mittlerweile auch schon die Referenten- bzw. Mitarbeiterebene erreicht hat. Dieser Zustand ist absolut alarmierend. Jedenfalls müsste er das sein. Vor allem für diejenigen, die Personalverantwortung tragen.
Roberts Austritt ist vor dem Hintergrund dieser Problemlage zu bewerten, denn er war sicherlich am meisten von diesen Problemlagen betroffen. Die Auseinandersetzung um die finanzpolitische Ausrichtung der Fraktion wurde außerhalb der dafür eigentlich zuständigen Gremien auf dem Rücken der für den Ausschuss Haushalt und Finanzen (HFA) zuständigen Abgeordneten und Referenten geführt. Dies weiß jeder, der mit den Fraktionsinterna vertraut ist. Nur hat Dietmar ein wesentlich dickeres Fell als Robert. Das weiß auch jeder. Ob das auch für Referenten gilt, bleibt abzuwarten.
Plenar-Crash
Kulminiert ist der Streit um den HFA dann in einer denkwürdigen Plenarsitzung bereits am 10.07.2013. Das letzte Plenum vor der Sommerpause. Einer der letzten Tagesordnungspunkte an diesem Tag. TOP 14: Es ging um die Abstimmung über ein Gesetz zur Änderung sparkassenrechtlicher Vorschriften. Dazu hatte die Piratenfraktion NRW einen eigenen Änderungsantrag eingebracht, der die personellen Verflechtungen zwischen Sparkassen und den Kommunen, den Ländern und dem Bund transparent machen sollte.
Daniel Düngel als Vizepräsident und ich als Schriftführer waren zu dem Zeitpunkt im Sitzungsvorstand. Eigentlich war mit keiner Überraschung an dieser Stelle zu rechnen: Piraten fordern (mal wieder) mehr Transparenz ein. Kernthema. Easy Job. Mit eigenen Anträgen positioniert man sich selbst und zwingt die anderen Fraktionen Farbe zu bekennen. Unser Vizepräsident ruft den Änderungsantrag auf, fragt nach den Ja-Stimmen und schaut routinemäßig nach links, dort wo die Piraten im Landtag sitzen. Stirnrunzeln. Ein irritierter Blick als nur ein Teil der Fraktion für den eigenen Antrag stimmt, was von den übrigen Fraktionen hämisch kommentiert wird.
Das Beschlussprotokoll besagt tatsächlich: „Der Änderungsantrag – Drucksache 16/3523 – wurde mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU und GRÜNEN gegen die Stimmen eines Teils der Fraktion der PIRATEN bei Enthaltung der Fraktion der FDP und eines Teils der Fraktion der PIRATEN abgelehnt.“
Das Plenarprotokoll schildert den Vorgang so:
„Vizepräsident Daniel Düngel: Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/3523 ab. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? – Das ist die Piratenfraktion.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Eine Minderheit! – Weitere Zurufe von der SPD)
– Nein, es sind Teile der Piratenfraktion.
(Zurufe)
Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Teile der CDU.
(Unruhe und Zurufe)
Wer möchte sich enthalten? – Das sind Teile der Piratenfraktion und die FDP-Fraktion. Damit ist der Änderungsantrag, so wie gerade besprochen und festgestellt, abgelehnt.
(Unruhe)“
Wir fielen aus allen Wolken. Ein Teil der Fraktion hatte sich also bei der Abstimmung lediglich enthalten. Wohlgemerkt: Bei einem EIGENEN Antrag. Die Fraktion hatte diesen Antrag einstimmig noch am Vortag mit 17/0/0 Stimmen beschlossen. Delikat an der Angelegenheit war insbesondere, dass sich nicht irgendwer enthalten hatte, sondern dass es zwar nicht nur, aber ausgerechnet der (soweit anwesende) Vorstand war, der nicht für den Antrag der eigenen Fraktion stimmte. Mir fiel es in der Situation schwer, einen sachlichen Grund für dieses Vorgehen zu finden. Wahrscheinlich ist das englische Wort mit „M“ hier passender. Jedenfalls kann ich mir gut vorstellen, wie dieses Abstimmungsverhalten auf die zuständigen Abgeordneten (Robert und Dietmar) sowie die Referenten gewirkt haben muss: Aufgrund von persönlichen Motiven wird ein Antrag für mehr Transparenz torpediert, der zuvor in der Fraktion als sachlich richtig bewertet und einstimmig angenommen wurde. Unsere Arbeit im Parlament für mehr Transparenz hatte ich mir anders vorgestellt. Das HFA-Team wahrscheinlich auch.
Und diese Aktion war ja nun nicht nur für das HFA-Team eine Klatsche. Dies hat dem Ansehen der Fraktion im Landtag natürlich massiv geschadet. Wir haben uns – wie man so schön sagt – zum Obst gemacht. Und was mich ebenso enttäuscht hat wie der Vorfall selbst, war die Art und Weise wie danach der Vorfall aufgearbeitet wurde. Nämlich erst mal gar nicht! Eine zeitnahe Aussprache im Rahmen einer Fraktionssitzung wurde abgeblockt. Der Vorstand hat gegen die Anberaumung einer Sonderfraktionssitzung gestimmt. Auch auf der Klausurtagung Anfang September wurde das Thema gemieden. Lediglich von Simone gab es eine prompte Entschuldigung in der auf die Plenarsitzung folgenden Fraktionssitzung, die aber nicht ausreichte, um den Vorfall komplett zu klären. Der Vorstand zog es lieber vor, sich in die Sommerpause zu flüchten. So arbeitet man jedoch nichts auf.
Aufarbeitung, aber bitte mit Selbstreflexion
Wer all diese Geschehnisse der letzten Wochen und Monate im Hinterkopf hat, der kann über die letzte Fraktionssitzung am Freitag, 27.09.2013, nur den Kopf schütteln. Wer die Ereignisse nicht kennt, wird wahrscheinlich auch den Kopf geschüttelt haben, aber wahrscheinlich an anderen Stellen und aus anderen Gründen.
Neben der Ausschussneubesetzung war in dieser Sitzung der Umgang mit Robert Stein ein wichtiges Thema. Den von Oliver Bayer eingebrachten Antrag, sich grundsätzlich für die Möglichkeit einer Rückkehr von Robert Stein auszusprechen, unterstützten lediglich drei Fraktionsmitglieder. Es deutet meiner Meinung nach nicht auf das notwendige Problembewusstsein hin, wenn man sich weigert, sich auch zu fragen, wo man als Fraktion Fehler gemacht hat. Es ist nicht hilfreich, wenn man allein die Schuld/Verantwortung bei Robert Stein sucht. Es hätte uns als Fraktion nichts gekostet, wenn wir die Türe zur Fraktion symbolisch aufgehalten hätten, damit man wieder in einen Annäherungsprozess eintreten kann. Das wäre auch kein „Anbiedern“ gewesen. Damit löst man ja nun auch keinen Automatismus für einen Wiedereintritt von Robert in die Fraktion aus. Diese Größe hätten wir zeigen können. Aber dies war für die meisten nicht möglich. Lieber schaltete man auf stur. Vielleicht fürchtete die Mehrheit, sich so eine Mitschuld am Austritt zu attestieren. Oder dass man damit Roberts Verhalten entschuldigen würde. Das wäre aber gar nicht der Fall gewesen. Man hätte lediglich ein Zeichen dafür gesetzt, dass man als Fraktion nicht weiter die Gräben vertiefen will, sondern auf Ausgleich setzt. Wir hätten als Fraktion besser dagestanden, weil wir mehr Handlungsoptionen gehabt hätten als vorher. Jetzt aber hat man nur die eigene Hilfslosigkeit demonstriert.
Ich bin davon überzeugt, dass Robert weiterhin Pirat ist und sein möchte. Das entscheidet sich für mich nicht in erster Linie an der Haushaltspolitik, bei der wir -Entschuldigung- sowieso medial keine Rolle spielen. Und wenn dem doch so sein sollte, dann vertritt Robert genügend andere piratige Positionen, die ihn für andere Bereiche/Ausschüsse qualifizieren. Alles besser als dieses Signal der Auflösung zu senden und/oder bestehen zu lassen.
Noch eine Bitte
Eine Bitte habe ich zum Schluss: Empörungsschreie auf Mailinglisten oder Twitter a la „Reißt Euch endlich mal zusammen“ oder „Setzt Euch zusammen und löst das endlich mal“ bringen niemanden weiter. Wir sind zwar DIE 20 Piraten im Landtag, und wir sind auch tatsächlich 20 Piraten, aber jeder eben doch auch ein Stück weit nach seiner eigenen Interpretation und noch auf der Suche nach einer gemeinsamen Linie.
Ich hätte mir gewünscht, dass ich diesen Blogpost nicht schreiben muss. Ich versuche Konflikte, wenn möglich, intern zu klären. Aber bei so vielen Abstimmungsniederlagen und internen Gesprächen, die erfolglos blieben, weiß ich mir nicht mehr anders zu helfen. Ich glaube, Ihr habt ein Recht darauf zu erfahren, was wirklich geschah.
Wir sind mal angetreten mit der Aussage, dass wir als Fraktion die Lokomotive für die Piraten sein wollen. Momentan befinden wir uns aber im Schlafwagenabteil. Wenn das so weiter geht, werden wir irgendwann auf dem Abstellgleis unsere Fahrt beenden. Das möchte ich auf jeden Fall verhindern. Wir haben jetzt noch die Zeit, die Fehler aufzuarbeiten und daraus zu lernen. Und all jenen, die mit uns auf die Straße gehen, Infostände durchführen, an Demos teilnehmen, sich dem Bürger stellen und für unsere Ideen und Ideale streiten und natürlich auch unseren Wählern sind wir schuldig, dass wir unsere Hausaufgaben machen. Jetzt!
PS: Und bitte nicht vergessen: Auch dies ist nur eine Sichtweise und nicht die ganze Wahrheit 🙂