Piratenpartei NRW – Piratenpartei Deutschland https://www.piratenpartei.de Sun, 04 Jun 2017 11:20:23 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.7.5 https://www.piratenpartei.de/files/2016/12/cropped-logo-piratenpartei2015-150x150.png Piratenpartei NRW – Piratenpartei Deutschland https://www.piratenpartei.de 32 32 Rede Michele Marsching, Vorsitzender der Piratenfraktion im Landtag https://www.piratenpartei.de/2016/01/14/rede-michele-marsching-vorsitzender-der-piratenfraktion-im-landtag/ https://www.piratenpartei.de/2016/01/14/rede-michele-marsching-vorsitzender-der-piratenfraktion-im-landtag/#comments Thu, 14 Jan 2016 18:08:34 +0000 http://www.piratenpartei.de/?p=24873 „Es gilt das gesproche Wort“

Rede Michele Marsching, Vorsitzender der Piratenfraktion im Landtag NRW

 

Die Vorkommnisse in Köln waren der extreme Auswuchs eines „sex-rape-mobs“, der durch nichts zu entschuldigen ist und ich möchte zuvorderst meine persönliche Betroffenheit in Richtung aller Frauen richten, die zum Jahreswechsel am Kölner Hauptbahnhof Opfer von Gewalt wurden. Die späte Reaktion der Polizei ist ein Skandal! Ich wünsche Ihnen jede Hilfe, die Sie brauchen und jede Unterstützung, die Ihnen als Opfer zusteht.

Wir alle in diesem Raum tragen die Verantwortung, dass ihnen so etwas passieren konnte. Ja, gerade und auch wir als PIRATEN haben nicht genug politischen Druck aufbauen können, um zu verhindern, dass ihnen so etwas passieren konnte. Wir haben nicht genug Druck aufgebaut, dieses Versagen des Ministers zu verhindern.

Herr Minister Jäger, Ihr Totalversagen erreicht zum dritten Mal diese internationale Tragweite! Ihre Bilanz ist vernichtend!

Auf der Loveparade sterben durch Polizeifehler Menschen, in Burbach werden unter Ihrer Aufsicht Menschen gefoltert und jetzt die sexuellen Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof…

…und wie erklären Sie die aus dem Ruder gelaufenen HoGeSa-Krawalle, die Prügel-Orgie von Garzweiler oder die sexuellen Übergriffe bei der Kölner Polizei-Hundestaffel, bei der Sie auch damals schon geschwiegen haben?
Können Sie das überhaupt erklären? Ja klar können Sie das erklären – immer sind die Anderen schuld!

Wer sogar seine eigene Polizei öffentlich an den Pranger stellt – und damit meine ich nicht das „ob“, sondern das „wie“ – , wer die eigenen Leute ans Messer liefert, der klammert sich an den letzten Strohhalm!

Herr Minister, inzwischen haben Sie alle Bauern geopfert! – Sie gehören nicht mehr auf diese Ministerbank! Es wird Zeit, dass Sie die Größe haben, selbst die politische Verantwortung zu übernehmen!

Ich fordere Sie hiermit klipp und klar auf: Treten Sie zurück!

Herr Kollege Jäger, natürlich wollen Sie nicht zurücktreten, natürlich muss ich auf Ihre Ausreden und Ihre Inszenierung im Innenausschuss eingehen, natürlich muss ich noch mehr sagen, zu den Themen Täter, Opfer, sekundäre Opfer, zu Ihrem Organisations- und Ihrem Kommunikationsversagen. Die Aufmerksamkeit ist enorm: die ganze Republik redet von sexualisierter Gewalt. Dabei ist dieses Problem bei Weitem nicht neu!

ARD – Tagesschau – Redakteurin Anna Mareike Krause @mlle_krawall Die „neue Qualität“ an den Übergriffen in Köln besteht vor allem darin, dass den Opfern geglaubt wird.

Dass sich junge Männer in einem „sex-rape-mob“ zusammenschließen, um sexualisierte Gewalt zu praktizieren und sich in der Masse zu schützen, ist vielleicht in Deutschland eine bisher unbekannte Praktik. Leider ist es aber nur eine von vielen Praktiken im Kontext sexualisierter Gewalt.

Sexualisierte Gewalt ist in Deutschland seit Jahrzehnten ein Problem, sie ist nicht aus dem Ausland importiert! 25% der Frauen in Deutschland haben Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt aus dem eigenen häuslichen Umfeld und eben nicht von vermeintlich Fremden.

Sie tun aber so, als wäre das alles unglaublich neu, als hätte es den #Aufschrei nicht gegeben.

Sollte ihnen das nicht bekannt sein, kann ihnen das der Arbeitskreis sozialdemokratischer Frauen bestimmt noch einmal erläutern. Dieser weist seit Jahren auf das Problem hin und fordert auch entsprechende Konsequenzen!

Bahnhöfe, zum Beispiel, sind für Frauen schon seit langem ein bekannter Angstraum. Das Innenministerium ist für polizeiliche Präventionskonzepte im gesamten Bundesland zuständig. Ich frage Sie: Wird bereits an einem solchen Konzept gearbeitet?

Und vor allem: Machen sie das alleine oder über die Grenzen der Ministerien hinweg zum Beispiel mit der zuständigen Ministerin für die Gleichstellung von Frauen? Frau Ministerin Steffens? Sind sie angesprochen worden? Passiert da etwas?

Und ganz konkret: Gab es für die Silvesternacht mit ihrer Terrorwarnung und ihrer erhöhten Gefährdungslage ein Präventionskonzept? Ich gebe einfach mal Ihre Antwort aus dem Innenausschuss von Montag weiter: Sie hatten kein Konzept! Sie hatten gar kein Konzept!

Oder… wie erklären Sie sonst, dass nur eine einzige Beamtin als Ansprechpartnerin zur Verfügung stand in der Silvesternacht, um bei ihr Übergriffe anzuzeigen?

Wie erklären Sie, dass den Frauen keine Betreuung zum Thema Traumabegleitung zur Verfügung gestanden hat?

Wie erklären Sie, dass sich die Frauen komplett von der Polizei im Stich gelassen fühlen? Von Ihnen im Stich gelassen fühlen?

Stattdessen hat die Politik gute Ratschläge: Frauen sollen von fremden Männern möglichst eine Armlänge Abstand halten. Wie abstrus das ist, wenn Opfer zu Verantwortlichen gemacht werden für ihr Leid, zeigt die Diskussion in den sozialen Medien, die unter dem Hashtag #einearmlaenge nachgelesen werden kann.

Jetzt werden plötzlich alle Politiker zu den großen Verteidigern der Frauen, jetzt wollen sich alle mehr um die Opferbelange kümmern… wie sehr sie sich um die Belange der Opfer sexualisierter Gewalt kümmern, zeigt die aktuelle Finanzierung in relevanten Bereichen:

  • Die Finanzierung für Frauenhäuser stellen Sie seit Jahren nicht auf ein sicheres und dauerhaftes Fundament,
  • Opferberatungsstellen sind chronisch unterfinanziert,
  • die Sensibilisierung von Polizeikräften für sexualisierte Gewalt – wieder ein Problem im Wirkungsbereich des Innenversagers – ist kaum bis gar nicht vorhanden und ein Fortbildungskonzept gibt es nicht, trotz grüner Genderregierung!

„Haben wir doch? Machen wir doch?“ – Die Straftaten von Köln werden zunächst eben nicht als sexualisierte Gewalt erkannt, Opfer bekommen stattdessen einen Handzettel zugesteckt, auf dem ihnen erklärt wird, wie sie ihr geklautes Handy sperren können. Das ist ein unmöglicher Zustand, den eine neue Ministerin oder ein neuer Minister sofort ändern muss!

Sie sind Teil des Problems und nicht der Lösung! Jetzt brauchen wir eine Person auf dem Ministersessel, die Lösungen anbietet. Einen Scharfmacher, der Öl ins Feuer gießt kann NRW als Minister nicht gebrauchen.

Sie – Herr Minister – schaden aktiv den Integrationsbemühungen des Landes Nordrhein-Westfalen.

Ich zitiere Sie (aus dem Kölner Stadt-Anzeiger vom 04.01.2016): „Wir nehmen es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen.“ – Wer mit solchen markigen Sprüchen die Debatte um sexualisierte Gewalt ethnisch konnotiert, ist sicherheitspolitisch der schlimmste Gefährder in diesem Land.

Unter uns wissenden weißen Männern: Kennen Sie die Stellungnahmen unter dem Hashtag #ausnahmslos? Zur Aufklärung: Netzfrauen prangern in den sozialen Medien an, dass Sie sich nicht instrumentalisieren lassen zu so einer plumpen Ausländerhetze! Ich zitiere von der Webseite des Aufrufs: „Sexualisierte Gewalt darf nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich ‚Anderen‘ sind!“ Egal wer der Angreifer ist oder woher er kommt – JEDER Übergriff einer zu viel! Für sexualisierte Übergriffe ist in unserem Land genauso wenig Platz wie für Rassismus.

Wenn wir nicht wollen, dass diese Diskussion den Rassisten in die Hände spielt, müssen wir in jedem Einzelfall – und ohne falsch verstandene politische Korrektheit – über die konkrete Tat und die konkreten Tatumstände reden.

Wir müssen über die Massenunterkünfte für Flüchtlinge reden, über die Situation der Frauen dort: Die fehlende Privatsphäre, die beengte Situation, die viel zu lange Unterbringung. Oder über das fehlende obligatorische Screening, dass besondere Bedarfe der Frauen wie psychische Erkrankungen oder Traumata aufdeckt – und die Weitergabe dieser Ergebnisse bei Zuweisung der Asylsuchenden an die Kommunen.

In der Vorlage 1641 beispielsweise teilt die Verwaltung schon Ende Mai 2015 auf Anfrage der Piratengruppe im Rat der Stadt Köln mit, dass die Landesregierung keinerlei Angaben bei der Übergabe der Menschen macht.

Vermutlich aber reden wir nicht nur über Flüchtlingsfrauen, wahrscheinlich reden wir hier eben auch über Männer aus anderen Ländern, die hier Schutz gesucht haben – und die sich jetzt an Frauen schuldig gemacht haben. Die sich gleichzeitig an anständigen Flüchtlingen schuldig gemacht haben.

Jetzt alle Flüchtlinge über einen Kamm zu scheren – auch rhetorisch durch die Diskussion über schnellere Ausweisung wie sie auch gestern im Bundestag geführt wurde – befördert die rassistische Spaltung in unserem Land.

Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Wir unterstützen die Forderung der Feministinnen im Netz unter dem Hashtag #ausnahmslos! Die Opfer von Köln dürfen – bei allem Verständnis für ihr Leiden – nicht für rassistische Hetze oder Forderungen nach einer Verschärfung des Asylrechts mißbraucht werden.

Stattdessen zeigen die Vorfälle von Köln, dass wir stärkere Anstrengungen in der Integrationspolitik brauchen, wir brauchen Lösungen und keine Stigmatisierungen á la „nordafrikanische Männer begrabschen unsere deutschen Frauen“, Herr Kollege Jäger.

Perspektivlose Männer, die am gesellschaftlichen Rand stehen, zusammengepfercht in Massenunterkünften, versammeln sich auf der Domplatte, Geduldete, die keine Arbeitserlaubnis haben, die nichts zu verlieren haben. Sie werfen mit Feuerwerkskörpern in die Menge und – vermutlich – bedrängen sie Frauen bis hin zur Vergewaltigung.

Natürlich sind die Umstände keine Entschuldigung für sexualisierte Gewalt, aber wir als Politiker stehen in der Verantwortung, Rahmenbedingungen zu setzen die, Chancen schaffen statt gesellschaftliche Teilhabe zu verhindern.

Wir stehen in der Verantwortung, Menschen die Möglichkeit zu eröffnen zu arbeiten, sich einzubringen – stattdessen verweigern viele Ausländerbehörden den Flüchtlingen Arbeitserlaubnisse.

Wir stehen in der Verantwortung, Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen – mit Sprachkursen, Lernorten, Literatur, der Teilhabe am kulturellen Leben. Nochmal und damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich will hier nichts schönreden und nichts verschweigen! Täter sind Täter und Opfer sind Opfer.

Wir stehen auch in der Verantwortung, dass die Taten umfassend aufgeklärt und die Täter bestraft werden. Ohne Ansehen der Herkunft, des Status oder des Alters. Aber durch die Taten von Köln und die vorschnelle, populistische, falsche Reaktion und katastrophale Kommunikation der Politik wurde eben eine weitere Opfergruppe geschaffen: Die der rechtschaffenden, der Wartenden, der integrationswilligen Flüchtlinge, die sich plötzlich wiederfinden in der Gruppe des bösen „Ausländers an sich“, der deutsche Frauen vergewaltigt und gegen den sich auf der Straße jetzt Bürgerwehren, Stadtschützer, Nachbarschaftswächter und der Mob formieren.

Wir brauchen Lösungen für diese Menschen und kein parteipolitisches Geplänkel, bis hin zu Untersuchungsausschüssen, nur um den Wahlkampf am köcheln zu halten, liebe CDU, liebe FDP

Wer sich jetzt auch noch hinstellt und die Angriffe von Köln ausnutzen will, um parteipolitische Geländegewinne zu erzielen, wer eine „Kampf der Kulturen“-Rhetorik anwendet, der spielt damit den Idioten von AfD und Pegida in die Hände.

Zum Thema Untersuchungsausschuss sage ich Ihnen: Das Innenministerium hat anscheinend keinen Zugriff auf die untergeordneten Polizeibehörden.

In der Kommunikation zwischen Behördenaufsicht und Behördenleitungen herrscht Chaos. Das muss grundsätzlich aufgeklärt und untersucht werden. Die Polizei, das Innenministerium, ja die Landesregierung alleine werden dazu nicht fähig sein. Das waren sie in der Vergangenheit nicht.

Das werden sie auch zukünftig nicht sein. Die Ereignisse in Köln sind somit eine weitere logische Folge des Versagens dieses Innenministers und damit der gesamten Regierung Kraft.

Dieser Innenminister leitet nicht die Ordnungsbehörden in NRW, die Ordnungsbehörden und die Menschen in NRW leiden unter diesem Innenminister!

Herr Minister Jäger, Kulturkampf-Sprüche sind eines Parlaments und vor allem eines Innenministers unwürdig! Sie, Herr Jäger, haben die Vorgänge und die Opfer instrumentalisiert – Sie haben gespalten, statt zu verbinden!

Sie, Herr Minister, sind dafür verantwortlich, dass Menschen in Köln heute sagen, sie hätten das Vertrauen in den Staat verloren und dass bei ihnen kein Sicherheitsgefühl mehr vorhanden ist.

Sie Herr Noch-Minister sind mit Ihren Äußerungen über „nordafrikanische Männergruppen“ mit dafür verantwortlich, das Volksgruppen pauschal als Straftäter angesehen werden.

Sie Herr Immer-Noch-Minister sind dafür verantwortlich, dass die Menschen in den Flüchtlingsunterkünften neue Ängste haben. Ängste, pauschal diffamiert zu werden und hier nicht mehr willkommen zu sein.

Sie, Herr Jäger, sind eine Fehlbesetzung auf diesem Stuhl. Treten sie endlich zurück und machen Sie Lösungen Platz. …und: Frau Ministerpräsidentin, wenn Herr Jäger nicht freiwillig geht: Die Bauern sind alle schon alle geopfert, bevor die Königin fällt, sollte sie ihren Springer vom Brett nehmen!

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Warum Strafrechts- und Sexismusdebatten die falsche Reaktion auf Köln sind https://www.piratenpartei.de/2016/01/13/warum-strafrechts-und-sexismusdebatten-die-falsche-reaktion-auf-koeln-sind/ https://www.piratenpartei.de/2016/01/13/warum-strafrechts-und-sexismusdebatten-die-falsche-reaktion-auf-koeln-sind/#comments Wed, 13 Jan 2016 20:27:33 +0000 http://www.piratenpartei.de/?p=22859 Gastbeitrag von Corinna Bernauer

Warum Strafrechts- und Sexismusdebatten die falsche Reaktion auf Köln sind

Seit die Straftaten in Köln an Silvester bekannt geworden sind, ist viel über Lösungen diskutiert worden. Und das, obwohl valide Zahlen noch nicht einmal vorlagen. Aktuell gibt es zwar ca. 600 Anzeigen, aber noch keine rechtskräftigen Verurteilungen. Seltsam wirken auch die ersten Beschreibungen von Männern, die „nordafrikanisch“ aussehen – wie sieht denn ein Nordafrikaner aus? Nichtsdestoweniger gab es unmittelbar politische Forderungen nach einer Strafrechtsverschärfung sowie einen lauten Aufschrei seitens der Feminismus-Community, die beide im Gesamtbild völlig haltlos wirken.

Die einzig richtige Reaktion darauf kam bisher vom Landesvorstand und der Piratenfraktion in Nordrhein-Westfalen, die unmissverständlich den Rücktritt von Innenminister Ralf Jäger fordern. Bereits kurz nach Bekanntwerden der Ereignisse von Silvester hatte Monika Pieper, MdL der Piraten in Nordrhein-Westfalen, auf einen Minibericht des Focus hin Jägers Verbleib im Amt in Frage gestellt, falls sich der Bericht bewahrheiten würde, dass dieser trotz Warnungen keine weiteren Einsatzkräfte mobilisiert habe. Für den morgigen Donnerstag ist eine Sondersitzung des Landtags anberaumt, nachdem Jäger am Montag im Innenausschuss nicht die geringsten Fehler einräumen wollte und stattdessen der Polizei die Schuld gegeben hatte.

Diese Sitzung wird genau zu verfolgen sein, denn gerade hier liegen die politischen Fehler, die dazu führen konnten, dass die Übergriffe in Köln nicht verhindert wurden.

Das Versagen liegt nicht in einer angeblich sexualisierten Gesellschaft. Die These, dass Übergriffe zum „Machtwerkzeug des Patriarchats“ gehören, findet sich leider sogar innerhalb der Piratenpartei. Es gibt jedoch keinerlei Beleg dafür, dass die Ereignisse von Köln ihre Ursachen in einer generell sexistischen Haltung der Gesellschaft haben, selbst wenn man unterstellen würde, dass es diese überhaupt gäbe. In der Berichterstattung wurde vielmehr deutlich, dass die Belästigungen (auch wenn sie als schwerwiegenderes Delikt in den Vordergrund gerückt sind) wohl in erster Linie zur Tarnung dienten, Menschen zu überrumpeln und dann auszurauben. Natürlich macht das den Schock eines sexualisierten Angriffs nicht weniger schlimm. Aber wenn dieser reines Mittel zum Zweck ist, erübrigt sich die Sexismusdebatte.

Auch sollte man an dieser Stelle mit „#eineArmlaenge“ aufräumen: Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte auf einer Pressekonferenz auf die ausdrückliche Frage, wie Frauen sich denn schützen könnten, geantwortet, die Frauen sollten eine Armeslänge Abstand halten. Daraus nun den Vorwurf zu basteln, Reker hätte Frauen die Verantwortung zugeschoben, ist schlicht blanker Unsinn. Hätte Reker gesagt, es sei nicht Aufgabe von Frauen, sich zu schützen, hätte die Internetgemeinde ihr vermutlich vorgeworfen, sie wolle Frauen schutzlos ihren Peinigern ausliefern.

Die Ursachen lagen auch nicht in zu geringen Strafen, wie Heiko „Vorratsdatenspeicherung“ Maas meinte und gleich ein Gesetz ankündigte, mit dem angebliche Lücken im Strafrecht geschlossen werden sollen. Einige Regelungen davon mögen grundsätzlich sinnvoll sein, aber sie gehen zu weit. Nehmen wir die geplante Änderung von § 179 StGB, mit der künftig auch das überrumpelte und daher widerstandsunfähige Opfer geschützt werden soll. Das klingt erstmal sinnvoll, weil Herr Maas dabei an die Opfer in Köln denkt. Juristen sollten aber an die Grenzfälle denken: Was ist, wenn jemand beim Flirten irgendwann die Hand des Gegenübers nimmt? Oder die Hand auf dessen Knie legt? Oder jemanden küsst? Will sagen: Der neue § 179 StGB differenziert nicht zwischen dem aggressiven Räuber auf der Straße und dem Teenager, der vor lauter Aufregung die Signale seines Partners falsch deutet.

Wie BGH-Richter Fischer zudem bereits 2015 betont hatte, liegt das Problem einer Strafrechtsverschärfung darin, dass diese auch ein Stück weit freiheitsraubend ist. Selbstverständlich ist es theoretisch möglich, absolut jede sexuelle Handlung, in die nicht ausdrücklich eingewilligt wurde, unter Strafe zu stellen. Dies ist aber gerade in einem so persönlichen Bereich wie dem Sexualleben problematisch, zumal Menschen in privatem Kreis auch mal uneindeutige Signale an Flirtpartner senden. War die entspechende Reaktion nicht erwünscht, kann sie nach dem neuen Strafrecht zur Strafbarkeit führen. Dass für jegliche Handlung, die man im weitesten Sinne als „sexuell“ betrachten kann, eine ausdrückliche Einwilligung vorliegen müsse, ist lebensfremd und Ausdruck einer Politik, die auch noch die intimsten Lebensbereiche ihrer Bürger kontrollieren will. Jeder Mensch hat das Recht, „Nein“ zu sagen, aber solange das Gegenüber dazu in der Lage ist, muss man in gewissen Situationen auch ein „Nein“ verlangen können.

Und – leider muss man auch das betonen – selbstverständlich liegt das Problem erst recht nicht in der Zuwanderung. Dass sich syrische Flüchtlinge in Köln über Flugblätter sofort von den Ereignissen distanziert hatten, hinderte Politiker quer durch den Bundestag nicht daran, auf den Zug von AfD und Pegida aufzuspringen. Kanzlerin Merkel unterwarf sich dem Populismus ihrer eigenen Partei ebenso wie die LINKE-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, die vom „Verwirken des Gastrechtes“ sprach. Man muss es deutlich sagen: Die Flüchtlinge sind nicht als Gäste hier; sie sind als Menschen in Not hier. Wir gewähren ihnen Asyl, weil es eine Frage von Menschlichkeit ist, einen Mitmenschen nicht an einer Grenze hängenzulassen, auf deren anderen Seite er sterben würde. Menschlichkeit kann aber nicht verwirkt werden, auch nicht durch einen Handtaschendiebstahl.

Übrig bleibt also die ganz banale Frage: Warum bekommt in Köln die Polizei Randalierer nicht in den Griff, obwohl ihnen die volle Macht der Staatsgewalt einschließlich Platzverweisen, Festnahmen und ggf. Waffengewalt zur Verfügung steht? Warum kam niemand den Menschen zu Hilfe, als diese belästigt wurden? Die Antwort ist die übliche: zu wenig Polizei. Dabei geht es nur begrenzt darum, dass die Polizei zu wenig Leute in der Kölner Innenstadt hatte, wie sie selbst eingeräumt hat.

Es geht darum, dass die Polizei seit Jahren generell personell nicht ausreichend ausgestattet ist. Es geht darum, dass Politiker seit Jahren versuchen, Polizeibeamte durch Überwachungskameras und Gesetzesverschärfungen zu ersetzen. Aber weder Kameras noch neue Gesetze werden verhindern, dass sich Raubüberfälle wiederholen, denn Kameras steigern eben doch nur die „gefühlte Sicherheit“. Wirklich verhindert werden kann ein Verbrechen nur durch die Anwesenheit von genug Polizisten vor Ort, und Jäger wird Rede und Antwort stehen müssen, warum das in Köln nicht der Fall war. Deswegen sollten wir uns nicht in Strafrechts- und Sexismusdiskussionen vertiefen, sondern vor allem genau hinschauen, was der nordrhein-westfälische Innenminister zu diesem Thema sagt. Diskussionen in andere Richtungen laufen nur darauf hinaus, von einer einfachen Tatsache abzulenken: Mehr Überwachung bringt keine Sicherheit. Deswegen ist Jäger nach den Ereignissen von Köln nicht mehr tragbar.

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PIRATEN fordern Aufklärung der Angriffe auf Frauen in der Silvesternacht https://www.piratenpartei.de/2016/01/05/piraten-fordern-aufklaerung-der-angriffe-auf-frauen-in-der-silvesternacht/ https://www.piratenpartei.de/2016/01/05/piraten-fordern-aufklaerung-der-angriffe-auf-frauen-in-der-silvesternacht/#comments Tue, 05 Jan 2016 14:30:59 +0000 http://www.piratenpartei.de/?p=22701 Nachdem es in der Silvesternacht zu Angriffen auf Frauen in Köln und Hamburg gekommen ist, fordern die PIRATEN die Aufklärung dieser Übergriffe und Straftaten. Mehr Polizisten statt mehr Videoüberwachung.

Kristos Thingilouthis, politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Deutschland: „Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger muss durch die Polizei jederzeit gewährleistet werden können. Wir fordern die Aufklärung der Vorfälle und geeignete Maßnahmen, die helfen, solche Übergriffe in Zukunft zu verhindern. Das bedeutet Präsenz von Polizei anstelle von Überwachungsmaßnahmen durch Videoanlagen. Abschrecken statt abfilmen! Wir verurteilen die Übergriffe auf die Frauen auf das Schärfste. Dieses Verhalten ist für uns nicht hinnehmbar, egal woher die Täter stammen mögen. Das darf sich nicht wiederholen. Die Unversehrtheit der Person ist ein nicht verhandelbares Grundrecht.“

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